Niccolo Machiavelli (1469 - 1527)
Italienischer
politischer Schriftsteller, der 1498—1512 Sekretär der Kanzlei des Rats der Zehn in Florenz und in diplomatischer
Mission oft im Ausland war. Die Schaffung und Organisation einer florentinischen
Bürgermiliz seit 1506 geht auf ihn zurück.
Ihr Versagen im Kampf gegen die Spanier (Schlacht
bei Prato, 1512) führte zur Wiederherstellung der Medici-Herrschaft. Machiavelli musste sein Amt aufgeben und lebte seit 1513 nur noch seinen schriftstellerischen
Arbeiten auf seinem Landgut bei San Casciano. Die Medici gaben ihm ab 1519 kleinere Aufträge u. a. für eine »Geschichte der Stadt Florenz«.
1525 erhielt er die Leitung des Stadtmauerbaus,
ein Amt, das er 1527 bei Wiedererrichtung der
Republik verlor. Machiavellis erklärtes
Ziel war die Überwindung der inneren und äußeren Schwächen
der italienischen Staatenwelt. Dabei ging er von einem sehr pessimistischen
Menschenbild aus, nach dem er den Begriff der Staatsräson formte. In
der Macht sah er das ausschlaggebende konstituierendes Element der Politik (Machiavellismus). Seine politischen Schriften sind zwei Staatsformen gewidmet: den Republiken (»Discorsi«) und den Fürstentümern (»Il Principe«, 1513, dt. Der
Fürst). Der »Principe« wurde
zu einem bis in das 18. Jahrhundert hinein grundlegenden Traktat der Fürstenerziehung. Machiavelli schrieb auch Novellen, Gedichte und Komödien. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Über den
Nutzen der Religion
Der erste Gründer Roms war Romulus. Ihm hat es wie Kind Entstehung und
Erziehung zu danken; doch der Himmel hielt die von Romulus geschaffenen Einrichtungen
für ein so großes Reich nicht für ausreichend. Er legte dem
römischen Senat den Gedanken nahe, den Numa Pompilius zu seinem Nachfolger
zu ernennen, damit dieser nachhole, was Romulus versäumt hatte. Numa Pompilius fand noch ein völlig ungebändigtes Volk vor; er wollte es mit friedlichen
Mitteln zu bürgerlichem Gehorsam erziehen. Um sein Ziel zu erreichen, nahm
er seine Zuflucht zur Religion, da er diese als die unentbehrlichste Stütze
der Zivilisation erkannte. Er befestigte diese so sehr, dass mehrere Jahrhunderte
hindurch in keinem Staatswesen größere Gottesfurcht lebendig war
als in der römischen Republik. Diese erleichterte jede Unternehmung des
Senats und der großen Männer Roms. Aus zahllosen Handlungen des gesamten
römischen Volks oder einzelner Römer sieht man, daß die Bürger
sich mehr scheuten, einen Schwur zu brechen als die Gesetze zu verletzen, da
sie die göttliche Macht höher achteten als die der Menschen; die Beispiele
des Scipio und des Manlius Torquatus sind der deutliche Beweis hierfür.
[. . .]
Ebenso wie die Pflege des religiösen Kults die Ursache für die Größe
eines Volks ist, so ist dessen Verächtlichmachung die Ursache seines Verfalls.
Wo Gottesfurcht fehlt, muß ein Reich in Verfall geraten, es müßte
denn sein, daß es durch die Furcht vor einem Machthaber zusammengehalten
wird, die die fehlende Religion ersetzt. Da aber Machthaber nur ein kurzes Leben
haben, muß ein solches Reich sofort in Verfall geraten, wenn die persönliche
Tüchtigkeit des Machthabers weggefallen ist. Deshalb sind Reiche, die einzig
und allein auf der persönlichen Tüchtigkeit eines Mannes beruhen,
nur von kurzer Dauer; denn jene ausgezeichneten Eigenschaften gehen mit dem
Leben desselben dahin, und nur selten werden sie durch die Erbfolge erneuert,
wie Dante richtig sagt:
Selten erbt sich auf die Nachkommenschaft die menschliche Tugend fort; dies
will Gott so, damit man sie von ihm erfleht. [. . .]
Wäre von den Spitzen der Christenheit die christliche Religion erhalten
worden, wie sie ihr Stifter gegründet hat, dann wären die christlichen
Staaten und Länder einträchtiger und glücklicher, als sie es
jetzt sind. Nichts spricht mehr für den Verfall des christlichen Glaubens
als die Tatsache, daß die Völker, die der römischen Kirche,
dem Haupt unseres Bekenntnisses, am nächsten sind, am wenigsten Religion
haben. Wer sich über die Grundlagen der christlichen Religion klar wird
und sieht, wie sehr die derzeitigen Sitten davon abweichen, wird zu der Überzeugung
kommen, daß deren Untergang oder ihre Bestrafung nahe ist.
Da nun einige der Meinung sind, das Gedeihen der italienischen Angelegenheiten
hinge von der römischen Kirche ab, möchte ich gegen diese Meinung
meine Gründe anführen, darunter zwei sehr triftige, die meines Erachtens
nicht widerlegt werden können. Der erste ist, daß unser Land durch
das böse Beispiel des päpstlichen Hofes alle Gottesfurcht und alle
Religion verloren hat, was unzweifelhaft zahllose Übelstände und endlose
Unordnung nach sich zieht; denn wie sich dort, wo Religion lebendig ist, alles
Gute voraussetzen läßt so muß man da, wo die Religion fehlt,
das Gegenteil voraussetzen. Wir Italiener verdanken es also in erster Linie
der Kirche und den Priestern, daß wir religionslos und schlecht geworden
sind. Wir verdanken ihr aber noch etwas Entscheidenderes, was die zweite Ursache
unseres Verfalls ist, und dies ist, daß die Kirche unser Land immer in
Zersplitterung gehalten hat und immer noch in Zersplitterung hält.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 377, Niccolo Machiavelli, Discorsi , Gedanken über Poltik und Staatsführung
Deutsche Gesamtausgabe. Übersetzt, eingeleitet und erläutert von Dr.
Rudolf Zorn (S.43, 45f., 48f.)
© 1977 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart