Ernst August
Friedrich Klingemann, Pseudonym: Bonaventura (1777 – 1831)
Deutscher
Schriftsteller, der neben Romanen vor allem Bühnenstücke schrieb und inszenierte. Unter dem Pseudonym Bonaventura wurde 1804 der satirische Roman »Nachtwachen« veröffentlicht, wobei die wahre Urheberschaft zunächst nicht eindeutig fest stand. In der literarischen Diskussion wurden u. a. auch Schlegel, Schelling, E.T.A. Hoffmann und Brentano als mögliche Autoren genannt. Heute ist man sich weitgehend einig, dass das Werk von Klingemann verfasst wurde. Siehe auch Wikipedia und Projekt Gutenberg |
Inhaltsverzeichnis
Monolog des wahnsinnigen Weltschöpfers
Des Teufels Taschenbuch
Monolog
des wahnsinnigen Weltschöpfers
»Es ist ein wunderlich Ding hier in meiner Hand,
und wenn ichs von Sekunde zu Sekunde, — was sie dort ein Jahrhundert heißen
— durch das Vergrößerungsglas betrachte, so hat sich‘s
immer toller auf der Kugel verwirrt, und ich weiß nicht ob ich darüber
lachen oder mich ärgern soll — wenn beides sich nur überhaupt
für mich schickte.
Das Sonnenstäubchen, das daran herumkriecht, nennt sich Mensch; als ich
es geschaffen hatte, sagte ich zwar der Sonderbarkeit wegen es sei gut —
übereilt war das freilich, indes ich hatte nun einmal meine gute Laune,
und alles Neue ist hier oben in der langen Ewigkeit willkommen, wo es gar keinen Zeitvertreib gibt. —
Mit manchem was ich geschaffen, bin ich freilich noch jetzt zufrieden, so ergötzt
mich die bunte Blumenwelt mit den Kindern die darunter spielen, und die fliegenden
Blumen, die Schmetterlinge und Insekten, die sich als leichtsinnige Jugend von
ihren Müttern trennten und doch zu ihnen zurückkehren um ihre Milch
zu trinken und an der Mutter Brust zu schlummern und zu sterben. —
Aber dies winzige Stäubchen, dem ich einen lebendigen Atem einblies und
es Mensch nannte, ärgert mich wohl hin und wieder mit seinem Fünkchen Gottheit, das ich ihm in der Übereilung anerschuf,
und worüber es verrückt wurde. Ich hätte es gleich einsehen sollen,
daß so wenig Gottheit nur zum Bösen führen müsse, denn die arme Kreatur weiß nicht
mehr, wohin sie sich wenden soll, und die Ahnung von Gott, die sie in sich herumträgt, macht daß sie sich immer tiefer verwirret,
ohne jemals damit aufs reine zu kommen. In der einen Sekunde, die sie das goldene
Zeitalter nannte, schnitzte sie Figuren lieblich anzuschauen und baute Häuserchen
darüber, deren Trümmer man in der andern Sekunde anstaunte und als
die Wohnung der Götter betrachtete. Dann betete
sie die Sonne an, die ich ihr zur Erleuchtung anzündete
und die, mit meiner Studierlampe verglichen, sich wie das Fünkchen zur Flamme verhält. Zuletzt — und das war das
ärgste — dünkte sich das Stäubchen selbst
Gott und bauete Systeme auf, worin es sich bewunderte. Beim Teufel! Ich hätte die Puppe ungeschnitzt lassen sollen! — Was soll ich nur
mit ihr anfangen? —
Hier oben sie in der Ewigkeit mit ihren Possen
herumhüpfen lassen? — Das geht bei mir selbst nicht an; denn da sie
sich dort unten schon mehr als zuviel langweilt und
sich oft vergeblich bemüht in der kurzen Sekunde ihrer Existenz die Zeit
sich zu vertreiben, wie müßte sie sich bei mir in der
Ewigkeit, vor der ich oft selbst erschrecke, langweilen! Sie ganz und
gar zu vernichten tut mir auch leid; denn der Staub träumt doch oft gar
so angenehm von der Unsterblichkeit,
und meint, eben weil er so etwas träume, müsse es ihm werden. —
Was soll ich beginnen? Wahrlich hier steht mein Verstand selbst still! Lasse
ich die Kreatur sterben und wieder sterben, und verwische jedesmal das Fünkchen
Erinnerung an sich selbst, daß es von neuem auferstehe und umherwandle?
Das wird mir auf die Länge auch langweilig, denn das Possenspiel immer
und immer wiederholt, muß ermüden! — Am besten ich warte überhaupt
mit der Entscheidung bis es mir einfällt einen Jüngsten Tag festzusetzen
und mir ein klügerer Gedanke beikommt.« —
»Was das für ein verruchter Wahnsinn ist,« fiel ich
ein, als Nro. 9 innehielt. »Wenn ein vernünftiger
Mensch dergleichen vorbrächte, würde man es wahrlich konfiszieren.«
—
Oehlmann schüttelte den Kopf und machte einige bedeutende Anmerkungen über
Gemütskrankheiten überhaupt.
Der Weltschöpfer,
der bei seiner Rede einen Kinderball in der Hand hielt und jetzt mit ihm an
zu spielen fing, fuhr nach einer Pause fort:
»Wie die Physiker sich jetzt über die veränderte
Temperatur wundern, und neue Systeme darüber aufstellen werden. Ja diese
Erschütterung bringt vielleicht Erdbeben und andere Erscheinungen zuwege,
und es gibt ein weites Feld für die Teleologen. O das Sonnenstäubchen
hat eine erstaunliche Vernunft, und bringt selbst in das Willkürlichste
und Verworrenste etwas Systematisches; ja es lobt und preiset oft seinen Schöpfer
eben deshalb weil es davon überrascht wurde daß er ebenso
gescheut als es selbst sei. —
Dann treibt es sich durcheinander und das Ameisenvolk bildet eine große
Zusammenkunft und stellt sich fast an, als ob etwas darin abgehandelt würde.
Lege ich jetzt mein Hörrohr an, so vernehme ich wirklich etwas und es summen
von Kanzeln und Kathedern ernsthafte Reden über die weise Einrichtung in
der Natur, wenn ich etwa den Ball spiele und dadurch ein paar Dutzend Länder
und Städte untergehen und mehrere von den Ameisen zerschmettert werden,
die sich ohnedas seitdem sie die Kuhpocken erfunden haben nur zu viel vermehren.
O seit einer Sekunde sind sie so klug geworden, daß ich mich hier oben
nicht schneuzen darf, ohne daß sie das Phänomen ernsthaft untersuchen.
— Beim Teufel! da ist es fast ärgerlich
Gott zu sein, wenn einen solch ein Volk bekrittelt! —
Ich möchte den ganzen Ball zerdrücken!« —
»Sehen Sie nur, Herr Doktor,« fuhr
ich fort als der Weltschöpfer endete, »wie
grimmig der Kerl es auf die Welt
angelegt hat; es ist fast gefährlich für uns andere Narren, daß
wir den Titanen unter uns dulden müssen, denn er hat ebensogut sein konsequentes
System wie Fichte, und nimmt es im Grunde mit dem
Menschen noch geringer als dieser, der ihn nur von Himmel und Hölle abtrennt,
dafür aber alles Klassische ringsumher in das kleine Ich, das jeder winzige
Knabe ausrufen kann, wie in ein Taschenformat zusammendrängt. Jeder vermag
jetzt aus der unbedeutenden Hülse, wie es ihm beliebt, ganze Kosmogonien,
Theosophien, Weltgeschichten und dergleichen, samt den dazugehörigen Bilderchen
herauszuziehen. Groß und herrlich ist das allerdings; wenn nur das Format
nicht so klein wäre! —
Schon Schlegel hat es sehr auf die kleinen Bilderchen
abgesehen, und ich muß gestehen daß mir eine große Iliade
in Sedez herausgegeben, nimmer behagen will — das heißt den ganzen
Olymp in eine Nußschale packen, und die Götter und Helden müssen
sich entweder zum verjüngten Maßstabe bequemen, oder ohne Gnade das
Genick brechen! —
Sie sehen mich an, Herr Doktor, und schütteln zum zweiten Male den Kopf!
Ja, ja Sie haben es getroffen; das alles gehörte zu meiner Tollheit und
im vernünftigen Zustande bin ich grade der entgegengesetzten Meinung!
Lassen Sie uns den Weltschöpfer verlassen! —
Hier Nro. 10 und 11 sind Belege zur Seelenwanderung;
der erste bellt als Hund und diente ehmals am Hofe; der zweite hat sich aus
einem Staatsbeamten in einen Wolf verwandelt. Man kommt auf eigene Gedanken
bei ihnen.
Nro. 12, 13, 14, 15 und 16 sind Variationen über
denselben Gassenhauer, die Liebe.
Nro. 17 hat sich über seine eigene Nase vertieft. Finden Sie das sonderbar?
Ich nicht! Vertiefen sich doch oft ganze Fakultäten über einen einzigen
Buchstaben, ob sie ihn für ein a oder w nehmen sollen.
Nro. 18 ist ein Rechenmeister, der die letzte
Zahl finden will.
Nro. 19 denkt über einen Diebstahl nach, den der Staat an ihm beging; —
das darf er aber nur im Tollhause.
Nro. 20 ist endlich mein eigenes Narrenkämmerchen.
Treten Sie immer herein und schauen Sie sich um, sind wir doch vor Gott
alle gleich und laborieren bloß an verschiedenen fixen Ideen, wo
nicht an einem totalen Wahnsinn, bloß mit kleinen Nuancen. — Das
dort ist ein Sokrates-Kopf dem Sie die Weisheit,
so wie jenem Skaramuz die Narrheit, an der Nase ansehen. Dies Manuskript enthält
eigenhändige Parallelen von mir über beide, und ist zugunsten des
Narren ausgefallen. — Nicht wahr der Fleck müßte kuriert werden?
Es ist überhaupt die verstockteste Seite an mir daß ich alles Vernünftige
abgeschmackt, so wie vice versa finde
— ich kann mich der Grille gar nicht erwehren!
Oft zwar habe ich es versucht die Weisheit
mit den Haaren an mich zu reißen, und habe deshalb privatim mit allen
drei Brotfakultäten Umgang gepflogen, um mich demnächst öffentlich,
nach einem kurzen akademischen Musenbeilager, als eine heilige
Dreizahl zum Besten der Menschheit einsegnen zu lassen, und mit den drei
übereinandergestülpten Doktorhüten einherzuschreiten. Oh, dachte
ich bei mir selbst, könntest du dann nicht bloß durch leichten unbemerkbaren
Hutwechsel als ein Proteus in praktischer und theoretischer
Hinsicht umherwandeln! Ober die kürzeste Heilungsmethode der Krankheiten
in Dissertationen verkehren, und den Kranken selbst auf dem kürzesten Wege
von seinem Übel entbinden! Den Sterbenden, nach rasch vertauschtem Hute,
als Rechtsfreund umarmen und sein Haus bestellen, und endlich bloß durch
übergeworfenen Mantel als Himmelsfreund ihm den rechten
Weg zum Himmel zeigen. Wie in einer Fabrik durch verschiedene Maschinen,
ließe sich auf diese Weise durch verschiedene Hüte ein Höchstes
und Letztes erreichen. Und welch ein Überfluß an
Weisheit und Gelde — eine erwünschte Kombination der beiden
entgegengesetztesten Güter, eine höchste Idealisierung der Zentaurennatur
im Menschen, wo das wohlgesättigte Tier unten den höhern Reiter keck
einherstolzieren läßt. —
Doch ich fand bei näherer Ansicht alles eitel, und erkannte in aller dieser
gepriesenen Weisheit zuletzt nichts anders als
die Decke die über das Mosesantlitz des Lebens
gehängt ist, damit es Gott nicht
schaue.
Sie sehen wohin das führt, und es ist eben meine
fixe Idee, daß ich mich selbst für vernünftiger halte als die
in Systemen deduzierte Vernunft, und für weiser als die dozierte Weisheit.
Ich möchte wahrlich mit Ihnen zu einer medizinischen
Beratschlagung mich verbinden, bloß um zu überlegen, wie dieser meiner
Narrheit beizukommen sei, und welche Mittel man dagegen anwenden könnte.
Die Sache ist von Wichtigkeit, denn sagen Sie, wie kann man gegen Krankheiten
sich auflehnen wollen, wenn man selbst, wie Sie wissen, mit dem Systeme nicht
im reinen ist, ja wohl gar das für Krankheit hält, was höhere
Gesundheit ist, und umgekehrt.
Ja, wer entscheidet es zuletzt, ob wir Narren hier in
dem Irrhause meisterhafter irren, oder die Fakultisten in den Hörsälen?
Ob vielleicht nicht gar Irrtum Wahrheit, Narrheit
Weisheit, Tod
Leben ist — wie man vernünftigerweise
es dermalen gerade im Gegenteile nimmt! —
O ich bin inkurabel, das sehe ich selbst ein.
Der Doktor Oehlmann verordnete mir nach einigem Nachsinnen viele Bewegung und
wenig oder gar kein Denken, weil er meinte, daß mein Wahnsinn, gerade
wie bei andern eine Indigestion, durch zu häufigen physischen Genuß,
durch übertriebene intellektuelle Schwelgerei entstanden sei. — Ich
ließ ihn gehen!
Für meinen Wonnemonat im Tollhause spare ich ein anderes Nachtstück
auf. S.80ff.
Des Teufels Taschenbuch
Man hat sich in den Taschenbüchern
bereits dergestalt erschöpft, indem es außer den historischen, poetischen
und dergleichen schlechthin, noch eine Menge für das weibliche Geschlecht,
für die elegante Welt usw. usw. gibt, daß es in der Tat notwendig
erscheint, mit dem Publikum zu wechseln, weshalb denn diesem Teufels Taschenbuche,
welches zur Ostermesse erscheinen wird, hier eine flüchtige Erwähnung
eingeräumt ist. Bonaventura
Einleitung
Meine Brüder! (ich rede die Teufel an) es
gibt auch außer unserm eigentümlichen Reiche noch manches Interessante,
und die Erde selbst wirft ein übriges aus, was in moralischer oder ästhetischer
Hinsicht für einen Teufel leicht von Wichtigkeit sein dürfte. Einseitigkeit
ist das Grab der Bildung; schaut euch nur unter den Menschen um, wie sie alle
nach Universalität jagen, wie kein Schuster mehr bei seinem Leisten bleibt,
jedweder Hofschneider nebenzu auch zum Staatsschneider sich auszubilden sucht,
wie alles auf der Erde im Treiben und Jagen begriffen ist, jeder einzelne alle
Hände voll zu tun hat, die Füße und den Kopf nicht ausgeschlossen,
um möglichst das Ganze zu repräsentieren. — Soll denn der Teufel
allein in dieser Universalität zurückbleiben? — Beim Teufel,
nein!
Doch aber ist es bis jetzt mit unserer wissenschaftlichen Bildung schlecht bestellt,
zu einer schönen Literatur, in dem Sinne, wie Schlegel davon redet, ist
noch gar kein Anfang gemacht, ebenso wenig wie zu einer häßlichen;
denn ich bin zweifelhaft, ob wir vermöge unserer individuellen ästhetischen
Anlagen zu der erstern überhaupt tendieren können. — Gesteht
es, meine Brüder, wir sind im ganzen ziemlich zurück, weshalb uns
die Menschen denn auch nicht sonderlich mehr fürchten oder achten und selbst
auf unsere Kosten Sprüchwörter einzuführen wagen — als
dummer Teufel! armer Teufel! u. dgl.
Laßt uns diesen Schimpf von uns abzuwälzen versuchen, und zu dem
Ende mindestens einige Versuche im Ästhetischen oder Antiästhetischen
anstellen. Ich zweifle mit Jean Paul, daß
uns das erste sonderlich glücken wird, obgleich dieser Schriftsteller (den
ich deshalb besonders schätze, weil er auch für uns ein übriges
in seiner poetischen Schatzkammer niedergelegt hat, und neben dem goldführenden
Strome, den er durch das Paradies zieht, wie Dante
auch einen siedenden schwarzen Styx und Phlegeton in die Unterwelt hinabbrausen
läßt) uns allerdings einen großen Humor zugesteht, und
nur unser Lachen zu peinigend findet, was sich indes mit dem Charakter des Teufels
sehr wohl verträgt. —
Wir wollen deshalb von diesem peinigenden Lachen einiges in literarischer Hinsicht
auswerfen, und ich kündige zu dem Ende mein Taschenbuch an, das das erste
ursprünglich für Teufel bestimmte ist, bei dem ich aber auch den geheimen
Wunsch hege, daß es sich, obgleich eine verbotene Ware, glücklich
durch die literarischen Torsteher und Visitatoren auf der Erde schleichen möge,
um auch dort in dem Buchhandel verbreitet zu werden. Ja es dürfte, nach
der jetzigen Humanität des Zeitalters, die sich auch auf den Teufel erstreckt,
selbst dort einigen Nutzen stiften, indem das Lachen ein giftabtreibendes Mittel
sein soll, welches, in physischer Hinsicht, italienische Bravo‘s beweisen,
die, wie man sagt, durch einen anhaltendes Lachen erregenden Kitzel die aqua
toffana von ihren auf diese Weise Gefolterten sich zu verschaffen wissen.
Zu guter Letzt verspreche ich möglichst interessant in diesem Taschenbuche
zu sein, mich auch nicht so grell und ungebildet, wie die alten Teufel, zu betragen,
was sich überhaupt für eine veredelte Bosheit keinesweges schickt;
sondern vielmehr möglichst nach sächsischer Eleganz und Konduite zu
streben, und meine Wahrheiten, die meinem Charakter als
Lügengeiste getreu, freilich immer Unwahrheiten bleiben, und in
welcher einzigen Rücksicht mich irdische Schriftsteller bisher nachgeahmt
haben, möglichst mit spitzen Fingern anzugreifen, so daß ich in jeder
gesitteten höllischen Gesellschaft ohne Bedenken gelesen werden kann. -
Sollte man von diesem allen indes in vorliegendem Teufels Taschenbuche das Gegenteil
vorfinden, so weiß man schon aus dem obigen, was man sich in Hinsicht
auf Wahrheit und Lüge von mir zu versprechen hat.
der Teufel S.145ff.
Aus: Bonaventura (E. A. F. Klingemann) Nachtwachen,
Im Anhang: Des Teufels Taschenbuch, Herausgegeben von Wolfgang Paulsen
Reclams Universalbibliothek Nr. 8926 . © 1964, 1990 Philipp Reclam jun.,
Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis
des Reclam Verlages