Mo-Ti, auch Mê-Ti genannt [latinisiert: Micius] (5. Jahrhundert v.Chr.)
Chinesischer Philosoph, der in der Religionsgeschichte als früher Prediger der allgemeinen Menschenliebe auftaucht. Anders aber als die bereits früher schon durch Konfuzius eingeforderte Nächstenliebe – leitet er diese von einer persönlichen, mit erkennbaren Willen ausgestatteten Gottheit ab, die er als »Himmel« bezeichnet, der seinerseits auch die Menschen liebt. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Das Ideal des Edlen
Einigende Liebe
Wider den Eroberungskrieg
Der Wille des Himmels
Der Himmel liebt die Menschen
Menschenliebe der weisen Herrscher der Vorzeit
Das
Ideal des Edlen
Wenngleich sich der Edle im Kampfe einer Schlachtreihe bedient, so ist doch
der Mut die Hauptsache. Obgleich bei einer Begräbnisfeier gewisse Zeremonien
Anwendung finden, so ist dabei doch die Trauer das Wesentliche. Ein Gelehrter
besitzt zwar Wissen, aber es kommt doch hauptsächlich auf seine Handlungsweise
an. Solange man keine feste Grundlage hat, beschäftigt man sich nicht mit
dem glücklichen Ausgange. Bevor man sich nicht mit der Nachbarschaft verständigt
hat, denkt man nicht an die Ferne, und ehe man mit seiner Verwandtschaft in
gutem Einvernehmen ist, regelt man nicht seine auswärtigen Beziehungen.
Zuerst sucht man mit sei¬nen eigenen Sachen im reinen zu sein, erst dann
läßt man sich auf andere Angelegenheiten ein. Solange einem die einfachsten
Dinge unbekannt sind, strebt man nicht nach Universalbildung. So regierten auch
die alten Herrscher das Reich, indem sie zunächst das Naheliegende prüften,
bevor sie zum Ferneren übergingen. Auch der Edle prüft das Naheliegende
und dieses ist für ihn die Selbstzucht. Wenn
er seine Persönlichkeit nicht pflegt, so geht er zugrunde, darum kehrt
er in sich. Er ist unzufrieden mit sich selbst, prüft
sich und bessert sich.
Verleumderischen Reden verschließt er sein Ohr,
gehässige Worte kommen nicht aus seinem Munde, und den Gedanken etwa, ein
Menschenkind zu verletzen oder zu töten, faßt sein Herz nicht. Denunzianten
schenkt er nicht sein Vertrauen. In angestrengter Arbeit leistet er täglich
mehr, sein Wunsch ist, täglich weiter fortzuschreiten, täglich wächst
er an Kraft und Fülle. Das ist der Weg des Edlen.
In Armut zeigt er sich sparsam, in Reichtum rechtschaffen, unter Lebenden liebevoll
und beim Anblick des Todes von Trauer erfüllt. Diese vier Äußerungen
dürfen nicht unwahr und heuchlerisch sein,
deshalb geht er in sich. Ohne sich je zu erschöpfen, kommen sein inneres
Gefühl in seiner Liebesbetätigung, seine Ehrfurchtsbezeigungen in
seiner Körperhaltung, seine Unterweisungen in seinen Äußerungen
zum Ausdruck. Seine Empfindungen ergießen sich wie ein Strom durch alle
seine Glieder, der bis an die äußere Haut vordringt. Selbst wenn
ihm bereits das weiße Haar ausfällt, hält er noch daran fest.
Ist er nicht wie ein Heiliger?
Wenn jemandes Willenskraft nicht stark ist, so reicht seine Einsicht nicht weit,
und wenn seine Worte kein Vertrauen verdienen, so sind auch seine Taten nicht
echt. Wer von seinem Reichtum andern nicht abgeben mag, eignet sich nicht zum
Freund, und wer es mit seinen Prinzipien nicht ernst nimmt, die Dinge ringsherum
nicht kennt, bei Diskussionen zwischen wahr und falsch nicht zu unterscheiden
vermag, ist nicht passend zum Verkehr.
Wenn die Wurzel nicht kräftig, dann verkümmert
die Krone. Wenn ein Starker nicht stets an sich arbeitet, so erschlafft
später seine Kraft. Aus trüber Quelle fließt kein klares Wasser.
Wenn man den Taten eines Menschen nicht vertrauen kann, so büßt er
seinen Ruf ein. Der Ruf bildet sich nicht ohne Grund, und Ruhm entsteht nicht
von selbst. Der Ruf folgt hervorragenden Leistungen. Name und Ruhm dürfen
nicht unecht sein, deshalb geht man in sich.
Wenn man viel redet und die Taten vernachlässigt, dann wird man mit allen
seinen Auseinandersetzungen kein Gehör finden, und wenn man große
Kraft aufwendet, sich aber seines Erfolges rühmt, dann wird man sein Ziel
nicht erreichen trotz aller Anstrengung. Die Verständigen überlegen
sich die Dinge, aber machen nicht viele Worte, sie arbeiten mit großer
Energie, aber brüsten sich nicht mit ihren Taten. Auf diese Weise verbreitet
sich ihr Ruf und ihr Ruhm in der ganzen Welt.
Bei Worten kommt es nicht auf die Menge an, sondern auf die Vernünftigkeit,
nicht auf die schöne Form, sondern auf das Streben
nach Wahrheit. Wer daher die Vernunft nicht in seinem eigenen Innern
sucht, schlägt den falschen Weg ein und erreicht seine Wünsche nicht.
Wenn das Gute nicht im Herzen wohnt, so hat es keine Dauer, und wenn den Taten
keine Prüfung im eigenen Selbst des Handelnden vorausgeht, so haben sie
keinen Bestand. Ruf wird nicht im Handumdrehen gewonnen, und Ruhm läßt
sich nicht durch Kniffe begründen. Der Edelmensch trägt seine Taten
mit der eigenen Persönlichkeit. Wer beständig nur auf seinen Vorteil
bedacht. ist und nur in seltenen Augenblicken seinen Ehrgeiz vergißt,
kann niemals als ein großer Gelehrter in der Welt gelten.
Einigende
Liebe
Wenn man nun alle Bewohner des Reiches veranlassen könnte, sich zur
gegenseitigen Liebe zusammenzutun und andere
ebenso zu lieben wie sich selbst, würden sie dann wohl
noch unkindlichen Sinn zeigen? Würde es dann noch unfreundliche Personen
geben? Wenn man seinen Sohn, jüngeren Bruder oder seine Untertanen wie
sich selbst betrachtet, würde man dann noch unfreundlich gegen sie sein? Es würde keine Lieblosigkeiten und Unfreundlichkeiten
mehr geben. Würden noch Diebe und Räuber existieren? Wenn
man das Haus anderer wie sein eigenes ansieht, wer würde es da noch bestehlen?
Und wenn man fremde Persönlichkeiten seinem eigenen Ich gleichstellt, wer
würde da noch Gewalttätigkeiten verüben? Also würden Diebe
und Räuber verschwinden. Würden noch hohe Beamte gegenseitig ihre
Familien zu verderben suchen und Feudalfürsten die Staaten ihrer Rivalen
angreifen? Wenn man andere Familien mit seiner eigenen auf gleiche Stufe stellt,
wer würde sie zerrütten wollen, und wenn man die Staaten anderer ebenso
ansieht wie seinen eigenen, wie würde man sie angreifen? Folglich würde
es keine Beamten geben, welche ihre Familien gegenseitig zugrunde richteten,
oder Fürsten, die sich mit ihrem Reichtum befehdeten.
Wenn im Reiche alle sich gegenseitig liebten, die Staaten sich nicht untereinander
bekriegten, die Familien nicht einander zerrütteten, wenn es keine Diebe
und Räuber gäbe, Fürsten und Untertanen, Väter und Söhne,
Liebe und Zuneigung zueinander zeigten, so würde das Reich in wohlgeordnetem
Zustand sein. Warum sollte daher der Weise, dessen Angelegenheit die Verwaltung
des Reiches ist, nicht den Haß verhindern und zur
Liebe aufmuntern, denn wenn alle im Reiche durch Liebe verbunden sind,
herrscht Ordnung, wenn sie sich hassen, Verwirrung? Diese ist es, weshalb der
Meister Mê-tse gesagt hat: »Man
kann nicht umhin, zur Nächstenliebe zu ermahnen.«
Infolge dieses allgemeinen Mangels an gegenseitiger Liebe bei allen Menschen überwältigen die Starken die Schwachen, verhöhnen die Reichen
die Armen, lassen die Vornehmen die Geringen ihren Übermut fühlen
und betrügen die Schlauen die Dummen. Führen wir alles Elend, alle
Übergriffe, alle Unzufriedenheit und allen Haß in der Welt auf ihren
Ursprung zurück, so entspringen sie alle aus dem
Mangel an gegenseitiger Liebe.
Die Tugendhaften verurteilen dies.
Wenn die Tugendhaften dies verurteilen, wodurch können sie Abhilfe schaffen? —
Der Meister Mê-tse sagte: »Durch
das Mittel der allumfassenden, gegenseitigen Liebe und durch
den Austausch gegenseitiger Vorteile können sie Abhilfe schaffen.«
—
Aber worin besteht dieses Mittel der
allumfassenden, gegenseitigen Liebe und des Austausches gegenseitiger Vorteile?
—
Der Meister Mê-tse erwiderte:
»Darin, daß man andere Staaten wie seinen eigenen ansieht, das Haus
des Nachbarn wie sein eigenes betrachtet, andere Persönlichkeiten seiner
eigenen gleichsetzt. Wenn so die Fürsten sich gegenseitig lieben, werden
sie nicht gegeneinander zu Felde ziehen, wenn die Familienoberhäupter in
Freundschaft zusammenleben, werden sie sich nicht Übergriffe erlauben,
und wenn die Einzelnen durch Liebe verbunden sind,
werden sie keine Gewaltakte gegeneinander verüben. Wenn sie einander lieben,
dann werden Fürst und Untertanen Geneigtheit und Loyalität zeigen,
Vater und Sohn werden gütig und kindlich ergeben sein, und der ältere
und jüngere Bruder einträchtig leben. Herrscht bei allen Menschen
der Welt gegenseitige Liebe, dann werden die Starken nicht mehr die Schwachen
überwältigen, die Majorität nicht mehr die Minderheit ausplündern,
die Reichen nicht mehr die Armen verhöhnen, die Vornehmen die Niedrigen
mit Verachtung behandeln, die Schlauen die Dummen betrügen. Dass dann auf
Erden Elend, Übergriffe, Unzufriedenheit und Haß
keine Stätte mehr finden, hat seinen Grund in der allumfassenden,
gegenseitigen Liebe. Deshalb preist sie der Tugendhafte.«
Allein die Gelehrten und Edlen unserer Zeit mögen sagen: »Jenes
Allumfassende ist freilich etwas Schönes, jedoch das Schwierigste und Vageste,
das es in der Welt gibt.« —
Der Meister Mê-tse entgegnet: »Nur
deswegen, weil die Gelehrten und Edlen der Welt ihren Vorteil nicht zu erkennen
und ihr Urteil danach einzurichten vermögen. Wenn es jetzt heißt,
eine Stadt zu stürmen, oder eine Feldschlacht zu liefern, oder auf dem
Felde der Ehre zu fallen, so ist das alles sehr schwer für die Bürger
des Reiches, trotzdem sind die Scharen der Krieger imstande, es zu leisten,
wenn es ihrem Fürsten gefällt. Wieviel mehr muß das der Fall
sein bei der allumfassenden gegenseitigen Liebe
und dem Austausch wechselseitiger Vorteile, was etwas
ganz anderes ist. Wer nämlich andere liebt, dem vergilt
man mit Liebe, wer ihnen Vorteil bringt, mit Vorteil; wer
andere haßt, dem vergilt man mit Haß, wer ihnen schadet, mit Schaden.
Was ist dabei schwierig? Die einzige Schwierigkeit ist, daß die Herrschenden
ihre Regierung und die Gelehrten ihr Handeln nicht danach einrichten«.
Wider
den Eroberungskrieg
Da ist jemand, der in eines anderen Obst- und Gemüsegarten eindringt und
ihm Pfirsiche und Pflaumen stiehlt. Wenn die Leute davon hören, so verurteilen
sie ihn, und wenn die Obrigkeit seiner habhaft wird, so bestraft sie ihn. Warum?
Weil er andere schädigt, um sich selbst zu nützen. Geht er soweit,
daß er anderen ihre Hunde, Schweine, Hühner und Ferkel wegnimmt,
so ist seine Ungerechtigkeit noch größer, als wenn er in Gärten
eindringt, um Pfirsiche und Pflaumen zu stehlen. Weshalb? Weil er anderen noch
größeren Schaden zufügt, ist sein Mangel
an Wohlwollen noch ausgeprägter und die Bestrafung noch schärfer. Wenn er nun sogar in Hürden und Ställe einbricht und andern ihre Pferde
und Kühe wegnimmt, dann offenbart er einen noch größeren Mangel
an Wohlwollen und Gerechtigkeitsgefühl als bei der Wegnahme von Hunden,
Schweinen, Hühnern und Ferkeln. Inwiefern? Er benachteiligt seine Mitmenschen
noch mehr, und, wenn er sie noch mehr benachteiligt, so muß seine Herzlosigkeit
noch schlimmer sein und es gebührt ihm noch härtere
Strafe. Läßt er sich nun gar dazu hinreißen, einen Unschuldigen
zu töten, ihn seiner Kleider und seines Pelzes zu berauben und sich seinen
Speer und sein Schwert anzueignen, dann ist seine Ungerechtigkeit noch viel
größer, als wenn er in Hürden und Ställe einbricht und
den Leuten ihre Pferde und Kühe wegtreibt. Wieso? Weil seine Schädigung
anderer noch ernster ist. Dieser höhere Grad von Schadenszufügung
zeigt eine noch höhere Stufe von Verworfenheit, und die Strafe muß
dementsprechend härter sein. Alle Edlen im Reiche wissen das und verurteilen
solche Handlungen, die sie als Ungerechtigkeiten bezeichnen.
Wenn nun die Sache im großen gemacht und ein Staat angegriffen wird, dann
sprechen sie nicht mehr ihr Verdammungsurteil, sondern sind im Gegenteil voll
des Lobes und nennen es Gerechtigkeit. Kann man da noch sagen, daß sie
den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit
verstehen? Das Töten eines Menschen gilt als ungerecht und es steht
darauf eine Todesstrafe. Führen wir diese Erwägung weiter, dann ist
die Tötung von zehn Menschen eine zehnfache Ungerechtigkeit und sollte
mit zehn Todesstrafen geahndet werden, und die Tötung von hundert Menschen
ist eine hundertfache Ungerechtigkeit und verdient hundert Todesstrafen. Die
Edlen des Reiches verstehen das sehr wohl und nennen es Ungerechtigkeit. Kommen
wir nun aber zu der Ungerechtigkeit im großen, nämlich dem Angriff
auf einen Staat, dann verurteilen sie diese nicht mehr, im Gegenteil, sie rühmen
sie und nennen sie gerecht. Sie verstehen die Dinge nicht und wissen nicht,
was Gerechtigkeit ist. Daher schreiben sie die Erzählung von den Kämpfen
nieder zum Gedächtnis für spätere Geschlechter, denn wenn sie
sich der Ungerechtigkeit bewußt wären,
wie würden sie diese Ungerechtigkeiten noch aufzeichnen, um sie der Nachwelt
zu überliefern?
Der Wille
des Himmels
Aber was wünscht der Himmel und was haßt er?
Der Himmel wünscht Gerechtigkeit und haßt das Unrecht. Wenn
ich daher das Volk anleite, gerecht zu handeln, dann tue ich, was der Himmel
wünscht, und wenn ich den Wunsch des Himmels erfülle, so wird der
Himmel auch meine Wünsche erfüllen. Was aber wünsche ich, und
was wünsche ich nicht? Ich wünsche Glück und Wohlergehen und
hasse Unglück und Verderben. (Wenn ich nun nicht
tue, was der Himmel wünscht, dagegen das, was er nicht wünscht), dann
verleite ich das Volk dazu, an seinem eigenen Unglück und Verderben zu
arbeiten.
Woher ist mir bekannt, daß der Himmel Gerechtigkeit wünscht und das
Unrecht haßt? — Wer auf Erden Gerechtigkeit besitzt, bleibt am Leben,
der Ungerechte kommt um, der Gerechte wird reich, der Ungerechte arm, der Gerechte
lebt in wohlgeordneten Verhältnissen, der Ungerechte in Wirren und Unruhen.
Der Himmel nun liebt das Leben, den Reichtum, die Ordnung und er mag nicht den
Tod, die Armut und die Verwirrung. Daher weiß ich, daß der Himmel
Gerechtigkeit wünscht und das Unrecht verabscheut.
Der Himmel
liebt die Menschen
Woher wissen wir, daß der Himmel die Menschen auf Erden liebt? Daher,
daß er ihnen allen gleichmäßig leuchtet. Und woher wissen wir, daß er ihnen allen gleichmäßig leuchtet?
Daher, daß er sie alle besitzt. Wie wissen wir aber, daß er sie
alle besitzt? Daher, daß er sie alle ernährt. Doch woher wissen wir,
daß er sie alle ernährt? Alle Völker innerhalb der vier Meere,
welche von Körnerfrucht leben, züchten Rinder und Schafe, mästen
Hunde und Schweine und füllen die reinen Gefäße reichlich mit
Hirse, Reis, Wein und Most, um sie Gott und den
Geistern als Opfer darzubringen. Dem Himmel gehören alle Städte, weshalb
lieben die Menschen sie nicht?
Ferner sage ich: bei jedem, der einen Unschuldigen ermordet, tritt ein Unglücksfall
ein. Wer ist derjenige, der einen Unschuldigen ermordet? —
Ein Mensch. — Und wer ist es, der das Unglück verhängt? — Der Himmel. — Wenn man annimmt, daß
der Himmel die Menschheit nicht liebt, warum sendet der Himmel einen Unglücksfall,
wenn Menschen einander ermorden? Daraus schließe ich, daß
der Himmel die Menschheit liebt.
Auch für die Annahme, daß dem Himmel das Wohl
der Menschheit am Herzen liegt; habe ich meine Gründe: Der Himmel
ordnet Sonne, Mond und Sterne, damit sie den Menschen leuchten und ihnen den
Weg zeigen; er regelt die vier Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und
Winter, damit die Menschen sich danach richten; mit dem Donner sendet er Schnee,
Reif, Tau und Regen herab, auf daß die fünf Feldfrüchte, Hanf
und Seide wachsen und gedeihen, und heißt die Menschen, sie zu ihrem Gebrauche
verwenden; Bergen, Flüssen und Tälern weist er ihre Stelle an, Hunderte
von Dingen teilt er aus, die den Menschen zu dienen, zu Gutem
oder Bösem bestimmt sind. Er gibt ihnen
Könige, Herzöge, Grafen und läßt diese die Guten belohnen
und die Bösen bestrafen. Das Volk läßt er Metalle, Holz, Vögel
und Tiere benutzen und an der Gewinnung von den fünf Feldfrüchten,
Hanf und Seide arbeiten, um daraus Material für Kleidung und Nahrung zu
gewinnen. Von alter Zeit her bis auf den heutigen Tag ist es stets so gewesen.
Menschenliebe
der weisen Herrscher der Vorzeit
Wer sind solche, die ihre Nächsten lieben, sie unterstützen,
den Willen des Himmels achten und vom Himmel belohnt werden? Im Altertum
zum Beispiel waren es die weisen Herrscher der drei Dynastien: Yao,
Schun, Yü, T-ang, Wen und Wu.
—
Wie betätigten sich denn Yao, Schun, Yü, T-ang,
Wên und Wu? —
Sie waren für Einigung tätig und nicht für Veruneinigung. Daher griffen infolge der
Einigung die Bewohner der Großstaaten die kleineren Länder nicht
an, die Mitglieder der großen Familien brachten die kleineren nicht in
Verwirrung, die Starken beraubten die Schwachen nicht,
die Mehrheit vergewaltigte nicht die Minderheit, die Schlauen überlisteten
nicht die Toren, die Vornehmen verachteten nicht die Geringen.
Bei Prüfung ihrer Tätigkeit ergab sich, daß sie in den obersten
Regionen dem Himmel, in den mittleren den Geistern und in den unteren den Menschen
nutzten. Es gab nichts, das an diesem dreifachen Nutzen nicht Anteil gehabt
hätte. Daher sprach man von ihrer himmlischen Tugend.
Die Ehrennamen der ganzen Welt sammelte man und verlieh sie ihnen. Man nannte
sie sittlich, gerecht, Freunde der Menschheit, Förderer
der Menschheit, Vollstrecker des himmlischen Willens, Empfänger des himmlischen
Lohnes. Und nicht genug damit, man schrieb
es auf Bambus und Seide, meißelte es in Metall und Stein und gravierte
es in Teller und Schüsseln zur Erinnerung für die Söhne und Enkel
späterer Geschlechter.
Wozu geschah das? —
Um kundzutun, daß sie die Menschen geliebt, ihnen geholfen, dem Willen
des Himmels gemäß gehandelt und seinen Lohn erlangt haben.
In der Huang-i-Ode heißt es:
»Gott sprach zum König Wen: Ich schätze
deine Einsicht. — Du machst nicht viel Gerede, um zu glänzen. —
Dein großer Erfolg hat dein Wesen nicht geändert. — Wie unbewußt
und ohne Vorbedacht folgst du dem Vorbilde Gottes.«
Gott rühmt den König, daß er seinem
Vorbild folgt, deshalb nahm er Yin und schenkte es ihm, erhob ihn zur Würde
eines Himmelssohnes und gab ihm das Reich zu eigen. Sein Ruhm dauert ohne aufzuhören
bis auf den heutigen Tag. Daraus erkennen wir, wie jemand,
der die Menschen liebt, ihnen wohltut, die himmlischen Absichten erfüllt
und dafür der himmlischen Gnade teilhaftig wird, beschaffen ist.
S.128ff.
Enthalten in: Die Söhne Gottes, Aus den heiligen Schriften der Menschheit,
Auswahl und Einleitungen von Gustav Mensching, R. Löwit . Wiesbaden