Mechthild von Hackeborn (1241 – 1299)
Deutsche
Nonne und Mystikerin, die bereits im Alter von sieben Jahren ins Kloster Rodersdorf kam. Mechthild stammte aus dem Adelsgeschlecht derer
von Hackeborn und wechselte 1258 in das Zisterzienserinnenkloster Helfta, das von ihrer Schwester Gertrud von Hackeborn als Äbtissin geführt
wurde. Mechthild wurde Leiterin der Klosterschule. Ihre Visionen wurden
von Mitschwestern schriftlich festgehalten und später in dem für
die Geschichte der Mystik bedeutenden »Liber speciales gratiae« (deutsch: Buch von der besonderen Gnade) zusammengefasst. – Selige (Tag: 19. 11.) Siehe auch Wikipedia und Heiligenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Von allerlei Pein
Von der Macht der Liebe
Von der Umarmung und dem Herzen des Herrn
Wie Gott der Seele seine Sinne schenkt, daß sie sie gebrauche
Von
allerlei Pein
Da sie in dieser Verlassenheit (krank und ohne »Gottes
Besuch«) mehr als sieben Tage geblieben war, goß der sehr
gütige Herr, der immer nahe ist denen, die betrübten Herzens sind,
so überfließenden Trost und Süßigkeit über sie, daß
sie oftmals von der Mette bis zur Prime und von der Prime bis zur None mit zugetanen
Augen wie tot in Gottes Genusse lag. In dieser Zeit offenbarte ihr der sanfte
Herr die wundersamen Dinge seiner Heimlichkeiten und erfreute sie so sehr mit
der Süßigkeit seiner Gegenwart, daß sie wie trunken nicht länger
an sich halten konnte und jene innerliche Gnade, die sie so viele Jahre verhehlt
hatte, auch Gästen und Fremden mitteilte. Daher gaben Viele ihr Botschaft
zu Gott; von denen sie Jeglichem, je nachdem Gott sie der Kunde würdigte,
das Begehren seines Herzens eröffnete, darob sie sehr erfreut Gott den
Dank erwiesen...
Da sie klagte, daß sie durch Schmerzen des Hauptes den Schlaf verloren
hätte, sagten die Leute, sie irre aus Krankheit, denn sie meinten, sie
täte nichts anderes als schlafen. Aber da ihre Dienerin sie fragte, was
sie täte, wenn sie so mit geschlossenen Augen läge, antwortete sie: »Meine Seele vergnügt sich in göttlichem
Genusse, schwimmend in der Gottheit wie ein Fisch im Wasser oder ein Vogel in
der Luft; und kein Unterschied ist zwischen dem Gottgenusse der Heiligen und
der Einung meiner Seele, als dieser, daß sie in der Freude, ich in der
Pein ihn genieße«.
In diesen Tagen ihrer Krankheit, als die Fastenzeit kam und sie sich vorgesetzt
hatte, mit dem Geiste beim Herrn in der Wüste zu sein, fragte sie in einer
Nacht, da es ihr erschien, sie sei mit dem Herrn in der Wüste, ihn, wo
er die erste Nacht bleiben wolle. Da zeigte ihr der Herr einen wundersam schönen,
aber hohlen Baum, der war der Baum der Demut genannt, und sprach: »Hier werde ich über Nacht bleiben«. Nachdem er dies
gesagt hatte, ging der Herr in den hohlen Baum. Da sprach sie: »Und wo werde ich bleiben?« Darauf der Herr: »Weißt
du nicht in meinen Schoß zu fliegen und da zu ruhen, wie die Vögel
zu tun pflegen?« Und sogleich sah sie sich selber in der Gestalt
eines Vögleins in den Schoß des Herrn fliegen, und ruhte darin gar
friedsam. Und sprach zum Herrn: »Allermildester
Herr, lege deinen Finger auf mein Haupt, daß ich so einschlafe«.
Und der Herr: »Weißt du nicht, daß die
Vöglein, wenn sie den Schlaf empfangen wollen, den Kopf unter das Gefieder
legen?«
Und sie: »Herr, welches ist mein Gefieder?«
Er antwortete: »Dein Verlangen ist eine rote Feder,
weil es immer brennt. Deine Liebe ist eine grüne Feder, weil sie immer
grünt und wächst. Deine Hoffnung aber ist eine gelbe Feder, weil du
unablässig zu mir eilst.«
Von der Macht
der Liebe
Zu einer andern Zeit, da sie in der Wirkung der Gnaden die Macht der göttlichen
Liebe bedachte, sprach der Herr zu ihr: »Siehe,
ich gebe mich in Gewalt deiner Seele, daß ich dein Gefangener sei und
du mir gebietest, was immer du willst: und ich bin wie ein Gefangner, der nichts
vermag, als was sein Herr ihm befiehlt, zuall deinem Willen bereitet«. Sie aber, in wundersamem Danke solcher Huld Worte vernehmend, bedachte in sich,
was sie am besten von Gottes Liebe begehren solle. Sie fand in ihrem Herzen,
daß sie nichts der Gesundheit vorzöge, weil schon das Osterfest bevorstand
und sie vom Advent bis zu dieser Zeit, mit Ausnahme der Weihnacht, um ihrer
steten Krankheit willen den Chor nicht betreten hatte. In sich jedoch eingekehrt,
da die Treue gegen den Herrn sie zwang, sprach sie zu ihm: »O
Süßester und Geliebtester meiner Seele, wiewohl ich nun alle Stärke
und Gesundheit, die ich je hatte, wiederlangen könnte, möchte ich
es keineswegs. Sondern dieses eine will ich von dir, daß ich nie uneins
sei mit deinem Willen, sondern alles, was du willst und in mir wirkst, sei es
Günstiges oder Widriges, das möge ich immer mit dir wollen«.
Sogleich erschien es ihr, daß der Herr sie mit der Linken umfing und ihr
Haupt auf seine Brust neigte und zu ihr sprach: »Dieweil du alles willst,
was ich will, wird deine Seele immer in meiner Umarmung sein, und allen Schmerz
deines Hauptes werde ich, ihn in mich selber einziehend, mit meinen Leiden opfern«.
Von der Umarmung
und dem Herzen des Herrn
Zu einer andern Zeit, da sie Gott in ihrer Krankheit klagte, daß sie nicht
in den Chor gellen und andre gute Werke nicht tun könne, erschien es ihr,
daß der Herr sich in das Bett neben sie neigte, sie mit dem linken Arm
umfangend, so daß die Wunde seines holden Herzens sich ihrem Herzen verband.
Da sprach er zu ihr: »Wenn du krank bist, umfange
ich dich mit der Linken, und wenn du genesen bist, mit der Rechten; aber dies
wisse: wenn du von meiner Linken umfangen bist, gesellt sich dir viel näher
mein Herz«.
Wie Gott
der Seele seine Sinne schenkt, daß sie sie gebrauche
Sie bat einmal den Herrn, daß er ihr etwas schenke, was beständig
in ihr sein Gedächtnis erregen möchte. Darauf empfing sie vom Herrn
diese Antwort: »Siehe, ich gebe dir meine Augen,
daß du mit ihnen alle Dinge sehest, und meine Ohren, daß du mit
ihnen alle Dinge vernehmest; auch meinen Mund gebe ich dir, daß du alles,
was du an Reden, Beten oder Singen auszusprechen hast, durch ihn tuest. Ich
gebe dir mein Herz, daß du dadurch alles denkest und mich und um meiner
willen alle Dinge liehest«. In diesem Worte zog Gott diese Seele
ganz in sich und vereinte sie also mit sich, daß es ihr erschien, sie
sehe mit Gottes Augen, und höre mit seinen Ohren, und rede mit seinem Munde,
und fühle kein andres Herz zu haben als das Herz Gottes. Dies ist ihr auch
hernach oftmals zu fühlen gegeben worden. S.140ff.
Aus: Sloterdijk (Hrsg.): Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker gesammelt
von Martin Buber, Diederichs DG 100