Marko Marulic [Marulo] (1450 – 1524)
Kroatischer Humanist, christlicher Ethiker und religiöser Schriftsteller aus Dalmatien. Der europäischen innerkatholischen Glaubenserneuerung des 16. Jahrhunderts leisteten seine Bücher große Dienste. Eines seiner Werke, »De institutione bene beateque vivendi ...« (1506) eine Enzyklopädie der christlichen Moral, ist im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts neunzehnmal aufgelegt und in mehrere europäische Sprachen übersetzt worden. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass zur selben Zeit auch ein Kroate, Matthias Flacius Illyricus, mit feurigem Geist und scharfer Zunge in Deutschland an der Spitze der antirömischen Bewegung stand, so bezeugen diese Fakten über alle polar-entgegengesetzten Standpunkte hinweg die rege Aktivität des kroatischen Geisteslebens im 16. Jahrhundert. Marulic war auch der Schöpfer der kroatischen Kunstpoesie. Sein religiös-heroisches Epos »Judith« (1501), in dem sich klassischer Geist mit religiös-patriotischen Ideen verbindet, ist das erste bedeutende Kunstwerk der kroatischen volkssprachlichen Dichtung. Die hier wiedergegebene Anklagerede der Schöpfung beim Jüngsten Gericht, dem Buche »De institutione bene beateque vivendi« entnommen, kennzeichnet den geistigen Standpunkt des Autors zwischen der Welt des Mittelalters und dem Lebensgefühl der Renaissance. Siehe auch Wikipedia |
Das Jüngste
Gericht
... Die ganze Erde wird sich wider die Törichten und Unbesonnenen erheben.
Alle Dinge werden die Sünder anklagen und der Undankbarkeit gegen Gott
überführen, da nichts von Gott geschaffen wurde, was nicht dem Menschengeschlechte
zur Gnade, Ehre oder zum Nutzen gereichen könnte.
Die Erde.
Die Erde wird sie anklagen und sagen: Herr, zu dieses Menschen Nutzen hast Du
mich erschaffen, auf Deinen Befehl hin habe ich Früchte hervorgebracht,
damit er sie esse, Schatten gespendet, um ihn vor Hitze und Regen zu schützen,
Wälder, Holz, Steine, Pflanzen, Gerüche, Blumen, Säfte, Salben,
Flachs, feines Linnengewand, Baumwolle und Seide erzeugt, die er zu mancherlei
Notdurft seines Lebens gebrauchen kann. Ich habe ihm Schafe gegeben, daß
er sich mit ihrer Wolle bekleide, Rinder, damit er mit ihnen die Felder bebaue,
Rosse, Maultiere, Esel und Kamele, damit sie seine Habe tragen, wohin es ihm
beliebt, und sonst allerlei Tiere, von deren Milch, Butter, Käse und Fleisch
er sich ernähren könne und deren Felle ihn vor Kälte schützen.
Und zu dem noch Erze, Eisen, Blei, Silber, Geschmeide, Gold und Edelsteine:
Er aber verweigerte Dir den Gehorsam.
Das Wasser.
Das Meer, die Flüsse und Seen werden den Menschen mit folgenden Worten
anklagen: Auch wir, o Gott, sind Dein Werk und nach Deinem Willen haben wir
diesen Menschen mit Fischen gespeist, seine Schiffe haben wir auf unserem Rücken
getragen, Trunk, Salz und Bad haben wir ihm gereicht und Wasser gegeben, damit
er sich vor Feuersbrunst errette; Äcker und Wiesen haben wir bewässert
und fruchtbar gemacht. Korallen und Perlen haben wir ihm zu seines Leibes Zier
geboten, Meerespflanzen und Schwämme, alles dies zu vielerlei Nutzen: Er
aber übertrat Deine Gebote.
Die Luft.
Auch die Luft wird gegen ihn Klage erheben und sagen: Mich, Herr, hast Du erschaffen,
um ihm, dem Menschen, zu Diensten zu sein. Ich gab ihm, wie befohlen, den Atem,
die Stimme, den Regen, den Tau, die Luft, den Wind, die Wolken und heiteres
Wetter, alles zu seinem Nutzen. Mit meiner Hilfe überquerte er Meere und
Flüsse, linderte er die Sonnenhitze und machte dürre und öde
Felder wieder fruchtbar. Allerlei Vögel gab ich ihm, damit er sich an ihrem
Gesang erfreue, auf ihren Federn weich liege und ihr Fleisch esse. Und siehe,
Herr, er hat aller dieser Wohltaten vergessen und Dir die Dienste gekündigt.
Das Feuer.
Auch das Feuer, das auf einer höheren Stufe steht, wird seiner nicht schonen
und anheben: O, Herr, mich hast Du zu des Menschen Nutzen und Wohlfahrt gemacht.
Ich habe ihn in der Kälte gewärmt und ihm in der Finsternis geleuchtet.
Mit meiner Hilfe hat er Metalle geschmolzen und bearbeitet, irdene Gefäße,
Ziegel und Steine gebrannt und gehärtet; mannigfaches Glas geformt, Wachs,
Eis und andere harte Dinge weich gemacht; Steine in Kalk verwandelt, um Mauern
zu binden, Pech gelöst, um Schiffe dichtzumachen; Brot gebacken, Speisen
gargekocht, Fleisch gesotten, geröstet und gebraten, unfruchtbare Felder
durch Verbrennen des Strohs wieder fruchtbar gemacht; Krankheiten durch Ausbrennen
geheilt und Tücher mit Asche gebleicht. Soviel Nutzen hat er von mir und
durch mich empfangen, und dennoch hat er nie mit Dank vergolten oder Gehorsam
gezeigt.
Der Himmel.
Alsdann wird auch der Himmel Klage führen und zu Gott rufen: Auch mich,
Gott, hast Du erschaffen und mich zur Hilfe und zu Gutem über die Menschheit
gespannt. Also habe ich bei Tag die Sonne und nächtlicherweile den Mond
und die Sterne über den Menschen scheinen lassen. Die Stunden, den Tag,
Monat, das Jahr, den Frühling, Sommer, Herbst und Winter hat er mit meiner
Hilfe unterschieden, auch der Zeiten Ordnung und der Dinge Wechsel hat er wahrnehmen
und lernen können. Er vergaß jedoch Deiner Gaben, schlug Deine Befehle
und Gesetze in den Wind und missachtete sie.
Die Engel.
Letzthin werden auch die Engel und Heiligen, die um Christus sein werden, Anklage
erheben. Der Schutzengel etwa so: Herr, Du hast mich ausgesandt, und ich habe
diesen Menschen stets aus der Gefahr errettet und vor der bösen Geister
Unbill geschützt. Obgleich ich ihn, der im Leben oft strauchelte, wiederholt
durch Mahnungen zurückgehalten, hörte er doch lieber auf seinen eigenen
Willen als auf meine Stimme.
Die Heiligen.
Und die Heiligen werden sagen: Viel haben wir gepredigt und geschrieben, viel
gewirkt und getan, woraus der Mensch hätte lernen können, welches
der rechte Weg sei. All dies überhörte er, schlug den bequemen Weg
des Lasters ein und wandelte ihn. Weder Verheißungen der ewigen Seligkeit
noch Drohungen mit Verdammnis vermochten ihn von seinem verkehrten Wege abzubringen.
Oft riefen wir ihm ins Gedächtnis, Du hättest ihn nach Deinem Ebenbild
geschaffen, nicht viel geringer als die Engel, hättest ihn in das Paradies
gesetzt, von wo er seines Ungehorsams wegen verstoßen wurde, und wie er
schließlich dank Deiner Güte wieder Gnade empfangen, um in ein weit
schöneres Vaterland, als es das frühere war, gelangen zu können.
Wir haben ihm kundgetan, Du seiest als Gott Mensch geworden, hättest an
Deinem eigenen Leib Verachtung gelitten, Dich fesseln, bespucken, ohrfeigen,
geißeln lassen, hättest die Dornenkrone, die Nägel, das Kreuz,
die Galle, den Essig, den Spieß und Speer ertragen, damit Du Dich hast
Deinem Vater als Schlacht- und Sühneopfer für die Sünden der
Menschheit hinstellen können. Du wolltest sterben, um dem Menschen das
Leben zu schenken. Du bist in die Hölle hinabgestiegen, um ihn über
die Sterne zu heben. Vom Tode bist Du auferstanden und gen Himmel gefahren,
um ihn Dir nachzuziehen und selig zu machen. Dein Fleisch hast Du ihm zur Speise
und Dein Blut zum Trank gegeben, damit er des ewigen Lebens teilhaftig werde
und mit Dir Gemeinschaft pflege. Er aber hat Deiner zahlreichen und großen
Wohltaten vergessen, sich undankbar gezeigt, Dich erzürnt und gekränkt.
Und damit er besser seinen Begierden frönen konnte, mißachtete er
Deine Befehle und lief vergänglichen Gütern nach und schätzte
die ewigen gering. Dieses und dergleichen Dinge mehr werden dem Sünder
vorgehalten und also wird sich die Kreatur wider den Sünder wappnen und
sich erheben. So wird die Erde wider die Unbesonnenen und Törichten streiten.
Was wollen da die armen Sünder tun, wenn so viele Kläger gegen sie
Klage führen, und wenn bei Gericht alles nur gegen sie und nichts für
sie sprechen wird?
Enthalten in: Slavische Geisteswelt 3. West- und Südslavien,
Mensch und Welt. (S.96ff.)
Herausgegeben von St. Hafner, O. Turecek und C. Wytrzens, Holle Verlag