Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799)

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Die Lehre Christi

Ich glaube von Grunde meiner Seele und nach der reifsten Überlegung, dass die Lehre Christi, gesäubert von dem verfluchten Pfaffengeschmier, und gehörig nach unserer Art sich auszudrücken verstanden, das vollkommenste System ist, Ruhe und Glückseligkeit in der Welt am schnellsten, kräftigsten, sichersten und allgemeinsten zu befördern, das ich mir wenigstens denken kann. Allein ich glaube auch, dass es noch ein System gibt, das ganz aus der reinen Vernunft erwächst und eben dahin führt, allein es ist nur für geübte Denker und gar nicht für die Menschen überhaupt, und fände es auch Eingang, so müsste man doch die Lehre Christi für die Ausübung wählen. Christus hat sich zugleich nach dem Stoff bequemt, und dieses zwingt selbst dem Atheisten Bewunderung ab. (In welchem Verstand ich hier das Wort »Atheist« nehme, wird jeder Denker fühlen.) Wie leicht müsste es einem solchen Geist gewesen sein, ein System für die reine Vernunft zu erdenken, das alle Philosophen völlig befriedigt hätte. Aber wo sind die Menschen dazu? Es wären vielleicht Jahrhunderte verstrichen, wo man es gar nicht verstanden hätte, und so etwas soll dienen, das menschliche Geschlecht zu leiten und zu lenken und in der Todesstunde aufzurichten? Ja was würden nicht die Jesuiten aller Zeiten und aller Völker daraus gemacht haben? Was die Menschen leiten soll, muss wahr, aber allen verständlich sein. Wenn es ihm auch in Bildern beigebracht wird, die er sich bei jeder Stufe der Erkenntnis anders erklärt. S.27f [J 280]

Noch eine neue Religion einzuführen, die die Wirksamkeit der christlichen haben sollte, ist wohl unmöglich, deswegen bleibe man dabei und suche lieber darauf zu tragen, und gewiss sind auch die Ausdrücke Christi so beschaffen, dass man, so lange die Welt steht, das Beste wird hineintragen können. S.75f. [J 220]
Aus: Georg Christoph Lichtenberg, Aphorismen
Ausgewählt und eingeleitet von Friedrich Sengle
Reclams Universalbibliothek Nr. 7812
© 1953, 1984 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages