Julius
Wilhem Martin Kaftan (1848 - 1926)
Deutscher evangelischer
Theologe, der 1883 den
früheren Lehrstuhl Schleiermachers in
Berlin übernahm, von dem in seinen frühen Jahren durchaus beeinflusst war. Dem konservativen Flügel der Schule
Ritschls angehörend, entwickelte er eine – mit mystischen Akzenten
durchsetzte - streng christozentrische, an der biblischen Offenbarung Gottes in Christus ausgerichtete Theologie, deren geistigen Gehalt er - trotz der von Ritschl übernommenen metaphysischen Kritik – religionsphilosophisch einsichtig nachzuweisen sucht.
Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
Ohne Religion
keine Einheit des Geistes
Rein formal schon ergibt sich, dass die Religion
und nur sie geeignet ist, die
Einheit des Geistes herzustellen, weil in ihr Erkenntnis
und Lebensordnung zusammentreffen; Und zwar so, dass beides unerlässlich
zusammengehört und sich gegenseitig bedingt. Der
Glaube, der seinem Wesen nach Gotteserkenntnis ist, hat seine Wurzeln im innersten
(praktischen) Erlebnis der Seele, und wieder dies
innerste Erlebnis wird durch den Gottesglauben bestimmt und gestaltet. In
dem Gedanken vom höchsten Gut hängt beides zusammen, er ist es, der
über beides entscheidet. Schon deshalb ist es die Religion, die die Einheit
des Geistes bewirkt.
Etwas Ähnliches kann weder vom Wissen noch von der Moral
behauptet werden. Denn jenes reicht auch auf der Stufe der Wissenschaft
in das praktische Geistesleben und seine Normen nicht hinein. Das
Wissen ist und bleibt auch bei rastlos fortschreitender Vervollkommnung nichts
anderes als eine objektive Vergegenwärtigung der uns gegebenen Wirklichkeit. Mit dem sittlichen Leben verhält es sich anders. Wir haben gefunden,
dass sich mit ihm auf der Stufe des Geistes eine übergreifende Erkenntnis
der menschlichen Dinge verbindet, die für die Philosophie sehr ins Gewicht
fällt. Insofern kann es auch von der Moral heißen, dass in ihr
Erkenntnis und Lebensordnung zusammentreffen. Näher zugesehen jedoch ergibt
sich, dass die mit dem sittlichen Erlebnis verbundene Erkenntnis dieses
in einen religiösen Zusammenhang stellt. Es ist kurz und bestimmter gesagt
die christliche Moral,
von der es gilt, das Christentum ist aber eine
untrennbare Einheit von Religion und Sittlichkeit. Was sich darin durchsetzt, ist nichts anderes als die öfter erwähnte innere Zusammengehörigkeit der Teilinhalte des geistigen
Lebens. Es hebt nicht auf, sondern dient zur Bestätigung dessen,
was hier behauptet wird: an der Religion hängt die
Einheit des Geistes.
Immerhin — abschließend ist diese Begründung nicht. Sie kann
es nicht sein, weil sie an einem rein formalen Moment haftet. Es sind immer
Kombinationen möglich, in denen eine andere Zusammenfügung von Erkenntnis
und Lebensordnung, unabhängig von der Religion, gedacht werden kann. Es
ist etwas anderes, in der Sache nämlich im Wesen
der Religion Begründetes, was sie zur ausschlaggebenden
Instanz für die Einheit des Geistes macht. Ganz kurz gesagt so:
Einheit des Geistes gibt es nicht ohne den Gedanken des
Absoluten, die Religion aber und nur sie ist die Sphäre des Absoluten.
Dass dies sich so verhält, habe ich im vorigen Kapitel gezeigt und
brauche es hier nicht zu wiederholen. Auf den Boden des rein theoretischen Denkens
versetzt, verliert der Gedanke des Absoluten jeden Halt und wird zu einem bloßen
Mittel, mit dem man je nachdem alles beweisen und alles widerlegen kann. Nur
in der Sphäre der Religion, in der seine Wurzeln liegen, und d. h. im Zusammenhang
mit ihr hat der Gedanke überragende Bedeutung für das Ganze des geistigen
Lebens. »Das
Absolute« ist nichts Anderes als der durch die abstrakte
Reflexion hindurch gegangene, begrifflich scharfe Ausdruck für das Wesen
Gottes. In diesem Wort fasst sich für den Frommen
beides zusammen: der höchste (absolute)
Wert und die höchste
(absolute) Macht. Es ist der springende
Punkt im Glauben und in der Erkenntnis, die der Glaube hat, dass, was der höchste Wert ist, auch die höchste Macht bedeutet.
Kein Zweifel daher die Religion ist die Sphäre des
Absoluten.Deshalb treffen in ihr Erkenntnis und Lebensordnung zusammen,
und begründet sie die Einheit des Geistes.
Denn ohne das Absolute läßt sich eine solche
nicht denken und erreichen. Es bleibt bei Surrogaten
einer Einheit des Geistes, gemachten Blumen,
die keine Wurzeln haben.
Aus: Philosophie des Protestantismus, Tübingen,
J. C. B. Mohr, 1917. S. 236ff.
Entnommen aus: Georg Wobbermin, Religionsphilosophie, 5. Band der Quellen-Handbücher
der Philosophie, Pan Verlag Rolf Heise – Berlin 1925 (S.218ff.)