Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799)
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Deutscher Physiker und Schriftsteller, der seit 1769 bis zu seinem Tode Professor in Göttingen war. Durch Zusätze zu Johann Christian Erxlebens »Anfangsgründe der Naturlehre«, die er herausgab, wurde dieses Werk in einem der verbreitesten und geistreichsten Lehrbücher der Experimentalphysik. Er entdeckte die nach ihm benannten büschelförmigen Lichtenberg‘schen Figuren (Büschelentladung), die entstehen bei Bestäuben einer Platte aus Isolierstoff, längs deren Oberfläche eine elektrische Gleitentladung stattgefunden hat. Seinen Ruhm verdankt Lichtenberg u. a. seinen literarischen Leistungen. Er gab seit 1777 den »Göttinger Taschen-Kalender« und 1780-85 mit Johann Georg Forster ein »Göttingsches Magazin der Wissenschaft und der Literatur« heraus, in denen er viele naturwissenschaftliche und popularphilosophische Aufsätze im Sinne der Aufklärung veröffentlichte. Kritisch wandte er sich gegen das Genietreiben des Sturm und Drang sowie gegen Lavater (»Über Physiognomik«, 1778). Er war auch der erste große Meister des Aphorismus in Deutschland (niedergeschrieben in seinen Tagebüchern, die er als »Sudelbücher« bezeichnete). Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Welt
Gott
Glaube
Gottesverehrung
Offenbarung
Bibel
Teufel
Christus
Die Lehre Christi
Welt
Die Welt so zu erschaffen, wie Epikur, Demokrit, Lesage, ist freilich Verwegenheit. Es kann ganz anders zugegangen sein, allein
das ist das leider nur allzu gemeine Argumentum indolentiae.
Wir sind Teile dieser Welt, Mitbewohner, und der Gedanke, der in uns
lebt und webt, gehört ja auch mit dazu. Da wir nun einmal für allemal in des lieben Gottes Unterhaus
sitzen und er selbst uns Sitz und Stimme aufgetragen hat, sollen wir unsere
Meinung nicht sagen? Wenn wir sie nicht sagen sollten und nicht sagen dürften,
so würden wir sie nicht sagen können. Ich glaube, wozu der menschliche Geist Hang fühlt, (und
wozu fühlt der gute Kopf mehr als zu diesen Versuchen) da soll man
ihn ja gewähren lassen. Es unterbleibt nicht und darf auch nicht unterbleiben,
und kann nicht unterbleiben. Daß eine vernünftige Religionspolizei
hierüber etwas waltet, ist wie ich glaube recht gut. Nur muss dieses
nicht durch gedruckte Befehle im Detail bestimmt geschehen, dieses ist eine
abscheuliche Sache. Denn der Befehl, wenn er auch noch so gut abgefasst
ist, kann sich nicht in das Detail einlassen, und solange er dieses nicht kann,
so kann er ja ebenso vielfältig gedeutet werden als das, dem er Einhalt
tun will. Die Sprache der Mandate und Edikte kann bei solchen Gewissens-Angelegenheiten
unmöglich durchaus bestimmt sein. Lange Mandate werden nicht gelesen, oder
wenn sie gelesen würden, nicht behalten. Man sollte aber nicht deswegen
genauere Beobachter niedersetzen, sondern die, welche die allgemeine Befehle
geben, die generischen, sollten
die daraus entstehenden spezifischen zu
moderieren wissen. Stellen Sie sich vor, was das werden würde, wenn der
liebe Gott einmal die Geschöpfe nach dem Linnéschen System behandeln und füttern wollte. — Die Menschen,
so sehr sie auch im Zeichenbuch einander ähnlich sehen, sind unter sich
unendlich verschieden, und da die Größe überhaupt etwas Relatives
ist, so ist hier eine unendliche Verschiedenheit, und wenn wir die Gesinnungen
der Menschen sehen könnten, wir würden eine Verschiedenheit antreffen,
die für das höchste forschende Auge unendlich sein würde, wir
möchten nun das nennen, wie wir wollten. — Also jede Religions-Polizei
sollte sich so allgemein als möglich in ihren Gesetzen ausdrücken
und privatim korrigieren. S.358 [J 26]
Schon vor vielen Jahren habe ich gedacht, dass unsere Welt das Werk eines untergeordneten Wesens sein könne, und noch kann ich von dem Gedanken nicht zurückkommen. Es ist eine Torheit zu glauben, es wäre keine Welt möglich, worin keine Krankheit, kein Schmerz und kein Tod wäre. Denkt man sich ja doch den Himmel so. Von Prüfungszeit, von allmähliger Ausbildung zu reden, heißt sehr menschlich von Gott denken und ist bloßes Geschwätz. Warum sollte es nicht Stufen von Geistern bis zu Gott hinauf gelten, und unsere Welt das Werk von einem sein können, der die Sache noch nicht recht verstand, ein Versuch? ich meine unser Sonnensystem, oder unser ganzer Nebelstern, der mit der Milchstraße aufhört. Vielleicht sind die Nebelsterne, die Herschel gesehen hat, nichts als eingelieferte Probestücke, oder solche, an denen noch gearbeitet wird. Wenn ich Krieg, Hunger, Armut und Pestilenz betrachte, so kann ich unmöglich glauben, dass alles das Werk eines höchst weisen Wesens sei; oder es muss einen von ihm unabhängigen Stoff gefunden haben, von welchem es einigermaßen beschränkt wurde; so dass dieses mir respektive die beste Welt wäre, wie auch schon häufig gelehrt worden ist. S.464f [I/90,1]
Ich glaube kaum, dass es möglich sein wird zu erweisen, dass wir das Werk eines höchsten Wesens, und nicht vielmehr zum Zeitvertreib von einem sehr unvollkommenen sind zusammengesetzt worden. S.157 [D 409]
Anstatt dass sich die Welt in uns spiegelt, sollten wir vielmehr sagen, unsere Vernunft spiegele sich in der Welt. Wir können nicht anders, wir müssen Ordnung und weise Regierung in der Welt erkennen, dieses folgt aber aus der Einrichtung unsrer Denkkraft. Es ist aber noch keine Folge, dass etwas, was wir notwendig denken müssen, auch wirklich so ist, denn wir haben ja von der wahren Beschaffenheit der Außenwelt gar keinen Begriff, also daraus allein lässt sich kein Gott erweisen . . . . . . . . S.421 [J 998]
In die gewöhnlichen Betrachtungen der Menschen über das Wesen, das die Welt hervorgebracht hat, mischt
sich doch offenbar eine große Menge von frommem
unphilosophischem Unsinn. Der Ausruf, was muss das für ein
Wesen sein, das das alles gemacht hat! ist doch nicht viel besser als der, was
mag das für ein Bergwerk sein, in welchem der Mond ist gefunden worden.
Denn erstlich wäre doch erst einmal zu fragen ob die Welt gemacht worden
ist, und zweitens ob das Wesen, das sie gemacht hat, imstand wäre eine
Repetier-Uhr aus Messing zu machen. Ich meine das Messing zu schmelzen, in Platten
zu schmieden, die Räder zu teilen und zu feilen. Ich glaube nicht, das
kann nur der Mensch und ein vollkommenerer Mensch würde sich noch allerlei
Griffe dabei ersinnen, aber wenn unsere Welt je ist gemacht worden, so hat sie
ein Wesen gemacht das nicht auf der Skale der Menschheit liegt, so wenig als
der Walfisch zum Lerchen-Geschlecht [gehört]. Ich kann daher mich nicht
genug wundern, wenn berühmte Männer sagen, in einem Fliegenflügel
stecke mehr Weisheit als in der künstlichsten Uhr. Der Satz sagt weiter
nichts als, auf dem Wege auf welchem die Uhren gemacht werden kann man keine
Mückenflügel, aber so wie die Mückenflügel gemacht werden
kann man auch keine Repetier-Uhren machen. Man muss billig sein und sich
über dergleichen unnütz frömmelnde Anspielungen wegsetzen. Man
muss es hierbei nicht sagen. Allein
man muss die Kraft besitzen so etwas zu denken, denn die Kraft ist nötig. S.450f [J 1323]
Alles, was wir als Menschen für reell erkennen müssen,
ist es auch wirklich für Menschen. Denn sobald es nicht mehr verstattet
ist, aus einem Naturzwang auf Wirklichkeit zu schließen, so ist an ein
festes Principium gar nicht mehr zu gedenken. Eines ist so ungewiss als
das andere. Wem der Beweis für das Dasein eines höchsten Wesens aus
der Natur (kosmologischer) zwingend ist, der bleibe
dabei; ebenso der, den der theoretische, oder der moralische überzeugt.
Selbst die, die an neuen Beweisen gegrübelt haben, sind vielleicht durch
einen Zwang dazu verleitet worden, den sie sich nicht ganz entwickeln konnten.
Statt uns ihre neuen Beweise zu geben, hätten sie uns die Triebfedern entwickeln sollen, die sie nötigten sie zu suchen, wenn anders nicht
bloß Furcht vor den Konsistorien oder den Regierungen war. S.491
[ L 251]
Gott
Aus der Weisheit Gottes manche Sachen schließen zu wollen, ist nicht viel
besser als es aus seinem eigenen Verstand zu tun. S.105
[C 101]
Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, das heißt vermutlich der Mensch schuf Gott nach dem seinigen. S.139 [D 198]
Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, sagt die Bibel, die Philosophen machen es grade umgekehrt, sie schaffen Gott nach dem ihrigen. S.149 [D272]
Ich bin überzeugt, dass, wenn Gott einmal einen solchen Menschen schaffen [würde], wie ihn sich die Magistri und Professoren der Philosophie vorstellen, er müsste den ersten Tag ins Tollhaus gebracht werden. S.238 [F 32]
Es wäre vielleicht gut bei den metaphysischen Beweisen von der Existenz Gottes, die Wörter unendlich ganz zu vermeiden, oder sie wenigstens nicht eher zu gebrauchen, als bis man erst in der Sache klar ist. S.235 [E 514]
Man kann nicht genug beherzigen, dass die
Existenz eines Gottes, die Unsterblichkeit der Seele u. dergl. bloß gedenkbare, aber nicht erkennbare
Dinge sind. Es sind Gedankenverbindungen, Gedankenspiele, denen nicht etwas
Objektives zu korrespondieren braucht.
S.327 [I/81,2]
Warum hat Gott so viel Angenehmes in das Doppelte gelegt? Mann und Frau, das
Zwei verdient Aufmerksamkeit. Ist es vielleicht mit Leib und Seele
ebenso? S.365 [J 138]
Von Gott gibt es bloß Regeln, eigentlich nur eine Regel und keine
Ausnahmen. Weil wir die oberste Regel nicht kennen, so machen wir General-Regeln,
die es nicht sind, ja es wäre wohl gar möglich, dass das, was
wir Regel nennen, wohl selbst für endliche Wesen Ausnahmen sein könnten. S.373 [J 264]
Ach was wollten wir anfangen, sagte das Mädchen,
wenn der liebe Gott nicht wäre. S.491 [252]
Es wäre eine Frage, ob die bloße Vernunft ohne das Herz je auf einen
Gott verfallen wäre. Nachdem ihn das Herz (die Furcht) erkannt hatte suchte
ihn die Vernunft auch, so wie Bürger die Gespenster. S.493
[L 274]
Ist denn wohl unser Begriff von Gott etwas weiter, als personifizierte Unbegreiflichkeit? S.522 [L 737]
Glaube
Unsere Welt wird noch so fein werden, dass es so
lächerlich sein wird einen Gott zu glauben als heutzutage Gespenster. S.153
[D326]
Der Glaube an einen Gott ist ein Instinkt, er ist dem Menschen
natürlich so wie das Gehen auf 2 Beinen, modifiziert wird er freilich bei
manchen, bei manchen gar erstickt. Regulariter ist er da und ist zur Wohlgestaltheit
des Erkenntnisvermögens unentbehrlich (zur innern Wohlgestalt).
S.373 [J 266]
Eine der schwersten Künste für den Menschen ist wohl die sich Mut zu geben. Diejenigen, denen er fehlt, finden ihn am ersten unter dem lichtigen Schutz eines der ihn besitzt, und der uns dann helfen kann, wenn alles fehlt. Da es nun so viele Leiden in der Welt gibt, denen mit Mut entgegen zu gehen kein menschliches Wesen einem schwachen Trost genug geben kann, so ist die Religion vortrefflich. Sie ist eigentlich die Kunst sich durch Gedanken an Gott ohne weiter andere Mittel Trost und Mut im Leiden zu verschaffen und Kraft demselben entgegen zu arbeiten. Ich habe Menschen gekannt, denen ihr Glück ihr Gott war. Sie glaubten an ein Glück und der Glaube gab ihnen Mut. Mut gab ihnen Glück und Glück Mut. Es ist ein großer Verlust für den Menschen, wenn er die Überzeugung von einem weisen die Welt lenkenden Wesen verloren hat. Ich glaube, es ist dieses eine notwendige Folge alles Studiums der Philosophie und der Natur. Man verliert zwar den Glauben an einen Gott nicht, aber es ist nicht mehr der hilfreiche Gott unsrer Kindheit; es ist ein Wesen, dessen Wege nicht unsere Wege und dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind, und damit ist dem Hilflosen nicht sonderlich viel gedient. S.407 [J 833]
Glaubt ihr denn, dass der liebe Gott katholisch ist? S.482 [L 112]
Gottesverehrung
Das Wort Gottesdienst sollte verlegt,
und nicht mehr vom Kirchengehen, sondern bloß von guten Handlungen gebraucht
werden. S.332 [I/144,2]
Die Allmacht Gottes im Donnerwetter wird nur bewundert entweder zur Zeit da keines ist, oder hinterdrein beim Abzuge. S.422, [J 1024]
Was für ein Kriegen und Streiten und Rennen für Gottes-Verehrung,
man sollte zu manchen Zeiten fast geglaubt haben, der Mensch lebe bloß
um zu beten und Gott zu verehren. Ich bin überzeugt, dass hierin das
meiste bloßer Auswuchs ist. Es gibt
schlechterdings keine andere Art Gott zu verehren, als die Erfüllung seiner
Pflichten, und Handeln nach Gesetzen, die die Vernunft gegeben hat. Es
ist ein Gott kann meiner Meinung nach nichts anderes sagen, als
ich fühle bei aller meiner Freiheit des Willens Recht
zu tun. Was haben wir weiter einen Gott nötig? das ist er.
Wenn man dieses mehr entwickelt, so kömmt man meiner Meinung nach auf Herrn
Kants Satz. Einen Gott der objektive dreinschlüge, wenn ich Unrecht tue,
gibt es nicht, das muß der Richter tun der der Verwalter der Gesetze ist
oder wir selbst. Ich glaube daher auch nicht, dass es Religions-Spötter
gibt, aber Spötter der Theologie wohl. - Das sind darunter Auswüchse,
die freilich gar mancherlei Art sind, und sehr gefällige die durch Aberglaube und frühe Einschätzung ganz das Ansehen und das Gewicht von Wahrheit
erhalten. Dieses muss mehr entwickelt werden. Überhaupt erkennt unser
Herz einen Gott, und dieses nun der Vernunft fasslich zu machen ist freilich
schwer, wo nicht gar unmöglich.
S.492-493 [L275]
Offenbarung
Offenbarung macht nicht, dass ich eine Sache begreife, sondern dass
ich sie, wenn sie Autorität hat, begreife. Aber welche Autorität kann
mir etwas aufdringen zu glauben, das meiner Vernunft widerspricht? Gottes Wort
allein. Aber haben wir denn ein Wort Gottes außer der Vernunft? Gewiss
nicht. Denn dass die Bibel Gottes Wort ist, das haben Menschen gesagt,
und Menschen können kein anderes Wort Gottes kennen, als die Vernunft.
S.371 [J 254]
Sollte es denn so ganz ausgemacht sein, dass unsere Vernunft von dem Übersinnlichen gar nichts wissen könne? Sollte nicht der Mensch
seine Ideen von Gott ebensowenig zweckmäßig weben können,
wie die Spinne ihr Netz zum Fliegenfang? oder mit anderen Worten: sollte es
nicht Wesen geben, die uns wegen unserer Ideen von Gott und Unsterblichkeit ebenso bewunderten wie wir die Spinne und den Seidenwurm?
S.521 [L 736]
Bibel
Die Haare stehen einem zu Berge, wenn man bedenkt: was für Zeit und Mühe
auf die Erklärung der Bibel gewendet worden ist. Wahrscheinlich ein Million
Oktav-Bände jeder so stark als einer der Allgemeinen deutschen Bibliothek.
Und was wird am Ende der Preis dieser Bemühungen nach Jahrhunderten oder
-tausenden sein? Gewiss kein anderer als der: die Bibel ist ein Buch von
Menschen geschrieben, wie alle Bücher. Von Menschen die etwas anderes waren
als wir, weil sie in etwas andern Zeiten lebten; etwas simpler in manchen Stücken
waren als wie wir, dafür aber auch sehr viel unwissender; dass sie
also ein Buch sei worin manches Wahre und manches Falsche, manches Gute und
manches Schlechte enthalten ist. Je mehr eine Erklärung die Bibel zu einem
ganz gewöhnlichen Buche macht, desto besser ist sie, alles das würde
auch schon längst geschehen sein, wenn nicht unsere Erziehung, unsere unbändige
Leichtgläubigkeit und die gegenwärtige Lage der Sache entgegen wären.
S.354 [J 12]
Teufel
Das Wort Teufel, das in meinem Werkchen öfters vorkommt, gebrauche ich
nicht in dem Verstand, in welchem es die gemeinen Leute nehmen, sondern wie
die neueren Philosophen, um Friede mit allen Sekten zu halten, so ist es mehr
mit x, y, z der Algebraisten zu vergleichen und eine unbekannte Größe.
S.231 [E 481]
Aus: G.C. Lichtenberg: Sudelbücher. Herausgegeben
von Franz H. Mautner.
Mit einem Nachwort, Anmerkungen zum Text, einer Konkordanz der Aphorismen-Nummern
und einer Zeittafel
insel taschenbuch Band 792