Leonardo da Vinci (1452 - 1519)

Genialer italienischer Baumeister, Bildhauer, Maler, Techniker und Naturforscher von höchster Universalität. Seine Ausbildung als Maler und Bildhauer sowie Unterweisung in den technischen Künsten erhielt Leonardo bei Andrea del Verrocchio in Florenz, wo er sich 1478 selbständig machte. Aufenthaltein Mailand, Florenz und Rom folgten. Im Jahre 1518 schlug er seinen Alterssitz in Amboise in Frankreich auf. Sein Werk umfasst nur wenige Gemälde (Madonna in der Felsengrotte, Mona Lisa, Anna Selbdritt, Abendmahl u. a.), aber eine unübersehbare Fülle von Zeichnungen, Notizen, Äußerungen ganz verschiedener Art (zur Anatomie, Technik, Kunsttheorie u. a.) Als Maler war Leonardo der Vollender des klassischen Stils. Seine Gemälde galten allen nachfolgenden Zeiten als Beispiel höchster Vollkommenheit. Die ihm eigene Helldunkelmalerei, deren weiche Licht- und Schattenübergänge seine Bilder geheimnisvoll und ihre Formen zugleich plastisch erscheinen lassen, wirkte weit über den Kreis seiner Schüler hinaus. Als Naturforscher suchte er ein enzyklopädisches Wissen mit den Mitteln der Erfahrung und des Experiments zu gewinnen. Seine allumfassenden - seiner Epoche weit vorauseilenden Beobachtungen - die er auch zeichnerisch darstellen konnte, leiteten die systematisch beschreibende Methode in den Naturwissenschaften ein (als Linkshänder schrieb er fast durchgehend in Spiegelschrift). Auf dem Gebiet der angewandten Mechanik war das Universalgenie Vorläufer einer elementaren Maschinenkunde. Erst im Jahre 1967 ist sein »Musterbuch der Maschinenelemente« wieder gefunden worden.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
 



Das Abendmahl
 

La Gioconda - das Lächeln der Mona Lisa

   
 

In der Kunst können wir für Gottes Enkel gelten.
[...] Wie der Dichter dem Verstand mittels des Gehörs dient, so dient der Maler ihm mittels des Auges, das der edlere Sinn ist. Indes — ich will von den beiden nur eins verlangen: der Maler, und zwar ein guter, soll das Wüten einer Schlacht darstellen, und der Dichter soll eine andere schildern, und dann sollen die beiden Werke zusammen ausgestellt werden. Da wirst du sehen, wo die meisten Betrachter verweilen, wo man gründlicher begutachtet, wo mehr Lob gespendet wird und was besser gefällt. Sicher wird das Gemälde, da es zweckmäßiger und schöner ist, mehr ansprechen. Schreibe den Namen Gottes irgendwo hin und stelle dem gegenüber sein Bildnis auf, und du wirst sehen, was man mehr verehren wird! [...]

In der Kunst können wir für Gottes Enkel gelten. Wenn die Dichtung ins Reich der Moralphilosophie führt so hat die Malerei mit Naturphilosophie zu tun. Beschreibt jene die Tätigkeiten des Geistes, so zieht diese in Betracht, wie der Geist in den Bewegungen wirkt. Erschreckt jene die Völker durch höllische Phantasiegebilde, so bewirkt diese mit denselben das gleiche. Wenn der Dichter sich aber vornimmt, irgendeine Sache, sei es etwas Schönes, etwas Wüstes, etwas Gemeines und Häßliches oder etwas Grausiges, im Wettstreit mit dem Maler darzustellen, und wenn er dabei auf seine Weise, wie es ihm beliebt, die Formen umgestaltet — nun, wird der Maler dann nicht mehr Genüge leisten? Hat man nicht schon gesehen, wie Gemälde den wirklichen Gegenständen so vollkommen entsprachen, daß Menschen und Tiere dadurch getäuscht wurden? Wenn du auch vernünftig urteilen und die Erscheinung der Formen beschreiben kannst, so wird der Maler sie doch so darstellen, daß sie belebt erscheinen, und zwar mittels Schatten und Lichtern, die den Gesichtern erst den Ausdruck verleihen. Also kannst du es mit der Feder nicht soweit bringen, wie er es mit dem Pinsel bringt. S.100ff.
Enthalten in: Italienische Geisteswelt - Von Dante bis Croce. Herausgegeben von Jürgen von Stackelberg. Holle Verlag , Darmstadt


Das Naturgesetz
Wider: - Warum hat die Natur nicht bestimmt, dass kein Lebewesen vom Tod des anderen leben soll?
Contra: Perché la natura non ordinò che luno animale non vivessi della morte dell‘altro?

Für: - Die Natur, da sie rastlos begierig ist und Gefallen findet am Erzeugen und Schaffen von immer neuem Leben und von neuen Formen, weil sie weiß, daß diese Vermehrung ihrer irdischen Materie bedeuten, ist sie eifriger und rascher in ihrem Schaffen als die Zeit im Zerstören; und deshalb hat sie bestimmt, daß viele Tiere anderen zur Nahrung dienen; und da auch dies einem solchen Wunsch nicht genügen kann, so strömt sie oft giftige und verpestende Dünste aus und wiederkehrende Seuchen über die große Vermehrung und Ansammlungen der Lebewesen, vor allem über die Menschen, die stark zunehmen, weil andere Tiere sich nicht von ihnen nähren. Erst wenn die Ursachen beseitigt wären, würden die Wirkungen aufhören.
Pro: La natura essendo vaga et pigliando piacere del creare e fare continuve vite e forme, perché cognosce che sono accrescimento della sua terreste materia, è volonterosa e più presta col suo creare che ’l tempo col suo consumare, e però ha ordinato che molti ainimali sieno cibo l‘uno de l‘altro, e non sodisfacendo questo a simile desiderio, ispesso manda fuora certi avvelenati e pestilenti vapori e continua peste sopra le gran moltiplicazioni e congregazioni d‘animali, e massime sopra gli omini che fanno grande accrescimento, perché altri animali non si cibano di loro, e tolto via le cagioni, mancheranno gli effetti.

Wider: — Also versucht diese Erde, sich ihres Lebens zu berauben, indem sie doch die unaufhörliche Vermehrung wünscht, nach dem von dir angeführten und dargelegten Grund. Oft gleichen die Wirkungen ihren Ursachen. Und die Lebewesen sind ein Beispiel für das Leben der Welt.
Contra. — Adunque questa terra cerca di mancare di sua vita, desiderando la continua moltiplicazione, per la tua assegnata et mostra ragione. Spesso gli effetti somigliano le loro cagioni. Gli animali sono esemplio de la vita mondiale.

Für: — Nun sieh: die Hoffnung und die Sehnsucht, heimzufinden und in das ursprüngliche Chaos zurückzukehren, wirken, in ähnlicher Weise wie beim Falter vor dem Licht, auch beim Menschen, welcher mit immerwährenden Wünschen den neuen Frühling freudig erwartet und immer den neuen Sommer, immer die neuen Monate und Jahre, da es ihm scheint, daß die erwünschten Dinge allzu spät eintreffen; und er merkt dabei nicht, daß er seine eigene Auflösung herbeiwünscht. Doch dieser Wunsch ist in jeder Quintessenz, dem Geist der Elemente, welche, als Seele in den menschlichen Körper eingeschlossen, stets zu ihrem Aussender zurückzukehren verlangt. Und du sollst wissen, daß dieser selbe Wunsch in jener Quintessenz wohnt, die mit der Natur verbunden ist, und der Mensch ist das Muster der Welt. (Ar.156v.)
Pro. — Or vedi, la speranza e ‘l desidero del ripatriarsi e ritornare nel primo caos fa a similitudine della farfalla al lume, dell‘ uomo, che con continui desideri sempre con festa aspetta la nuova primavera, sempre la nuova state, sempre e nuovi mesi, e nuovi anni, parendogli che le desiderate cose, venendo, sieno troppo tarde, e non s‘avvede che desidera la sua disfazione; ma questo desidero ene in quella quintessenza, spirito degli elementi, che trovandosi rinchiusa per anima dello umano corpo, desidera sempre ritornare al suo mandatario. E vo‘ che sappi che questo desiderio è ‘n quella quinta essenza compagna della natura, e l‘omo è modello dello mondo.

Die Natur scheint hier in vielen oder von vielen Tieren eher eine grausame Stiefmutter als Mutter gewesen zu sein, und von einigen nicht Stiefmutter, sondern barmherzige Mutter. (For. 111,20v.)
La natura pare qui in molti o di molti animali stata più presto crudele matrigna che madre e d‘alcuni non matrigna ma piatosa madre.

WIR ERHALTEN UNSER LEBEN DURCH DEN TOD ANDERER WESEN. — Im toten Wesen bleibt ein empfindungsloses Leben, welches, den Lebenden einverleibt, wieder sensitives und intellektuelles Leben gewinnt. (H. 89 v.)
FACCIÀNO NOSTRA VITA COLL‘ALZTRUI MORTE. — In nella cosa morta riman vita dissensata, la quale ricongiunta alli stomaci de‘ vivi ripiglia vita sensitiva e ‘ntellettiva.

Die Idee, oder die Einbildungskraft, ist Steuer zugleich und Zaum den Sinnen, weil die eingebildete Sache den Sinn bewegt. (An. B.2 V.)
La idea, over imaginativa, è timone e briglia de‘ sensi, imperò che la cosa imaginata move il senso.
Aus: Leonardo da Vinci: Philosophische Tagebücher . Italienisch und Deutsch (S.101)
Zusammengestellt, übersetzt und mit einem Essay »Zum Verständnis der Texte« und einer Bibliographie herausgegeben von Giuseppe Zamboni in der Reihe »Rowohlts Klassiker der Literatur und Wissenschaft« Band 25 – Veröffentlicht im Januar 1958 . Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Rowohlt Verlages