Methodius
von Olympus (? – 311)
Bischof von Olympus
in Lykien, der im Jahre 311 unter dem Kaiser Maximinus Daia den Märtyrertod erlitten
haben soll. In seiner in Dialogform verfassten Schrift »Gastmahl
oder über die Jungfräulichkeit«, die wohl eine Nachahmung des platonischen Symposiums ist, schildert er die
Tischunterhaltung mehrerer Jungfrauen, wobei die sich im Wesentlichen über das Wesen und die Einhaltung der christlichen Tugenden auslassen.
Siehe auch Wikipedia
Das Gastmahl oder
Die Jungfräulichkeit
Sechste Rede
I. […] Der
Anfang sei gemacht mit folgende: Wenn wir in diese Welt kommen, liebe Mädchen, dann besitzen wir alle eine unbeschreibliche Schönheit,
die verwandt ist mit der Weisheit und ihr nahe steht.
Denn am meisten gleichen die Seelen ihrem Vater und Schöpfer dann, wenn sie das Ebenbild und die Linien jener
Idee fleckenlos ausstrahlen, nach der Gott ihre
Form unsterblich und unvergänglich gestaltete
- und wenn sie diese Art dauernd bewahren.
Denn die ungezeugte, körperlose Schönheit, die nicht Anfang kennt
noch Untergang, die wandellose, ewig
junge, vollkommene - Er, der in sich selbst und im eigenen
Lichte voll Unaussprechlichkeit und Unzugänglichkeit ruht und mit
dem Überschwang seiner Macht alles umfasst und begründet
und ändert: Er hat nach seinem eigenen Ebenbilde die Seele geschaffen.
Darum ist sie vernünftig und unsterblich; denn weil sie nach dem Bilde des Eingebornen gestaltet ist, besitzt sie, wie
gesagt, eine unübertreffliche Schönheit, Aber eben darum entbrennen
auch die Geister der Schlechtigkeit in Liebeslust zu ihr und lauern ihr auf;
sie wollen die Seelen nötigen, ihr göttliches, liebenswertes Bild
zu besudeln, wie denn auch der Prophet Jeremias
nahe legt, der Jerusalem schilt: »Das Gesicht einer
Hure hast du bekommen; alle Scham hast du abgelegt vor deinen Liebhabern«
(Jer. 3, 3.). Er meint das Jerusalem,
das sich den feindlichen Mächten zur Entehrung hingab. Ja, die Liebhaber
sind der Teufel und die Engel seines Anhangs; die
versuchen alle ihre Künste, die vernünftige und helle Schönheit
unseres Herzens zu beflecken und zu besudeln in der Vermischung mit ihnen selbst,
die gieren darnach, Ehebruch zu tun an jeder dem Herrn verlobten Seele. -
II. Wenn nun einer diese Schönheit makellos bewahrt und
unversehrt und so, wie der Schöpfer und Bildner selbst sie entwarf, indem
er die ewige Natur und ihre Idee nachschuf (denn von ihr
ist der Mensch ein Bild und Gleichnis) - dann wird er wie ein hochherrliches
und heiliges Götterbild sein, und, von dieser Erde entrückt in die
Stadt der Seligen, den Himmel, dort thronen wie in einem Tempel. Und am besten
und mit Sicherheit wird unsere Schönheit dann bewahrt, wenn sie denn, bewacht
von der Jungfräulichkeit, ungetrübt bleibt vom Brande des Verderbens,
das von außen kommt, wenn sie, allein in sich selbst, mit Gerechtigkeit
sich schmückt und in bräutlichem Zuge dem Sohne Gottes entgegenzieht;
wie denn dieser selbst verkündet und mahnend die Pflicht auferlegt, sie
sollten wie in einer Lampe in ihrem Fleische das Licht
der Reinheit brennen; denn mit der Zehnzahl
der Jungfrauen will er die an Jesus Christus glaubenden
Seelen gezählt wissen, und mit dem Zeichen I'
sinnbildet er den einzigen Weg, der gerade fort zum Himmel führt.
Aber die ersten fünf waren nun klug
und weise, die andern fünf jedoch töricht und unverständig, denn sie hatten nicht dafür
gesorgt, dass ihre Gefäße voll des Öles waren: bar waren sie
der Gerechtigkeit, Mit diesen deutet er auf solche hin, die stürmisch aufs
Ziel der Jungfräulichkeit losgehen, die alles Schöne und Züchtige
tun zur Erreichung der Erfüllung solcher Liebe, die es verkünden und
merken lassen, dass dies ihr Ziel, die jedoch nachlässig sind in den Wechselfällen
des Lebens und darin unterliegen: wie die Maler der Schattenbilder bemühen
sie sich so mehr um den Umriss der Tugend als um die lebendige Wahrheit selbst.
-
III. Gewiss, wenn es heißt: das Himmelreich sei gleich zehn Jungfrauen,
die ihre Lampen nahmen und auszogen, dem Bräutigam entgegen, so geht das
auf alle, die den gleichen Lebensweg sich erwählt haben; das be¬deutet
doch das Zeichen I', Das war gleichmäßig
die Richtung, auf die sie sich festgelegt hatten, und darum bezeichnet sie die
Zahl 10, weil
sie, wie gesagt, die gleiche Absicht hatten; keine Gleichheit aber herrscht
mehr in der Art, wie sie dem Bräutigam entgegenzogen. Denn die einen hatten
reichliche und für wiederholte Füllung reichende Nahrung ihren ölgenährten
Lampen mitgebracht, die andern hingegen waren leichtsinnig gewesen und hatten
nur für den Augenblick gesorgt. Darum werden sie gleichmäßig
in Fünfschaften geteilt, weil die einen von ihnen die fünf Sinne von
Sünden rein und jungfräulich bewahrt hatten (die
fünf Sinne nennt man meistens »Tore der Weisheit«), während die andern im Gegenteil sie mit Scharen von Sünden befleckt
und mit Schlechtigkeit beschmiert hatten. Denn sie beraubten sie der Gerechtigkeit
und hielten sie frei davon; so wurden die Sinne reicher an Vergehungen; das
war natürlich, seit auch ihre Ausschließung
und Verbannung von den göttlichen Kreisen Tatsache war.
Ob wir nämlich recht handeln oder sündigen damit: es wirken die Sinne
bestärkend ein auf beides - auf guten und auf unsere schlechten Seiten.
Und wie Thallusa von einer Reinheit der Augen,
der Ohren, der Zunge und der Reihe nach der übrigen Sinne gesprochen hat,
so tritt nun auch hier die Hüterin des Glaubens, die ihn nicht mindern
lässt durch die fünf Tore der Tugend, Gesicht, Geschmack, Geruch,
Gefühl und Gehör, unter dem Namen der fünf Jungfrauen auf; denn
sie hat die fünf Spiegel der Wahrnehmung in
Keuschheit hingebracht vor Christus, und von jedem
lässt sie wie eine Lampe den hellen Schimmer der Heiligkeit erstrahlen.
Ja unsere Fünfflammenlampe, das ist wahrhaftig der Leib; den trägt
die Seele wie eine Fackel vor den Bräutigam Christus am Auferstehungstage
und lässt ihn schauen, wie durch alle Sinne hell der Glaube springt; so
hat er ja selbst gelehrt mit dem Worte: »Ich bin
gekommen, ein Feuer in die Welt zu werfen, und was wollte ich noch, wenn es
schon brennte?« (Luk. 12, 49).
Welt heißt er unsere Leibes-Wohnung, da wollte
er schnell entzündet sehen das rasche, feurige Tun seiner Worte. Denn das
Öl muss man mit der Weisheit und mit der Gerechtigkeit vergleichen; lässt
die Seele diese Eigenschaften reichlich auf den Leib fluten und fließen,
dann flammt das ewige Licht der Seele in die Höhe
und lässt die guten Taten leuchten vor den Menschen, damit der Vater im
Himmel geehrt werde. -
IV. Solches Öl brachten ja auch die Leute im Buch Leviticus
(24, 3) dar, »feines, reines Öl,
eigens dazu geschlagen, zu brennen in der Lampe vor dem Vorhang im Angesichte
des Herrn«. Aber nur eine ganz kleine Spanne lang mussten jene
das Licht hegen: Vom Abend bis zum Morgen. Ihre Lampe lässt sich wahrhaftig
vergleichen mit dem prophetischen Worte, das von der Fähigkeit
zu weiser Zucht kündete; und diese Lampe wurde genährt mit
den Werken und dem Glauben des Volkes; den Tempel aber muß man vergleichen
mit der Messschnur des Erbteiles, weil eine Lampe nur ein Haus erhellen kann.
Vor es also Tag wurde, musste diese Lampe brennen; denn es heißt: »Sie
sollen sie brennen bis Tageanbruch«, d. h. bis zur Ankunft
Christi: Mit ihm war die Sonne der Reinheit und Gerechtigkeit aufgegangen,
da brauchte es keine Lampe mehr.
So lang nun jenes Volk Nahrung für die Lampe aufspeicherte, Öl spendete
durch seine Werke, so lang erlosch ihnen die Lampe der weisen Zucht nicht, sondern
immer schien und flammte sie, soweit die Messschnur des Erbteils reichte; als
aber das Öl ausgegangen war, als sie vom Glauben abgefallen und der Zuchtlosigkeit
sich zugewandt hatten, da ist die Lampe ganz erloschen; nun sollen denn die
Jungfrauen von neuem die Lichter entfachen im Wechselreihen und von oben der
Welt das Feuer der Unvergänglichkeit reichen, So müssen wir denn auch
in unserer Zeit das feine öl guter Werke und guten Gewissens reichlich
spenden, das der Hefe niederdrückenden Verderbens in jeder Gestalt ledig
ist; da der Bräutigam zögert, erlöschen sonst in gleicher Weise
auch unsere Lichter. Denn das Zögern, das ist der Zwischenraum bis zur
Ankunft Christi, der Jungfrauen Einnicken und Schlaf ist der Ausgang
aus dem Leben, die Mitternacht das Reich des Antichrist:
da geht der Engel des Verderbens von Haus zu Haus.
Das Geschrei aber, das sich erhebt und also lautet: »Siehe,
der Bräutigam kommt; ziehet hinaus ihm entgegen«
(Mt. 25, 6), das ist die Stimme aus dem Himmel, die Posaune, wann
alle Heiligen mitsamt ihren auferstandenen Leibern auf den Wolken daherfahren,
dem Herrn entgegen mit Windeseile. Man muß nämlich beachten, dass
nach dem Worte des Logos auf den Ruf hin alle Jungfrauen sich erhoben, d. h. nachdem der Ruf vom Himmel
erschollen, werden die Toten auferstehen; so meint es wohl auch
Paulus, wenn er sagt: »Der Herr selbst wird
bei dem Befehl, bei der Stimme des Erzengels, beim Schall der Posaune Gottes
vom Himmel herabsteigen, und die in Christo des Todes sind, werden zuerst auferstehen«
(1 Thess, 4, 16). -
(gemeint sind die Leiber; denn die verfielen dem Tode, da sie der Seelen beraubt
wurden) - »hierauf werden wir, die wir leben,
zugleich mit ihnen entrafft werden«; er meint damit die Seelen;
denn wir Lebende sind recht eigentlich die Seelen, die mitsamt den Leibern (denn
diese bekommen sie wieder) in den Wolken dem Herrn entgegenziehen, jene
Lichter in den Händen, die nichts Fremdes und Weltliches schmückt,
deren Zierde vielmehr Vernunft ist und weise Zucht, die wie Sterne niederschimmern
in der Fülle reinsten Glanzes.
V. Das, ihr jungfräulich Schönen, sind die Feste unserer Mysterien,
das die Weihen der Jüngerinnen der Jungfräulichkeit; das die Siegespreise
in den makellosen Kämpfen weiser Zucht. Ich bin eine
Braut des Logos und meine Morgengabe ist der ewiggrüne
Kranz der Unvergänglichkeit, der Reichtum, den mir der Vater gibt;
und im Triumph durchziehe ich die Ewigkeiten, den
Kranz im Haare, die leuchtenden, unverwelklichen Blumen der Weisheit; wenn Christus
die Preise verteilt, dann schreite ich mit ihm im himmlischen Reigen um den
König, der nicht Anfang kennt noch Ende; Lampen unnahbaren Lichtes zu tragen
ist mein Beruf, das neue Lied singe ich mit der Schar der Erzengel, ich verkünde
die Kirche und ihre neue Gnade; denn das Wort gilt: Die Schar der Jungfrauen
folgt immer dem Herrn und wo er ist, da feiern sie mit. Das meint auch
Johannes (Apok. 7, 4) mit der Erwähnung
der 144 000. So gehet nun hin, ihr Zukunftsvolk der neuen Ewigkeiten, gehet
hin und füllet mit Gerechtigkeit eure Lampen! Denn es naht die Stunde,
da ihr aufwachen und dem Bräutigam entgegenziehen müsst. Auf, meidet
flink die Liebestränke und Zauberreize des Lebens, deren Wirbel die Seele erfassen und berücken; denn ihr sollt teilhaftig
werden der Verheißungen »traun beim Meister,
der uns des Lebens Pfade gewiesen«.
S.61-66
Achte Rede
[…]
X. Der Drache, der große,
der feurige, vielgewandte, vielgespaltene, siebenköpfige, hörnertragende,
der den dritten Teil der Sterne fortfegt, der auf der Lauer steht, das Kind
des gebärenden Weibes zu verschlingen, das ist der Teufel,
der hinterlistige, der darauf lauert, den christus-erfassten Sinn der
Getauften, des Logos Charakter und Erleuchtung, die in ihnen geboren wurden, zu besudeln. Aber er geht fehl, er muss sich um
den Fang betrogen sehen: die Wiedergeborenen werden hinauf in die Höhe
entrückt zum Throne Gottes; d. h. hinauf zum
göttlichen Stuhl und dem unverrückbaren Schemel der Wahrheit erhebt
sich der Sinn der Erneuerten, er lernt auf das,
was dort ist, blicken, das Jenseitige sich vorstellen;
da wird er nicht mehr der Täuschung des Drachen zum Opfer, der abwärts
zieht; denn das darf er nicht, die Aufwärtsstrebenden, die in die Höhe
Blickenden vernichten.
Die Sterne, die er mit dem Ende seines Schweifes von der Höhe langt und
nieder zur Erde reißt, das sind die Konventikel [heimlichen
Zusammenkünfte] der Häresien; ja
die dunkeln, finstern, erdwärts stürzenden Sterne das sind die Zusammenrottungen
der Heterodoxen, so gilt es; die wollen sicherlich auch der himmlischen Dinge
kundig sein und christusgläubig und den Sitz ihrer Seele im Himmel wissen
und den Sternen sich nähern als Kinder des Lichtes.
Aber weg fegt es sie, des Drachen gewundener Schweif reißt sie
aus, weil ihre Stellung nicht innerhalb der dreieckigen
Form der Religion ist, weil das die Stelle war im orthodoxen Glauben,
darüber sie strauchelten; darum heißen sie der Drittteil der Sterne,
gleichsam als die im Irrtum über einen aus der Zahl der Dreifaltigkeit
Wandelnden; da gibt es solche, die irren in der Zahl »Vater«,
wie Sabellius, der den Allmächtigen
selbst gelitten haben lässt; es gibt solche, die irren in der Zahl »Sohn«
wie Artemas und die andern, die da behaupten, er
sei nur zum Schein geboren worden; es gibt andere, die irren in der Zahl »Geist«,
wie die Ebionäer, die dafür eintraten, aus eigenem Drange hätten
die Propheten gesprochen; denn was den Markion anlangt
und den Valentinus und Elkesaios
(!) und die Seinen und was sonst noch da ist, so ist es besser gar nicht
an sie zu denken. -
XI. Die Gebärerin aber, die
den Mannlogos in den Herzen der Gläubigen
gebiert, die unbefleckt und unangetastet von der Wut des Tieres in die Wüste
kam, das ist, wie gesagt, unsere Mutter, die Kirche. Und die Wüste, wo
sie weilt und 1260 Tage ernährt wird, die
Wüste, die es deswegen wahrhaft ist, weil sie kahl ist an Bösem, die
kinderlose, unfruchtbare, die kein Verderben hervorbringt, die der Masse schwer
zugängliche und schwer beschreitbare, für die Heiligen aber fruchtreiche,
ernteschwere, üppigbewachsene, leicht zu beschreitende, Fülle der
Weisheit tragende, Leben sprossende - das ist nun eben dies Plätzchen der
Arete, das reizende, mit herrlichem Baumwuchs gesegnete, herrlicher Düfte
volle, wo »der Südwind erwacht und der Nordwind
weht und die Wohlgerüche in Strömen ziehen« (Hohesl.
4, 16), wo alles voll ist von ambrosischem Tau, alles bekränzt
mit des ewigen Lebens makellosen Zweigen, allwo
wir jetzt Blumen lesen und der Königin den purpurleuchtenden Kranz der
Jungfräulichkeit winden mit keuschen Händen.
Denn die Früchte der Arete sind der Schmuck
für die Braut des Logos. Die
1260 Tage dann, während deren wir hier weilen als Zugewanderte,
das, ihr lieben Jungfrauen, ist die gerade, genaue und höchste Kenntnis
des Vaters, des Sohnes und des Geistes, darin unsere Mutter in Freuden und Jauchzen
wächst diese ganze Zeit hindurch, bis sie einst zum Feste der Wiederherstellung
der neuen Aeonen kommt
im Himmel; dann erschaut sie das Seiende nicht mehr mittels der Wissenschaft,
unmittelbar erblickt sie es dann, wenn sie mit Christus
dazu eingeht.
Da nämlich 1000 sich in
zehn Hunderter zerlegen lässt, so umfasst es eine vollkommene
und volle Zahl; das ist denn ein Symbol des Vaters
selbst, der aus sich selbst das All schuf und zusammenhält; 200 besteht aus
zwei vollkommenen Zahlen und ist so ein Symbol
des heiligen Geistes, weil dieser die Gnosis
des Vaters und des Sohnes umfasst. Die Zahl 60 enthält die 6 in Zehnfachheit,
so ist sie ein Symbol Christi; denn die
Zahl 6 geht aus der
Einheit hervor und setzt sich aus sich selbst, gleichwie aus Teilen zusammen,
so dass an ihr nichts zu wenig ist und nichts zu viel. Wird sie in ihre eigenen
Teile zerlegt, so wird sie voll; denn wenn die 6 Teile
gleichmäßig in gleiche Teile zerschnitten
werden, so muss die gleiche Vielheit aus den gewonnenen Teilen wieder voll hervorgehen;
man kann nämlich 6 zerlegen in
2x3 und 3x2 und 6x1,
und wenn man die 3 und 2
und 1 zusammen zählt, dann wird die Sechszahl wieder voll.
Es ist aber notwendigerweise alles vollkommen, was weder eines andern zu seiner
Vervollständigung bedarf, noch über sich selbst je hinaus geht. Von
den übrigen Zahlen sind die einen übervollkommen,
wie die Zahl 12 {denn ihr
gleicher Teil ist 6,
ihr dritter Teil 4
und ihr vierter Teil
3 und ihr
sechster Teil
2 und ihr
zwölfter Teil
1; in diese
Zahlen kann sie zerlegt werden; fügt man dieselben aber wieder zusammen,
dann überschreiten sie die Zahl 12;
12 bleibt also selbst
nicht gleich seinen Teilen, wie die Zahl 6},
die andern untervollkommen, wie die Zahl
8. Denn die Hälfte davon ist 4,
und der vierte Teil davon
2, und der achte Teil davon
1; in diese Teile lässt sich die Zahl
8 zerlegen; zählt man sie aber zusammen, dann macht es
7, und es fehlt eine Eiheit bis die Zahl
selbst voll würde, sie ist nicht wie die Zahl 6
ganz mit sich selbst im Einklang.
Darum hat diese auch die Beziehung auf den Sohn Gottes
erhalten, der aus der Fülle der Gottheit heraus
ins irdische Leben trat; er entäußerte sich und nahm Knechtsgestalt
an, aber hernach wurde er wieder erhoben zu seiner eigenen Vollkommenheit und
Würde. Gerade er wurde in sich selbst verkleinert und in seine Teile aufgelöst;
aber aus seiner Verkleinerung und seinen Teilen wurde in ihm wieder die eigene
Fülle und Größe und nie hatte er an seinem vollkommenen Wesen
Verkürzung erlitten. Aber auch die Weltschöpfung beruht offenbar ganz
auf dieser Zahl und ihrer Harmonie: In 6 Tagen erschuf Gott Himmel und Erde
und was in ihnen ist; die Schöpferkraft des Logos umfasst die Zahl 6, insoferne die
Dreifaltigkeit die Körper schafft; denn Länge und Breite und
Tiefe bewirken einen Körper; aus den Dreiecken besteht aber die Zahl
6. Aber dazu ist jetzt nicht die rechte Zeit, genau von dem zu handeln,
sonst kommen wir vorn Thema ab und richten unser Augenmerk auf Nebensächliches.
-
XII. Also, hier in dieser Wüste, die nichts Böses
erzeugt, wird die Kirche ernährt, beflügelt mit den himmelstürmenden
Schwingen der Jungfräulichkeit, die der Logos eines
großen Adlers Flügel nannte; sie hat die Schlange besiegt und die
Winterwolken gescheucht von ihrem vollen Mondenschein, Um solcher Güter
willen sind all diese Worte bisher gesprochen worden. Sie sollen euch, ihr jungfräulich
Schönen, anleiten, die Mutter nach Kräften nachzuahmen, durch die Lasten und Wechsel und Jämmerlichkeiten des Lebens nicht
sich verblöden zu lassen; nein, mit der Mutter sollt ihr siegesstolz einziehen
ins Brautgemach, eure hellen Lampen in den Händen. So verzaget nicht angesichts
der Schliche und Tücken des Tieres, vielmehr tut euch starke Rüstung
an zum Kampfe, wappnet euch mit des Heiles Helm und Harnisch und Beinschienen.
Und ihr werdet ihm unendliche Bestürzung beibringen, g reift nur an mit
lauter Vorteil und Frohmut; das Tier wird nimmermehr die Oberhand haben wollen,
wenn es die Gegner aufgestellt sieht; es wird euch die Siegespreise aus allen
sieben Kampfarten überlassen, das Tier mit den vielen
Köpfen, den vielen Gesichtern;
»Vorn ein Löwe, hinten ein Drache, mitten Chimäre
Stößt es den Atem der Wut heraus wie flammendes Feuer.
Dieses erschlug im gläubigen Bund mit den Wundern des Vaters
Christus, der Fürst; es lagen in Masse die
Opfer des Untiers,
Keiner ertrug den tötlichen Schaum der triefenden Mäuler«.
Doch war es Christus, der fürsorglich das Untier niederzwang und unschädlich machte,
es scheuchte und unserer vollen Verachtung preisgab.
XIII. So fasset männlichen und nüchternen Mut und
hebet eure Waffen gegen das üppige Tier, nicht um ein Haar weichet zurück,
verwirrt ob seiner Wut!
Unendlicher Ruhm ist euer, wenn ihr ihm die sieben Kronen im Siege herabreißt;
um die geht unser Kampf und unser Ringen, sagt Meister
Paulus (Eph. 6, 12).
Denn eine jede, die den Teufel zuerst niederringt
und die sieben Häupter erschlägt, wird Herrin
der sieben Kronen der Tugend; die sieben größten Kämpfe
der Reinheit hat sie so bestanden. Ein Haupt des Drachen ist die Unenthaltsamkeit
und Schwelgerei; wer siegreich dagegen kämpft, dem windet man die
Krone der weisen Zucht um die Stirne. Ein Haupt ist auch die Feigheit
und verzweifelte Schwächlichkeit; wer es zertritt, dem fällt die Krone
des Martyriums zu. Ein Haupt ist auch der Unglaube, der Unverstand und die andern
ähnlichen Errungenschaften der Schlechtigkeit; wer dieses umbringt und
abschlägt, der erringt die Ehren, die darauf gesetzt sind, dadurch wird
die Kraft des Drachen vielfältig enthörnt. Und dann, ihr jungfräulich
Schönen, die zehn Hörner und Spitzen, die er, wie gesagt, auf den
Häuptern trägt, das sind die zehn Gegensätze
zum Dekalog, womit er die Massenseelen aufzuspießen und hinzuschleudern
pflegte; er denkt und tut das Gegenteil vom Gebote; »Du sollst deinen Herrn lieben«, und immer das Gegenteil
von den Geboten der Reihe nach.
Sieh, da hat er ein im Feuer glühendes, bitterböses Horn; das ist
die Hurerei; damit wirft er die Unenthaltsamen; siehe das Horn des Ehebruchs,
das Horn der Lüge, das Horn der Habsucht, das Horn der Dieberei und die
Hörner der andern, diesen ähnlichen und verwandten Leidenschaften,
die ihre Kraft emporstrecken, gewachsen auf seinen menschenmordenden Köpfen:
Reißet doch ihr sie aus, lasset Christus im Bunde mit euch kämpfen und ihr werdet sie bekommen - und bekränzet
mit den Drachenkronen eure göttlichen Häupter!
Unsere Art ist es, das Höhere dem Erdgeborenen vorzuziehen, es an die erste
Stelle zu setzen; denn wir haben einen seiner selbst mächtigen und freien
Sinn empfangen, der allen Zwanges ledig ist, nun können wir selbstherrlich
wählen, was uns gefällt - und dienen dem
Schicksal nicht und nicht den Zufällen. Wie könnte der Mensch Herr seiner
selbst und gut sein, es sei denn, sein Leben werde zur Nachahmung
des Beispiels Christi, zur Nachzeichnung und Nachbildung Christi!
Aller Übel schlimmstes, der großen Menge angeboren, ist dieses: Die
Ursachen der Verfehlungen in den Bewegungen der Gestirne zu suchen, zu
sagen, unser Leben sei bedingt durch die
Notwendigkeiten des Schicksals. Gerade wie die Astrologen mit ihrer reichlichen
Frechheit. Solche Leute glauben mehr an das Vermuten als an das Denken und das
Vermuten hält so die Mitte zwischen Wahrheit und Lüge. So haben sie
sich vielfach in der Betrachtung der Wirklichkeit vom Grund aus getäuscht. Nun eben darum, liebe Arete: die Rede, die du
selbst, Herrin, mir zu halten befahlst, habe ich vollendet; wenn du nun gestattest,
so möchte ich im Wettstreit mit dir und mit der Beihilfe deines Geistes
wohl versuchen, denjenigen, die Schwierigkeiten haben und daran zweifeln, ob
wir recht haben mit der Behauptung, der Mensch sei freien Willens - diesen möchte
ich deutlich und treffend dahin entgegnen, dass sie
»Eigener Sünden Pein im Schmerz ohne Maßen
erdulden« (Vgl. Odyss. 1, 7),
weil sie das Angenehme dem Nützlichen vorziehen, Arete:
Ich gestatte es und tue mit; denn wenn auch das noch dazu kommt, dann ist die
Rede absolut vollkommen.
XIV. Thekla: Nochmal wollen wir
denn nun zuerst davon nach bestem Können sprechen und ihre Gauklerkünste
aufdecken; auf diese Künste tun sie sich viel zu gute, als ob sie die einzigen
wären, die davon Kunde erhalten haben, aus welchen Figuren nach den Annahmen
der Ägypter und Chaldäer des Himmels Zier besteht, Sie sagen:
Der Umkreis des Kosmos gleicht den Windungen einer gut gerundeten Kugel; darin
hat die Erde die Stellung des Zentrums und Zirkelpunkts.
Weil der Umkreis kugelförmig ist, so muss, sagen sie, wegen der gleichen
Entfernungen (die Abstände sind die gleichen) die Erde den Mittelpunkt des Alls bilden, und um die Erde als die ältere
winde sich der Himmel. Wenn nämlich der Umkreis aus
Zirkelpunkt und Zentrum wurde, was dann offenbar ein Kreis
ist, es aber unmöglich ist, ohne Zirkelpunkt einen Kreis zu beschreiben,
ein Kreis ferner unmöglich ist ohne Zirkelpunkt:
da muss dann doch, heißt es, die Erde vor allem geworden sein,
beziehungsweise ihr Chaos
und Abgrund; in der Tat, ins Chaos und in den Abgrund des Irrtums stürzten
die Frevler hinab, die »zwar Gott kannten, aber
ihn nicht als Gott verehrten noch ihm danksagten, sondern hohl waren in ihren
Gedanken, deren Herz blöde wurde und finster« (Gal.
5, 17) ; und doch hatten schon ihre eigenen Weisen gelehrt, dass
nichts Erdgeborenes verehrungswürdiger und älter sei als die Olympier.
Nun sind die, die Christum erkannt haben, nicht
immerfort Kinder wie die Hellenen, die die Wahrheit lieber mit Mythen und Erdichtungen
als mit der Kunst der vernünftigen Worte aufbauten, die der Menschen Geschicke
an den Himmel hefteten - aber trotzdem entblöden sie sich nicht, die Ökumene
und ihren Umkreis mit geometrischen Theorien und Figuren zu behandeln, die Lehre
zu vertreten, der Himmel sei mit Bildern von Vögeln,
Fischen und Landtieren geschmückt und die Beschaffenheit der Gestirne
sei geworden aus den Geschicken der Menschen im Altertum, sodass dann die Bewegungen
der Planeten nach ihnen von den Leibern solcher Menschen abhingen.
Sie sagen: Es kreisen die Sterne um die Natur der zwölf
Bilder, angezogen von der Bahn des Zodiakalkreises und infolge ihrer
Mischung sollen sie die Geschicke vieler sehen, je nach ihrer Verbindung und
Trennung, ihrem Aufgang hinwiederum und ihrem Untergang. Der ganze Himmel ist
also kugelförmig und hat nach ihrer Meinung zum Zentrum und Zirkelpunkt
die Erde, alle Geraden, die vom Umkreis her nach der Erde gehen, sind einander
gleich, so übe der Himmel mächtigen Einfluss aus mittels der ihn umschließenden
Kreise; der größte davon ist der Mittagskreis; der nächste der,
der den Raum in gleiche Teile zerschneidet, genannt Horizont; der dritte derjenige,
der diese beiden zerlegt, der Kreis der Tagesgleiche; diesem zu beiden Seiten
sind zwei Wendekreise, der Sommerkreis und der Winterkreis, der eine nach Norden,
der andere nach Süden zu.
Zu diesen gehört der mit dem Namen Achse, um den die sogenannten Bären
kreisen, und außerhalb des Bärenkreises ist der Wendekreis. Und die
Bären drehen sich um sich selbst und drücken auf die Achse, die durch
die Pole geht: so bewirken sie die Bewegung des ganzen
Kosmos. Ein jeder hat seinen Kopf an des andern Hüfte und unser
Horizont berührt sie nicht. Der Zodiakus
soll aber durch alle Kreise hindurchgehen und die Bewegung abschrägen; er habe in sich eine Anzahl von Bildern, genannt die zwölf
Dodekatemorien, beginnend mit dem Widder und sich erstreckend bis zu
den Fischen, die sie auf mythische Ursachen sich gründen lassen.
Der Widder ist nach ihnen derjenige, der die Helle,
des Athamas Tochter, und den Phryxus
nach Skythien brachte; der Stierkopf heiße zu Ehren des
Zeus so, der als Stier die Europe
nach Kreta hinübertrug; und der Kreis mit dem Namen Milchstraße,
der sich erstreckt von den Fischen bis zum Widder,
habe sich auf Befehl des Zeus aus den Brüsten
der Hera ergossen für
Herakles. So gab es also nach ihnen vor Europe
und Phryxus und den Dioskuren und den andern Bildern,
die auf Menschen und Tiere sich gründen, kein angeborenes Schicksal. Und
unsere Altvordern lebten so ohne Geburtschicksal; so müssen wir jetzt den
Versuch machen, ob wir nicht Ärzten gleich mit der heilenden Medizin der
Worte die Lüge
abstumpfen und zum Erlöschen bringen können; auf diese Weise
suchen wir nach der Wahrheit.
XV. Ihr Frevler, wenn es für die Menschen besser wäre,
unter einem Geburtsschicksal zu stehen als ohne ein solches zu leben: aus welchem
Grunde gab es dann nicht gleich von dem Tage an, da das Menschengeschlecht wurde,
ein Geburtsschicksal? Gab es aber ein solches, was brauchte man da noch die
neubefestigten Dinge, den Löwen, den Krebs, die Zwillinge,
die Jungfrau, den Stier, die Wage, den Skorpion, den Widder, den Bogenschützen,
die Fische, den Steinbock, den Wassermann, den Perseus, die Kassiopeia, den
Kepheus, den Pegasus, die Wasserschlange, den Raben, den Mischkrug, die Leier,
den Drachen und die andern Sachen, mit denen ihr die Massen ausrüstet
und dann tut, als hätten sie damit ein mathematisches
Wissen empfangen; dies ist aber eher ein katathematisches Wissen.
Nun also, entweder gab es auch für die Altvordern ein Geburtsschicksal,
dann war die Aufstellung dieser Dinge überflüssig; oder es gab damals
keines, dann hat Gott das Leben in den jetzigen
besseren Zustand und Lauf umgeändert, und die Altvordern haben in schlimmerer
Zeit gelebt. Aber im Gegenteil, besser sind die Altvordern daran gewesen, als
wir heute, darum haben sie ja den Namen »goldenes
Geschlecht« bekommen.
Dann gibt es eben kein Geburtsschicksal. Wenn die Sonne dadurch, dass sie die
Kreise durchfährt und in jährlichen Umläufen um die Sternbilder
wandelt, den Wechsel und Umschwung der Jahreszeiten bewirkt, wie konnten dann
die auskommen, die vor der Befestigung der Sternbilder und der darin vollzogenen
Ausschmückung des Himmels lebten, da doch Sommer, Herbst, Winter, Frühling
sich noch nicht unterscheiden ließen, durch die die körperliche Natur
wächst und beherrscht wird?
Aber sie sind ausgekommen, und langlebiger sind sie gewesen und nach Kräften
stärker als die Menschen von heute - denn Gott hat damals ebenso die Jahreszeiten
regiert. Also ist der Himmel nicht mit solcherlei Figuren beklext. Wenn die
Sonne und der Mond und die andern Sterne, die zur Scheidung und Hut der Abschnitte
der Zeit und zum Schmuck des Himmels und zum Wechsel der Jahreszeiten geschaffen
werden, göttliche Wesen sind, besser als die
Menschen, dann müssen sie auch ein besseres, ein seliges, friedenvolles
Leben führen, ein Leben, das dem unsern an Gerechtigkeit und Tugend überlegen
ist, in wohlgeordneter, glücklicher Bewegung. Wenn
sie aber die Schicksale und Bosheiten
der Sterblichen begründen und wirken, dann sind sie mit den Ausschweifungen,
Wechseln und Fällen des Lebens beschäftigt und also unglücklicher
als die Menschen, müssen niederschauen auf die Erde und auf der Menschen
verderbliche und frevelhafte Taten - nein, sie sind nicht besser daran als die
Menschen, wenn wirklich von ihrem Auseinander und ihrer Bewegung unser Leben
abhängt.
XVI. Wenn keine
Handlung ohne Begierde geschieht, und keine Begierde ohne Not ist,
das Göttliche aber keine Not kennt - dann ist im Göttlichen kein
Gedanke von Schlechtigkeit. Und wenn der Gestirne Natur näher bei
Gott steht und besser ist als der besseren Menschen Tugend, dann ist in den
Gestirnen kein Gedanke an Bosheit und keine Not der Bosheit. Noch ein anderer
Weg. Von denen, die Sonne, Mond und Sterne für göttlich halten, wird
uns jeder gern zugeben, dass sie fern sind von aller Schlechtigkeit und irdischem
Tun, dass sie keinen Affekt, nicht Lust noch Schmerz kennen, denn die Himmlischen
haben keine solchen ekelhaften Regungen, Wenn sie aber darüber von Natur
erhaben sind und dessen keine Not haben, wie kommt es, dass sie den Menschen
zubereiten, was sie selbst nicht wollen und worüber sie selbst erhaben
sind?
Ja, wer dem Menschen den freien Willen abspricht und ihn
von unausweichlichen Notwendigkeiten des Schicksals und ungeschriebenen Gesetzen
abhängig macht, der lästert Gott selbst, stellt ihn als Urheber
und Schöpfer der menschlichen Sünden hin, Wenn nämlich Gott selbst die gesamte Kreisbewegung der Gestirne mit unsäglicher und
undenkbarer Weisheit rhythmisch lenkt, sitzend am Steuer der Ökumene
- und wenn die Sterne dem Leben die Eigenschaften der Bosheit und der Tugend
verleihen, indem sie die Menschen an den Ketten der Notwendigkeit
dazu schleppen: dann erscheint Gott nach
den Worten dieser Leute als Ursache und Spender des Bösen.
Allein Gott ist keinem eines
Schlimmen Urheber. So gibt es also kein Geburtsschicksal. Jeder halbwegs
Vernünftige wird zugestehen, dass das Göttliche
gerecht ist, gut, weise,
wahr, wohlwollend, fern aller Verursachung des
Bösen, unverworren mit dem Leiden und ähnlichem. Und wenn die
Gerechten besser sind als die Ungerechten, und es ist ihnen also die Ungerechtigkeit
zum Ekel und Gott, weil er gerecht ist, sich an der Gerechtigkeit freut, dann
ist ihm zum Hasse die Ungerechtigkeit als Gegensatz und Widersache der Gerechtigkeit.
Also ist Gott nicht der Urheber der Ungerechtigkeit.
Wenn das Nützliche nach jeder Hinsicht gut ist, die weise Zucht
aber für Haus und Leben und Freundschaft nützlich ist, dann ist die
weise Zucht etwas Gutes.
Und wenn die weise Zucht von Natur gut ist, die Zuchtlosigkeit aber der Gegensatz
zur weisen Zucht, das Gegenteil des Guten aber das Schlechte ist, dann ist also
die Zuchtlosigkeit schlecht. Und wenn die Zuchtlosigkeit von Natur etwas Schlechtes
ist, aus der Zuchtlosigkeit aber Ehebruch, Diebstahl, Zorn und Mord entspringt,
dann ist ein zuchtloses Leben etwas von Natur Schlechtes.
Das Göttliche aber ist seiner Natur nach unverworren mit dem Schlechten,
Also gibt es kein Geburtsschicksal. Wenn die Züchtigen besser sind, als
die Zuchtlosen und ihnen tatsächlich die Unenthaltsamkeit zum Ekel wird, Gott sich aber der Züchtigkeit freut, weil
in ihm auch nicht ein Gedanke an Leidenschaft lebt, dann ist doch auch für
Gott die Unenthaltsamkeit etwas Verhasstes.
Dass aber eine Handlung, die aus weiser Zucht hervorgeht, eben als Tugend besser
ist als eine Handlung der Unenthaltsamkeit, die eine Sünde ist, das kann
man lernen bei Königen, bei Herrschern, bei Feldherrn, bei Frauen, bei
Kindern, bei Bürgern, bei Herren, bei Knechten, bei Kindersklaven, bei
Lehrern: denn ein jeder von diesen wird sich selbst und dem Gemeinwesen zum
Nutzen, wenn er lebt in weiser Zucht, und wenn er lebt in Zuchtlosigkeit, sich
selbst und dem Gemeinwesen zum Schaden.
Und wenn es einen Unterschied gibt zwischen Kinäden und Männern, zwischen
Unzüchtigen und Züchtigen, und wenn die Art der Mannhaften und Züchtigen
vorzüglicher, die Art des Gegenteiles aber schlimmer ist - und wenn die
Anhänger der besseren Art Gott
nahe und lieb sind und die Anhänger der schlimmeren
Art Gott fern
und verhasst; dann stellen ja die Vertreter des Geburtsschicksals die
Behauptung auf, Ungerechtigkeit sei das gleiche wie Gerechtigkeit, Mannesschande
das gleiche wie Mannhaftigkeit, Unenthaltsamkeit das gleiche wie weise Zucht;
das ist aber etwas Unmögliches.
Denn wenn das Gute das Gegenteil vom Bösen ist, das Ungerechte aber böse
ist und der Gegensatz zum Gerechten, das Gerechte aber gut, und das Gute der
Feind des Bösen, und das Schlechte dem Guten unähnlich, so ist demnach
das Gerechte etwas anderes als das Ungerechte. Also ist Gott nicht Ursache des
Bösen, noch freut er sich am Bösen, wie der Logos selbst es beweist durch seine wesenhafte Güte. Und wenn es Schlechte gibt;
so sind sie schlecht nach dem Verlangen ihrer Sinne
und nicht nach ihrem Geburtsschicksal.
»Eigener Sünden Pein im Schmerz ohne Maßen erduldend«.
Wenn es ein Werk des Geburtsschicksals ist, jemanden umzubringen und mit Mordblut
die Hände zu besudeln, das Gesetz aber dies verbietet und die Verbrecher
bestraft und mit Drohung die Gebote des Geburtsschicksals zurückweist:
Unrecht zu tun, die Ehe zu brechen, zu stehlen, zu vergiften - dann steht also
das Gesetz im Widerspruch mit dem Geburtsschicksal. Und
alles, was das Geburtsschicksal festsetzt, das verhindert das Gesetz, und was
das Gesetz verhindert, dazu zwingt einen das Geburtsschicksal.
Das Gesetz liegt also im Krieg mit dem Geburtsschicksal. Wenn aber Krieg herrscht
zwischen beiden, so walten also die Gesetzgeber ihres Amtes nicht nach dem Geburtsschicksal.
Nun soll es aber unmöglich sein, dass ohne Geburtsschicksal einer geboren
wird oder etwas tue; denn sie sagen, es könne einer auch nicht einen Finger
rühren, es sei denn so Schicksal.
Nach dem Geburtsschicksal sind also auch Minos,
Drakon, Lykurg, Solon, Zaleukus als Gesetzgeber
Väter der Gesetze geworden und haben Ehebruch, Mord, Gewalt, Raub und Dieberei
verboten, gleich als wäre und geschähe solches nicht gemäß
dem Geburtsschicksal, Wenn aber auch das dem Geburts¬schicksal gemäß
ist, dann sind die Gesetze nicht dem Geburtsschicksal gemäß; denn
es würde doch nicht das Geburtsschicksal durch sich selbst wieder aufgehoben,
würde nicht selbst sich abschaffen und mit sich selbst im Widerspruch liegen,
würde nicht einmal Gesetze geben, die Ehebruch und Mord verbieten und bestrafen
und den Bösen zu Leibe rücken, ein andermal hingegen Mord und Ehebruch
wirken.
Nein, so etwas ist unmöglich; denn nichts ist sich
selbst fremd und nichts sich selbst feindlich und nichts sein eigenes Hindernis
und nichts sein eigener Widerspruch.
Demnach gibt es kein Geburtsschicksal. Wenn alles, was immer auch geschieht,
nach dem Geburtsschicksal geht und gar nichts ohne Geburtsschicksal existiert,
dann muss auch das Gesetz durch das Geburtsschicksal geworden sein. Aber das
Gesetz hebt das Geburtsschicksal auf, es vertritt die Lehre, die Tugend könne
gelehrt werden und lasse sich gewinnen aus der Bemühung darum, die Schlechtigkeit
hingegen müsse man fliehen, sie entstehe aus dem Mangel an Erziehung.
Also gibt es kein Geburtsschicksal. Wenn das Geburtsschicksal schuld ist, so
oft man einander Unrecht tut oder von einander Unrecht erleidet, was braucht
man da Gesetze? Wenn sie aber da sind, die Verbrecher abzuwehren, weil Gott
besorgt ist für die Unrecht Leidenden, dann wäre es besser, das Schlechte
nicht dem Schicksal gemäß zu tun, als nach der Tat es mit Gesetzen
wieder zu bessern. Aber nein, Gott ist gut und weise und
tut das Beste.
Dann gibt es aber kein Geburtsschicksal, Wahrlich, die Erziehung und die Gewohnheiten
sind an den Verfehlungen schuld, oder die Leidenschaften der Seele und die im
Körper wirksamen Begierden, Was immer aber davon die Schuld trägt
an dem jeweils Verschuldeten, Gott ist ohne Schuld!
Wenn es besser ist, gerecht zu sein als ungerecht, warum wird denn der Mensch
nicht von vornherein durch ein Geburtsschicksal so? Wenn er aber hernach, um
besser und besser zu werden, durch Zehren und Gesetz gezüchtigt wird, dann
wird er gezüchtigt, weil er einen freien Willen hat und nicht weil er von
Natur aus böse ist, Wenn die Schlechten schlecht werden gemäß
ihrem Geburtsschicksal nach den Anordnungen der Vorsehung, dann darf man sie
nicht tadeln, dann sind sie nicht schuldig der durch die Gesetze bestimmten
Strafe: sie leben ja nach ihrer eigenen Natur und können sich nicht geändert
haben.
Oder ein anderer Gesichtspunkt: Wenn die Guten nach ihrer eigenen Natur leben
und deshalb gelobt werden müssen, das Verdienst an der Güte der Guten
aber nur das Geburtsschicksal trägt, dann dürfen also auch nicht die
Bösen, die ja nach ihrer eigenen Natur leben, von einem gerechten Richter
verklagt werden. Und um es kurzweg zu sagen: wer nach
der ihm gewordenen Natur lebt, sündigt nicht; denn er hat sich nicht selbst
so und so gemacht, sondern das Schicksal hat es getan, er lebt nach der Bewegung
des Schicksals und wird geführt von unausweichlichen Notwendigkeiten. Dann
ist also keiner böse. Aber es gibt Böse, und
die Bosheit ist vor Gott tadelnswert
und verhasst, wie der Logos dies erklärte,
die Tugend aber lieb und lobenswert vor ihm: denn Gott gab das Gesetz, den Rächer
des Bösen. Also gibt es kein Schicksal.
S.84-97
Aus: Des heiligen Methodius von Olympus, Gastmahl oder Die Jungfräulichkeit.
Aus dem Griechischen übersetzt und mit Erläuterungen versehen von
Dr. L. Fendt . Bibliothek der Kirchenväter. Verlag der Jos. Köselschen
Buchhandlung Kempten und München: 1911