Makarius der Ägypter, auch der Große oder Ältere genannt (300 – 390)

 

Ägyptischer Mystiker und Mönch, der als Einsiedler in der sketischen Wüste lebte und im Alter 40 Jahren wahrscheinlich auf Anraten des heiligen Antonius zum Priester geweiht wurde, um seiner weit zerstreut in Zellen lebenden Anhängerschaft die Teilnahme an der Feier der heiligen Mysterien zu ermöglichen. Die unter seinem Namen überlieferten Handschriften sind unecht. Sie stammen aus den Kreisen der häretischen Messalianer. Als mystisch-asketisches Werk genossen sie einen hohen Ruf und waren sehr verbreitet. Sie beeindruckten vor allem durch ihre Gebetslehre und Lichtmetaphorik. Die mystische Vereinigung mit Gott soll durch innigste Reue und Askese erreicht werden.

Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon


Inhaltsverzeichnis
Leiblichkeit des unbegrenzten, unzugänglichen und erhabenen Gottes, Alles Sichtbare ist ein Schatten,
Reich des Lichts, Wonnevolles Schauen, Heilige Seelen, Notwendigkeit und Nutzen der Anfechtungen,
Fromme Seelen

Leiblichkeit des unbegrenzten, unzugänglichen und erhabenen Gottes
Leiblichkeit angenommen hat der unbegrenzte, unzugängliche und erhabene Gott, aus grenzenloser, unbegreiflicher Huld. Er hat sozusagen seine unzugängliche Herrlichkeit gemindert, um sich mit seinen sichtbaren Geschöpfen wie auch mit den Seelen von Engeln und Heiligen vereinigen zu können... Er zog die Glieder dieses Leibes an und umfing sich selbst, indem er seine unnahbare Herrlichkeit hintansetzte.

(Und immerfort), aus Milde und aus Menschenfreundlichkeit, gestaltet er sich um und macht sich körperlich, vereinigt sich aufs innigste mit den heiligen, ihm wohlgefälligen, gläubigen Seelen und wird nach St. Paulus mit ihnen zu »einem Geist«. Seele wird gleichsam zu Seele, Wesen zu Wesen, auf daß die Seele im neuen Leben wandle und unsterbliches Leben verkoste und unvergänglicher Herrlichkeit teilhaftig werden könne, so sie seiner wert und ihm wohlgefällig ist.

In unaussprechlicher Huld und Güte also gleicht er sich den heiligen, würdigen und gläubigen Seelen an, läßt sich — der Unsichtbare — sehen, läßt sich — der Untastbareerfühlen, entsprechend der erhabenen Natur der Seele; so soll sie seine Süßigkeit empfinden und die Lieblichkeit seiner unaussprechlichen Lichtwonne in unmittelbarer Erfahrung verkosten. So wird er, wenn er will, ein Feuer, das jede böse, von außen eingeführte Leidenschaft der Seele verzehrt: »Ein verzehrend Feuer ist unser Gott« — so wird er, wenn er will, eine unaussprechliche, unsagbare Ruhe, auf daß die Seele seine göttliche Ruhe koste — so wird er, wenn es ihm gefällt, ein wonniger Friede, der die Seele freundlich labt . . .

Selbst in Speise und Trank verwandelt sich der Herr, wie im Evangelium geschrieben steht: »Wer von diesem Brote ißt, wird leben in Ewigkeit«, um die Seele unaussprechlich zu erquicken und mit geistigem Troste zu erfüllen. Denn »ich bin das Brot des Lebens«, spricht er; und wird uns auch zum himmlischen Trank: »Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, in dem wird es zur Quelle eines Wassers, das ins ewige Leben strömt« und »wir alle trinken von einem Trank«.

So ist er den heiligen Vätern erschienen, einem jeden nach seinem Wohlgefallen: anders dem Abraham, anders dem Isaak, anders dem Jakob, anders Noe, David, Daniel, Salomo, anders Isaias und den heiligen Propheten sonst, anders dem Elias und anders dem Moses . . .: Einem jeden der Heiligen ist er erschienen, wie er wollte, um sie zu Erquickung, Heil und Erkenntnis Gottes zu führen. Denn alles ist ihm leicht, was er nur will. Nach seinem Ratschluß läßt er sich hernieder, wandelt sich in leibliche Erscheinung und offenbart sich denen, die ihn lieben, in unzugänglichem Lichtglanz, in großer, unaussprechlicher Liebe, nach seiner Macht: den Seelen, die er würdig macht.
Wer durch inniges Verlangen, durch Hoffen, Glauben, Lieben dessen würdig ward, die »Kraft aus der Höhe«, die himmlische Liebe des Geistes in sich aufzunehmen, worin die Himmelsglut unsterblichen Lebens eingeschlossen ist: der wird in Wahrheit frei von aller Liebe der Welt und gelöst von jeder Fessel der Bosheit.

Alles Sichtbare ist ein Schatten
Alles Sichtbare ist ein Schatten dessen, was in der Seele vor sich geht. Denn neben dem sichtbaren Menschen ist noch ein anderer, der innere Mensch.

Als Gott diesen Leib schuf, verlieh er ihm nicht die Kraft, aus seiner eigenen Kraft das Leben zu haben (Speise, Trank, Kleider, Schuhe), vielmehr sollte er seinen ganzen Lebensbedarf von außen aufnehmen; denn der Leib ist nackend geschaffen und es ist ihm unmöglich, zu leben ohne die Außenwelt, ohne Speise, Trank, Kleidung; wollte er nur auf sich selbst sich stellen, ohne etwas von außen zu empfangen: er würde sterben und verderben. So ist es auch mit der Seele. Sie hat nicht aus sich selbst das göttliche Licht. Doch ist sie nach Gottes Bild geschaffen. Denn so hat es Gott gewollt, daß sie das ewige Leben habe; nicht aus ihrer eigenen Natur, sondern aus seinem göttlichen Wesen, aus seinem göttlichen Lichte: geistige Speise und Trank und himmlische Gewandung. Darin besteht das wahre Leben der Seele.
Der Herr ist es, der unseren Seelen anzieht das Gewand des unaussprechlichen Lichtreichs, das Gewand des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe, der Freude, des Friedens, des Wohlwollens, der Güte und alle die göttlichen Segensgewänder des Lichtes, des Lebens, unsagbarer Wonne. Denn wie Gott selbst Liebe ist und Freude und Friede und wohlwollende Güte, so soll es auch der neue Mensch aus Gnade werden.

(Geheimnis ist es): Wenn du, ein Mensch, anfangen wolltest, die Gedanken Gottes zu erforschen und zu sprechen: »Ich habe es gefunden, ich habe es erfaßt!« — so wird es sich zeigen, daß dein menschlicher Verstand Gottes Gedanken übersteigen will. Allein da bist du in einem schweren Irrtum befangen. Denn je mehr du es im Denken ergründen und je mehr du eindringen willst, in desto tieferen Abgrund gerätst du, um so weniger begreifst du.

Schon die Gedanken, die dir über das Was und Wie seines natürlichen Wirkens in dir kommen, sind unaussprechlich und unbegreiflich. Du kannst sie nur dankbar annehmen und glauben. Oder warst du imstande, von deiner Geburt bis zum heurigen Tag, deine Seele zu erkennen? Laß mich die Gedanken wissen, die von Morgen bis Abend in dir aufsteigen! Sag mir deine Gedanken von drei Tagen her! Umsonst, du kannst es nicht. Wenn du nicht einmal die Gedanken deiner Seele erfassen kannst, wie könntest du dann die Gedanken und den Sinn Gottes erforschen? Jß Brot, wie du willst, und laß die ganze Erde fahren! Geh hin an das Ufer des Flusses und trinke, soviel du nötig hast: geh wieder fort und forsche nicht, woher er kommt oder wie er fließt! Laß schleunigst deinen Fuß dir heilen oder dein krankes Auge, damit du das Licht der Sonne siehst — aber grüble nicht, wie viel Licht die Sonne habe, in welchem Tierzeichen sie aufgebe! Was dir zu deinem Gebrauche zukommt, nimm es! Was steigst du auf die Berge und fragst, wieviele Waldesel und wilde Tiere dort weiden? Kommt das Kindlein an die Mutterbrust, so wird es gesäugt und genährt; es versteht nicht, nach der Wurzel oder der Quelle zu forschen, woraus ihm seine Nahrung fließt: es saugt die Milch und trinkt, soviel vorhanden; zu einer andern Stunde hat sich die Brust von neuem gefüllt. Wie das geht, weiß weder das Kind noch seine Mutter. Und doch fließt die Milch aus allen Gliedern der Mutter.

Reich des Lichts
Verborgen ist das Reich der Finsternis und die Sünde in der Seele bis zum Tag der Auferstehung. Und ebenso geheimnisvoll ist auch das Reich des Lichtes und das himmlische Bild, Jesus Christus, das die Seele der Heiligen erleuchtet und darinnen herrscht. Verborgen ist Christus vor den Augen der Menschen. Und doch — den Augen der Seele ist er wahrhaft sichtbar bis zum Tage der Auferstehung, wo dann auch der Leib selbst umhüllt und verklärt wird von dem Licht des Herrn, das jetzt schon innewohnt der menschlichen Seele.
Die gewürdigt wurden, »Gotteskinder« zu werden, »von oben geboren« aus dem Heiligen Geist — die Christus in sich haben, der in ihnen leuchtet und sie erquickt: die stehen in mannigfacher Weise unter Führung des Geistes und erfahren unsichtbar im herzen in geistiger Anregung das Wirken der Gnade.

Zuweilen genießen sie Freude wie bei einem königlichen Gastmahl und frohlocken in unaussprechlicher Wonne und Freude. Zu einer andern Stunde sind sie wie eine Braut, die in der Gemeinschaft ihres Bräutigams göttliche Wonne genießt. Bald sind sie wie körperlose Engel, so leicht bewegen sie sich in ihrem Leibe. Bald sind sie wie von einem Tranke berauscht, freudetrunken im Geiste von der Labung göttlicher Mysterien.

Dann wieder weinen und wehklagen sie gleichsam für das Menschengeschlecht und schütten ihr Flehen aus für die ganze Gemeinschaft Adams — trauern und weinen, weil sie entflammt sind von der »Liebe des Geistes« zur Menschheit.

Und wiederum werden sie warm von solcher Wonne und Liebe des Geistes, daß sie, wenn möglich, alle Menschen ohne Unterschied zwischen Guten und Bösen in ihr Herz schließen möchten. Jetzt, da ihnen das Zeichen des Kreuzes erschienen, wirkt so mächtig die Gnade und strömt in alle Glieder und in das Herz einen solchen Frieden, daß die Seele vor lauter Glück wie ein unschuldsvolles Kind erscheint. Da verurteilt der Mensch nicht mehr den Griechen oder Juden, den Sünder oder Weltmenschen; vielmehr schaut der innere Mensch alle Menschen mir reinem Auge und freut sich über die ganze Welt und will Griechen wie Juden aus ganzer Seele lieben in heiliger Ehrfurcht.
Jetzt erniedrigt er sich in Demut des Geistes derart unter alle Menschen, daß er sich für den allerletzten und allergeringsten hält; da wird man vom Geiste in unaussprechlicher Freude erhalten.

Zu einer anderen Zeit ist er wie ein Held, der die Waffenrüstung des Königs nimmt und in den Kampf gegen die Feinde zieht, tapfer kämpfend und siegend. Denn der Geistesmensch weiß auch zu ergreifen die Waffen des Geistes, die himmlischen, zieht gegen seine Feinde zu Felde, kämpft gegen sie und »unterwirft sie seinen Füßen«.

Zuweilen lebt die Seele in großer Ruhe. Es ist stille in ihr. Sie genießt nur geistige Freude, unendliche Wonne und Seligkeit. Ein andermal wird sie von der Gnade in unaussprechlicher Einsicht und Weisheit belehrt und in erhabener Geisteserkenntnis in Dingen, die nicht auszusprechen vermag eines Menschen Zunge und Mund. Zu anderen Zeiten ist sie wie ein gewöhnlicher Mensch.

So waltet auf mancherlei Weise die Gnade im Menschen und leitet die Seele verschieden, erquickt sie nach Gottes Willen und übt sie gar mannigfach zu dem Ziele, sie dem himmlischen Vater vollkommen darzustellen in lauterer Schönheit.

Unablässig ist die Gnade mit dem Menschen zusammen. Sie ist in ihm festgewurzelt, und er ist von ihr durchwirkt von zarter Jugend an. Sie ist ihm gleichsam zur zweiten Natur geworden und bildet mit dem Menschen zusammen gleichsam nur ein Wesen. Doch wirkt sie mannigfach in ihm, nach eigenem Gesetz, zu seinem Heil. Wie das Feuer bald stärker brennt und flammt, bald etwas schwächer und milder; wie das Licht zeitweise heller scheint und leuchtet, dann aber zurückgeht und matt erscheint: so brennt auch die innere Lampe, einmal entzündet, und leuchtet immerfort, bald stärker aufflammend, genährt von Gottesliebe, bald stiller, sanfte Glut, obgleich sie immer da ist. So ist es Gottes Plan.

Wonnevolles Schauen
Einigen erschien das Zeichen des Kreuzes in einem Lichtglanz und drückte sich dem inneren Menschen ein. Bisweilen geriet ein Mensch beim Gebet wie in Ekstase, fand sich in der Kirche vor dem Altare stehend . . . oder wie mit einem Lichtgewand bekleidet, wie es in dieser Welt nicht gibt und von Menschenhänden nicht kann gemacht werden...

Zu anderer Zeit öffnet das innerliche Licht ein noch tiefer verborgenes Leuchten und wird der Mensch ganz und gar versenkt in jenes wonnevolle Schauen, da er sich selbst nicht mehr besitzt und dieser Welt wie ein Tor und Fremder wird infolge der überschwenglichen, süßen Liebe und der verborgenen Geheimnisse . . . Da schickt sich einer zur Kniebeuge an, und sein Herz wird erfüllt von göttlicher Kraft, und seine Seele frohlockt im Herrn, ihrem Bräutigam: »Wie sich der Bräutigam freuet über die Braut, so freuet sich über dich der Herr«, nach Isaias. Ein anderer ist den ganzen Tag beschäftigt, eine einzige Stunde weiht er dem Gebet; und doch wird zuweilen der innere Mensch zur Anbetung mit fortgerissen in eine unermeßliche Tiefe jener andern Welt, in solcher Wonne, daß der Verstand ganz entrückt dorthin versetzt ist und hier fremd. In solchen Augenblicken vergißt man die Gedanken irdischen Denkens. Der Geist ist erfüllt und gefesselt von himmlischen, göttlichen, unendlichen, unbegreiflichen Dingen, von Wunderwerken, die keines Menschen Mund aussprechen kann. Er kann nur mehr beten und sprechen in solcher Stunde:

»O, könnte doch meine Seele betend von hinnen scheiden«!

Solche Geistwirkungen verraten die hohe Stufe von Menschen, die der Vollkommenheit nahe sind. Verschiedene Namen zwar gibt man den erwähnten Heimsuchungen, doch sind sie unablässig in ihnen wirksam, bald so, bald anders, und eine folgt auf die andere. Denn ist die Seele zur geistigen Vollkommenheit gelangt, von allen Leidenschaften vollkommen gereinigt, mit dem Beistand-Geist geeint in unaussprechlicher Gemeinschaft: da wird innigst sie, weil verschmolzen mit dem Geiste, selbst gewürdigt, Geist zu werden, ganz Licht, ganz Auge, ganz Geist, ganz Freude, ganz Wonne, ganz Jubel, ganz Liebe, ganz Erbarmen, ganz Güte, ganz Milde. Wie in der Meerestiefe ein Stein von allen Seiten mit Wasser umgeben ist, so sind diese ganz und gar mit dem Heiligen Geist vereinigt und christusförmig geworden. Sie tragen die starken Geistestugenden unwandelbar in sich, sie sind im Innern lauter, makellos und rein geworden.

Wie könnten sie, durch den Geist geordnet, eine Frucht der Bosheit hervorbringen? Nein, immer und allenthalben leuchten in ihnen die Früchte des Geistes.

Darum laßt uns zu Gott flehen und bitten in starker Liebe und in hoffender Zuversicht, er wolle uns das himmlische Gnadenge¬schenk des Geistes geben, es möge auch uns der Geist ganz nach Gottes Willen leiten und führen und uns mit seinem mannigfa¬chen Trost erfreuen, auf daß wir in der Kraft solcher Leitung und Stählung der Gnade geistigen Fortschritts gewürdigt werden und zur Vollkommenheit und Vollendung Christi gelangen, wie der Apostel sagt: »Bis wir alle hingelangen zur vollen Mannesreife, zum Vollmaß der Vollkommenheit Christi«.

Freilich, es gibt eine Zeit, wo das Licht stärker brennt, erfreut und erquickt, und es gibt eine Zeit, wo es zurückgeht und düster aussieht, je nachdem die Gnade zum Besten des Menschen es bestimmt. Wer ist wohl je zur höchsten Stufe der Vollendung gelangt und hat in innerer Erfahrung jene innere Welt verkostet?

Ich habe noch keinen vollkommenen oder ganz freien Christenmenschen gesehen. Im Gegenteil, mag einer auch von der Gnade erquickt werden, mag er eindringen in die höchsten Geheimnisse und Offenbarungen und in den gewaltigen Wonnezauber der Gnade — es ist doch auch die Sünde noch immer in seinem Innern. Gar mancher hält sich wegen der überströmenden Gnade und des inneren Lichtes für frei und vollkommen, und im Besitze der Gnadenkraft gibt er sich Täuschungen hin in seiner Unerfahrenheit Ich habe aber noch keinen frei gesehen. Auch ich habe zu gewissen Zeilen jene Stufe zum Teil erstiegen — darum weiß ich aus Erfahrung, daß der Mensch nicht vollkommen ist.

Lebte der Mensch in seinem Geiste immerfort in jener Wunderwelt, die ihm gezeigt wurde und die er innerlich erlebte, er wäre nicht mehr imstande, den Beruf oder die Bürde des Wortes auf sich zu nehmen. Er wäre nicht mehr imstande, Verkehr zu pflegen, für seine Bedürfnisse, für den morgigen Tag zu sorgen. Er würde nur in einem Winkel sitzen, erdentrückt, ein Trunkener. Darum wird ihm die höchste Stufe der Vollkommenheit nicht gewährt, damit er für die Brüder Sorge tragen und den Dienst des Wortes verwalten könne.

Gleichwohl ist die trennende Scheidewand gefallen, der Tod besiegt. Die Wahrheit offenbart sich den gläubigen Seelen. Und die Wahrheit zwingt den Menschen, Wahrheit zu suchen. Der himmlische Mensch hat sich geeint mit deinem Menschen, und es entsteht eine Gemeinschaft. Alle, die dienstfertig sind und ihr Werk bereitwilligst tun in Eifer, Glaube und Liebe zu Gott, die gelangen hierdurch nach einiger Zeit zur Erkenntnis der Wahrheit in sich selbst. Denn der Herr offenbart sich ihren Seelen und lehrt sie wandeln nach dem Heiligen Geiste.

Heilige Seelen
In den heiligen Seelen führt der Geist Christi die Zügel. Er treibt sie, und lenkt sie, wohin er will — wenn er will, in himmlischen Gedanken, wenn er will, im Leibe. Und wo er es will, da dienen sie ihm. Denn wie für die Vogel Flügel sind statt Füßen, so erfaßt das himmlische Wehen des Geistes die guten Seelengedanken gleich Flügeln, und leitet und lenkt sie, wie es ihm gefällt.

Die so brennen von himmlischer Sehnsucht und keuschem, heiligem Geistverlangen, deren Seele verwundet ist von der inbrünstigen Liebe zu Gott, bedrängt von jenem himmlischen, göttlichen Feuer, das da der Herr »auf die Erde zu bringen gekommen ist, auf daß es brenne«, die entflammt sind von heiliger Sehnsucht nach Christus —: sie halten all die hochgepriesenen Dinge der Welt für nichtig und hassenswert. Denn das Feuer der Liebe Christi bedrängt sie, entzündet und entflammt sie für die Liebe zu Gott und die himmlischen Güter der Liebe. Und nichts vermag sie zu trennen von dieser Liebe, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, wie Sankt Paulus bezeugt:

»Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi«?

Den Besitz seiner selbst und der himmlischen Liebe des Geistes kann nur ein solcher erlangen, der sich frei macht innerlich von allen Dingen der Welt. . . Mit Macht oder Ruhm, mit Ehren oder fleischlichen Freundschaften der Welt oder mit anderen irdischen Sorgen darf sein Geist sich nicht abgeben, . und ganz geduldig muß er harren der Ankunft des Geistes, wie der Herr sagt: »Durch eure Geduld werdet ihr eure Seelen besitzen« und »Suchet das Reich Gottes, und alles andere wird euch hinzugegeben werden«.

In großer Ruhe, in Frieden und Stille soll man dem Herrn sich nahen. Nicht mit ungeziemendem, verworrenem Schreien soll man seine Gebete verrichten, sondern andächtigen Herzens und nüchternen Geistes sich sammeln im Herrn ... Es gibt Leute, die — wenn auch gesund im übrigen — sei es aus Mangel an seelischer Bildung, sei es aus Sucht aufzufallen, aus dem Gebet ein zuchtloses Schreien machen, als könnten sie dadurch Gott gefallen. Der Diener Gottes aber darf nicht in aufgeregter Hast leben, sondern in weiser Gelassenheit . . . Denn »im sanften Säuseln der Luft war der Herr«, in Frieden und Ruhe schenkt der Herr seine Erquickung.

Die wahrheitsuchenden, Gott liebenden Seelen, die in starker Hoffnung und vollkommenem Glauben Christus vollkommen anzuziehen verlangen, brauchen nicht erst erinnert zu werden von andern an die Sehnsucht nach dem Himmel und an die Liebe zum Herrn. Mögen sie Nachteil und Beschwernisse haben: sie sind ganz an das Kreuz Christi geheftet und nehmen Tag für Tag einen geistigen Fortschritt in sich wahr, der sie näher bringt dem Bräutigam ihrer Seele. Verwundet von himmlischer Sehnsucht und hungernd nach der Gerechtigkeit eines heiligen Lebens, empfangen sie die Erleuchtung des Geistes in inniger, immer neuer Sehnsucht. Oh sie auch durch den Glauben Einsicht gewinnen dürfen in die Geheimnisse Gottes, ob sie auch himmlischer Wonnen der Gnade teilhaft werden — sie setzen doch ihr Vertrauen nicht auf sich selbst, als wären sie etwas . . .

Vielmehr, je größer ihr geistiger Reichtum, um so ärmer kommen sie sich vor. In ihrem Geiste glüht nur das große, unstillbare Verlangen nach dem himmlischen Bräutigam: denn »wer mich kostet, hungert noch, und wer mich trinkt, dürstet noch weiter«.

Die wahrhaft Gott und Christus liebende Seele mag tausend Werke der Gerechtigkeit vollbracht haben, in ihrem unstillbaren Verlangen nach dem Herrn ist es nicht anders, als hätte sie noch nichts getan. Und hätte sie sich aufgerieben durch Fasten und Wachen, so ist es ihr, als hätte sie noch nicht angefangen in der Übung der Tugend. Und wäre sie mannigfaltiger Geistesgaben gewürdigt und schaute himmlische Offenbarungen und Geheimnisse — in ihrer unermeßlichen Liebe zum Herrn ist es ihr doch, als besäße sie nichts ...

Das Antlitz enthüllt, das Auge unverwandt gerichtet auf den himmlischen Bräutigam in seinem unaussprechlichen geistigen Lichte, gewinnt sie die Vereinigung mit ihm in aller Gewißheit . . .


Geläutert durch den Heiligen Geist, geheiligt an Leib und Seele, wird sie ein reines Gefäß zur Aufnahme des himmlischen Salböls, gewürdigt, eine Wohnstatt zu werden des himmlischen, wahren Königs: Christus.

Dahin kann die Seele nicht auf einmal gelangen und nicht ohne Bewährung. Erst durch viel Mühe und Kampf, erst nach langer Zeit und eifrigem Streben, unter allerlei Prüfung und Versuchung erlangt sie das geistige Wachstum und schreitet fort zum Ziel der Vollendung, wo die Leidenschaft schweigt. So sie aber aushält in jeder Versuchung, die ihr die Bosheit bereitet, in tapferem Mute, so wird sie der hohen Ehren gewürdigt und teilhaft geistiger Gnaden und himmlischen Reichtums: »Erbe des Himmelreichs«, »in Christus Jesus, unserem Herrn«, dem Ehre und Macht sei in Ewigkeit.

Wahrlich, es ist etwas Liebliches, wenn eine Seele sich gänzlich dem Herrn weiht und nur ihm anhängt. Wahrhaft glücklich und selig ist eine Seele, die von Geistes Liebe erfaßt, Gott, dem ewigen Worte, würdig anverlobt ward. Nun soll sie rufen, ja ausrufen soll sie: »Es juble meine Seele im Herrn! Denn er hat mich bekleidet mit dem Gewande des Heils, mich umgeben mit dem Kleide der Wonne. Wie einen Bräutigam hat er mich geschmückt mit der Krone, wie eine Braut mit Geschmeide«! Verlangend nach ihrer Schönheit hat sich gewürdigt der König der Herrlichkeit, sie nicht bloß zu Gottes Tempel zu machen, sondern sogar zur Königstochter und Königin! Zur Königstochter, da sie als Kind angenommen ward vom Vater der Lichter, zur Königin, da sie vermählt ward mit des Eingeborenen göttlicher Herrlichkeit.

Bist du also ein »Thron Gottes« geworden und ist über dich gekommen der himmlische Lenker, — ist deine Seele ganz geistiges Auge, ganz Licht geworden — bist du genährt mir jener geistigen Speise und getränkt mit lebendigem Wasser — hast du angetan die Gewänder des Lichtes, des unaussprechlichen — ist all das deinem inneren Menschen zu Erfahrung und Gewißheit geworden —: siehe, so lebst du das wahrhaft ewige Leben! Denn von diesem Augenblick an ruht deine Seele im Herrn. Du hast es in Wahrheit vom Herrn verlangt, ein wahres Leben zu leben.

Bist du dir aber nichts von dem bewußt, dann weine und trauere und klage, daß du noch nicht gewonnen den ewigen, geistigen Schatz, noch nicht empfangen das wahre Leben! Und dann habe Sorge ob deiner Armut und flehe Tag und Nacht zum Herrn, weil du in die schreckliche Armut der Sünde geraten! O daß doch der Mensch sich Sorge machte ob seiner Armut! Daß wir doch nicht wie Satte dahinlebten in Sorglosigkeit!

Wer Sorge hat, wer sucht und ohne Unterlaß flehet zum Herrn, dem wird gar schnell die Erlösung werden und himmlischer Reichtum, wie der Herr es verheißen …
Ihm sei Ehre und Macht in Ewigkeit! Amen. S.178ff.
Aus: Der mystische Strom. Von Paulus bis Thomas von Aquin. Von Otto Karrer. Verlag Ars Sacra Josef Müller, München

Notwendigkeit und Nutzen der Anfechtungen
Die Pilger können ohne Anfechtungen nicht durchkommen. – Bei dem Gebären hat die Königin – wie das arme Weib – Schmerzen, und der Acker des Reichen wie des Armen kann keine Frucht bringen, wenn er nicht Regen empfängt. – So ist es auch mit der Bearbeitung der Seele: weder der Reiche, noch der Weise erringt eine feste Haltung in der Gnade anders, als durch viele Mühseligkeiten, Trübsale und Geduld.

Fromme Seelen
Obschon das Gold zu einem Meisterwerke der Kunst umgebildet ist, so unterscheidet man doch des Goldschmiedes Kunst daran so lange nicht, als es in einem düsteren Gemache eingeschlossen bleibt; kommt es aber an die Sonne, so blinket die Schönheit des Werkes desto klarer hervor. – So können die herrlichen Werke, womit die Seelen der Frommen geschmückt sind, nicht vollkommen gesehen werden, so lange sie im Gemache des sterblichen Körpers eingeschlossen sind, sondern wenn sie an die Sonne kommen, welche die Gottheit ist. S.131f.
Aus: Geistliche Lotterie oder auserlesene Sammlung heilsamer Gedanken und wichtiger Grundsätze der christlichen Frömmigkeit von verschiedenen Geisteslehrern, besonders vom heiligen Franz von Sales, Stadtamhof 1840, Druck und Verlag von Joseph Mayr