Klabund (Pseudonym), eigentl. Alfred Henschke (1890 - 1928)

Deutscher Lyriker, Erzähler und Nachdichter, der Philosophie und Literatur studiert hat und mit Gottfried Benn (1886 - 1956) befreundet war. Klabund legte seinen Nachdichtungen aus dem Chinesischen und Persischen französische und englische Übersetzungen zugrunde. Seine Chansons und Balladen schrieb er im Stil von Francois Villon (1431- nach dem 5.1. 1463). Für seine Erzählungen bevorzugte er die zyklische Zusammenfassung von Kurzromanen . Seine sarkastische und (selbst)kritische Feder führte sein kluger Verstand mit leichter Hand.

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Inhaltsverzeichnis
Kleine Selbstbiographie
Es hat ein Gott
Hiob
Als Gott der Herr auf Erden ging


Kleine Selbstbiographie

Ich bin, da ich dieses schreibe, siebenundzwanzig Jahre alt. Aber ich könnte auch schreiben drei Jahre, oder: fünfzigtausend. Ich stamme irgendwo aus der Mark. Ich bin ein Preuße. Und meine Farben, die ihr kennt, sind schwarz und weiß. Schwarz, das ist die Nacht, und weiß, das ist der Tag. Ich bin Tag und Nacht. Ich bin in der Mark geboren, aber früher lebte ich einmal in China und schrieb, mit einer großen Hornbrille betan, kleine Verse auf große Seidenstreifen. Mein Weg ist noch weit. Wer mich eine Stunde begleiten will, soll mir willkommen sein. Immer wieder muß ich geboren werden. Ich kann mich noch gut erinnern, daß ich einmal ein Hase war und über die Felder hoppelte und Kohl fraß. Später war ich ein Geier, der den Hasen die Augen auszuhacken pflegte. So mordete ich mich selbst. Ich war gut. Ich war schlecht. Ich war schön und häßlich; liebreizend und entsetzlich, feige und tapfer, herrisch und knechtisch. Ich liebe die Menschen. Aber ich liebe sie nicht mehr als die Tiere oder die Sterne, mit denen ich gerade so zu sprechen vermag wie mit dir, mein menschlicher Bruder. Ich liebe die Frauen. Allen voran die liebste Frau, die mir Tochter und Mutter Gottes war. Sie ist längst an Gottes Thron zurückgekehrt. Dort steht sie, die Lilie in der Hand, und lächelt und weint auf mich herab. — Was ihr kennt, ist nur ein Teil dessen, was ich dichtete. Oft hat mir der Wind die Blätter verweht, auf denen ich schrieb. Ich habe bei meinen vielen Wanderschaften zwei ganze Dramenmanuskripte verloren. Wer sie gefunden hat, soll sie behalten, ob er nun sein Zimmer damit tapeziert oder ob er sie seiner Frau nach dem Nachtmahl vorliest. Immer wieder muß ich mit heißer Klinge die klingenden Kämpfe in mir zu Ende fechten. Den Kampf der roten und der weißen Rose. Wenn ich einmal verblutet dahinsinke, soll man mir weiße und rote Rosen aufs Grab werfen. Das soll geschmückt sein wie ein Brautbett, und ein liebendes Paar soll wie Goldregen darauf niederstürzen. Und noch im Tode werde ich das neue Leben segnen. Locarno, 1919.
S. 15
Aus: Wo andre gehen, da muß ich fliegen . . . Eine Lesebuch. Herausgegeben von Matthias Wegner. Btb Taschenbuch 72267. Wilhelm Goldmann Verlag München

Es hat ein Gott
Es hat ein Gott mich ausgekotzt,
Nun lieg ich da, ein Haufen Dreck,
Und komm und komme nicht vom Fleck.

Doch hat er es noch gut gemeint,
Er warf mich auf ein Wiesenland,
Mit Blumen selig bunt bespannt.

Ich bin ja noch so tatenjung.
Ihr Blumen sagt, ach, liebt ihr mich?
Gedeiht ihr nicht so reich durch mich?
Ich bin der Dung! Ich bin der Dung!
S. 14
Aus: Wo andre gehen, da muß ich fliegen . . . Eine Lesebuch. Herausgegeben von Matthias Wegner. Btb Taschenbuch 72267. Wilhelm Goldmann Verlag München

Hiob
Und war kein Elend, das ihn nicht befiel,
Und keine Seuchen, die ihn nicht bestürzten.
Es faulte sein Getreide schon am Stiel,
Ein Riff zerspellte seines Schiffes Kiel,
Und Tränen einzig seinen Abend würzten.

Sein Haus verbrannte. Seine Mutter ward
Von den Nomaden vor der Stadt geschändet.
Ein Sohn erhängte sich am ersten Bart.
Sein einziger Bruder hatte sich geschart
Der Räuberbande, die sein Vieh entwendet.

Und die die Bitternis versüßte: sie,
Die Frau aus Ebenholz und aus Granaten:
Ihr zweiter Sohn in Brünsten spießte sie.
Mit ihren letzten Blicken grüßte sie
Den Gatten — welche wild um Rache baten.

Er aber kannte Rache nicht noch Haß,
So sehr der Schmerz sein Ackerland verwildert,
So unerschöpflich tief sein Tränenfaß.
Er sang mit seinem frommen Pilgerbaß
Dem Leben zu, das sich um ihn bebildert.

Und hast du, Herr, wie Marmor mich zerschlagen,
Und gönntest du mir nicht die kleinste Tat:
Wie darf ich gegen deine Einsicht wagen
Auch nur die jämmerlichsten meiner Klagen?
Du bist der Mäher und ich bin die Mahd.

Und sendest du auch Blitze, mich zu blenden,
Und machst du lahm den Leib, die Seele taub,
Und reißt du mir die Finger von den Händen:
Ich preise dennoch meiner Mutter Lenden
Und werde nimmer eines Unmuts Raub.

Daß einen Frühling ich im Licht erlebte,
Daß mir die Mutter süße Kuchen buk,
Daß ich als Jüngling schön in Tänzen schwebte,
Daß ich am Teppich der Gedanken webte,
War dies nicht Glück und goldnes Glück genug?

Daß ich nur einmal durft mein Weib umarmen,
Daß ich nur einmal in die Sonne sah:
Dies ist soviel schon meines Gotts Erbarmen.
Daß ich der Reichste unter allen Armen —
Lob sei und Preis dem Herrn. Hallelujah!
S.60ff.
Aus: Wo andre gehen, da muß ich fliegen . . . Eine Lesebuch. Herausgegeben von Matthias Wegner. Btb Taschenbuch 72267. Wilhelm Goldmann Verlag München

Als Gott der Herr auf Erden ging
Als Gott der Herr auf Erden ging,
Da freute sich ein jedes Ding;
Ein jedes Ding, ob groß, ob klein,
Es wollte doch gesegnet sein.

Die Kreatur in ihrer Not,
Der Mensch in Kümmernis und Tod,
Der breite Strom, das weite Land,
Sie fühlten Gottes Gnadenhand.

Es hört der Frosch zu quaken auf,
Der Hund hält inn in seinem Lauf,
Der Regen hätt geregnet nicht,
Bevor ihn Gott gesegnet nicht.

Der hohe Turm verneigte sich,
Die Antilope zeigte sich.
Und Efeulaub und Wiesengrün
Erkannten und lobpriesen ihn.

Von aller Art der Mensch allein
Geriet in Schand und Sündenpein.
Hätt er nicht Gott so oft verkannt,
Er ging noch heute durch das Land.

Hätt er nicht Gott so oft gesteint,
Wir wären noch mit ihm vereint.
Die Erde wär das Himmelreich
Und jeder Mensch ein Engel gleich.

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