Klemens von Alexandria, Titus Flavius (um 150 – um 215)

 

Vielgereister und hochgebildeter griechischer Kirchenvater, der Leiter einer Katechetenschule in Alexandria war und in seinen Werken gebildete Heiden zum Christentum bekehren suchte. Seine Gedankenwelt verband die kirchliche Überlieferung mit der platonisch-stoischen Philosophie. Klemens (lat. der Sanftmütige) bemühte sich, die häretische Gnosis durch ein eigenes, in sich geschlossenem, System einer kirchlichen Gnosis zu überwinden. Origenes war nicht nur sein Schüler, sondern auch sein Nachfolger an der Katechetenschule in Alexandria.

Siehe auch Wikipedia, Kirchenlexikon und Heiligenlexikon

 

Inahaltsverzeichnis

  Aus der Mahnrede an die Heiden
Aus den »Teppichen« des Klemens von Alexandrien

Glaube und Wille
In Gottes Gegenwart
Reich und arm

  Bibliothek der Kirchenväter im Internet
Teppiche (Stromateis)
Welcher Reiche wird gerettet werden? (Quis dives salvetur?)

Aus der Mahnrede an die Heiden
I., 6. ... Zu einem schönen, von Geist erfüllten Instrument hat der Herr den Menschen gemacht nach seinem Bilde — denn auch er ist ein melodisches und heiliges Instrument Gottes, voll Harmonie... Was will nun dieses Instrument Gottes, was will der göttliche Logos, der Herr, und was soll das neue Lied? Die Augen der Blinden will Er öffnen und die Ohren der Tauben auftun mit diesem Lied und die Hinkenden und Verirrten mit diesen Klängen zur Gerechtigkeit führen, den unverständigen Menschen Gott zeigen, dem Verderben ein Ende bereiten, den Tod besiegen und ungehorsame Söhne mit dem Vater aussöhnen. Menschenfreundlich ist dies göttliche Instrument, der Herr zeigt uns Erbarmen, erzieht, ermahnt, warnt, rettet, bewahrt — und als Lohn dafür, dass wir Seine Jünger werden, verheißt Er uns zum Überfluss auch noch das Himmelreich. Denn Er will nichts von uns haben außer unserer eigenen Rettung. Nur die Bosheit nährt sich vom Verderben ihrer Opfer, die Wahrheit aber richtet — wie eine Biene — nirgends Schaden an und freut sich allein am Heil der Menschen.

Hier hast du also die Verheißung, hier die Gnade, du siehst die Güte — o ergreife diese Hand! Und mein heilbringendes Lied halte nicht in dem Sinne für neu wie ein neues Gefäß oder ein neues Haus! »Vor dem Morgenstern« war es schon, denn »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort«. Aber freilich, als alt erscheint der Irrtum, als etwas Neues die Wahrheit. Mögen nun durch Ziegen, von denen die Sage erzählt, die Phrygier als uralt bekundet werden oder die Arkadier als noch älter durch die Dichter, die dieses Volk »so alt wie der Mond« nennen, oder die Ägypter als die ältesten — wie sie von jenen genannt werden, in deren Einbildung das Nilland als erstes überhaupt Götter und Menschen erzeugt habe —, sicherlich war doch von allen hier Genannten kein einziger vor dieser unserer Welt vorhanden; wir aber waren vor Grundlegung dieser Welt da, durch Gott schon zuvor geschaffen, weil wir in Ihm zu sein vorbestimmt waren, wir, des göttlichen Logos vernünftige Geschöpfe, die wir durch Ihn — nur durch Ihn — uralt sind, denn »Im Anfang war das Wort«. Weil aber der Logos von Anfang an war, ist Er der göttliche Anfang aller Dinge. Und weil Er jetzt den seit alters geheiligten und Seiner Macht würdigen Namen Christus angenommen hat, darum habe ich Ihn das neue Lied genannt...

II., 11. ... Kümmert euch also nicht um die gottlosen Heiligtümer, nicht um die Höhlen und Klüfte, angefüllt mit Zauberei, oder um den Thesprotischen Kessel oder den Dreifuß von Kirrha oder das Erzbecken von Dodona! Überlasset den veralteten Sagen das im Sand der Wüste verehrte Gerandryon, die heiligen Eichen und das Orakel dort, das sich samt seiner Eiche als kraftlos erwiesen hat. Verstummt ist nun die Kastalische Quelle und ebenso die von Kolophon, und die übrigen wahrsagenden Wasser sind in gleicher Weise versiegt und —wenn auch spät — so doch endlich ihres eitlen Ruhmes bar, nachdem sich ihr Wasser samt den damit verbundenen Sagen verlaufen hat. Zähle sie ruhig alle auf, die wertlosen Orakelstätten alles sonstigen Wahrsagens oder vielmehr Wahnsagens, den Klarios, den Pythios Apollon, den Didymeus, den Amphiareos, den Amphilochos, und wenn du willst, so entziehe der Verehrung auch — wie jene selbst — ihre Zeichenseher und Vogelschauer und Traumdeuter; hole auch noch jene herbei, die aus Weizen und Gerste wahrsagen, stelle sie neben den Pythios, und auch noch die bei den Volksmengen und Festen hochverehrten Bauchredner!

Ebenso sollen die Heiligtümer der Ägypter und die Totenbeschwörungen der Tyrrhener dem Dunkel der Vergessenheit überliefert werden. Denn sind das nicht in Wahrheit nur Sophistenschulen voll Wahnwitz für ahnungslos Leichtgläubige und Spielhöllen für Menschen voll von vollendetem Irrwahn? Hat man doch sogar Ziegen und Krähen zu Gehilfen dieses Schwindels abgerichtet: Menschen haben sie gelehrt, anderen Menschen ihre angebliche Zukunft zu prophezeien!

Soll ich dir auch noch die Mysterien aufzählen? Ich will nicht, wie es Alkibiades getan haben soll, ihre Geheimnisse ausplaudern. Ich will nur, geleitet durch das Wort der Wahrheit, den in ihnen verborgenen Schwindel ganz deutlich aufdecken; ich will eure sogenannten Götter, denen die Mysterienweihen gelten, wie auf der Bühne des Lebens selbst vor den Zuschauern der Wahrheit erscheinen lassen.

Dem rasenden Dionysos zu Ehren feiern die Bakchen ihre Orgien, indem sie durch Verzehren von rohem Fleisch ihren heiligen Wahnsinn zeigen; sie feiern die Zerreißung des lebendigen Fleisches ihrer Opfertiere, bekränzt mit Schlangen, wozu sie »Eva« rufen — das ist der Name jener Eva, durch welche die Sünde in die Welt kam —, und das Symbol der bakchischen Orgien ist die geweihte Schlange. Nun bedeutet aber — gemäß der genauen Erklärung des hebräischen Wortes — der Name Hevia, mit Spiritus asper geschrieben, die weibliche Schlange. Deo aber und Kore gaben sogar den Stoff zu einem Mysteriendrama, und ihre Irrfahrt, den Raub, die Trauer, feiert Eleusis bei Fackelschein

II., 14
. Und jetzt — denn es ist hohe Zeit — will ich euch zeigen, wie eure Orgien voll von Betrug und Schwindel sind. Und wenn ihr eingeweiht seid, werdet ihr nur um so mehr über diese eure hochgeehrten Mysterien lachen müssen. Ich werde euch das Verborgene ganz offen nennen, ohne mich zu scheuen. Die Schaumgeborene also...


XII., 119. So komm denn, du Betörter, nicht auf den Thyrsos gestutzt, nicht mit Efeu bekränzt! Wirf die Stirnbinde weg! Wirf weg das Hirschfell — werde wieder nüchtern! Ich will dir den Logos und die Mysterien des Logos zeigen und sie dir mit den Bildern erklären, die dir vertraut sind. Hier ist der von Gott geliebte Berg, nicht ein Schauplatz für Tragödien, wie der Kithairon, sondern dem Drama der Wahrheit geweiht, ein nüchterner Berg, von heiligen Wäldern beschattet; und auf ihm schwärmen nicht die Schwestern der »vom Blitz getroffenen Semele« umher, die Mänaden, die in jene unheiligen Fleischzerreißungen eingeweiht werden sollen, sondern die Töchter Gottes, die schönen Lämmer, die von den heligen Weihen des Logos künden und einen demütigen Chorreigen um sich versammeln. Diesen Chorreigen bilden die Gerechten, und das Lied, das sie singen, ist der Preis des Königs der Welt. Die Mädchen schlagen die Saiten der Leier, Engel verkünden den Ruhm, Propheten reden, und Klang von Musik erschallt.., es eilen die Berufenen, voll Sehnsucht, den Vater zu empfangen. Komm auch du, blinder Seher, zu mir, verlasse Theben und wirf Wahrsagekunst und Bakchosdienst von dir, laß dich zur Wahrheit führen! Fühle, ich reiche dir hier das Holz des Kreuzes, dich darauf zu stützen. Eile, Teiresias, komme zum Glauben! Du wirst sehend werden. Christus, der die Augen der Blinden wieder sehend macht, leuchtet auf, heller als die Sonne. Auch von dir wird die Nacht weichen, das Feuer wird sich vor dir fürchten, der Tod sich von dir scheiden. Den Himmel wirst du schauen, Greis, der du Theben nicht sehen konntest...

Aus den »Teppichen« des Klemens von Alexandrien
I., 7, 3. Seelen haben ihre eigene Nahrung; die einen gedeihen durch Erkennen und Wissen, die anderen finden ihre Weide in der griechischen Philosophie, von der freilich, wie von den Nüssen, nicht alles essbar ist. »Der Pflanzende aber und der Begießende gehören zusammen«, entsprechend ihren Dienstleistungen — beide sind nur Gehilfen dessen, der wachsen lässt —, »aber jeder von ihnen wird seinen besonderen Lohn erhalten, wie es seiner besonderen Arbeit entspricht. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bauwerk« nach den Worten des Apostels (1. Kor. 3, 8 f.).

I ., 8. Man darf daher den Hörern nicht gestatten, auf Grund von Vergleichen eine Schätzung vorzunehmen, und auch nicht die Lehre denen zur Musterung ausliefern, die in verwandlungsreichen Redekünsten und in der machtvollen Wirkung großartig rhetorischer Schlußfolgerungen geübt und aufgewachsen sind, und noch weniger denen, deren Seele bereits in Vorurteilen befangen und deren Aufnahmefähigkeit nicht zuvor für neues Denken frei gemacht worden ist. Doch wenn sich jemand auf Grund seines Glaubens entschließt, zum Gastmahl zu kommen, so ist er gewiss zur Aufnahme göttlicher Lehren geeignet, denn er besitzt ja als vernünftigen Entscheidungmaßstab eben den Glauben. So gewinnt er zum Glauben auch noch die Überzeugung hinzu. Genau dies ist auch der Sinn des Prophetenworts: »Wenn ihr nicht glaubet, so verstehet ihr auch nicht« (Is. 7, 9) ...

I ., 9, 1. Wer nur zu Anwesenden spricht, der nimmt bei Prüfung seiner Hörer Rücksicht auf die Zeit und trifft seine Entscheidungen auf Grund seiner Urteilskraft. So kann er von allen übrigen sehr bald den unterscheiden, der zu hören fähig ist; er achtet dabei auf die Worte, die Sitten, die Sinnesart, die Lebensweise, auf Bewegung und Haltung, auf Blick und Stimme, auf die Wegeskreuzung und den Felsen, auf den Pfad, der sich uns durch all das Zertretene anzeigt, auf die fruchtbare Erde und auf das unzugängliche Gestrüpp — und auf den wohl bearbeiteten Acker, der die Aussaat wird vielfältig wiedergeben können. Wer dagegen durch Schriftwerke zu anderen spricht, der sucht sich ein reines Gewissen zu schaffen Gott gegenüber, indem er in seiner Schrift laut bezeugt, daß er nicht um Gewinnes willen schreibe und auch nicht eitler Ehre zuliebe, dass er sich nicht von Leidenschaft bestimmen, nicht von Furcht knechten, nicht von Freude betören lasse — und daß er keinen anderen Genuss suche, als dem Heil seiner Leser zu dienen; das aber ist ein Genuss, der ihm nicht einmal gleich in der Gegenwart beschieden sein kann, so daß ihm nur — die Hoffnung bleibt.

I ., 18, 1. Die »Teppiche« werden aber die Wahrheit stets mit den Lehren der Philosophie vermischt enthalten, vielmehr in sie verhüllt und in ihnen verborgen, so wie der essbare Kern in der Schale einer Nuss verborgen steckt. Ich meine nämlich, dass es sich zieme, die Samenkörner der Wahrheit allein für die Ackersleute des Glaubens aufzubewahren. Freilich kenne ich auch das Gerede der Leute sehr wohl, die töricht genug vor jedem Geräusch erschrecken und darum sagen, man solle sich nur mit dem Nötigsten beschäftigen, nur mit dem, was für den Glauben unentbehrlich ist.., andere meinen sogar, dass die Philosophie als solche von Übel sei.., ich werde aber überall in meinen »Teppichen« zeigen.., dass auch die Philosophie in mancher Hinsicht ein Werk göttlicher Vorsehung ist.

I ., 28, 1.
Vor der Ankunft des Herrn war Philosophie für die Griechen das Mittel der Rechtfertigung, jetzt aber ist sie für die Gottesfurcht nützlich, denn sie wird zu einer Art Vorbildung für alle, die den Glauben durch Beweise gewinnen wollen. »Dein Fuß wird nicht anstoßen«, so heißt es (Sprichw.3, 23), wenn du alles Gute auf die Vorsehung zurückführst, gleichviel, ob du es bei uns oder bei den Griechen findest. Denn Gott ist der Urheber alles Guten, im Alten wie im Neuen Testament ist dies auch immer unmittelbar um seiner selbst willen der Fall, dagegen bei der Philosophie ist es immer nur eine Folgeerscheinung. Vielleicht wurde aber auch die Philosophie um ihrer selbst willen den Griechen gegeben, zur Zeit, ehe noch der Herr auch die Griechen berufen hatte, denn die Philosophie erzog das Griechenvolk für Christus, wie das Gesetz die Hebräer.

I ., 45, 3.
»Die Gebote«, so heißt es, »schreibe dir doppelt auf, für Rat und Kenntnis, damit du mit Worten der Wahrheit antworten kannst, wenn dir eine Frage vorgelegt wird.« Was ist das für eine Kenntnis, die das rechte Antworten ermöglicht? Die gleiche, die auch beim rechten Fragen hilft. Das wird wohl die Dialektik sein. Ist denn nicht auch das Reden eine Tätigkeit, und ist nicht das Handeln eine Folge von Reden und Überlegen? Wenn wir nicht mit Überlegung handeln, ist unser Tun töricht und blind. Jede vernünftige Tat dagegen wird nur entsprechend dem Willen Gottes ausgeführt. »Und nichts ist ohne das Wort geworden«, so heißt es, nämlich nichts ohne das Wort Gottes. Hat nicht auch der Herr alles durch Sein Wort gemacht? Arbeiten — das können auch unsere Haustiere, aber nur, wenn der Zwang der Furcht sie vorantreibt...

II ., 97, 1.
Der Erkennende ist der Mensch nach Gottes Bild und Ähnlichkeit, denn soweit es ihm überhaupt möglich ist, wird er auch Gott nachzuahmen sich bemühen und nichts unterlassen, was irgend zu den menschlich erreichbaren Ähnlichkeiten mit Gott beitragen kann, er wird Enthaltsamkeit und Geduld üben, gerecht leben, seine Leidenschaften beherrschen, wie ein König seine Untertanen beherrscht, wird von seiner Habe bereitwillig mitteilen, wird nach allen seinen Kräften in Wort und Tat wohltätig sein...

Das Ähnlichwerden nennt das Gesetz »Nachfolge«, und solche Nachfolge macht in der Tat ähnlich. »Werdet mitleidig und barmherzig«, sagt der Herr, »wie euer himmlischer Vater barmherzig ist.« Auch die Stoiker lehrten ja schon, das höchste Ziel sei, der Natur zu folgen — sie hatten eben statt »Gott« einfach »Natur« eingesetzt, ungehörigerweise, denn der Begriff Natur erstreckt sich auf Gepflanztes und Gesätes auch, auf Bäume und auf Steine...

Der Pythagoreer Hippodamos schreibt: »Von den Freundschaften stammt die eine aus der Kenntnis der Götter, die andere aus der Freigebigkeit der Menschen, die dritte aus der Lust der Tiere.« Die erste Art ist die der Philosophen ... und tatsächlich ist ja ein Mensch, der Wohltaten erweist, immer ein wenig auch Abbild Gottes.

IV., 9, 1. ... Auch Pythagoras hat Gott allein weise genannt, sich selbst aber wegen seiner Liebe zu Gott einen Philosophen, also einen Freund der Weisheit. In ähnlichem Sinn ist die Stelle zu verstehen: »Gott sprach mit Moses wie ein Freund mit einem Freunde.« Denn das Wahre ist in Gott offenbar, der Erkennende aber liebt die Wahrheit und sucht sie. »Gehe hin zur Ameise, du Faulpelz, und werde ein Schüler der Bienen« sagt Salomo. Aber wenn jedes Geschöpf eine einzige seinem Wesen entsprechende Art der Beschäftigung hat, das Rind die seine, und das Pferd die seine, und auch der Hund betätigt sich nur in der einen, ihm eigenen Art — was sollen wir dann als die dem Menschen allein und urtümlich vorbehaltene Betätigungsweise ansprechen? Der Mensch gleicht, wie mir scheint, einem Zentauren, diesem merkwürdigen Traumgeschöpf Thessaliens, da er aus einem vernünftigen und einem unvernünftigen Teil zusammengesetzt ist, aus Seele und Leib. Der Leib bearbeitet die Erde und strebt zur Erde zurück, die Seele dagegen ist auf Gott hin ausgerichtet — wenigstens soweit sie durch die wahre Philosophie dazu angehalten und erzogen wird. Dann eilt sie empor, ihren Verwandten entgegen, zuvor aber muss sie sich von den Begierden des Körpers reinigen und mit ihnen zugleich alle Mühsal und Furcht ablegen.... Freilich ist auch Erdulden von Mühsal nützlich, und Furcht ist nützlich, soweit sie Gottesfurcht ist, und das heißt Erkenntnis der Sünde, und solche Erkenntnis kommt durch Kenntnis des Gesetzes. Ohne Gesetz ist die Sünde tot... Herakleitos hat recht, wenn er sagt:

»Man würde den Namen des Rechtes nicht kennen, wenn es kein Unrecht gäbe«,

und Sokrates meint, das Gesetz sei gewiss nicht entstanden, um die Guten zu lenken... Denn die Gebote: »Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen« und so weiter, können in dem einzigen Satz zusammengefasst werden: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« . . . Wenn aber der nichts Böses tut, der seinen Nächsten liebt, und wenn wirklich alle Gebote in der einen Forderung zusammengefasst werden können, man solle den Nächsten lieben, dann wollen also alle Gesetze und Gebote nicht Hass bewirken — obwohl sie doch drohend die Furcht über alle Menschen schweben lassen —, sondern nur Liebe...

Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band I, Die Väter der Kirche . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.107-116); Holle Verlag , Darmstadt

Glaube und Wille
Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht verstehen. Is 7,9
Die große Menge versteht nicht — aber bildet sich ein, zu verstehen. Der Glaube ist eine Vorwegnahme der Erkenntnis, eine Zustimmung des empfänglichen Geistes, ein »Feststehen im Erhofften« (Heb 11, 1) — man kann auch sagen: die im Anschluss an einen Zeugen vollzogene Bejahung des Unsichtbaren, so wie der Beweis das bisher Unbekannte aus eigener Einsicht fasst.

(Als Anschlu
ss an den Zeugen) ist Glaube eine Willens-Entscheidung, eine einsichtsvolle Entscheidung, die Grundlage des Handelns. Eine »einsichtsvolle Entscheidung«, indem man im Glauben den Beweis vorausnimmt und willig dem Wertvollen folgt. Und das ist Anfang der Verständigkeit, ein mächtiger Aufschwung der Erkenntnis. Mit dem Augenblick der Entscheidung wird die Glaubenshingabe zu einer Erkenntnis, die auf fester Grundlage ruht.

Wenn nämlich das göttliche Wort selbst die Wahrheit in religiösen Dingen lehrt, so ist der Glaubensanschluss sicher die einzige Grundlegung der Wahrheit. Wer den göttlichen Schriften glaubt, hat einen unbedingt verläßlichen Maßstab für sein Urteil: er erfaßt die Stimme Gottes als unumstößlichen Erweis. Darum sind
»selig, die nicht sehen und doch glauben« (Joh 20,29).

Wer meint, das Wissen sei imstande, alles zu beweisen, möge sich sagen lassen, daß die Prinzipien (die Voraussetzungen seines Denkens) unbeweisbar sind. Der Glaube allein erfa
sst das Urprinzip. Und wie man in praktischen Dingen nur durch Übung zur Meisterschaft kommt, so erkennt man im Religiösen nur durch Glaubensgehorsam. Man gehorcht dem göttlichen Wort als Lehrer, und das Wort des Herrn ist es wert, als Beweis zu gelten.

Im Glauben ist Liebe, und diese schafft gläubige Menschen. Liebe hat eine innere Nähe zum Glauben, und der Glaube seinerseits nimmt die Liebe auf und führt sie zur Vollendung
. S.249
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte. Verlag Ars Sacra Josef Müller München

In Gottes Gegenwart
Ich will beständig Deinen Namen preisen, ihm Dankeslieder singen. Sir 54, 44
Nicht nur an ausgewählten Tagen, sondern immerwährend durchs ganze Leben und auf alle Weisen Gott zu verehren, sind wir belehrt. Durchs ganze Leben ehrt der Erleuchtete seinen Gott an jedem Orte, ob er nun ganz allein oder in Gesellschaft mit andern ist.

Wenn schon der nahe Umgang mit einem guten Menschen auf den Gefährten wirkt und ihn durch die Verehrung und Liebe im Guten fördert, wieviel mehr wird derjenige, der durch innere Anschauung, Leben, Dankgebet immer Gott nahe ist, mehr und mehr an Gutem gewinnen!

Der Erlöste ist der Gottnahe im besonderen Sinne. Ernst und Fröhlichkeit zugleich bezeichnen sein Tun: Ernst, weil er dem Göttlichen zugewendet ist, Fröhlichkeit, weil er die menschlichen Güter wertschätzt, die ihm Gott gegeben. Ein solcher ist fürwahr ein königlicher Mensch und ein heiliger Priester Gottes.
S.137
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte. Verlag Ars Sacra Josef Müller München

Reich und arm
Die Erwerbenden so, als besäßen sie nichts, und die sich mit der Welt befassen, als machten sie keinen Gebrauch von ihr.
1. Kor 7, 30f.

Der Herr erkennt auch den Gebrauch von äußeren Gütern an und befiehlt nicht, von sich wegzutun, was zum Leben gehört. Nur dessen schlechte Verwendung, also die moralische Krankheit der Seele, wollte er nicht. Denn in ein unreines Herz zieht Gottes Gnade nicht ein. und unrein ist die Seele, die voller Begierde ist.

Es kann einer großen Besitz sein eigen nennen und damit als Gaben Gottes dem göttlichen Geber zum Wohle der Mitmenschen dienen. Wenn er sich bewußt ist, daß er dies mehr für seine Brüder als für sich selbst besitzt, wenn er wahrhaft Herr seines Besitzes und nicht dessen Sklave ist, wenn er nicht so daran hängt, daß er ihn zum Ziel und Inhalt seines Lebens macht, wenn er stets darauf bedacht ist, damit Gutes, im göttlichen Sinne Gutes zu tun, wenn er bei Verlusten die Lösung mit ruhigem Gemüte trägt, so wie er mit dem Überfluss umzugehen wusste: ein solcher kann wohl des Himmelreichs teilhaft werden.

Wer freilich auf das Irdische versessen ist, wer am Reichtum mit seiner Seele hängt und statt des göttlichen Geistes den Geldsack oder die Ackerscholle in seinem Herzen hegt und, vom Niederen abhängig, in den Fesseln der Welt verstrickt, seinen Besitz ins Unermeßliche steigern will, ein solcher »ist von der Erde und wird zur Erde« (Gen 3, 19). Wie könnte ein solcher nach dem Himmelreich auch nur Verlangen tragen
(geschweige denn es erlangen)?

Auch ein Armer, dem es am Lebensnötigen fehlt, kann von den Leidenschaften besessen sein — während ein Reicher nüchtern, anspruchslos und rein sein kann
. S.226
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte. Verlag Ars Sacra Josef Müller München