Friedrich Heinrich Jacobi (1743 - 1819)

Deutscher Schriftsteller und Philosoph, der zusammen mit Christoph Martin Wieland die Zeitschrift »der Teutsche Merkur« (1773) gründete. In Auseinandersetzung mit dem Geniekult des jungen Goethe schrieb er - die von seinen Zeitgenossen begeistert auf genommenen - Briefromane: »Aus Eduard Allwills Papieren« (1775/6) und »Woldemar« (1779). »Woldemor ist eigentlich«, so schrieb Friedrich Schlegel in seiner kritischen Rezension, »eine Einladungsschrift zur Bekanntschaft mit Gott und das theologische Kunstwerk endigt … mit einem Salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit«. Auf Lessings Anregung studierte Jacobi die Schriften Spinozas, mit deren rationalistischer Grundposition er sich jedoch gar nicht befreunden konnte. Seine ablehnende Meinung schlägt sich in dem – ohne Zustimmung Mendelsohnsveröffentlichten Briefwechsel »Über die Lehre des Spinoza, in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn« (1785) nieder, in dem im Wesentlichen darum ging, ob Lessing ein Spinozist gewesen sei. Jacobis fundierte pantheistische Auslegung der Philosophie Spinozas hatte großen Einfluss auf die Frühromantiker. Als seine philosophisch bedeutendste Schrift wird »David Hume - über den Glauben, oder Idealismus und Realismus« (1787) angesehen. Seiner Überzeugung von den intuitiv zu erfühlenden Glaubenswahrheiten gab er auch in einer Kritik an Kant in der Schrift »Über das Unternehmen des Kritizismus« (1802) Ausdruck. Jacobi verfocht eine auf die Romantik hinführende Gefühls- und Glaubensphilosophie und führte den Begriff des »Nihilismus« in die Fachsprache ein.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Gott ist das Wesen aller Wesen
Aus einem Gespräch mit Lessing über die Philosophie des Spinoza

Gott ist das Wesen aller Wesen
Wider den Spinoza
Da alles, was außer dem Zusammenhang des Bedingten, des natürlich Vermittelten liegt, auch außer der Sphäre unserer deutlichen Erkenntnis liegt, und durch Begriffe nicht verstanden werden kann: so kann das Übernatürliche auf keine andre Weise von uns angenommen werden, als es uns gegeben ist; nämlich, als Tatsache - Es ist!

Dieses
Übernatürliche, dieses Wesen aller Wesen, nennen alle Zungen: den Gott.


Der Gott des Weltalls kann nicht bloß der Baumeister des Weltalls sein; er ist Schöpfer, und seine unbedingte Kraft hat die Dinge auch der Substanz nach gewirkt. Hätte er die Dinge nicht auch der Substanz nach gewirkt, so müssten zwei Urheber sein, die, man weiß nicht wie, miteinander in Verbindung geraten wären. Eine Ungereimtheit, die in unsern Tagen (nicht weil sie zu groß, sondern weil sie nicht in unserer Vorstellungsart ist) keiner Widerlegung bedarf. Unser Widerstreben gegen ein Entstehen der Dinge auch der Substanz nach kommt daher, weil wir kein Entstehen, welches nicht auf eine natürliche, das ist bedingte und mechanische Weise geschieht, begreifen können.

Wie sehr wünschte ich nicht, diese Sätze und Folgerungen eben so faßlich machen zu können, als sie für mich selbst evident sind. Man würde alsdann nicht allein das Vernunftwidrige der Forderung einer Demonstration vom Dasein Gottes einsehen, sondern durch eben diese Einsicht auch begreifen, warum eine mit unserem Verstande und Willen (welche beide auf Koexistenz, d. i., auf Abhängigkeit und Endlichkeit gepfropft sind) belehnte erste Ursache, als ein unmögliches und ganz ungereimtes Wesen erscheinen müsse. Je vollkommener man aus dem ersten das zweite erkennte, desto deutlicher würde man das Unzuläßige der Folgerung einsehen: Weil ein Gott kein Mensch, oder nicht körperlich sein kann, so kann ihm auch Individualität und Intelligenz nicht zugehören.

Wir besitzen aber, ungeachtet unserer Endlichkeit und Natursklaverei — oder scheinen wenigstens durch das Bewußtsein unserer Selbsttätigkeit bei der Ausübung unseres Willens — ein Analogon des Übernatürlichen, das ist: des nicht mechanisch wirkenden Wesens in uns zu besitzen. Und da wir nicht imstande sind, überhaupt uns einen möglichen Anfang irgendeiner Veränderung außer einer solchen, welcher durch eine innere Entschließung oder Selbstbestimmung bewirkt wird, wirklich vorzustellen: so hat der bloße Instinkt der Vernunft schon alle rohen Völker angetrieben, jede Veränderung, die sie entstehen sahen, als eine Handlung zu betrachten und sie auf ein lebendiges, selbsttätiges Wesen zu beziehen. Sie irrten, weil sie unmittelbar bezogen; aber doch weniger und auf eine unendlich verzeihlichere Weise als wir, wenn wir alles in Mechanismus auflösen wollen und die ungereimte Forderung an das Prinzip des Mechanismus machen, daß es selbst einen Mechanismus zutage legen müsse — wenn man ihm Dasein zugestehen sollte, weil unsere deutliche Vorstellung eines Dinges nicht über die Vorstellung seines Mechanismus hinausgeht.

Dennoch gehört schon etwas Nichtmechanisches zu der Möglichkeit einer Vorstellung überhaupt, und kein Mensch ist imstande, sich das Prinzip des Lebens, die innere Quelle des Verstandes und Willens, als ein Resultat mechanischer Verknüpfungen, das ist: als etwas bloß Vermitteltes vorzustellen. Noch weniger kann Kausalität überhaupt als etwas bloß Vermitteltes oder auf Mechanismus Beruhendes gedacht werden. Und da wir nun von Kausalität nicht die geringste Ahnung haben, ausgenommen unmittelbar durch das Bewußtsein unserer eigenen Kausalität, so sehe ich nicht, wie es umgangen werden kann, überhaupt Intelligenz und zwar eine allerhöchste, reale, die nicht wieder unter dem Bilde des Mechanismus, sondern als ein durchaus unabhängiges, supramundanes [überweltliches] und persönliches Wesen gedacht werden muß, als das erste und einzige Prinzip, als das wahre Urwesen anzunehmen.

Wie eine Handlung sich selbst anfangen möge, ist dem nur immer fortsetzenden und voraussetzenden Verstande unbegreiflich. Wahrhaft ein Erstes voraussetzend ist der menschliche Verstand nicht, es ist ihm immer nur etwas, dieses oder jenes, vorausgesetzt. Setzt er der unbestimmten Reihe von Bedingungen ein Ende und nennt dieses Ende den Anfang oder Totalität: soll dieser erdichtete Anfang Gott heißen?

Welch ein armseliger Anthropomorphismus! In ihm sind alle unsere Pantheisten befangen. Haben doch die Geschlechter der Menschen stets von Gott gewußt und die Nachdenkenden unter ihnen weiter nach ihm geforscht! Ihn suchend — was suchten sie? Sie suchten und forschten nach einer von dem Weltall unterschiedenen, über dasselbe erhabenen und von ihm unabhängigen Ursache der Welt. Wem Gott sein Angesicht zuwendet, der kann ihn schauen; von wem Gott sein Angesicht abwendet, der leugnet ihn und muß ihn leugnen.

So erging es dem Spinoza. Sein Weltall ist dasselbe heute, gestern und immerdar. Dieses, in seinem Grunde, blödsinnige Weltall, macht sich selbst einen blauen Dunst vor von Wesen, welche nicht sind, deren jedes, mithin auch ihre Gesamtheit, nur ein wechselndes Nichts ist. Darum könnte man sagen, der Spinozismus leugne nicht sowohl das Dasein eines Gottes als das Dasein einer wirklichen und wahrhaften Welt, gerade wie sich dieses auch von jedem späteren System der Art sagen ließe Das ist aber im Grunde nur ein Wortspiel. Von dem Dasein einer vorhandenen, wirklichen Welt wird ausgegangen, und es wird nur gefragt: ob außer und über ihr noch ein anderes Wesen sei — oder ob sie selbst in ihrer Totalität Alles und außer ihr Nichts sei. Die Voraussetzung eines Unbedingten — eines unbestimmten Ganzen — und die Voraussetzung Gottes ist durchaus nicht eins, und wir gelangen mitnichten auf demselben Wege zu dem einen oder anderen. Beiden in der Mitte liegt die eigentliche von der Vernunft aufgegebene Frage: ob nur eine selbständige Natur ist, die aus ihrem Schoße eine Unendlichkeit von Erscheinungen ohne Anfang und Ende willenlos gebiert oder ob über der Natur und außer ihr ist: eine Schöpfung mit Wissen und Willen, nicht eine bloße Fruchtbarkeit, wie Kant treffend unterschieden hat. La nature confond les Pyrrhoniens et la raison confond les Dogmatistes! Pascal versteht hier unter Natur Empfindung und Gefühl, unter Vernunft den überlegenden Verstand.

Vernunft
dagegen, als Wahrnehmung und Voraussetzung Gottes, weiß im Menschen das Höchste. Will er darüber hinaus, so gerät er in den logischen Emanatismus, das ist: zu einem alles zu nichts machenden Nichts...
Aus: Die Schriften F. H. Jacobi’s, herausgegeben von L. Matthias, Berlin 1926, S.149 bis 153


Aus einem Gespräch mit Lessing über die Philosophie des Spinoza
Brief vom 4. 11. 1783 an Moses Mendelsohn
Pempelfort bei Düsseldorf, den 4. November 1783.
Sie wünschen wegen gewisser Meinungen, die ich in einem Briefe an ****** dem verewigten Lessing zugeschrieben habe, das Genauere von mir zu erfahren; und da scheint es mir am besten, mich mit dem, was ich davon mitzuteilen fähig bin, an Sie unmittelbar zu wenden.

Es gehört zur Sache, wenigstens zu ihrem Vortrage, dass ich einiges mich selbst betreffendes vorausschicke. Und indem ich Sie dadurch in eine etwas nähere Bekanntschaft mit mir setze, werde ich mehr Mut gewinnen, alles frei herauszusagen; und vielleicht vergessen, was mich sorgsam oder schüchtern machen will.
Ich ging noch im polnischen Rocke, da ich schon anfing, mich über Dinge einer andern Welt zu ängstigen. Mein kindischer Tiefsinn brachte mich im achten oder neunten Jahre zu gewissen sonderbaren - Ansichten (ich weiß es anders nicht zu nennen), die mir bis auf diese Stunde ankleben. Die Sehnsucht, in Absicht der besseren Erwartungen des Menschen zur Gewissheit zu gelangen, nahm mit den Jahren zu, und sie ist der Hauptfaden geworden, an den sich meine übrigen Schicksale knüpfen mussten. Ursprüngliche Gemütsart, und die Erziehung, welche ich erhielt, vereinigten sich, mich in einem billigen Misstrauen gegen mich selbst, und nur zu lange in einer desto grössern Erwartung von dem, was andre leisten könnten, zu erhalten. Ich kam nach Genf, wo ich vortreffliche Männer fand, die sich mit großmütiger Liebe, mit wirklicher Vatertreue meiner annahmen. Andere von gleichem, viele von noch grösserem Rufe, die ich später kennen lernte, verschafften mir nicht die Vorteile, die ich von jenen genossen hatte; und ich musste mich von mehr als einem unter diesen zuletzt mit Verdruß und Reue über eingebüßte Zeit und verschwendete Kräfte zurückziehen. Diese und noch andere Erfahrungen stimmten mich allmählich zu mir selbst mehr herab; ich lernte meine eigenen Kräfte sammeln und zu Rate halten.

Wenn es zu allen Zeiten nur wenige Menschen gegeben hat, die mit innerlichem Ernste nach der Wahrheit rangen, so hat sich dagegen auch die Wahrheit jedem unter diesen wenigen auf irgendeine Weise mitgeteilt. Ich entdeckte diese Spur; verfolgte sie unter Lebendigen und Toten; und wurde je länger je innigergewahr: dass echter Tiefsinn eine gemeinschaftliche Richtung hat, wie die Schwerkraft in den Körpern; welche Richtung aber, da sie von verschiedenen Punkten der Peripherie ausgeht, ebensowenig parallele Linien geben kann, als solche, die sich kreuzen.

Mit dem Scharfsinne, welchen ich den Sehnen des Zirkels vergleichen möchte, und der oft für Tiefsinn gehalten wird, weil er tiefsinnig über Form und Äußerliches ist, verhält es sich nicht ebenso. Hier durchschneiden sich die Linien, soviel man will, und sind zuweilen auch einander parallel. Eine Sehne kann so nah am Durchmesser herlaufen, dass man sie für den Durchmesser selbst ansieht; sie durchschneidet aber dann nur eine grössere Menge Radii, ohne aufzuhören, eine Sehne zu sein.

Verzeihen Sie mir, Verehrungswürdigster, diesen Bilderkram. - Ich komme zu Lessing.

Immer hatte ich den großen Mann verehrt; aber die Begierde, näher mit ihm bekannt zu werden, hatte sich erst seit seinen theologischen Streitigkeiten, und nachdem ich die Parabel gelesen hatte, lebhafter in mir geregt. Mein günstiges Schicksal gab, dass ihn Allwills Papiere interessierten; dass er mir, erst durch Reisende, manche freundliche Botschaft sandte, und endlich, im Jahre 1779, an mich schrieb. Ich antwortete ihm, dass ich im folgenden Frühjahr eine Reise vorhätte, die mich über Wolfenbüttel führen sollte, wo ich mich sehnte, in ihm die Geister mehrerer Weisen zu beschwören, die ich über gewisse Dinge nicht zur Sprache bringen könnte.*
*Die eignen Worte meines Briefes, den ich jetzt wieder habe, und von welchem ich keine Abschrift besass, waren diese: »Ich sehne mich unaussprechlich nach jenen Tagen, auch darum, weil ich die Geister einiger Seher in Ihnen beschwören und zur Sprache bringen möchte, die mir nicht genug antworten.«

Meine Reise kam zustande, und den 5. Julius nachmittags hielt ich Lessing zum erstenmal in meinen Armen.

Wir sprachen noch an demselbigen Tage über viele wichtige Dinge; auch von Personen, moralischen und unmoralischen, Atheisten, Theisten und Christen. Den folgenden Morgen kam Lessing in mein Zimmer, da ich mit einigen Briefen, die ich zu schreiben hatte, noch nicht fertig war. Ich reichte ihm Verschiedenes aus meiner Brieftasche, dass er unterdessen sichdie Zeit damit vertriebe. Beim Zurückgeben fragte er: ob ich nicht noch mehr hätte, das er lesen dürfte. »Doch!« sagte ich (ich war im Begriff zu siegeln): »hier ist noch ein Gedicht; - Sie haben so manches Ärgernis gegeben, so mögen Sie auch wohl einmal eins nehmen.«...

Prometheus.
Bedecke deinen Himmel, Zeus …
>> Fortsetzung

Lessing.
(Nachdem er das Gedicht gelesen, und indem er mir's zurückgab.) Ich habe kein Ärgernis genommen; ich habe das schon lange aus der ersten Hand.

Ich. Sie kennen das Gedicht?


Lessing. Das Gedicht hab' ich nie gelesen; aber ich find es gut.

Ich.
In seiner Art, ich auch; sonst hätte ich es Ihnen nicht gezeigt.

Lessing. Ich mein es anders... Der Gesichtspunkt, aus welchem das Gedicht genommen ist, das ist mein eigener Gesichtspunkt... Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht geniessen. Hen kai Pan! Ich weiß nichts anders. Dahin geht auch dies Gedicht; und ich muss bekennen, es gefällt mir sehr.

Ich. Da wären Sie ja mit Spinoza ziemlich einverstanden.

Lessing. Wenn ich mich nach jemand nennen soll, so weiß ich keinen andern.

Ich. Spinoza ist mir gut genug: aber doch ein schlechtes Heil, das wir in seinem Namen finden!


Lessing.
Ja! Wenn Sie wollen!... Und doch... Wissen Sie etwas Besseres?...


Der dessauische Direktor Wolke war unterdessen hereingetreten, und wir gingen zusammen auf die Bibliothek.

Den folgenden Morgen, als ich nach dem Frühstück in mein Zimmer zurückgekehrt war, um mich anzukleiden, kam mir Lessing über eine Weile nach. Ich saß unter dem Frisieren, und Lessing lagerte sich unterdessen am Ende des Zimmers stille an einen Tisch hin. Sobald wir allein waren, und ich mich an die andre Seite des Tisches, worauf Lessing gestützt war, niedergelassen hatte, hub er an:

Ich bin gekommen, über mein Hen kai Pan mit Ihnen zu reden. Sie erschraken gestern.


Ich.
Sie überraschten mich, und ich fühlte meine Verwirrung. Schrecken war es nicht. Freilich war es gegen meine Vermutung, an Ihnen einen Spinozisten oder Pantheisten zu finden; und noch weit mehr dagegen, dass Sie mir es gleich und so blank und bar hinlegen würden. Ich war großenteils gekommen, um von Ihnen Hilfe gegen den Spinoza zu erhalten.

Lessing. Also kennen Sie ihn doch?

Ich. Ich glaube ihn zu kennen, wie nur sehr wenige ihn gekannt haben mögen.

Lessing. Dann ist Ihnen nicht zu helfen. Werden Sie lieber ganz sein Freund. Es gibt keine andre Philosophie, als die Philosophie des
Spinoza.

Ich. Das mag wahr sein. Denn der Determinist, wenn er bündig sein will, muß zum Fatalisten werden: hernach gibt sich das Übrige von selbst.

Lessing. Ich merke, wir verstehen uns. Desto begieriger bin ich, von Ihnen zu hören: was Sie für den Geist des Spinozismus halten; ich meine den, der in Spinoza selbst gefahren war.

Ich. Das ist wohl kein anderer gewesen, als das Uralte: a nihilo nihil fit; welches Spinoza, nach abgezogenem Begriffen, als die philosophierenden Kabbalisten und andre vor ihm, in Betrachtung zog. Nach diesen abgezogenem Begriffen fand er, daß durch ein jedes Entstehen im Unendlichen, mit was für Bildern oder Worten man ihm auch zu helfen suche, durch einen jeden Wechsel in demselben, ein Etwas aus dem Nichts gesetzt werde. Er verwarf also jeden Übergang des Unendlichen zum Endlichen; überhaupt alle Causas transitorias, secundarias oder remotas; und setzte an die Stelle des emanierenden ein nur immanentes Ensoph; eine inwohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen — Eins und dasselbe wäre.*
Ich fahre in dieser Darstellung fort, und ziehe, um nicht zu weitläufig zu werden, so viel ich kann, zusammen, ohne die Zwischenreden aufzuschreiben. Was unmittelbar hier folgt, wurde herbeigeführt, indem Lessing als des Dunkelsten im Spinoza erwähnte, was auch Leibniz so gefunden und nicht ganz verstanden hätte (Theod. §. 173.). Ich mache diese Erinnerung hier Ein für Allemal, und werde sie in der Folge, wo ich mir ähnliche Freyheiten nehme, nicht wiederholen. (Anm. der ersten Ausgabe.)
Diese innewohnende unendliche Ursache hat, als solche, explicite, weder Verstand noch Willen: weil sie, ihrer transzendentalen Einheit und durchgängigen absoluten Unendlichkeit zufolge, keinen Gegenstand des Denkens und des Wollens haben kann; und ein Vermögen einen Begriff vor dem Begriffe hervorzubringen, oder einen Begriff der vor seinem Gegenstande und die vollständige Ursache seiner selbst wäre, so wie auch ein Wille, der das Wollen wirkte und durchaus sich selbst bestimmte, lauter ungereimte Dinge sind.... Der Einwurf, daß eine unendliche Reihe von Wirkungen möglich sei, (bloße Wirkungen sind es nicht, weil die inwohnende Ursache immer und überall ist), widerlegt sich selbst, weil jede Reihe, die nicht aus Nichts entspringen soll, schlechterdinge eine unendliche sein muß. Und daraus folgt denn wieder, da jeder einzelne Begriff aus einem andern einzelnen Begriffe entspringen, und sich auf einen wirklich vorhandenen Gegenstand unmittelbar beziehen muß: daß in der ersten Ursache, die unendlicher Natur ist, weder einzelne Gedanken, noch einzelne Bestimmungen des Willens angetroffen werden können; — sondern nur der innere, erste, allgemeine Urstoff derselben ... Die erste Ursache kann eben so wenig nach Absichten oder Endursachen handeln, als sie selbst um einer gewissen Absicht oder Endursache willen da ist; eben so wenig einen Anfangsgrund oder Endzweck haben etwas zu verrichten, als in ihr selbst Anfang oder Ende ist... Im Grunde aber ist, was wir Folge oder Dauer nennen, bloßer Wahn; denn da die reelle Wirkung mit ihrer vollständigen reellen Ursache zugleich, und allein der Vorstellung nach von ihr verschieden ist: so muß Folge und Dauer, nach der Wahrheit, nur eine gewisse Art und Weise sein, das Mannigfaltige in dem Unendlichen anzuschauen.

Lessing.
Über unser Credo also werden wir uns nicht entzweien.


Ich. Das wollen wir in keinem Falle. Aber im Spinoza steht mein Credo nicht. — Ich glaube eine verständige persönliche Ursache der Welt.

Lessing. O, desto besser! Da muß ich etwas ganz neues zu hören bekommen.


Ich. Freuen Sie sich nicht zu sehr darauf. Ich helfe mir durch einen Salto mortale aus der Sache; und Sie pflegen am Kopfunten eben keine sonderliche Lust zu finden.

Lessing. Sagen Sie das nicht; wenn ich‘s nur nicht nachzuahmen brauche. Und Sie werden schon wieder auf Ihre Füße zu stehen kommen. Also — wenn es kein Geheimnis ist — so will ich mir es ausgebeten haben.

Ich.
Sie mögen mir es [das Kunststück] immer absehen. Die ganze Sache bestehet darin, daß ich aus dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus, und gegen alles, was mit ihm verknüpft ist, schließe. — Wenn es lauter wirkende und keine Endursachen gibt, so hat das denkende Vermögen in der ganzen Natur bloß das Zusehen; sein einziges Geschäft ist, den Mechanismus der wirkenden Kräfte zu begleiten. Die Unterredung, die wir gegenwärtig miteinander haben, ist nur ein Anliegen unserer Leiber; und der ganze Inhalt dieser Unterredung, in seine Elemente aufgelöst: Ausdehnung, Bewegung, Grade der Geschwindigkeit, nebst den Begriffen davon, und den Begriffen von diesen Begriffen. Der Erfinder der Uhr erfand sie im Grunde nicht; er sah nur ihrer Entstehung aus blindlings sich entwickelnden Kräften zu. Eben so Raphael, da er die Schule von Athen entwarf; und Lessing, da er seinen Nathan dichtete. Dasselbe gilt von allen Philosophien, Künsten, Regierungsformen, Kriegen zu Wasser und zu Lande: kurz, von allem Möglichen. Denn auch die Affekten und Leidenschaften wirken nicht, insofern sie Empfindungen und Gedanken sind; oder richtiger: — insofern sie Empfindungen und Gedanken mit sich führen. Wir glauben nur, daß wir aus Zorn, Liebe, Großmut, oder aus vernünftigem Entschlusse handeln. Lauter Wahn! In allen diesen Fällen ist im Grunde das, was uns bewegt, ein Etwas, das von allem dem nichts weiß, und das, insofern, von Empfindung und Gedanke schlechterdings entblößt ist. Diese aber, Empfindung und Gedanke, sind nur Begriffe von Ausdehnung, Bewegung, Graden der Geschwindigkeit, u. s. w. — Wer nun dieses annehmen kann, dessen Meinung weiß ich nicht zu widerlegen. Wer es aber nicht annehmen kann, der muß der Antipode von Spinoza werden

Lessing.
Ich merke, Sie hätten gern Ihren Willen frei. Ich begehre keinen freien Willen. Überhaupt erschreckt mich, was Sie eben sagten, nicht im mindesten. Es gehört zu den menschlichen Vorurteilen, daß wir den Gedanken als das erste und vornehmste betrachten, und aus ihm alles herleiten wollen; da doch alles, die Vorstellungen mit einbegriffen, von höheren Prinzipien abhängt. Ausdehnung, Bewegung, Gedanke, sind offenbar in einer höheren Kraft gegründet, die noch lange nicht damit erschöpft ist. Sie muß unendlich vortrefflicher sein, als diese oder jene Wirkung; und so kann es auch eine Art des Genusses für sie geben, der nicht allein alle Begriffe übersteigt, sondern völlig außer dem Begriffe liegt. Dass wir uns nichts davon denken können, hebt die Möglichkeit nicht auf.

Ich.
Sie gehen weiter als Spinoza; diesem galt Einsicht über alles.


Lessing.
Für den Menschen! Er war aber weit davon entfernt, unsere elende Art, nach Absichten zu handeln, für die höchste Methode auszugeben, und den Gedanken obenan zu setzen.

Ich.
Einsicht ist bei Spinoza in allen endlichen Naturen der beste Teil, weil sie derjenige Teil ist, womit jede endliche Natur über ihr Endliches hinausreicht. Man könnte gewissermaßen sagen: auch er habe einem jeden Wesen zwei Seelen zugeschrieben: Eine, die sich nur auf das gegenwärtige einzelne Ding, und eine andre, die sich auf das Ganze bezieht.
*
*Wiewohl auch nur mittels dieses Körpers, der kein absolutes Individuum sein kann (indem ein absolutes Individuum ebenso unmöglich als ein individuelles Absolutum ist. Determinatio est negatio. Opp. posth. p. 558.); sondern allgemeine unveränderliche Eigenschaften und Beschaffenheiten, die Natur und den Begriff des Unendlichen enthalten muss. Mit dieser Unterscheidung hat man einen von den Hauptschlüsseln zu dem System des Spinoza, ohne welche man in demselben überall Verworrenheit und Widersprüche findet. [A. d. ersten Ausgabe.]

Dieser zweiten Seele gibt er auch Unsterblichkeit. Was aber die unendliche Einzige Substanz des Spinoza anbelangt, so hat diese, für sich allein, und außer den einzelnen Dingen, kein eigenes oder besonderes Dasein. Hätte sie für ihre Einheit (daß ich mich so ausdrücke) eine eigene, besondere, individuelle Wirklichkeit; hätte sie Persönlichkeit und Leben: so wäre Einsicht auch an ihr der beste Teil.

Lessing. Gut. Aber nach was für Vorstellungen nehmen Sie denn Ihre persönliche extramundane Gottheit an? Etwa nach den Vorstellungen des Leibniz? Ich fürchte, der war selbst im Herzen ein Spinozist.

Ich. Reden Sie im Ernste?

Lessing. Zweifeln Sie daran im Ernste? — Leibnizens Begriffe von der Wahrheit waren so beschaffen, daß er es nicht ertragen konnte, wenn man ihr zu enge Schranken setzte. Aus dieser Denkungsart sind viele seiner Behauptungen geflossen; und es ist, bei dem größten Scharfsinne, oft sehr schwer, seine eigentliche Meinung zu entdecken. Eben darum halt‘ ich ihn so wert; ich meine: wegen dieser großen Art zu denken, und nicht, wegen dieser oder jener Meinung, die er nur zu haben schien, oder auch wirklich haben mochte.

Ich. Ganz recht. Leibniz mochte gern »aus jedem Kiesel Feuer schlagen.« Sie aber sagten von einer gewissen Meinung, dem Spinozismus, daß Leibniz derselben im Herzen zugetan gewesen sei.

Lessing.
Erinnern Sie sich einer Stelle des Leibniz, wo von Gott gesagt ist: derselbe befände sich in einer immerwährenden Expansion und Kontraktion: dieses wäre die Schöpfung und das Bestehen der Welt?

Ich. Von seinen Fulgurationen [»Ausblitzungen«] weiß ich; aber diese Stelle ist mir unbekannt.

Lessing. Ich will sie aussuchen, und Sie sollen mir dann sagen, was ein Mann, wie Leibniz, dabei denken — konnte, oder musste.

Ich. Zeigen Sie mir diese Stelle. Aber ich muß Ihnen zum voraus sagen, daß mir bei der Erinnerung so vieler andern Stellen eben dieses Leibniz, so vieler seiner Briefe, Abhandlungen, seiner Theodicee und nouveaux Essais, seiner philosophischen Laufbahn überhaupt — vor der Hypothese schwindelt, daß dieser Mann keine supramundane [überweltliche], sondern nur eine intramundane [innerweltliche] Ursache der Welt angenommen haben sollte.

Lessing. Von dieser Seite muß ich Ihnen nachgeben. Sie wird auch das Übergewicht behalten; und ich gestehe, daß ich etwas zu viel gesagt habe. Indessen bleibt die Stelle die ich meine — und noch manches andre — immer sonderbar. — Aber nicht zu vergessen! Nach welchen Vorstellungen glauben Sie denn nun das Gegenteil des Spinozismus? Finden Sie, dass Leibnizens Principia ihm ein Ende machen?

Ich. Wie könnte ich, bei der festen Überzeugung, daß der bündige Determinist vom Fatalisten sich nicht unterscheidet?... Die Monaden, samt ihren Vinculis, lassen mir Ausdehnung und Denken, überhaupt Realität, so unbegreiflich als sie mir schon waren; und ich weiß da weder rechts noch links... Übrigens kenne ich kein Lehrgebäude, das so sehr, als das Leibnizsche, mit dem Spinozismus übereinkäme; und es ist schwer zu sagen, welcher von ihren Urhebern uns und sich selbst am mehrsten zum besten hatte.: wiewohl in allen Ehren! ... Mendelsohn hat öffentlich gezeigt, dass die Harmonia praestabilita im Spinoza steht. Daraus allein ergibt sich schon, dass Spinoza von Leibnizens Grundlehren noch viel mehr enthalten muß, oder Leibniz und Spinoza (dem schwerlich Wolfens Unterricht angeschlagen hätte ) wären die bündigen Köpfe nicht gewesen, die sie doch unstreitig waren. Ich getraue mir aus dem Spinoza Leibnizens ganze Seelenlehre darzulegen... Im Grunde haben beide von der Freiheit auch dieselbe Lehre, und nur ein Blendwerk unterscheidet ihre Throne. Wenn Spinoza
(Epist. LXII. Opp. Posth. p. 584. et 585.) unser Gefühl von Freiheit durch das Beispiel eines Steins erläutert, welcher dächte und wüßte, daß er sich bestrebt, so viel er kann, seine Bewegung fortzusetzen: so erläutert Leibniz dasselbe (Theod. §. 50.) mit dem Beispiele einer Magnetnadel, welche Lust hätte sich gegen Norden zu bewegen, und in der Meinung stände, sie drehte sich unabhängig von einer andern Ursache, indem sie der unmerklichen Bewegung der magnetischen Materie nicht inne würde.* — . . .
*Atque haec humana illa libertas est, quam omnes habere jactant, et quae in hoc solo consistit, quod homines sui appetitus sunt conscii, et causarum, à quibus determinantur, ignari (Und das ist die menschliche Freiheit, die alle haben wollen, und die bloß darin besteht, dass die Menschen sich ihres Verlangens, aber nicht der Ursachen, durch die sie bestimmt werden, bewusst sind.) - sagt Spinoza, in demselbigen 62. Briefe.
Von jener Wendung, womit die Deterministen dem Fatalismus auszuweichen glauben, mangelte Spinoza keineswegs der Begriff. Sie schien ihm aber so wenig von echt philosophischer Art zu sein, dass ihm das Arbitrium indifferentiae, oder die Voluntas aequilibriisogar noch lieber war. Man sehe, unter andern im I. T. der Ethik, das 2. Schol. der 33. Prop. am Schlusse. Ferner im III. Teile das Sch. der 9. Prop. und vornehmlich die Vorrede zum IV. Teile. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]

Die Endursachen erklärt Leibniz durch einen Appetitum, einen Conatum immanentem (conscientia sui praeditum). Eben so Spinoza, der, in diesem Sinne, sie vollkommen gelten lassen konnte; und bei welchem Vorstellung des Äußerlichen und Begierde, wie bei Leibniz, das Wesen der Seele ausmachen. - Kurz, wenn man in das Innerste der Sache dringt, so findet sich, daß bei Leibniz, eben so wie bei Spinoza, eine jede Endursache eine wirkende voraussetzt... Das Denken ist nicht die Quelle der Substanz; sondern die Substanz ist die Quelle des Denkens. Also muß vor dem Denken etwas Nichtdenkendes als das Erste angenommen werden; etwas, das, wenn schon nicht durchaus in der Wirklichkeit, doch der Vorstellung, dem Wesen, der inneren Natur nach, als das Vorderste gedacht werden muß. Ehrlich genug hat deswegen Leibniz die Seelen, des automates spirituels genannt
.*
*Dieselbige Benennung findet sich auch beim Spinoza, wiewohl nicht in seiner Ethik; sondern in dem Bruchstück: De Intellectus Emendatione. Die Stelle verdient, dass ich sie abschreibe. At ideam veram simplicem esse ostendimus, aut ex simplicibus compositam, et quae ostendit, quomodo, et cur aliquid sit, aut factum sit, et quod ipsius effectus objectivi in anima procedunt ad rationem formalitatis ipsius objecti; id, quod idem est, quod veteres dixerunt, nempe veram scientiam procedere a caufa ad effectus; nisi quod nunquam, quod sciam, conceperunt, uti nos hic, animam secundum certas leges agentem, et quasi aliquod automa spiritnale. (Ich habe aber gezeigt, dass die wahre Idee einfach oder aus einfachen Ideen zusammengesetzt ist; dass sie zeigt, wie oder warum etwas sei oder geschehen sei; dass ihre objektiven Wirkungen in der Seele nach Verhältnis der Formhaftigkeit des Objekts selbst vorgehen; und das ist dasselbe, was die Alten so ausdrückten die wahre Wissenschaft schreite von den Ursachen zu den Wirkungen fort; nur dass die Alten - soviel ich weiß - niemals, wie wir eben annahmen, dass die Seele nach gewissen Gesetzen handle und gleichsam ein geistiges Automat sei. Opp. Posth. p. 384). Die Ableitung des Wortes automaton (Automat), und was Bilfinger dabei erinnert, ist mir nicht unbekannt. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]

Wie aber (ich rede hier nach Leibnizens tiefstem und vollständigstem Sinne, so weit ich ihn verstehe) das Principium aller Seelen für sich bestehen könne und wirken...; der Geist vor der Materie; der Gedanke vor dem Gegenstande: diesen großen Knoten, den er hätte lösen müssen, um uns wirklich aus der Not zu helfen, diesen hat er so verstrickt gelassen als er war...

Lessing. ... Ich lasse Ihnen keine Ruhe, Sie müssen mit diesem Parallelismus an den Tag... Reden die Leute doch immer von Spinoza, wie von einem toten Hunde...

Ich.
Sie würden vor wie nach so von ihm reden. Den Spinoza zu fassen, dazu gehört eine zu lange und zu hartnäckige Anstrengung des Geistes. Und keiner hat ihn gefaßt, dem in der Ethik Eine Zeile dunkel blieb: keiner, der es nicht begreift, wie dieser große Mann von seiner Philosophie die feste innige Überzeugung haben konnte, die er so oft und so nachdrücklich an den Tag legt. Noch am Ende seiner Tage schrieb er:. . . nonpraesumo, me optimam invenisse philosophiam, sed veram me intelligere scio*
*In seinem Briefe an Albert Burgh. Er fügt hinzu: »Quomodo autem id sciam, si roges, respondebo, eodem modo, ac tu scis tres angulos Trianguli aequales esse duobus rectis, und hoc sufficere negabit nemo, cui sanum est cerebrum, nec spiritus immundos somniat, qui nobis ideas falsas inspirant veris similes:est enim verum index sui et falsi. (Wenn du fragst, wie ich das wisse, so antworte ich: ebenso wie du weißt, dass die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten gleich sind; niemand, der ein heiles Hirn hat und nicht träumt, ein unreiner Geist habe ihm falsche Ideen für wahrscheinlich eingehaucht, wird leugnen, dass das genüge, denn das Wahre weist auf sich selbst und auf das Falsche hin.) - Spinoza machte einen großen Unterschied zwischen gewiss sein und nicht zweifeln. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]
Eine solche Ruhe des Geistes, einen solchen Himmel im Verstande, wie sich dieser helle reine Kopf geschaffen hatte, mögen wenige gekostet haben.

Lessing.
Und Sie sind kein Spinozist, Jacobi!


Ich. Nein, auf Ehre!


Lessing. Auf Ehre, so müssen Sie ja, bei Ihrer Philosophie, aller Philosophie den Rücken kehren.

Ich. Warum aller Philosophie den Rücken kehren?


Lessing. Nun, so sind Sie ein vollkommener Skeptiker.

Ich. Im Gegenteil, ich ziehe mich aus einer Philosophie zurück, die den vollkommenen Skeptizismus notwendig macht.

Lessing.
Und ziehen dann — wohin?


Ich. Dem Lichte nach, wovon Spinoza sagt, daß es sich selbst, und auch die Finsternis erleuchtet. — Ich liebe den Spinoza, weil er, mehr als irgend ein andrer Philosoph, zu der vollkommenen Überzeugung mich geleitet hat, daß sich gewisse Dinge nicht entwickeln lassen: vor denen man darum die Augen nicht zudrücken, sondern sie nehmen muß, wie man sie findet. Ich habe keinen Begriff, der mir inniger als der von den Endursachen wäre; keine lebendigere Überzeugung, als, dass ich tue, was ich denke; anstatt, dass ich nur denken sollte, was ich tue. Freilich muß ich dabei eine Quelle des Denkens und Handelns annehmen, die mir durchaus unerklärlich bleibt. Will ich aber schlechterdings erklären, so muß ich auf den zweiten Satz geraten, den, in seinem ganzen Umfange betrachtet, und auf einzelne Fälle angewandt, kaum ein menschlicher Verstand ertragen kann.

Lessing. Sie drücken sich beinah so herzhaft aus, wie der Reic
hstagsschluß zu Augsburg; aber ich bleibe ein ehrlicher Lutheraner, und behalte »den mehr viehischen als menschlichen Irrtum und Gotteslästerung, daß kein freier Wille sei«, worin der helle reine Kopf Ihres Spinoza sich doch auch zu finden wußte.

Ich.
Auch hat Spinoza sich nicht wenig krümmen müssen, um seinen Fatalismus bei der Anwendung auf menschliches Betragen zu verstecken, besonders in seinem vierten und fünften Teile, wo ich sagen möchte, daß er dann und wann bis zum Sophisten sich erniedrigt. — Und das war es ja was ich behauptete: daß auch der größte Kopf, wenn er alles schlechterdings erklären, nach deutlichen Begriffen mit einander reimen, und sonst nichts gelten lassen will, auf ungereimte Dinge kommen muß.

Lessing. Und wer nicht erklären will?


Ich. Wer nicht erklären will was unbegreiflich ist, sondern nur die Grenze wissen wo es anfängt, und nur erkennen, daß es da ist: von dem glaube ich, daß er den mehresten Raum für echte menschliche Wahrheit in sich ausgewinne.

Lessing. Worte, lieber Jacobi; Worte! Die Grenze, die Sie setzen wollen, läßt sich nicht bestimmen. Und an der andern Seite geben Sie der Träumerei, dem Unsinne, der Blindheit freies offenes Feld.

Ich. Ich glaube, jene Grenze wäre zu bestimmen. Setzen will ich keine, sondern nur die schon gesetzte finden, und sie lassen. Und was Unsinn, Träumerei und Blindheit anbelangt...

Lessing. Die sind überall zu Hause, wo verworrene Begriffe herrschen.


Ich.
Mehr noch, wo erlogene Begriffe herrschen. Auch der blindeste, unsinnigste Glaube, wenn schon nicht der dummste, hat da seinen hohen Thron. Denn wer in gewisse Erklärungen sich einmal verliebt hat, der nimmt jede Folge blindlings an, die nach einem Schlusse, den er nicht entkräften kann, daraus gezogen wird, und wär‘ es, daß er auf dem Kopfe ginge.
... Nach meinem Urteil ist das größeste Verdienst des Forschers, Dasein zu enthüllen, und zu offenbaren... Erklärung ist ihm Mittel, Weg zum Ziele, nächster— niemals letzter Zweck. Sein letzter Zweck ist, was sich nicht erklären läßt: das Unauflösliche, Unmittelbare, Einfache.
... Ungemessene Erklärungssucht läßt uns so hitzig das Gemeinschaftliche suchen, daß wir darüber des Verschiedenen nicht achten; wir wollen immer nur verknüpfen, da wir doch oft mit ungleich größerem Vorteile trennten... Es entstehet auch, indem wir nur, was erklärlich an den Dingen ist, zusammenstellen und zusammen hängen, ein gewisser Schein in der Seele, der sie mehr verblendet als erleuchtet. Wir opfern dann, was Spinoza tiefsinnig und erhaben — die Erkenntnis der obersten Gattung nennt, der Erkenntnis der untern Gattungen auf; wir verschließen das Auge der Seele, womit sie Gott und sich selbst ersiehet, um desto unzerstreuter mit den Augen nur des Leibes zu betrachten
*. . .
*Ich finde, da ich eben diesen Bogen durchsehe, in einem meisterhaften Aufsatze des deutschen Merkurs (Februar 1789, S. 127) eine Stelle, die ich, um das Obige zu bestätigen, hier einrücken will. »Wir sollten, dünkt mich, immer mehr beobachten, worin sich die Dinge, zu deren Erkenntnis wir gelangen mögen, voneinander unterscheiden, als wodurch sie einander gleichen. Das Unterscheiden ist schwerer, mühsamer, als das Ähnlichfinden, und wenn man recht gut unterschieden hat, so vergleichen sich alsdann die Gegenstände von selbst. Fängt man damit an, die Sachen gleich oder ähnlich zu finden, so kommt man leicht in den Fall, seiner Hypothese oder seiner Vorstellungsart zuliebe Bestimmungen zu übersehen, wodurch sich die Dinge sehr voneinander unterscheiden.«

Lessing. Gut, sehr gut! Ich kann das alles auch gebrauchen; aber ich kann nicht dasselbe damit machen. Überhaupt gefällt Ihr Salto mortale mir nicht übel; und ich begreife, wie ein Mann von Kopf auf diese Art Kopfunten machen kann, um von der Stelle zu kommen. Nehmen Sie mich mit, wenn es angeht.

Ich. Wenn Sie nur auf die elastische Stelle treten wollen, die mich fortschwingt, so geht es von selbst.


Lessing.
Auch dazu gehörte schon ein Sprung, den ich meinen alten Beinen und meinem schweren Kopfe nicht mehr zumuten darf.

Diesem Gespräche, wovon ich nur das Wesentliche hier geliefert habe, folgten andre, die uns auf mehr als einem Wege zu denselbigen Gegenständen zurückbrachten.

Einmal sagte Lessing mit halbem Lächeln: Er selbst wäre vielleicht das höchste Wesen, und gegenwärtig in dem Zustande der äußersten Kontraktion. -

Ich bat um meine Existenz. –

Er antwortete, es wäre nicht allerdings so gemeint, und erklärte sich auf eine Weise, die mich an Heinrich Morus und von Helmont erinnerte. Lessing erklärte sich noch deutlicher; doch so, dass ich ihn abermals zur Not der Kabbalisterei verdächtig machen konnte. Dies ergötzte ihn nicht wenig, und ich nahm daher Gelegenheit für das Kibbel, oder die Kabbala, im eigentlichsten Sinne, aus dem Gesichtspunkte zu reden: dass es an und für sich selbst unmöglich sei, das Unendliche aus dem Endlichen zu entwickeln, und den Übergang des einen zu dem andern, oder ihre Proportion, durch irgendeine Formel herauszubringen; folglich, wenn man etwas darüber sagen wollte, so müsste man aus Offenbarung reden. Lessing blieb dabei: dass er sich alles »natürlich ausgebeten haben wollte;«und ich: dass es keine natürliche Philosophie des Übernatürlichen geben könnte, und doch beides (Natürliches und Übernatürliches) offenbar vorhanden wäre.

Wenn sich Lessing eine persönliche Gottheit vorstellen wollte, so dachte er sie als die Seele des Alls; und das Ganze, nach der Analogie eines organischen Körpers. Diese Seele des Ganzen wäre also, wie es alle andren Seelen, nach allen möglichen Systemen sind, als Seele, nur Effekt.*
* Auch nach dem System des Leibniz. - Die Entelechie wird durch den Körper (oder den Begriff des Körpers) erst zum Geiste. [Anmerkung der ersten Ausgabe.] - Die Richtigkeit dieses etwas scharf gestellten Satzes ist in meinem Schreiben an Mendelssohn vom 21. April 1785 bewiesen worden, und findet sich in dem Gespräche über Idealismus und Realismus noch ausführlicher dargetan. Hansch erzählt von Leibniz, derselbe hätte einmal beim Kaffeetrinken zu ihm gesagt, es möchten wohl in der Tasse heißen Kaffee, die er gegenwärtig zu sich nähme, Monaden sein, die einst als vernünftige menschliche Seelen leben würden (Hansch Leibn. Princ. Ph. demonstr. § 16. Sch. 3). Leibniz selbst schrieb an Des Bosses (Opp. II. P. I. p. 283): »Entelechia nova creari potest, etsi nulla nova pars massae creetur, quia etsi jam massa habeat unitates, tamen novas semper capit, pluribus aliis dominantes: ut si fingas Deum ex massa quoad totum non organica, v. g. ex rudi saxo, facere corpus organicum, eique suam animam praeficere.« - Und in einem andern Briefe an eben diesen Des Bosses (ibid. p. 269): »Finge animal se habere ut guttam olei, et animam ut punctum aliquod in gutta. Si jam divellatur gutta in partes, cum quaevis pars rursus in guttam globosam abeat, punctum illud existet in aliqua guttarum novarum. Eodem modo animal permanebit in ea parte, in qua anima manet, et quae ipsi animae maxime convenit. Et uti natura liquidi in alio fluido affectat rotunditatem, ita natura materiae a sapientissimo auctore constructae, semper affectat ordinem, seu organizationem. Hinc neque animae, neque animalia destrui possunt; etsi possint diminui, atque obvolvi, ut vita eorum nobis non appareat.«- Weder die Erzählung von Hansch, noch die Stellen von Leibniz selbst stehen zum Beweise hier; denn ich habe den vollständigen Beweis an den angezeigten Orten schon geführet: sie sollen nur an dasjenige, was dort gesagt und mit entscheidenden Stellen belegt ist, erinnern.
Über den Text zu dieser Anmerkung hat sich Herder in seinem Gott auf eine Weise ausgelassen, die ich noch mit ein paar Worten berühren muss.
»Erwägen Sie,« sagt Theophron
(S. 175), »die ungeheuren Folgen eines trüglichen Bildes: Gott, die Seele des Ganzen, sei ein Effekt; nichts als ein Effekt der Welt; alle andere Seelen, nach allen möglichen Systemen, seien als Seelen nur Effekt. Wahrscheinlich nur Effekte der Zusammensetzung, ohne etwas Zusammensetzendes usw.«
Gott, die Seele des Ganzen - NICHTS als ein Effekt der Welt? Die Seelen - wahrscheinlich nur Effekte der Zusammensetzung ohne Zusammensetzendes?
Wo hat Herder dies gelesen? - - Ich verweise auf mein Schreiben an Mendelssohn vom 21. April 1785,in welchem die Sache hinlänglich auseinandergesetzt ist. Auch Mendelssohn glaubte gelesen zu haben, Lessing mache die Entelechien des Leibniz zu bloßen Wirkungen des Körpers. Ich zeigte ihm seinen Irrtum, und hatte folgendes hinzugesetzt: »Letzteres« (nämlich: die Entelechie des Leibniz sei bloß Effekt des Körpers; wie ich in der Note, welche Mendelssohn in den Text zog, gesagt haben sollte) »könnte ich nicht im Traume, nicht in der Fieberhitze gesagt haben; geschweige, dass ich es gesund und wachend schriftlich von mir gegeben hätte.« Ein berühmter Gelehrter, welchem ich eine Abschrift meines Aufsatzes geschickt hatte, riet mir diese letzten Zeilen, in denen man etwas Beleidigendes für Mendelssohn finden könnte, zu vertilgen, welches ich bei der öffentlichen Bekanntmachung auch getan habe. Herder wusste um diesen guten Rat, und hatte das Schreiben an Mendelssohn vom 21. April wahrscheinlich mehr als einmal gelesen: wie war es denn möglich, dass er eine ungereimte Meinung, wider die ich mich so nachdrücklich erklärt hatte, Lessingen oder mir von neuem aufbürden konnte?
Ich möchte wissen, wie Herder sich eine Seele – nicht als Substanz, nicht als denkende Kraft überhaupt - sondern bloß als die Seele eines gewissen bestimmten Leibes, als die ausschließliche bloße Vorstellung desselben denken wollte, wenn nicht als eine Wirkung der gewissen, bestimmten, ausschließlichen Form, deren Vorstellung insofern allein ihr Wesen ausmacht. Freilich ist dieser Gedanke Lessings äußerst abgezogen; aber er musste so scharf gegriffen werden, wenn er in der Verbindung, worin er vorkommt, Bedeutung und Anwendung haben sollte. Herder findet überhaupt das Bild einer Weltseele bedenklich, welches einigermaßen befremden könnte, da seine Verbesserung des Spinozismus darauf allein herausläuft, den Gott dieses Systems in eine Weltseele zu verwandeln. Er scheint aber nur zu fürchten, dass man durch dieses Bild oder Wort sich verführen lasse, eine persönliche Gottheit zu träumen.
(S. Herders Gott, S. 174-177.)

Der organische Umfang derselben könnte aber nach der Analogie der organischen Teile dieses Umfanges insofern nicht gedacht werden, als er sich auf nichts, das außer ihm vorhanden wäre, beziehen, von ihm nehmen und ihm wiedergeben könnte. Also, um sich im Leben zu erhalten, müsste er, von Zeit zu Zeit, sich in sich selbst gewissermaßen zurückziehen; Tod und Auferstehung, mit dem Leben, in sich vereinigen. Man könnte sich aber von der innern Ökonomie eines solchen Wesens mancherlei Vorstellungen machen.

Lessing hing sehr an dieser Idee, und wendete sie, bald im Scherze, bald im Ernst, auf allerlei Fälle an. Da bei Gleim in Halberstadt (wohin mich Lessing, nach meinem zweiten Besuche bei ihm, begleitet hatte), während wir zu Tische sassen, unversehens ein Regen kam, und Gleim es bedauerte, weil wir nach Tische in seinen Garten sollten, sagte Lessing, der neben mir saß: »Jacobi, Sie wissen, das tue ich vielleicht«.

Ich antwortete: »Oder ich.« Gleim sah uns etwas verwundert an; aber ohne weiter nachzufragen.

Mit der Idee eines persönlichen schlechterdings unendlichen Wesens, in dem unveränderlichen Genusse seiner allerhöchsten Vollkommenheit, konnte sich Lessing nicht vertragen. Er verknüpfte mit derselben eine solche Vorstellung von unendlicher Langerweile, dass ihm Angst und weh dabei wurde.
Eine mit Persönlichkeit verknüpfte Fortdauer des Menschen nach dem Tode hielt er nicht für unwahrscheinlich. Er sagte mir, er hätte im Bonnet, den er eben jetzo nachläse, Ideen angetroffen, die mit den seinigen über diesen Gegenstand und überhaupt mit seinem System sehr zusammenträfen.
Jacobi: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, S. 59ff. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 27495ff.