Musô
Kokushi (1275 – 1351)
![]() |
Japanischer Zen-Meister, der den Ehrennamen Musô Kokushi trug und ein Nachkomme des Uda Tennô in der neunten Generation gewesen sein soll. Die machtvolle Entfaltung des Zen im Japan des 14. Jahrhunderts ist vor allem ihm zu verdanken. Sieben Kaiser haben ihm Ehrentitel verliehen und die Zahl seiner Schüler soll dreizehntausend betragen haben. Die folgenden Textstellen stammen aus zwei kleinen Sammlungen seiner Aussprüche, dem »Seizan-yawa« (Nächtliche Gespräche am Westberg) sowie dem »Rinsen-kakun« (Hausermahnungen im Rinsenji) und seinem bedeutendsten Werk »Muchû mondô«, in dem er 93 Fragen des Ashikaga Tadayoshi beantwortet. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Die günstigste Lebensführung
, Die rechte Waffe , Zweifeln
oder Nichtzweifeln? , Ausübung
der religiösen Praxis , Die
tausend Dinge dieser Welt
Seizan-yawa
Die günstigste
Lebensführung
Der Meister sprach: Bukko sagte zu Bukkoku:
Wenn ich unsere Brüder in Japan betrachte, meine ich immer, dass nicht
sehr viele zur Erleuchtung kommen werden. Es ist wohl die Art dieses
Landes, dass man Wissen und Begabung verehrt, aber nicht nach der befreienden
Erkenntnis strebt. Es mögen Leute mit den besten Anlagen sein, sie
lesen nur ständig in den in- und ausländischen Schriften, genießen
tief die Gewalt der Worte und haben so nie die rechte Muße, die »eine
wichtige Sache« in sich reifen zu lassen. Sie bringen ihr ganzes
Leben im Irrtum zu und sind wirklich zu bedauern. Oder es sind Leute, die sich
zwar Wahrheitssucher nennen, aber sich, weil sie
zu umfassendem Wissen nicht befähigt sind und auch kein Gedächtnis
haben, mit bloßem Dasitzen ein gutes Karma erwerben wollen; sie begreifen
gar nicht, was es heißt, sich mit ganzem Herzen
der Wahrheit zuzuwenden, und so gelangen auch sie in diesem Leben nicht
zur Erleuchtung. - So berichtete mir mein Lehrer und ich fragte ihn:
Von denen, welche die besten Anlagen besitzen und ohne weiteres zur Vollendung
kommen, soll nicht die Rede sein, aber welche dieser beiden Arten von Menschen
ist Eurer Meinung nach die bessere? –
Da antwortete mir mein Lehrer: »Mag einer auch stumpf
in seinen. Anlagen sein, bemüht er sich unentwegt bis zum letzten Tage
jeden Jahres, so erscheint er im nächsten Leben an einem günstigen
Ausgangspunkt und ihm gelingt die Erleuchtung schnell. Wer aber auf dem Wege
der Gelehrsamkeit nach einem guten Karma strebt, bleibt nicht nur weiter im
Staub der Welt, selten auf höhere Erfahrungen stoßend, sondern lädt
vielleicht auch im kommenden Leben viel unerwartet Missgeschick sich zu«.
S.151f.
Rinsen-kakun
Die rechte
Waffe
Die Geräte in den Mönchsunterkünften sollen alle schlicht sein,
die Mönchsgewänder keinesfalls prächtig, dergleichen hindert
nur den Weg' und lockt Räuber herbei. In den heutigen Mönchsklausen
stapelt man allerlei Waffen, um Überfälle abzuwehren, doch ist eben
dies die Ursache, dass Buddhas Gesetz immer mehr zugrunde geht. Man lasse doch
von solcher Vorsicht ab! Die Schurken unserer Zeit stehlen zwar nicht nur den
Besitz der Mönche, sondern rauben ihnen auch ihr Leben, und aus diesem
Grunde sammeln jene Waffen um sich. Doch ist es viel besser,
die Gebote Buddhas einzuhalten und keine Schätze bei sich aufzuhäufen:
dies allein ist die rechte Waffe, Räuber abzuwehren. Man richte
sich nach den geheimnisvoll wichtigen Lehren der Patriarchen, erledige seine
Aufgaben und behellige sich nicht mit den lästigen Nöten dieser Welt.
Verfährt man also, so schützen alle guten Götter der Himmelswelt! S.152f.
Muchû-monô
Zweifeln
oder Nichtzweifeln?
Frage: Es gibt zwei Auffassungen über die Betrachtung eines Kôan: die des Zweifelns
und die des Nichtzweifelns. Welche von beiden soll man als die eigentliche
ansehen?
Antwort: Für die Mittel des
Lehrers gibt es keine festgelegten Bahnen. Sie
sind wie die Funken beim Feuerstein und der Lichtschein des Blitzes. Einmal
weist der Lehrer an, voller Zweifel zu betrachten,
ein anderes Mal befiehlt er, nicht zu zweifeln.
Das sind Worte, mit denen er die Lernenden unmittelbar »hinweist«.
Es ist dies kein Gesetzestor, das er in seiner Brust des Wissens von früher
her schon errichtet hat. Aus diesem Grunde nennt man dies: (die
Wahrheit) »direkt ins Gesicht zeigen«.
Den Funken aus dem Feuerstein und den Schein des Blitzes kann man nicht festhalten
und bestimmte Aussagen darüber treffen. Ist es ein
einsichtiger Lehrer, so kann es ihn also nicht stören, einmal das Zweifeln
und ein anderes Mal das Nichtzweifeln zu empfehlen. Ist er aber nicht
einsichtig, so verwirrt er die Augen der Lernenden mit einer festen Meinung über diese Frage. S.154
Ausübung
der religiösen Praxis
Frage: Man sagt, es gebe Menschen,
die inmitten zahlloser Verrichtungen des täglichen Lebens kufû
[religiöse Praxis] betreiben, und auch solche, die mitten in
ihrem kufû diese tun. Welcher Unterschied
besteht zwischen den beiden?
Antwort: Das Wort kufû entspricht dem chinesischen Worte shih-su
(das berufliche Tun). Die Feldbestellung ist die dem Landmann zukommende
Tätigkeit, das Fertigen und Schnitzen die Arbeit des Schreiners. Im Sinne
dieser allgemeinen Bezeichnung spricht man nun bei uns von kufû,
wenn der Wahrheitssuchende das Gesetz Buddhas zu erfüllen
sucht. Bei einem, der das kufû seines
innersten Wesens betreibt, ist kein Unterschied, ob er
inmitten zahlloser Verrichtungen des Alltags das kufû, oder diese inmitten des
kufû ausübt.
Für die Anfänger gibt es jedoch durchaus besondere Weisungen. Solche,
die in einem nur seichten Streben nach Wahrheit die tausend
Alltagsgeschäfte zum Eigentlichen erhoben haben, betreiben während
dieser zu gewissen Stunden das Zazen als tägliche
Aufgabe. Das heutige Vier-Zeiten-Zazen [Meditation
in Sitzhaltung] in den Klöstern hat vor zweihundert Jahren begonnen.
In alter Zeit vergaßen die Mönche, wenn sie unter einem Baume oder
auf einem Steine saßen oder sich in einem Kloster um den Abt versammelt
hatten, um dieser »einen wichtigen Sache« willen Schlaf und Essen,
und es gab während der zweimalsechs Stunden keinen Augenblick ohne kufû. In dieser Endzeit aber haben viele nicht dieser »einen wichtigen Sache« wegen Mönchsgestalt angenommen,
sie taten es keineswegs immer aus ihrem Herzensgrunde heraus, sondern etwa,
weil ihnen die Eltern starben. Und viele treten ins Kloster ein, weil sie, in
die Welt verwickelt, so den Kümmernissen zu entrinnen
gedenken. Sie nehmen infolge von Karma-Auswirkungen, nicht aber aus innerem Bedürfnis die Mönchsgestalt an. Da ihnen das echte Wahrheitsstreben fehlt, werden sie, wenn
sie Reis verzehren und Tee schlürfen, von Essen und Trinken am kufû
gehindert und vergessen so Buddhas Weg. Lesen sie Sûtren und murmeln sie magische Formeln, so werden sie von diesen
äußeren Tätigkeiten völlig in Anspruch genommen und kehren
dabei dem Eigentlichen den Rücken. Auch wenn sie in Muße sind, betreiben
sie nicht das kufû ihres
innersten Wesens, sondern vertun leer die Stunden. Für solche sind
die »Mittel« geschaffen, für sie
hat man das Vier-Zeiten-Zazen eingerichtet, doch
bedeutet dies nicht, sie sollten kufû nicht
auch außerhalb dieser vier Zeiten betreiben.
Unter denen, die ein echtes Streben nach Wahrheit
haben, gibt es keinen, der die Zeit leer zubringt,
weil eben keine Stunde des Zazen ist. Ob sie nun essen, trinken, sich anziehen,
Sûtren lesen, Beschwörungsformeln sprechen oder auf den Abtritt gehen,
nie vergessen sie das kufû ihres
innersten Wesens. Man kann sie als solche bezeichnen, die während der tausend
Dinge des Alltags kufû betreiben. Nun sagt man im allgemeinen, sie seien
jenen anderen überlegen, welche die Alltagsbeschäftigung zum Eigentlichen
erhoben haben und während dieser zu bestimmten Stunden Zazen üben.
Doch da sie immerhin zwischen den zahllosen Beschäftigungen des Tages und
dem kufû bewusst unterscheiden,
geschieht es nur zu oft, dass sie von jenen ersteren aufgezehrt werden und das kufû vergessen. Es kommt dies daher, weil sie die tausend Dinge der Welt als außerhalb ihrer selbst liegend wähnen.
Ein alter Meister hat einmal gesagt: Berge, Flüsse,
die ganze große Erde, alle unendlich vielen Erscheinungen sind das Selbst. Begreift man dies gut, so weiß man, dass es außer dem kufû keine zahllosen Beschäftigungen des Tages gibt. Mitten im kufû
kleidet man sich an und isst, mitten im kufû
geht, wohnt, sitzt und liegt man, mitten im kufû
sieht, hört, begreift und erfährt man, mitten in ihm empfindet man Freude, Zorn,
Trauer und Glück. Einen solchen kann man einen Menschen nennen,
der im kufû die
tausend Dinge des Alltags tut, und es ist dies ein kufû
ohne kufû, eine Achtsamkeit
des Herzens ohne Achtsamkeit. S.155ff.
Die
tausend Dinge dieser Welt
Frage: Wenn so zwischen den
tausend Dingen der Welt und kufû kein
Unterschied ist, warum ermahnt dann die Lehre und das Zen die Übenden im
allgemeinen, die tausend Dinge der Welt von sich abzutun und alle Bindungen zu lösen?
Antwort: Ein alter Meister hat einmal gesagt: Buddhas
Gesetz kennt keine festen Bestimmtheiten. Die Unterweisungen, welche die Übenden
führen sollen, liegen nicht von vornherein fest. Es ist dies ein
alles durchwaltendes Gesetz des Grossen Fahrzeugs [mahâyâna], dass es zwischen Buddhas Gesetz und dem der Welt nichts zu unterscheiden gibt.
Zwar sind die Lehre und das Zen voneinander verschieden, aber wie sollten die
Meister, welche das Grosse Fahrzeug rühmten, etwa behauptet haben, außerhalb
der tausend Dinge der Welt sei noch eine besondere Ausübung des buddhistischen
Gesetzes möglich? Nur den Augen derer, die dieses Gesetz noch nicht erfasst
haben, dünken die unzähligen Erscheinungen dieser
Welt täuschend verworren. Aus Mitleid mit ihnen verwenden die Meister
dann und wann ein »Mittel«, um die
Lernenden zu veranlassen, nicht gar so gierig an dieser Welt zu hängen,
und sie sprechen ihnen zu, alles aufzugeben. Doch haben diese den Umständen
angepassten Mahnungen keine an sich gültige Bestimmtheit....
Da die Menschen in unseren Tagen Tenshu-bodai gleichen,
brauchen sie, mögen sie prachtvolle Gewänder und Behausung auch noch
so lieben, sich ihrer nicht unbedingt als eines Hindernisses auf dem Wahrheitswege
zu enthalten.... Seit alters gibt es bei uns viele, die als Landschaft
(in ihrem Garten) kleine Hügel errichten, Steine setzen, Bäume
pflanzen und ein Bächlein hindurch fließen lassen. Und mag diese
Neigung auch überall die gleiche sein, so ist der persönliche Geschmack
doch immer verschieden. Nun aber gibt es auch Leute, die in ihrem Herzen gar
keinen so besonderen Gefallen an der Landschaft finden, aber ihre Behausung
schmücken, weil sie bewundert werden wollen. Und es gibt auch Menschen,
die nur deshalb seltene Schätze sam¬meln und lieben, weil sie an tausend
Dingen gleichzeitig gierig hängen; da auch eine schöne Landschaft
dazu gehört, suchen und raffen sie seltene Steine und merkwürdige
Bäume zusammen. Sie lieben gar nicht die Anmut einer schönen Landschaft
an sich, sondern den »gemeinen Staub«
der Welt. Po Chü-i grub einen kleinen Teich
aus, pflanzte an seinem Rande Bambus an und liebte diesen über alles. Der
Bambus ist mein bester Freund, sagte er, weil sein Herz
leer ist, und da das Wasser reinen Wesens ist, ist es mein Meister. Menschen,
die eine schöne Landschaft aus dem Grunde ihres Herzens lieben, besitzen
ein Herz wie Po Chü-i und vermengen sich daher
nicht dem »gemeinen Staub«. Es gibt
unter ihnen solche, die ihrem Wesen nach rein und schlicht
sind, den Staub der Welt nicht schätzen, nur Gedichte rezitieren, an Quellen
und Steinen Flöte spielen und so ihr Herz nähren....
Man muss sie die Liebenswerten dieser Erde nennen. Sind
sie freilich ohne tiefes Wahrheitsstreben, so ist eben dies der Grund zu ständiger
Wiedergeburt. Es gibt nun aber auch Menschen, bei denen der Anblick von
Berg und Wasser die Schläfrigkeit vertreibt, die Einsamkeit tröstet
und ihr Streben nach Wahrheit unterstützt. Hierin unterscheiden sie sich
von der Liebe der allermeisten zur Landschaft. Es muss dies wahrhaftig verehrungswürdig
genannt werden, doch da sie noch immer einen Unterschied zwischen der Landschaft
und ihrem Wahrheitswege machen, kann man sie nicht die eigentlichen Wahrheitssucher
nennen. Solche hingegen, welche Berge, Flüsse, die
große Erde, Gräser, Bäume und Steine als ihr eigenes Wesen empfinden,
scheinen zwar durch ihre Liebe zur Natur weltlichen Gefühlen verhaftet,
doch offenbart sich in Wirklichkeit eben hierin ihr echtes Wahrheitsstreben,
und sie nehmen die Erscheinungen, welche sich in die vier Elemente verwandeln, als kufû... Tun sie dies
in rechter Weise, so sind sie Musterbeispiele dafür, dass echte Wahrheitssucher
die Landschaft lieben.... Und wenn der Ehrwürdige von
Toga-no-o und der erste Abt des Kenninji den Tee so schätzten, so
war dies, weil er die Benommenheit nahm, vor dem Einschlafen be¬wahrte und
so ein Hilfsmittel auf ihrem Wahrheitswege war. Sieht man aber heute, wie falsch
man den Tee gebraucht, so erkennt man, dass er keine Hilfe zur Förderung
des Lebens mehr ist. Und wie sollte es da noch Leute darunter geben, bei denen
man annehmen könnte, sie tränken ihn des Erkennens und des Weges halber.
Es ist nur mehr ein weltlicher Genuss und die Ursache dafür, dass das Gesetz
Buddhas zugrunde geht. In der Liebe zum Tee sind sich die Menschen gleich, aber
je nach ihrem Herzen bringt der Tee Schaden oder Nutzen.
Und dies gilt nicht nur für die Liebe zur Landschaft und zum Tee. Auch
bei der Dichtung und Musik, bei allen Dingen ist es so. Dichtung und Musik sind
zwar ganz verschiedener Gattung, aber sie halten ebenfalls das Böse im
Herzen der Menschen in Zaum und machen edler und feiner. In unseren Tagen betreibt
man sie jedoch als bloße künstlerische Fertigkeiten und lässt
ichhafte Gier in sich aufkommen; so geht die verfeinernde Kunst verloren und
endet in Schlechtem. Aus eben diesem Grunde sagen die Meister der Lehre
und des Zen, es gebe außerhalb der zahllosen Dinge der Welt kein kufû und keine Herzens-Achtsamkeit, sagen sie aber auch, man solle die zahllosen
Dinge der Welt beiseite tun und kufû betreiben. Darüber braucht man
sich also nicht zu wundern. S.157ff.
Aus: Japanische Geisteswelt. Vom Mythus bis zur Gegenwart. Texte ausgewählt
und eingeleitet von Oscar Benl und Horst Hammitzsch . Holle Verlag . Baden – Baden