Karl Kardinal Lehmann (1936 - )
Deutscher katholischer Theologe und Kardinal; 1968-83 Professor für Dogmatik in Mainz und Freiburg; 1983 Bischof von Mainz, von 1987 - 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Siehe auch Wikipedia |
>>>Christus
»Gott, der
Allmächtige«. Von einer schwierigen Eigenschaft Gottes
Wir glauben an Gott, den Vater, den Allmächtigen. Diese Eigenschaft Gottes
erscheint schon im Glaubensbekenntnis des frühesten Christentums als Inbegriff
aller göttlichen Vollkommenheiten. »Allmächtiger« begegnet
von Anfang bis heute als Anrede Gottes und erhält sogar die Bedeutung eines
göttlichen Namens. Damit sind in einem Gottes Erkennen, Wollen und Tun
umfasst.
Mitt Allmacht ist unbegrenzte Herrschaft gemeint. Zahlreiche Bilder illustrieren
Gottes unendliches Können: die Kraft seines Wortes, seines Armes und seines
Geistes. Bei Hiob heißt es zusammenfassend: »Ich hab erkannt, dass du
alles vermagst; kein Vorhaben ist dir verwehrt.« (42, 2). Das Wort »Allmacht« umfasst so auch das Schöpfungshandeln Gottes. Ihm verdankt alles, was ist,
das Dasein. Es geht dabei nicht nur um das Hervorbringen von Neuem, sondern
alles hat nur Bestand durch seine Kraft.
Es ist nicht zufällig, dass das Bekenntnis zum allmächtigen Gott eine
tragende Säule des Credo bildet. Ohne die Eigenschaft »allmächtig« verlöre das Wort Gott jeden Sinn. Gott hat nicht nur etwas mit der bestehenden
Wirklichkeit zu tun, zum Beispiel mit der Natur, oder mit einer moralischen
Herausforderung, etwa Friede für alle, sondern er kann alles, was er will
und was sinnvoll ist. Gott hat alle Möglichkeiten. Er ist das Maß
aller echten Möglichkeit.
Schon immer gab es heimlichen oder lauten Protest gegen den Glauben an die Allmacht
Gottes. Das himmelschreiende Unrecht und alles Fürchterliche in der Welt
straften das Wort vom Allmächtigen Lügen. Die Rede über Gott
und die Erfahrung der Wirklichkeit prallten an dieser Stelle immer schon so
heftig aufeinander wie sonst nicht. Die Erfahrung von Auschwitz hat für
viele jede Rede von der Allmacht Gottes geradezu gelähmt. Die Welt ist
voller Klagen.
Man darf Gottes Allmacht nicht als Steigerung weltlicher Herrschaft denken.
Unsere Erfahrungen mit Unterdrückung und Überwältigung dürfen
nicht Ausgangspunkt und Maß für das Denken von Gottes Allmacht sein.
Er steht über den Gegensätzen von Macht und Ohnmacht. Allmacht hat
nichts mit Beliebigkeit und Willkür zu tun. Allmacht darf man nur von der
Einzigartigkeit Gottes her denken. Es bleibt dennoch ein schwieriges Wort. Die
Rede von der Allmacht Gottes muss damit fertig werden, dass der wahre Messias
ein armer Mensch war, der nicht einmal in der Lage war, sein Kreuz allein zu
schleppen.
Gottes Allmacht ist nicht den Geschöpfen entgegengesetzt oder gar feindlich.
Gott will die Geschöpfe und bejaht sie unendlich. Seine Allmacht erdrückt
uns nicht, sondern gewährt uns Raum, Selbstständigkeit und Freiheit.
So zeigt die Schöpfung, dass Gott seine »Macht« mit uns teilen will.
Er gebraucht sein Können dazu, ganz ungezwungen Zeugen seiner Güte
in der Welt zu schaffen. Gottes Allmacht ist die Macht seiner Liebe. Die Menschwerdung
Jesu von Nazareth ist der höchste Ausdruck solcher Macht. Jesus hat in
seinem Leben und Sterben diese grenzenlose Kraft der Liebe leibhaftig bewiesen.
Eine solche Liebe erleidet und erträgt alles. Der Allmächtige geht
in die Ohnmacht eines Menschen ein, der schutzlos den Gewalten dieser Welt ausgeliefert
war.
Schwäche wird zur Stärke. Eine Liebe, die selbst den Tod nicht scheut,
ist auch stärker als dieser selbst. Am Ende ist nur die frei geschenkte
Liebe allmächtig. Darum gibt es auch die inständige Bitte, Gott möge
alles wenden. Daher betet auch Jesus in äußerster Bedrängnis:
»Vater, alles ist dir möglich« (Markus
14, 36).
Wir sind mit Recht skeptisch, wenn uns das Wort von der Macht begegnet. Nur
wenn wir Allmacht gut biblisch mit Liebe verbinden, können die harten Einwände
ihre Macht verlieren. Die Theologie unseres Jahrhunderts hat die Einwände
der Zeitgenossen im Ohr und gibt sich redlich Mühe. Am Ende wird die Antwort
jedoch nur dem Beter voll einleuchten, gerade dann, wenn er in der Not schreit
und klagt.
Aus: Karl Lehmann, Mut zum Umdenken
© Verlag Herder Freiburg 2.Auflage 2003 ( S. 166-168)
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher
Genehmigung des Verlags Herder