Michelangelo,
eigentl. M. Buenarotti (1475 – 1564)
(vollständiger Name: Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni)
Italienischer
Bildhauer, Maler, Architekt und Dichter,
der sich in seinen ausdrucksvollen und genialen Werken nicht nur zum Hauptmeister der Hochrenaissance qualifizierte, sondern zugleich der Wegbereiter des
Manierismus wurde. In Michelangelo offenbart
sich ein begnadetes malerisches und bildhauerisches Urtalent. Auch bei dem
Baumeister Michelangelo
(Kapitolsplatz, Peterskirche) ist die bildhauerische Urbegabung unverkennbar:
er hat nicht im eigentlichen Sinne »Räume« geschaffen, sondern mit plastischen Elementen Wände und Flächen
modelliert. In Michelangelo kommt ein neuer
künstlerischer Typus zum Ausdruck, der sich aus den Fesseln der Überlieferung befreit und eine Welt zuvor unbekannter Ausdrucksmöglichkeiten erschließt.
Er schrieb Sonette und Madrigale in petrarkisierendem Stil. Nie zuvor ist
das Werk eines Künstlers in gleichem Maße Bekenntnis persönlichen
Erlebens und Erleidens gewesen. Nachfolgende Gedichte wurden (mit
Ausnahme das ersten) von Rainer Maria Rilke ins Deutsche übertragen. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon >>>Bilder |
Inhaltsverzeichnis
Unsterblichkeit
Es lebt die Seele — dies, und daß im Leben
ich tot war, halt‘ gestorben nun für wahr ich.
Auf brüchiger Barke durch gebäumte Wogen
ist meines Lebens Reise angekommen
in aller Port, wo man einläuft, zu frommen
wie traurigen Tuns Verantwortung gezogen.
Kein Pinseln und kein Meißeln mehr gibt Ruhe
der Seele; sie verlangt nach jener Liebe,
die starb, am Kreuz nach uns die Arme breitend.S.114
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus
der Weisheit der christlichen Jahrhunderte. Verlag Ars Sacra Josef Müller
München
WENN vor dem
Tod die Furcht,
die ihn verjagt und flieht,
den Gott, wo er sich rührt, gewähren ließe,
stark wie er ist, voll Grausamkeit, er stieße
hartnäckiger uns an, und unbarmherzig hieße
die Probe, die er am Gefühl vollzieht.
Doch weil die Seele endlich anderswo
sich aufzufreuen hofft durch Tod und Gnade,
ist sie der Furcht, die nie nicht stirbt, gerade,
und keiner andern nachgibt, innen froh.
Auch gegen das von überlegnen Fraun
uns immer neu und herrlich Zugekehrte
hat sonst kein Mittel Macht, daß es uns lehrte,
Verachtung hinzunehmen wie Vertraun.
Will einer mich (ich schwörs vor jedem Ohre)
entziehen ihr, die meines Weinens lacht, —
befrei er mich, indem er mich durchbohre. S.11
DIE heiligen Augen
können an den meinen
nicht so sich freun, wie meine tun an ihnen,
die den Göttermienen
für Lächeln wiedergeben bittres Weinen.
o Hoffnung Liebender, o Trug und Scheinen!
Wie könnte das, was wir so anders kennen —
Schönheit, Unendlichkeit, Glanz, Übermaß —
als was ich je besaß,
entbrannt mit mir, in gleicher Stärke brennen.
Wo solche Gegensätze zweie trennen,
da hinkt der Gott vom einen fort, ihn zerrt‘s,
er hat nicht Kraft, mir Mitleid zu gewinnen,
der in ein zärtlich Herz
als Feuer trat, um wächsern auszurinnen. S.12
WO ICH ein Ding
gewahre, rät es mir
und bittet mich und zwingt mich, Euch zu lieben.
Denn was nicht Ihr seid, wird mir nicht zum Gut.
Der Gott entwertet jedes Wunder hier
und will mich einzig nur zu Euch getrieben,
einzige Sonne; so mich haltend, tut
er von mir ab, was ich an Heil sonst kenne,
und will nur, daß ich lebe und verbrenne
nicht nur für Euch, für irgend Ähnlichkeiten,
die Augen oder Brauen mir bereiten.
Wer sich von euch entfernte, ihr
Augen, mein Leben, tritt in Dunkelheit;
denn Himmel ist nicht, wo ihr selbst nicht seid. S.13
IST dieses ihres
ersten Schöpfers Licht,
das jetzt die Seele fühlt? Hat aus Gestalten
von hier im Herzen Schönheit sich erhalten
und bricht auf einmal durch? Ich weiß es nicht.
Wie oder geht ein Traum vor, ein Verdacht,
dem Herzen wahr, den Blicken zu erkennen,
und hinterläßt ich weiß nicht welches Brennen,
das jenes ist, das mich jetzt weinen macht.
Das, was ich fühl und suche, was mich führt,
ist nicht mit mir und kein Gefühl durchdringt mich,
daß ich es fände; zeigen muß mirs einer.
Da ich dich schaute, Herr, hab ichs gespürt,
ein Ja und Nein, ein Süß und Bitter zwingt mich:
hat dies ein Blick getan, so war es deiner. S.31
An Giorgio Vasari
SCHON angelangt ist meines Lebens Fahrt
im schlechten Schiff durch Stürme übers Meer
am Hafen Aller, wo die Wiederkehr
nicht Einem harte Rechenschaft erspart.
Da seh ich nun die Phantasie,
die oft als Abgott thronte durch der Künste Gnaden,
wie falsch sie war, von Irrtum überladen,
und was ein jeder, sich zum Nachteil, hofft.
Verliebtes Denken, einstens froh und leer,
was ist mir‘s jetzt vor zweien Toden wert?
Des einen bin ich sicher, einer droht.
Malen und Bilden stillt jetzt längst nicht mehr
die Seele, jener Liebe zugekehrt,
die offen uns am Kreuz die Arme bot. S.46
DIE Fabeln dieser Welt benahmen
mir
die Zeit, die da war, Gott ins Aug zu fassen;
der Gnade nicht vergaß ich, nein, mit ihr
hab ich mich, mehr als ohne, gehen lassen.
Was andre weise macht, das macht mich blind
und läßt mich spät mein langes Irrn erkennen,
die Hoffnung sinkt, doch meine Wünsche sind,
durch dich mich ganz vom Eignen abzutrennen.
Schenk mir den halben Weg zum Himmel, Herr.
Bedarf ich doch schon zu dem halben Wege
ganz deinen Beistand, soll ich ihn ersteigen.
Kannst du die Welt mir nicht verhaßter zeigen
und alle Schönheit, die ich in ihr pflege —,
daß ich vorm Tod das Leben an mich zerr. S.47
KEIN irdisch Ding ist schlechter
und verschmähter,
als ich mich fühle ohne dich und bin,
so muß beim starken Drang der schwache Täter
Verzeihung flehn, sein Atem reicht nicht hin.
Wirf mir die Kette zu, daran die Dinge
des Himmels hängen, Herr; den Glauben mein‘ ich;
wie ich mich sporne und mich zu ihm zwinge,
er wird, durch meine Schuld, in mir nicht einig.
Die Seltenheit der Gabe aller Gaben
macht sie noch größer; auch ist ohne sie
kein friedliches Genügen hier zu haben.
Du geiztest nicht, daß sich dein Blut ergösse,
doch welche Milde meintest du, wenn nie
ein andrer Schlüssel uns den Himmel schlösse? S.48
DES Todes sicher, nicht der Stunde, wann.
Das Leben kurz, und wenig komm ich weiter;
den Sinnen zwar scheint diese Wohnung heiter,
der Seele nicht, sie bittet mich: stirb an.
Die Welt ist blind, auch Beispiel kam empor,
dem bessere Gebräuche unterlagen;
das Licht verlosch und mit ihm alles Wagen;
das Falsche frohlockt, Wahrheit dringt nicht vor.
Ach wann, Herr, gibst du das, was die erhoffen,
die dir vertraun? Mehr Zögern ist verderblich,
es knickt die Hoffnung, macht die Seele sterblich.
Was hast du ihnen soviel Licht verheißen,
wenn doch der Tod kommt, um sie hinzureißen
in jenem Stand, in dem er sie betroffen. S.49
VON Sünden voll, mit Jahren
überladen,
verwurzelt in des tristen Brauches Boden,
seh ich mich nahe neben beiden Toden
und nähre doch mein Herz mit giftigem Schaden.
Eigene Kräfte hab ich nicht genügend,
zu ändern Leben, Liebe, Los und Sitte,
ohne den Wink, der, nicht aus unsrer Mitte,
herüberwirkt, uns leitend und uns rügend.
Das reicht nicht aus, daß du mir Lust gibst, hin,
wo sich die Seele formt, zurückzueilen,
jetzt nicht aus nichts wie einst am Anbeginn.
Nimmst du das Irdische ihr ab, vorher
schenk ihr die Hälfte von dem Weg, dem steilen,
und mach ihr sicherer die Wiederkehr. S.50
VIELLEICHT,
daß ich mitleidig würde allen
und ohne Stütze, sicher meiner Sache,
die Fehler nicht der anderen verlache,
ist meine Seele, die schon stieg, gefallen.
Doch wüßt ich nimmer, unter keinem Zeichen,
nicht gar zu Siegen, auch nur zu bestehn,
in jedem Kriegslärm muß ich untergehn,
in dem mich deine Mächte nicht erreichen.
o Fleisch, o Blut, o Holz, o letzte Pein,
sei doch durch euch die Sünde überwogen,
die mich gebar, wie meines Vaters Zeit.
Komm nun und hilf (denn gut bist du allein)
dem Wehestand, den ich mir zugezogen;
so nah am Tode und von Gott so weit. S.51
ACH mach mich
schauen dich an jedem Orte!
Entflamm ich auch mich hier am Abenteuer,
bei deinem lischt ein Feuer solcher Sorte,
in deinem sei ich, wie ich war, in Feuer.
Dich ruf ich, Herr, dich einzig ruf ich an
gegen mein blindes nutzloses Beginnen:
Du machst mich neu von außen und von innen,
Wille, Verstand und was ich langsam kann.
Du lässest noch der Zeit die Götter-Seele
und hast sie in ihr müdes Zubehör
verkerkert und mit bitterem Befehle.
Was kann ich mehr, Herr, um nicht so zu leben?
Ich, der ich alles ohne dich verlör.
Ein Los zu ändern ist nur Gott gegeben. S.52
ENTGANGEN,
Herr, der Bürde, die mir schwer
und unlieb war, getrennt von Erdensachen,
wend ich mich mild zu dir, ein schwacher Nachen
aus Stürmen in das milde ebne Meer.
Die Dornen, Nägel, beide deine Hände,
dein lindes Antlitz, das in Großmut scheue,
versprechen Gnade einer tiefen Reue
und Hoffnung, daß ihr Heil die Seele fände.
Daß nicht dein Aug dich richtend anschaun hieße
Vergangnes; daß ich, deines Ohrs Betrüber,
nicht fürchten müsse deines Arms Erhebung.
Dein Blut nur komme über mich und fließe
jemehr, jemehr ich älter werde, über
von Beistand und von völliger Vergebung. S.53
Aus: Dichtungen des Michelangelo – Übertragen
von Rainer Maria Rilke Insel-Bücherei Nr. 496