Jehuda
Hallewi (vor 1075 - 1141)
Jüdischer Dichter, Arzt und Philosoph, der Gründer des mittelalterlichen
Zionismus war. (1140 Wanderung nach Palästina, Aufenthalt in Alexandria
und Kairo). Hallewi gilt als der bedeutendste hebräische Dichter der nachbiblischen
Zeit (7013 Gedichte, Liebes- und Naturschilderungen). Er verfasste eine Darstellung
der jüdischen Religionsphilosophie.
Verhältnis
der menschlichen Willensfreiheit zur göttlichen Bestimmung
Erster Grundsatz, in welchem eine
Bestätigung dieser Ansicht liegt, ist die Anerkennung der
Ersten Ursache, dass Gott ein weiser Schöpfer sei, in dessen Handlungen
nichts ohne Zweck ist, die vielmehr sämtlich auf Weisheit und Ordnung gegründet
sind, in die keine Verschlechterung sich einmengt. Dies hat sich in den Seelen
aus der Anerkennung der Erhabenheit seiner Schöpfung festgesetzt, sowie
aus dem, was davon in der Seele des Betrachtenden Wurzel gefasst hat, bis ihm
der Glaube ward, dass in Gottes Werken kein Fehler sei. Wenn ihm nun in etwas
geringerem ein Fehler erscheint, leidet sein Glaube nicht darunter, vielmehr
bezieht er jenen auf seine eigene Unwissenheit und seine geringe Einsicht.
Zweiter Grundsatz:
Der Glaube an Mittelursachen, die aber nicht tätig, sondern eben nur Ursachen
sind, nach Art der Materie oder Werkzeuge. Denn Same und Blut sind Stoff für
die Entstehung des Menschen, verbunden durch die Zeugungsorgane. während
die Geister und Kräfte Werkzeuge sind, die sich [derselben] nach dem Willen
Gottes bedienen, um eine vollkommene Bildung an Maß, Gestalt und Ernährung
hervorzubringen. Sogar bei jedem von Gott unmittelbar geschaffenen Ding sind
Mittelursachen notwendig, wie der Staub, der für den ersten Menschen den
Stoff hergegeben hat. Die Annahme von Mittelursachen ist mithin nicht überflüssig.
Dritter Grundsatz: Gott gibt jedem
Stoffe die beste und angemessenste Form, die nur möglich ist. Er ist der
Allgütige, der seine Milde, Weisheit und Fürsorge keinem Dinge entzieht.
Seine Weisheit an Floh und Mücke zum Beispiel ist nicht geringer, als an
der Anordnung der Sphären. Die Verschiedenheit der Dinge liegt in ihren
Stoffen; man kann daher nicht sagen: Warum hat er mich nicht zum Engel geschaffen?
ebensowenig wie der Wurm: Warum hast du mich nicht als Menschen geschaffen?
Vierter Grundsatz: Der Glaube,
dass es bei den Wesen höhere und tiefere Stufen gibt und dass alles, was
Empfindung und sinnliche Wahrnehmung hat, höher ist als das, dem dies alles
fehlt, da es der Stufe der Ersten Ursache nahe
kommt, welche der Verstand selbst ist. Die niedrigste Pflanze steht eine Stufe
höher, als das edelste Mineral, das niedrigste Tier eine Stufe höher,
als die edelste Pflanze und der niedrigste Mensch eine Stufe höher als
das edelste Tier. Ebenso sieht der niedrigste Bekenner des göttlichen Gesetzes
eine Stufe höher als der höchststehende Heide. Denn das von Gott gegebene
Gesetz verleiht den Seelen etwas von der Art und Weise der Engel, was auf künstlichem
Wege nicht erreicht, werden kann. Als Beweis dafür gilt, dass die dauernde
Beschäftigung mit der Ausübung dieses Gesetzes zur Stufe der Prophetie
führt, welche die Gott nächste menschliche Stufe ist. Der ungehorsame
Religionsbekenner ist demnach noch besser als ein Heide, da ihm das göttliche
Gesetz ein engelhaftes Tun möglich gemacht hat, durch welches er die Stufe
der Engel erreichen kann, wenn sein Ungehorsam sie ihm auch getrübt und
geschädigt hat. Denn einige Spuren bleiben immerhin zurück, und das
Feuer des Bestrebens nach derselben lodert in ihm fort. Hätte er dabei
die freie Wahl, dann würde er nicht vorziehen, auf der Stufe der Unwissenheit
zu verharren, wie der kranke und schmerzgeplagte Mensch, wenn er die Wahl hätte,
ein Pferd oder ein Fisch oder ein Vogel zu werden, der voll Lust und ohne Schmerzen,
aber auch von der Vernunft getrennt lebt, die ihn der göttlichen Stufe
nahe bringt, dies nimmer wählen würde.
Fünfter Grundsatz: Die Seelen
der Hörenden erleiden von der Zurechtweisung des Ratgebers eine Einwirkung,
wenn er annehmbare Dinge anrät. Denn die wahrhafte Zurechtweisung hat in
jedem Falle irgend einen Nutzen. Wird der Ungehorsame auch nicht von seinem
bösen Tun zurückgebracht, so entzündet sich in seiner Seele ein
Funke von dieser Zurechtweisung, und er sieht, dass dieses Tun schlecht sei.
Das ist schon ein Teil der Buße und ein Anfang dazu.
Sechster Grundsatz: Der Mensch
findet in sich selbst die Macht, das Böse zu tun oder zu unterlassen bei
Dingen die im Bereiche seines Könnens stehen. Was ihm dabei ohne seine
Schuld abgeht, geht ihm nur deshalb ab, weil ihm die Mittelursachen fehlen,
oder der Mensch sie nicht kennt. S.280-282
Das Verborgene überlasse
man ruhig der Allwissenheit und Gerechtigkeit Gottes
Das was man nicht aufdecken kann, überlasse man ruhig der
Allwissenheit und Gerechtigkeit Gottes, der Mensch gestehe, dass er diese
Ursachen nicht kenne, obwohl sie offen liegen, geschweige wenn sie verborgen
sind. Ist er in seinen Betrachtungen zum Ersten Wesen
und den demselben zugeschriebenen Eigenschaften gelangt, dann zieht er sich
vor ihnen zurück und sieht davor einen Vorhang von
Licht, der die Augen blendet. So wird es uns unserer Kurzsichtigkeit
und beschränkten Einsicht wegen nicht verstattet, es zu erreichen, nicht
weil es versteckt oder mit einem Fehler behaftet wäre.
Denn es erscheint den mit prophetischem Gesichte Begabten zu leuchtend, glänzend
und offenbar, als dass sie dabei noch eines Beweises bedürften.
Der höchste für uns erreichbare Punkt in der Erkenntnis seines Wesens
ist, dass wir bei den natürlichen Dingen unterscheiden können, was
nicht einem natürlichen Dinge zu Grunde gelegen hat, um dies einer nicht
körperlichen, sondern göttlichen Kraft zuzuschreiben, wie Galenus
von der bildenden Kraft sagt, ihr vor den übrigen Kräften den Vorrang
einräumt, und der Ansicht ist, dass sie nicht aus einer Mischung entstanden
sei, sondern auf göttlichen Befehl in Wundern, dass wir ohne künstliche
Mittel Substanzen sich verwandeln, Zustände sich verändern, noch nicht,
Dagewesenes entstehen sahen. Das ist der Unterschied zwischen dem, was durch
die Hand Moses und dem, was von den ,,Zauberern mit ihren geheimen Künsten“
hervorgebracht worden ist, deren geheime Mittel man bei genauer Untersuchung
gefunden haben würde. So sagt auch Jeremias: ,,Nichtigkeit haben sie getan,
irreführende Werke (Jer, 10,15),, — er will sagen: wenn man sie ganz
genau untersucht haben wird, werden sie eitel erscheinen wie ein verächtliches
Ding. Untersucht man hingegen den göttlichen Einfluss, so findet man lauteres
Gold. Wenn wir auf diese Stufe gelangt. sind, sagen wir, dass dort ohne Zweifel
sich ein unkörperliches Etwas befinde, das sämtliche Körper leitet,
was zu untersuchen aber unsere Geisteskräfte nicht ausreichen. Wir wollen
daher nur seine Wirkungen betrachten, von der Beschreibung seines Wesens aber
Abstand nehmen. Denn könnten wir ein solches Wesen erfassen, so wäre
dies ja ein Mangel an demselben. Wir haben uns um die Worte der Philosophen
nicht zu kümmern, die die göttliche Welt in Stufen teilen. Denn sobald
wir uns vom Körperlichen getrennt haben, ist bei uns alles göttliche
Stufe, da nur Gott alle Körper leitet. Zur Annahme vieler Gottheiten sind
die Philosophen durch die Untersuchungen über die Bewegungen der Sphären
verleitet worden, deren sie mehr als vierzig annahmen; sie sahen, dass die Bewegung
einer jeden eine besondere, selbstständige Ursache hätte, woraus sie
den Schluss zogen, dass diese Bewegungen willkürliche, nicht notwendige
oder natürliche wären; jede Bewegung musste demnach von einer Seele
ausgehen. Jede Seele hat aber Vernunft, diese Vernunft ist ein vom Stoffe getrennter
Engel. Sie nannten also diese Vernunftgeister Gott, seine
Engel sekundäre Ursachen und ähnlich. Die unterste, uns zunächst
liegende Stufe ist der tatkräftige Verstand,
von dem sie glauben, dass er diese untere Welt leite, dann der materielle
Verstand, dann die Seele, dann die Natur, dann die Naturkräfte,
die animalischen und die Kraft eines jeden Gliedes. Das sind alles Spitzfindigkeiten,
welche der Untersuchung zu Gute kommen; wer von ihr sich täuschen lässt,
ist in jedem Falle ein Gottesleugner. Lass auch den Beweis, den die Karaiten
aus dem letzten Befehle Davids an seinen Sohn herauslesen, da er sagt: ,,Nun
mein Sohn Salomo, erkenne den Gott
deines Vaters und diene ihm — woraus sie den Beweis ziehen, dass man zuerst
Gott in Wahrheit erkennen müsse, dann erst sei seine Anbetung Pflicht.
S.284-286
Aus: Jehuda Hallewi: Al-Chazari. Aus dem Arabischen
übersetzt von Dr. Hartwig Hirschfeld
Fourier Verlag, Wiesbaden