John Henry Newman (1801 – 1891)
![]() |
Englischer
Theologe, der als Anglikaner einer der Führer der Oxford-Bewegung war. 1845 trat zur Katholischen Kirche über
und war 1851 - 58 Rektor der neuen katholischen
Universität in Dublin. 1879 wurde er zum Kardinal ernannt. Seine Theorie der Lehrentwicklung
trug zur Einführung des geschichtlichen Denkens in die katholische
Theologie bei. Er verband Freimut der Kritik mit unbedingter Treue zu Glaube
und Kirche. Siehe auch Wikipedia und Henry Edward Manning |
|
Inhaltsverzeichnis
Gott Aufstieg zur Gottesschau Weisheit Gewißheit Geheimnis der Erwählung |
Gottesdienst Spaltung und Einheit Reform |
Gott
Er ist über uns... Wir fühlen,
daß Er ist — aber wie können wir Ihn begreifen?...
Nicht einmal in unsere Freunde können wir eindringen: Wir nennen sie fremd,
unbegreiflich — aber was ist das, verglichen mit der All-Unbegreiflichkeit
des Ewigen? Er allein in der Tat ist unbegreiflich: der nicht nur lebt
eine Ewigkeit ohne
Beginn, sondern der auch eine ganze Ewigkeit gelebt hat mit Sich allein und
nicht müde wurde Seiner Einsamkeit...
Von Ewigkeit immer Tat, und doch von ewiger Ruhe. Immer
in ungestörter Ruhe, tiefem, unnennbarem Frieden, und doch lebendigen,
wachen Sinnes — Sich Selbst besitzend, All-Bewußtsein — Sich
Selbst begreifend und aushaltend Sein Begreifen — ruhte immer, doch ruhte
in Sich, Sich Selbst Quelle, Sich Selbst Ziel, Sich Selbst Schau, Sich Selbst
Seligkeit...
Und wenn es unbegreiflich ist, daß Er in Einsamkeit gewesen ist durch
eine ganze Ewigkeit —: ist es nicht noch unbegreiflicher, daß Er
diese Einsamkeit aufgegeben hat und beschloß, Sich mit Geschöpfen
zu umgeben? Warum war Er nicht zufrieden zu sein, wie Er war? Warum rief Er
ins Dasein jene, die doch Seiner Seligkeit nichts hinzufügen konnten und
nicht einmal sicher waren ihrer eigenen? Warum gab Er
ihnen die Gabe, die wir an ihnen sehen, Gut oder Bös zu tun nach eigener
Wahl: zu wirken ebenso ihr Unheil wie ihr Heil? Warum schuf Er eine Welt, wie
sie vor unseren Augen steht: die im besten Falle Seine Herrlichkeit nur schwach
widerstrahlt — und im schlimmsten ein Schauplatz ist von Sünde und
Sorge?
Er hätte eine weit bessere Welt erschaffen können
als diese, hätte die Sünde ausschließen können —
aber — o schauerlich Geheimnis! Er hat Sich umgeben mit dem Weh-Geschrei
gefallener Seelen, hat geschaffen und geöffnet den großen Abgrund.
Es war sein Wille, nach einer Ewigkeit von Frieden zuzulassen eine Ewigkeit
von Auflehnung, Hochmut, Gotteslästerung, Schuld und Selbsthaß und
den Wurm, der nicht stirbt...
Er ist überall auf Erden und sieht jegliches Verbrechen, das sich begibt,
im Licht des Tages oder im Dunkel der Nacht. Er ist sogar
die erhaltende Kraft derer, die sündigen. Er ist in innigster Nähe
jeglicher, auch der beflecktesten Seele. Er ist mitten im ewigen Kerker: Aber...
nichts berührt Ihn, obgleich Er alle Dinge berührt. Die Strahlen der
Sonne dringen in die schmutzigsten Winkel, aber wahren ihren Schimmer und ihre
Reine —: so sieht und duldet der Allmächtige das Böse,
und ist doch nicht berührt oder bewegt durch Trotz, Hochmut, Unreinheit
oder Unglaube der Kreatur; die Lüste der Erde und die Lästerungen
der Hölle trüben weder Seine Reinheit noch mindern Seine Majestät...
So ist der große Gott, All-Genügend, All-Selig,
Erhaben über Kreatur, Unerforschlich, Unnahbar. Wer kann Ihn sehen? Wer
kann Ihn messen? Wer kann Ihn bewegen? Wer kann Ihn wandeln? Wer kann auch nur
sprechen von Ihm?
Aufstieg
zur Gottesschau
Wenn Gottes Stimme uns aufruft aus dem Staube, darin wir liegen, geschieht es,
uns zu höherer Würde zu berufen, als sie im Anfang unser eigen war.
Aber er stellt uns nicht auf einmal her: Zuerst steigen
wir vom Stande eines Sklaven auf zu dem von Kindern, und zwar allein
von Kindern, noch nicht von Erwachsenen. Wir werden geübt durch die Schule
des Glaubens; es ist unsere Erziehung; in gleicher Weise wie Kinder auf der
Schule geübt werden: man empfängt die Anfangsgründe des Wissens
auf Glauben hin — man beginnt nicht mit Philosophieren. Aber wie wir in
natürlicher Ordnung von auswendig gelernten Stücken und Schulmeisters
Rute hinansteigen zu philosophischer Weite des Geistes, so schreiten wir auch
in übernatürlicher Ordnung (in diesem Leben
und weit wirklicher noch im kommenden Leben) von Glaube und Züchtigung
hinan zu Schauung.
So ist des Ewigen Vaters freundliche Güte: »aufrichtend
von der Erde den Hilflosen und aus dem Staube erhebend den Armen«.
Denen, die mit Glauben begannen, fügt er im Lauf
der Zeit eine höhere Gabe hinzu: die Gabe der Weisheit, die —
den Glauben nicht überflüssig machend, sondern voraussetzend —
so weite und tiefe Schau von offenbarten Dingen uns verleiht, daß deren
Zusammenhalt schon ein Beweis ist ihres Urhebers und gleich der sichtbaren Welt
uns in die Knie zwingt, anzubeten Seine Majestät...
»Ich nenne euch nicht mehr Knechte«, sprach er; »denn der Knecht weiß nicht, was
sein Herr tut; nein, Freunde habe ich euch genannt, weil ich alles, was ich
von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe.« [...]
Liebe zum Himmel ist der einzige Weg zum Himmel. Daß wir sehen, bringt
uns nicht vorwärts. Wie hätte sonst Judas im Bösen beharren können
— mitten in Christi Gegenwart? Warum blieb Balaam
[Bileam], obschon »die
Augen ihm aufgetan wurden«, verschlossenen Herzens? Warum
konnte Satan fallen, da er doch ein strahlender Erzengel
war? Auch das Denken wird uns nicht zur Glaubensunterwerfung vermögen.
Warum denn sonst war das Evangelium, da es begann, »den
Griechen Torheit«? Auch erhitzte Gefühle wandeln uns nicht
um. Denn da ist einer, der »das Wort Gottes hört,
und es sogleich mit Freude aufnimmt«— aber »keine
Wurzel in sich selbst hat und nur auf eine Weile dauert«. Noch
mag Eigennutz uns über uns heben — sonst wäre jener reiche Mann
klüger gewesen, dessen »Ackerland Früchte
trug in Fülle«, und hätte bedacht, daß »diese
Nacht noch seine Seele von ihm gefordert« werden könne. —
Laßt uns endlich einmal begreifen, daß nichts als Liebe Gottes uns
an Ihn glauben oder Ihm gehorchen macht, und laßt uns Ihn bitten, der
da »Gutes bereitet hat für jene, die Ihn lieben,
mehr als Menschengeist erfassen kann: Er wolle ausgießen in unsere Herzen
solche Liebe zu Ihm, daß wir, Ihn liebend über alles, Seine Verheißungen
erlangen, die all unser Sehnen übersteigen«!
Weisheit
Weisheit
ist die klare, ruhige, genaue und zusammenfassende Schau des ganzen Laufs, des
ganzen Werkes Gottes; und obschon da keiner ist, der sie in ihrer Fülle
hat, als Er, der »durchforschet alle Dinge, ja die
tiefen Dinge« des Schöpfers, so sind sie doch in gewissem
Grade »durch diesen Geist uns offenbart«,
und so ist doch für menschliches Maß jenes Wort erfüllt, daß
»der Geistige alle Dinge richtet, selbst aber gerichtet
wird durch niemand«.
Andere verstehen ihn nicht, meistern nicht seine Gedanken, erliegen, wenn sie
zusammenfassen und in Einklang bringen wollen die einzelnen Gesichtspunkte und
Grundauffassungen, die ihm vom Unendlichen Lichte
kommen und Eingebungen sind des Odems Gottes. Er
hingegen umgreift die andern und weist ihnen ihren Platz, nimmt ihr Tun vorweg
und ergründet ihre Gedanken. Denn, mit dem Apostel zu sprechen, er »hat
den Geist Christi und alle Dinge sind sein, ob Paulus oder Apollo oder Kephas,
ob Welt oder Leben oder Tod, ob Gegenwärtiges oder Zukünftiges«.
So ist die Wunderhöhe der Pfingstgabe, dadurch »wir
haben eine Salbung von dem Heiligen und wissen alle Dinge«.
Gewissheit
Religiöse Menschen haben in ihrer eigenen Religiosität eine Gewißheit
für die Wahrheit ihrer Religion. Die Religion ist echt, die Macht hat und
insoweit sie Macht hat: Nur Göttliches kann das Herz erneuern. —
Und das ist der geheime Grund, warum religiöse Menschen glauben —
sie mögen sich dessen voll bewußt sein oder nicht — sie mögen
es in Worte kleiden können oder nicht —: ihre ganze bisherige Erfahrung,
daß die Lehre, zu der sie sich bekennen, Leben ist für ihren Geist
und zu ihnen gekommen ist »nicht in Worten, sondern
in Macht«.
Zitiert aus: Karrer, O., PrzywaraE., John Henry Newman,
Ein Aufbau. Aus seinen Werken I-VIII, Freiburg (Herder) Enthalten in: Christliche
Mystik, Texte aus zwei Jahrtausenden (S.426f.)
Herausgegeben von Gerhard Ruhbach und Josef Sudbrack im Verlag C. H. Beck, München
Geheimnis
der Erwählung
Nichts ist gewisser, als daß einige sich zu Höherem berufen fühlen,
andere nicht. Warum dies der Fall ist, wissen wir nicht — genug, daß
es so ist. Niemand ist berechtigt, den tieferen Standpunkt eines anderen sich
zum Vorbild zu nehmen. Und während wir nach Hohem streben, gehen wir zwischen
Abgründen. Deshalb sagt der Apostel: »Wirket
mit heiliger Scheu und Zittern euer Heil: Gott ist es ja, der nach seinem Liebeswillen
in euch das Wollen wie auch das Vollbringen wirkt« (Phil 2, 12f.)
S.197
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München
Gottesdienst
Gott hat mich für einen bestimmten Dienst geschaffen; Er hat mir ein Werk
anvertraut, das Er keinem andern anvertraute. Ich habe meine Sendung. Irgendwie
bin ich notwendig in Gottes Ratschlüssen, so gut wie ein Erzengel an seiner
Stelle. Wenn ich versage, kann Er freilich einen andern erwecken, wie Er »aus
Steinen Kinder Abrahams machen könnte« (Mt 3,9);
jedoch ich bin am Ganzen beteiligt, ein Glied in der menschlichen Gemeinschaft.
Er hat mich nicht für nichts geschaffen, ich soll sein Werk vollbringen;
ich soll an meiner Stelle ein Bote des Friedens, ein Zeuge der Wahrheit sein,
auch wenn ich nicht daran denke. Eines habe ich zu tun: Gottes Willen, und dies,
indem ich Ihm in meinem Berufe diene. S.237
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München
Spaltung
und Einheit
Daß ihr würdig
wandelt der Berufung, die ihr empfangen habt: in aller Demut, Milde, Langmut,
einander tragend in Liebe, mit dem eifrigen Bemühen, des Geistes Einheit
zu wahren, umschlossen vom Band des Friedens. Eph 4, /13
Es ist wohl deutlich genug, daß die Trennung der Kirchen
im tieferen Grunde ein Verderbnis der Herzen ist. —
Polemische Schriften legt man als Streitschriften beiseite und zieht sich zurück,
statt Vertrauen zu schöpfen. —
Es scheint mir, der erste Schritt für irgendeine Aussicht auf Einheit inmitten
der Trennung ist für religiöse Menschen insgesamt der, nach dem Evangelium
zu leben. —
Nichts wäre unsinniger und unwahrhaftiger als Kompromisse und künstliche
Zusammenlegungen. Es gibt wirkliche Meinungsverschiedenheiten; es wäre
das beste, sie existierten nicht, aber das nächstbeste ist, offen dazu
zu stehen, jedoch in Liebe.
Weil das Hindernis der Einheit in einem Gefühl der Gewissenspflicht und
einer Ehrfurcht vor dem begründet ist, was jede Seite für wahr hält,
mit dem Verlangen, den Glauben zu behaupten, so dürfen wir demütig
hoffen, Gott werde in unsern Tagen den Willen für die Tat nehmen, wenn
nur die Herzen ehrlich sind.
Wie der Untergang der Sonne die Sterne heraufführt, so sieht man, während
der Unglaube überhand nimmt, am Himmel des Glaubens die großen Leitgedanken
aufleuchten, die von Menschen verschiedener Bekenntnisse als ihr gemeinsames
Gut begrüßt werden. So traurig es ist, die Sehnsucht nach Einheit
ohne entscheidende Wirkung sehen zu müssen, so dürfen wir doch hoffen,
Gott habe guten Menschen die Sehnsucht und das Gebet um Einheit nicht ohne die
Absicht ins Herz gegeben, ihr Gebet zu seiner Zeit zu erhören.
S.316
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München
Reform
Arzt, heile dich selbst! Lk
4, 23
Wenn wir einmal die Frage »wahr oder falsch«
beiseite lassen, die natürlich die Hauptfrage ist, so müssen wir uns
inachtnehmen vor dem großem Irrtum,Veränderungen zu machen aus keinem
andern Grunde, als weil es uns folgerichtig scheint, weil es der Schrift entspreche
oder weil es schon bei den Alten so gewesen sei. Solche Veränderungen heißen
mit Recht »Neuerungen«. Änderungen
aber, die aus gegebenen Einrichtungen, Überzeugungen und Empfindungen der
Gemeinschaft hervorgehen, heißen Entwicklungen, und man kann sie ohne
Schaden als Fortschritt empfehlen. —
Für das Wirken des göttlichen Geistes bezeichnend ist es, daß
er überall derselbe ist, still von Stufe zu Stufe führend, in durchdringender
Wirksamkeit, aber nicht gewalttätig, schroff oder launisch, durch Parteiungen
oder Absonderungen. Wenn die Regungen des Herzens derartige Merkmale aufweisen,
sind sie verdächtig, daß sie nicht vom Heiligen Geiste kommen.
Gottes Geist wohnt in der Gemeinschaft. Privatmeinungen, selbstersonnene Methoden,
plötzlicher Wechsel von Gefühlen, stürmische Entschlüsse,
ekstatische Begeisterungsausbrüche sind nicht die Zeichen der göttlichen
Kraft. Jeder Geist, der sich mit weniger begnügt als mit der Ganzheit des
Menschen, der nicht zu vollkommener Selbsthingabe und Aufopferung führt,
der dem Eigenwillen schmeichelt und nicht auf die innere Einheit des religiösen
Charakters Wert legt — ist nicht von Gott. Das Herz des Christen soll
im kleinen die Darstellung des gläubigen Ganzen sein, da doch ein Geist
das Ganze und seine Glieder zu einem lebendigen Tempel macht.
Laßt uns den Stand der Religion im eigenen Herzen heben, und er wird in
der Welt gehoben sein! Wer das Reich Gottes in seinem Herzen aufzurichten strebt,
fördert es in der Welt. S.236
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München