Marc Aurel,
Marcus Aurelius Antoninus,
ursprünglich Marcus Annius Verus (121 - 180)
Römischer
Philosoph und Kaiser (161—80); 138 auf Initiative Hadrians von seinem Onkel Antoninus Pius adoptiert, verheiratet seit 145 mit dessen Tochter Faustina (d. J.), übernahm die Herrschaft, die er mit seinem Adoptivbruder Verus, seit 177 mit seinem Sohn und designierten
Nachfolger Commodus, teilte. Marc Aurel musste in fast unaufhörlichen
Kriegen das Reich vor dem Zusammenbruch bewahren (Abwehr einer parthischen
Offensive, 162—66; Einfälle der Markomannen, 166—80). Als
er im Feldlager starb, hatte er die Donaufront gesichert, wenn auch nicht beruhigt. Von der Philosophie der Stoa beeinflusst, war seine sensible,
asketische Natur, bestimmt durch das Streben nach strenger Selbstbeherrschung und Pflichterfüllung. Seine außergewöhnlichen Eigenschaften,
die auch in seinen »Selbstbetrachtungen« zum Ausdruck kommen,
haben seit der Renaissance das Urteil über ihn bestimmt. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Selbstbetrachtungen
Mit den Göttern zusammen leben. Es lebt aber der mit den Göttern zusammen,
der ihnen beständig zeigt, dass seine Seele mit dem ihr Zugeteilten
zufrieden ist, und dass sie tut, was der Dämon will, den Zeus als
ein Stück von sich selber einem jeden Menschen als Vorsteher und Führer gegeben hat. Das ist aber eines jeden Geist und Vernunft. S.62
[...]
Der Geist des Weltganzen will die Gemeinschaft der Wesen. Daher hat er die niederen der höheren wegen geschaffen und die höheren zur Zusammenarbeit miteinander bestimmt. Du siehst, wie er <die einen> unterordnete, <die anderen> zusammenordnete und jedem einzelnen Wesen das ihm Zukommende verlieh und die Hervorragendsten zur Eintracht miteinander zusammenführte. S.63 [...]
Die Substanz des Weltganzen ist nachgiebig und leicht wandelbar.
Die Vernunft aber, die sie durchwaltet, enthält keinerlei Ursache in sich,
Böses zu tun. Denn Bosheit liegt nicht in ihrem Wesen; sie fügt auch
keinem Dinge etwas Böses zu, und kein Ding wird von ihr geschädigt.
Nach jener Vernunft geschieht alles und kommt zu seinem Ziel.
Die Vernunft, die die Welt durchwaltet, weiß, in welcher Absicht sie etwas
tut und was sie tut und an was für einem Stoffe sie wirksam ist.
S.66 [...]
Nur an einem ergötze dich und finde darin deinen Frieden:
von einer Handlung der Menschenliebe zur anderen zu schreiten und dabei stets
Gott im Herzen zu haben.
Der führende Seelenteil ist derjenige, der sich selber erweckt und wandelt
und sich selber zu dem macht, was er will, und bewirkt, daß ihm selber
alles, was geschieht, so erscheint, wie er es will.
Gemäß der Allnatur kommt jedes Ding zu seinem Ziele, nicht etwa gemäß
einer anderen Natur, die von außen die Dinge umgibt oder in ihrem Inneren
enthalten ist oder, von ihnen getrennt, sich außerhalb ihrer befindet.
Entweder <ist die Welt> ein Mischmasch und gegenseitige Verflechtung und <Wieder-> Zerstreuung <von Atomen> oder eine Einheit und Ordnung
und ein Werk der Vorsehung. Wenn das erstere der Fall ist, was begehre ich da
noch, in einem zufälligen Gemisch und solchem Wirrwarr zu verweilen? Was
habe ich da noch für einen anderen Wunsch als den, irgendwie zu »Erde
zu werden«? Was rege ich mich da noch auf? Was ich auch anstellen mag,
es wird mich schon die Auflösung ergreifen! Wenn aber das andere der Fall
ist, dann beuge ich mich in Ehrfurcht, bin guten Mutes und voll Vertrauen auf
den Weltenlenker. S .67 [...]
Wenn die Götter über mich und das, was mir widerfahren
soll, Ratschlüsse gefaßt haben, dann haben sie gute Ratschlüsse
gefaßt. Denn einen ratlosen Gott kann man sich nicht einmal ohne Mühe
vorstellen. Aus welchem Grunde hätten sie auch beschließen sollen,
mir Böses zu tun? Was für einen Nutzen hätten sie oder das Weltall
denn davon gehabt, für das sie doch vor allem sorgen?
Wenn sie aber nicht über mich persönlich ihre Ratschlüsse gefaßt
haben, so haben sie doch sicher über das Weltganze ihre Beschlüsse
gefassst, und auch das, was <mir> als eine Nebenfolge solcher Beschlüsse
widerfährt, muss ich willkommen heißen und liebhaben. Wenn sie
aber wirklich über gar nichts ihre Ratschlüsse fassen — ein
gottloser Gedanke! Dann laß uns nicht mehr opfern oder beten oder schwören
oder all die anderen Dinge tun, die wir im Hinblick auf die Götter in dem
Glauben tun, dass sie gegenwärtig sind und unter uns weilen — wenn
sie sich also wirklich um nichts kümmern, was uns angeht, so habe ich doch
die Möglichkeit, mich um mich selber zu kümmern, und die Fähigkeit,
darüber nachzudenken, was mir wahrhaft vorteilhaft ist. Für einen
jeden ist aber das vorteilhaft, was seiner eigenen Veranlagung und Natur entspricht.
Meine Natur aber hat die Fähigkeit zu vernünftigem Denken und das
Gefühl der Zusammengehörigkeit mit meinen Mitmenschen. Vaterstadt
und -land ist für mich als Antoninus Rom, als Menschen der Kosmos. Was
also diesen Staaten förderlich ist, das allein ist für mich nützlich.
Alles, was jedem einzelnen von uns widerfährt, ist dem Weltganzen förderlich.
Das müsste schon genügen. Aber du wirst bei ernstem Nachdenken
auch das als durchweg gültig anerkennen: alles was für einen beliebigen
Menschen förderlich ist, ist es auch für die anderen Menschen. Der
Begriff »förderlich« soll aber in diesem Falle in allgemeinerem
Sinn von den »mittleren« Dingen verstanden werden. S.79-80
[...]
Alle Dinge sind miteinander verflochten, und ihr Band ist heilig. Schwerlich ist eins dem anderen fremd. Denn sie bilden ja zusammen ein Ganzes und tragen zusammen zu ein und derselben Weltordnung bei. Denn eine Welt wird aus allen Dingen, und eine göttliche Macht durchdringt alle Dinge, und einen einzigen Urstoff gibt es und ein einziges Gesetz: die allen denkenden Wesen gemeinsame Vernunft und eine einzige Wahrheit, wenn anders es auch eine einzige Vollkommenheit der Wesen gibt, die desselben Geschlechts sind und an derselben Vernunft teilhaben. S.86 [...]
Gottseligkeit ist eine gute Gottheit <im Menschen> oder ein guter Geist. Was tust du also hier, Einbildung? Weiche von mir, in Gottes Namen, wie du gekommen bist! Ich brauche dich nicht. Gekommen bist du nach deiner alten Gewohnheit; ich nehme es dir nicht übel. Nur scher dich fort! S.88 [...]
Die Götter, die doch unsterblich sind, sind nicht darüber
ungehalten, daß sie in so unendlicher Zeit dauernd so minderwertige Menschen
ertragen müssen. Ja, sie sorgen sogar für sie in jeder Weise! Du aber,
dessen Leben schon beinah abgelaufen ist, willst verzagen? Und nun gar, wo du
selber einer jener Minderwertigen bist?
Es ist lächerlich, die eigene Schlechtigkeit nicht zu fliehen, was doch
möglich ist, dagegen die seiner Mitmenschen zu fliehen, was doch unmöglich
ist. S.101 [...]
Die Kreisläufe des Kosmos sind immer dieselben: auf und nieder von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und entweder richtet sich die Vernunft des Alls auf jedes einzelne Ding — wenn das so ist, nimm ihren Antrieb <deinerseits> auf—, oder sie hat ein für allemal den Anstoß gegeben, während alles andere nur infolge einer Nebenwirkung geschieht... denn gewissermaßen sind es Atome oder unteilbare Dinge. Überhaupt: wenn eine Gottheit die Welt regiert, ist alles gut; wenn aber der Zufall herrscht, darf doch darum dein Leben nicht gleichfalls ein Spiel des Zufalls sein! Bald wird uns alle die Erde verhüllen, dann wird sie sich ebenfalls verwandeln, und jenes <Neue> wird sich ins Unendliche wandeln, und dies wieder ins Unendliche. Denn wenn jemand das Übereinanderwogen und die Schnelligkeit der Wandlungen und Veränderungen bedenkt, wird er alles Vergängliche verachten. S.129-130 [...]
Gott sieht alle Seelen von ihren körperlichen Gefäßen, Rinden und Hüllen entblößt. Er berührt ja nur mit seiner eigenen Denkkraft die von ihm selber in diese geflossenen und abgeleiteten Denkkräfte. Wenn auch du dich gewöhnst, das zu tun, dann wirst du deiner ewigen Unruhe ein Ende machen. Denn wer für das ihn umgebende Fleisch kein Auge hat, der sollte die Zeit vergeuden, indem er auf Kleidung, Wohnung und guten Ruf bei den Menschen und Vermummungen und Scheinausstattungen solcher Art achtet? S.169-170 [...]
Wie in aller Welt haben die Götter, die alles schön und voll Liebe zu den Menschen geordnet haben, dies eine übersehen können, dass einige Menschen, und zwar solche, die besonders gut sind und sozusagen mit der Gottheit in den innigsten Beziehungen stehen und durch fromme Werke und heilige Handlungen zu der Gottheit in ein ganz vertrautes Verhältnis getreten sind — dass diese, wenn sie einmal gestorben sind, nicht zum zweiten Male auf die Welt kommen, sondern für alle Ewigkeit ausgelöscht sind! — Wenn sich das wirklich so verhält, dann hätten sie — davon kannst du überzeugt sein - wenn es anders sein müsste, es auch so gefügt! Denn wenn es gerecht gewesen wäre, wäre es auch möglich gewesen, und wenn gemäß der Natur, dann hätte es diese auch so mit sich gebracht. Du musst daher aus der Tatsache, dass es nicht so ist — wenn anders es nicht so ist —, die Überzeugung gewinnen, dass es so nicht hat sein sollen. Du siehst ja auch selber, dass du durch solch müßiges Grübeln <nur> mit der Gottheit rechtest. Wir würden aber nicht in der Weise mit den Göttern sprechen, wenn sie nicht die besten und gerechtestcn wären. Wenn das aber der Fall ist, dann wurden sie nichts übersehen haben, was in der Weltordnung zu Unrecht und ohne vernünftigen Grund vernachlässigt worden wäre. S.171-172 [...]
Entweder herrscht der Zwang des Verhängnisses und eine unverbrüchliche
Ordnung oder eine gütige Vorsehung oder ein sinnloses Chaos ohne eine lenkende
Macht. Wenn ein unverbrüchlicher Zwang, was sträubst du dich da? Wenn
aber eine Vorsehung, die der Versöhnung zugänglich ist, dann erweise
dich selber der göttlichen Hilfe würdig. Wenn aber ein Wirrwarr ohne
lenkende Macht, dann sei froh, daß du in solchem Wogenschwall in dir selber
einen lenkenden Geist besitzest! Und wenn dich der Wogenschwall fortreisst,
dann mag er das elende Fleisch, das bisschen Lebenshauch und das übrige
fortreissen. Denn deinen Geist wird er nicht fortreissen! S.173
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 4, Marc Aurel, Selbstbetrachtungen (S.62-63, 66-67, 79-80, 86, 88, 101,
129-130, 169-173)
Übertragen und mit einer Einleitung von Wilhelm Capelle
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlags, Stuttgart