Meng-Tse bzw. Meng-Tzu oder Meng K’o [lat. Mencius] (372 – 289 v.Chr.)
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Chinesischer
Philosoph, der die Ethik des Konfuzianismus weiter entwickelte. Meng glaubte an eine angeborene
Güte in der menschlichen Natur, die nur der entsprechenden Belehrung bedarf, um ihre volle Wirksamkeit entfalten zu können. Seine Schriften wurden von den Neukonfuzianern unter die »vier
klassischen Bücher« aufgenommen. Siehe auch Wikipedia |
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Inhaltsverzeichnis
Der Mensch ist gut
Nicht Vorteil, sondern Güte und Rechtlichkeit
Erst Besserung der Lebensumstände, dann Besserung
Gespräch über die zur Königsherrschaft notwendige Gesinnung
Der
Mensch ist gut
Ko-tse sagte: »Die Natur des Menschen gleicht
dem Weidenbaum, die Gerechtigkeit aber gleicht einem Becher oder einer Schale.
Aus der Natur des Menschen formt man die Menschenliebe und Gerechtigkeit, gleichwie
man aus dem Weidenbaume Becher und Schalen formt.«
Meng-tse erwiderte: »Vermagst du etwa der
Natur des Weidenbaumes zu folgen, wenn du Becher und Schalen daraus formst?
Du musst der Natur des Weidenbaumes Gewalt antun, dann erst kannst du Becher
und Schalen daraus formen. Und wenn du nun dem Weidenbaume Gewalt antun musst,
um Becher und Schalen daraus zu formen, musst du dann nicht auch dem Menschen
Gewalt antun, um Menschenliebe und Gerechtigkeit aus ihm zu formen? Wahrlich,
deine Worte sind sicherlich derart, dass sie die Menschen dazu verleiten
könnten, Menschenliebe und Gerechtigkeit für ein Unglück zu halten!«
Ko-tse sagte: »Die menschliche Natur gleicht einem Wasserstrudel;
öffnet man ihm einen Ausweg nach Osten, so fließt das Wasser ostwärts,
öffnet man ihm einen Weg nach Westen, so fließt es westwärts.
Die menschliche Natur macht keinen Unterschied zwischen gut und nicht gut, gleichwie
das Wasser keinen Unterschied macht zwischen Ost und West.«
Meng-tse entgegnete: »Das Wasser fürwahr
macht keinen Unterschied zwischen Ost und West — macht es aber auch etwa
keinen Unterschied zwischen oben und unten? Die Güte der menschlichen Natur
gleicht dem Abwärtsströmen des Wassers. Unter den Menschen gibt es
niemanden, der nicht gut wäre, gleichwie es kein Wasser gibt, das nicht
abwärts fließt. Nun kann man das Wasser, wenn man hineinschlägt,
aufspritzen machen, so dass es einem über die Stirn läuft, und
man kann es eindämmen und seinen Lauf bestimmen, so dass es bergauf
laufen muss— ist das aber etwa die Natur des Wassers?
Nur durch Gewalt ist es so. Wenn die Natur des Menschen veranlasst
wird, zu tun, was nicht gut ist, so geschieht seiner Natur dasselbe.«
Meng-tse sprach: »Ihrem Triebe folgend, haben
die Menschen die Möglichkeit,
Gutes zu tun. Das ist es, was ich unter »gut«
verstehe. Wenn jemand Nichtgutes tut, so ist
es nicht die Schuld seiner
Anlagen! Das Gefühl des Mitleids und Erbarmens ist allen Menschen eigen, das Gefühl der Achtung und Ehrerbietung ist allen
Menschen eigen, das Gefühl der Billigung und Missbilligung ist allen
Menschen eigen, das Gefühl des Mitleids und Erbarmens ist Menschenliebe,
das Gefühl der Scham und des Abscheus ist Gerechtigkeit, das Gefühl
der Achtung und Ehrerbietung ist Anstand, das Gefühl der Billigung und
Missbilligung ist Weisheit.
Menschenliebe, Gerechtigkeit, Anstand und Weisheit sind
nicht von außen her in uns hineingegossen, sie sind vielmehr unser fester
Besitz — nur denken wir nicht daran. Daher heißt es: Wer
sie sucht, bekommt sie; wer sie beiseite lässt, verliert sie.«
Nicht
Vorteil, sondern Güte und Rechtlichkeit
Mencius trat vor den König
Hui von Liang. Der sagte:. »Ehrwürdiger Herr, da du, tausend
Meilen nicht für weit erachtend, hierhergekommen bist, wirst du wohl auch
in der Lage sein, meinem Staat Vorteil (Li) zu bringen?«
Mencius erwiderte: »Warum, o König,
musst du von Vorteil reden? Es gibt doch auch Güte
und Rechtlichkeit, und die dürften genügen«.
Denn fragt der König: »Wie
bringe ich meinem Staate Vorteil?«, so fragen die Großwürdenträger: »Wie bringen wir unserm Hause Vorteil?«
und die niederen Beamten und das Volk: »Wie bringen
wir unserer Person Vorteil?« —
Mencius: Wenn Obrigkeit und Untertanen sich
gegenseitig den Vorteil streitig machen, möchte der Staat gefährdet
werden. Wer in einem Staate von zehntausend Schlachtwagen dessen Fürsten
tötet, muss über ein Hauswesen von tausend Schlachtwagen verfügen,
und wer in einem Staate von tausend Schlachtwagen dessen Fürsten tötet,
muss über ein Hauswesen von hundert Schlachtwagen verfügen. Tausend
von zehntausend und hundert von tausend sollte man nicht für gering achten. Wer die Rechtlichkeit hintansetzt und den Vorteil voranstellt,
findet ohne Raub kein Genüge. Noch hat es keinen Guten gegeben,
der seinen Nächsten im Stich gelassen, keinen Rechtschaffenen, der seinen
Fürsten hintangesetzt hätte. Der König sage doch: >Güte
und Rechtlichkeit< — und damit ist‘s gut. Warum muss von
Vorteil die Rede sein?«
Erst
Besserung der Lebensumstände, dann Besserung
Meng-tse sprach: »Ohne festen Lebensunterhalt
dennoch ein festes Herz zu behalten, das vermag nur der Gebildete. Was nun das
Volk betrifft, so wird es ohne festen Lebensunterhalt auch keine beständige
Gesinnung haben. Wenn es aber keine Festigkeit des Herzens hat, ist es schließlich
jeder Art von Zuchtlosigkeit, Schlechtigkeit, Gemeinheit und Ausschweifung fähig.
Wenn das Volk nun einmal so den Verbrechen verfallen ist, es hinterdrein noch
zu verfolgen und zu züchtigen — das hieße das Volk umgarnen.
Wie wäre es aber denkbar, daß, solange ein menschlich gesinnter Mann
auf dem Thron sitzt, das Volk umgarnt werden sollte?
Aus diesem Grunde regelt ein erleuchteter Fürst den Lebensunterhalt des
Volkes derart, dass es nach oben hin genug hat, um den Eltern zu dienen,
und nach unten hin genug hat, um Weib und Kind zu ernähren, also dass
es in guten Jahren sein Leben lang satt zu essen hat und in Jahren der Not dem
Tode und der Vernichtung entgeht. Danach mag er es zum Guten anspornen, denn
dass das Volk ihm jetzt gehorche, ist ein Leichtes.
Jetzt aber regelt ihr den Lebensunterhalt des Volkes derart, dass es nach
oben hin nicht genug hat, um den Eltern zu dienen, und nach unten hin nicht
genug hat, um Weib und Kind zu ernähren. Selbst in guten Jahren leidet
es beständig, und in Jahren der Not entgeht es nicht dem Tode und dem Verderben.
Unter solchen Umständen sucht es nur dem Tode zu entrinnen und ist doch
in steter Angst, keine Abhilfe schaffen zu können. Wie sollte es da Muße
finden, um die Riten und die Gerechtigkeit zu pflegen!
Wenn ihr, o König, nur den Wunsch habt, das durchzuführen, so müsst
ihr nur zur wahren Wurzel zurückkehren: Wenn ihr jeden Hof von fünf
Morgen mit Maulbeerbäumen bepflanzen lasst, dann werden die Fünfzigjährigen
sich in Seide kleiden können; wenn ihr bei der Zucht von Hühnern,
Ferkeln, Hunden, Schweinen die rechte Zeit nicht vorübergehen lasset, dann
werden die Siebzigjährigen Fleisch essen können. Wenn ihr einem Acker
von hundert Morgen die zum Anbau nötige Zeit nicht entzieht, dann werden
Familien von acht Köpfen nicht zu hungern brauchen; wenn ihr eure Aufmerksamkeit
auf den Unterricht in den Schulen richtet und durch ihn die Pflicht der Kindesliebe
und Bruderliebe einschärfen laßt, dann werden die Grauhaarigen auf
den Straßen keine Lasten mehr zu schleppen haben. Wenn die Alten in Seide
gekleidet gehen und satt zu essen haben und das schwarzhaarige Volk weder Hunger
noch Frost leidet — dass unter solchen Umständen die Königswürde
nicht erlangt worden wäre, ist noch nicht dagewesen. «
Gespräch
über die zur Königsherrschaft notwendige Gesinnung
Der König sprach: »Welcher
Art muß die Tugend sein, um König der Welt sein zu können?«
Meng-tse antwortete: »Wer
sein Volk beschützt, wird König der Welt,
und niemand kann ihn daran hindern.«
Der König sagte: »Wäre denn ein
Mann wie ich imstande, sein Volk zu beschützen?«
Meng-tse antwortete: »Ja, er wäre dazu imstande.«
Der König sprach: »Woher
weißt du, daß ich dazu imstande
wäre?«
Meng-tse sprach: »Ich habe einmal erzählen
hören, der König habe in seiner Halle
gesessen, als unten ein Mann, der einen Ochsen führte, vorbeigegangen sei.
Der König habe ihn gesehen und gefragt, wohin
er mit dem Ochsen gehe. Da habe jener erwidert: >Ich will mit seinem Blute eine Glocke weihen.< Da habe der König
gesagt: >Laß ihn frei; ich kann es nicht ertragen,
wie er so ängstlich zittert, gleich einem, der unschuldig zum Richtplatz
geführt wird.< Da habe jener erwidert:
>Soll dann also die Glockenweihe unterbleiben?<
Darauf habe der König gesagt: >Wie
könnte sie unterbleiben? Nehmt ein Schaf statt seiner.< —
Ich weiß nicht, ob sich das so zugetragen hat.«
Der König sprach: »Es ist so gewesen.«
Meng-tse sprach: »Diese Gesinnung genügt,
um die Königswürde zu erlangen. Die hundert Familien glaubten alle,
ihr seiet geizig gewesen, o König; ich weiß
aber bestimmt, daß ihr es nicht habt ertragen können.«
Der König sprach: »So ist es, und doch
liegt in Wirklichkeit etwas Wahres in der Meinung der hundert Familien. Wenn
aber auch der Staat Tsi, mein Reich, unbedeutend
und klein ist — wie hätte ich wegen eines Ochsen geizen können?
Ich konnte eben nicht ertragen, zu sehen, wie er zitterte, gleich einem, der
unschuldig auf den Richtplatz geführt wird. Und aus diesem Grunde wollte
ich ihn gegen ein Schaf umgetauscht haben.«
Meng-tse sagte: O König, wundert euch nicht darüber, dass die hundert Familien euch für
geizig hielten. Ihr wolltet Großes gegen Kleines vertauscht haben: wie hätten jene das verstehen sollen? Wenn ihr,
o König, Mitleid
hattet mit der Unschuld,
die zum Richtplatz geführt wurde — was war da zwischen Ochs
und Schaf zu wählen?«
Der König lachte und sprach: »Wahrhaftig!
Was hatte ich bloß für eine Absicht dabei! Ich geizte nicht mit seinem
Werte und wollte ihn dennoch gegen ein Schaf vertauschen. War es nicht ganz
richtig, daß die hundert Familien mich geizig nannten?«
Meng-tse sagte: »Es sollte keine Beleidigung
sein. Die Menschlichkeit hatte euch eben einen Streich gespielt; den Ochsen
hattet ihr zwar gesehen, aber das Schaf hattet ihr noch nicht gesehen. So ist
nun einmal der Edle in seinem Verhalten gegen die Tiere, dass er, hat er
sie lebend gesehen, es nicht erträgt, sie sterben zu sehen, und nachdem
er ihre Stimme gehört hat, es nicht erträgt, ihr Fleisch zu essen,
daher hält der Edle sich fern von Schlachthof und Küche.«
Der König sprach: ». . . Wie kommt es
nun, dass dieses Herz zur Erlangung der Königswürde geeignet
ist?«
Meng-tse sagte: ..... »Wer
Güte übt, ist imstande, alles Land innerhalb der vier Meere zu beschirmen,
wer aber nicht Güte übt, vermag nicht einmal Weib und Kind zu beschirmen.
. . Nun aber reicht eure Güte aus, um sich bis auf die Tiere zu erstrecken.«
S.139ff.
Enthalten in: Die Söhne Gottes, Aus den heiligen
Schriften der Menschheit, Auswahl und Einleitungen von Gustav Mensching, R.
Löwit . Wiesbaden