Thomas Hobbes (1588 - 1679)

  Englischer Philosoph, der lange in Frankreich lebte und zeitweilig Sekretär von Francis Bacon war. Von entscheidender Wirkung war seine Staatslehre, mit der er eine theoretische Rechtfertigung des Absolutismus lieferte. Danach werden die Menschen im (außerstaatlichen) Naturzustand ausschließlich durch den Trieb zur Selbsterhaltung und durch Machtgier bestimmt (homo homini lupus = der Mensch ist dem Menschen Wolf). Der Kampf aller gegen alle (beltum omnium contra omnes) wird nur vermieden durch die Übertragung der Macht auf einen Souverän, der allein mächtig und niemanden verpflichtet ist und allein die Regeln für Recht und Moral festlegt. Gewissens- und Glaubensfreiheit werden als Ausgangspunkte aller Uneinigkeit im Staat aufgefasst. Der Staat wird von ihm als reale Überperson (Leviathan) definiert. Ein Widerstandsrecht wird nur den Fall eingeräumt, wenn die Macht des Souveräns die Ordnung nicht garantiert. Die Macht des Souveräns hat Hobbes im Grunde aus dem »Recht« abgeleitet, »nach welchem Gott« »die Übertreter der Gesetze der Natur bestraft«. Dieses Recht hat Gott aber »nicht als Schöpfer, sondern als das allmächtige Wesen, dem keiner widerstehen kann.«

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis

Leviathan
Religion
Der Krieg aller gegen alle
Die beiden ersten natürlichen Gesetze
  Die Erkenntnis einer Gottheit oder eines übernatürlichen Wesens
Die göttlichen Gesetze

Einwände gegen die Meditationen des Descartes nebst dessen Erwiderungen


Leviathan
Die Natur oder die Weisheit, welche Gott in der Hervorbringung und Erhaltung der Welt darlegt, ahmt die menschliche Kunst so erfolgreich nach, daß sie unter anderen Werken auch ein solches liefern kann, welches ein künstliches Tier genannt werden muss. Denn da Leben doch nichts anderes ist als eine Bewegung der Glieder, die sich innerlich auf irgendeinen vorzüglichen Teil im Körper gründet — warum sollte man nicht sagen können, daß alle Automaten oder Maschinen, welche wie z. B. die Uhren durch Federn oder durch ein im Innern angebrachtes Räderwerk in Bewegung gesetzt werden, gleichfalls ein künstliches Leben haben? Ist das Herz nicht als Springfeder anzusehen? Sind nicht die Nerven ein Netzwerk und der Gliederbau eine Menge von Rädern, die im Körper diejenigen Bewegungen hervorbringen, welche der Künstler beabsichtigte? Doch die Kunst schränkt sich nicht nur auf die Nachahmung der eigentlichen Tiere ein, auch das edelste darunter, den Menschen, bildet sie nach. Der große Leviathan (so nennen wir den Staat) ist ein Kunstwerk oder ein künstlicher Mensch obgleich an Umfang und Kraft weit größer als der natürliche Mensch, welcher dadurch geschützt und glücklich gemacht werden soll. Bei dem Leviathan ist derjenige, welcher die höchste Gewalt besitzt, gleichsam die Seele, welche den ganzen Körper belebt und in Bewegung setzt; die Obrigkeiten und Beamten stellen die künstlichen Glieder vor; die von der höchsten Gewalt abhängenden Belohnungen und Bestrafungen, wodurch jeder einzelne zur Erfüllung seiner Obliegenheiten angehalten wird, vertreten die Stelle der Nerven; das Vermögen einzelner Personen ist hier die Kraft, so wie das Glück des Volkes das allgemeine Geschäft; die Staatsmänner, von welchen die nötigen Kenntnisse erwartet werden, sind das Gedächtnis; Billigkeit und Recht eine künstliche Vernunft; Einigkeit ist gesunder, Aufruhr hingegen kranker Zustand und Bürgerkrieg der Tod. Die Verträge endlich, welche die Teile dieses Staatskörpers verbinden, sind jenem bei Erschaffung der Welt von Gott gebrauchten Machtworte gleich: Es werde oder lasst uns Menschen machen. S.5f.

Religion
Die Furcht vor mächtigen unsichtbaren Wesen, sie mögen nun ersonnen oder durch zuverlässige historische Nachrichten bestätigt und öffentlich angenommen worden sein, ist Religion; sind sie nicht öffentlich angenommen, so ist es Aberglaube. Sind aber die unsichtbaren Wesen wirklich so, wie man sich dieselben vorstellt, so nennen wir es wahre Religion.
Furcht vor einer Gefahr, deren Ursache und Beschaffenheit uns unbekannt ist, heißt panischer Schrecken und hat diesen Namen vom Gotte Pan, der, wie man vorgibt, diese Schreckensart verursachen soll.
S.53

Der Krieg aller gegen alle
Mitbewerbung, Verteidigung und Ruhm sind die drei hauptsächlichsten Anlässe, daß die Menschen miteinander uneins werden. Mitbewerbung zielt auf Herrschaft und veranlaßt Streit über Gewinn; Verteidigung hat Sicherheit zur Absicht und streitet für Wohlfahrt; Ruhm strebt nach einem guten Namen und bewirkt oft über geringfügige Dinge Uneinigkeiten wie z. B. über ein Wort, ein Lächeln, eine Äußerung und über jeden Beweis der Geringschätzung entweder unserer selbst oder unserer Freunde und Anverwandten oder unseres Vaterlandes, Gewerbes und Namens.

Hieraus ergibt sich, da
ss ohne eine einschränkende Macht der Zustand der Menschen ein solcher sei, wie er zuvor beschrieben wurde, nämlich ein Krieg aller gegen alle. Denn der Krieg dauert ja nicht etwa nur so lange wie faktische Feindseligkeiten, sondern so lange, wie der Vorsatz herrscht, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Beim Kriege kommt es wie beim Wetter allein auf die Dauer an. Sowenig ein heftiger Regen schon nasses Wetter ist, ebensowenig wird irgendein einzelnes Gefecht ein Krieg genannt werden können. Die Zeit aber, in der kein Krieg herrscht, heißt Frieden.

Was mit dem Kriege aller gegen alle verbunden ist, das findet sich auch bei den Menschen, die ihre Sicherheit einzig auf ihren Verstand und auf ihre körperlichen Kräfte gründen müssen. Da findet sich kein Fleiß, weil kein Vorteil davon zu erwarten ist; es gibt keinen Ackerbau, keine Schiffahrt, keine bequemen Wohnungen, keine Werkzeuge höherer Art, keine Länderkenntnis, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine gesellschaftlichen Verbindungen; statt dessen ein tausendfaches Elend; Furcht, gemordet zu werden, stündliche Gefahr, ein einsames, kümmerliches, rohes und kurz dauerndes Leben.

Wer hierüber noch niemals nachgedacht hat, dem muß allerdings auffallen, daß die Natur die Menschen so ungesellig gemacht und sogar einen zu des andern Mörder bestimmt habe: und doch ergibt sich dies offenbar aus der Beschaffenheit ihrer Leidenschaften und wird durch die Erfahrung bekräftigt. Man denke nur, warum mühen wir uns um Begleiter? Warum versehen wir uns mit Waffen, wenn wir eine Reise antreten? Warum verschließen wir Türen und Schränke, sobald wir uns schlafen legen? Wozu sind Gesetze und Männer, die jede Gewaltsamkeit zu rächen befugt sind? Was hegen wir also für Gedanken von unsern Mitbürgern, Nachbarn und Hausgenossen? Klagst du durch solche Vorsichtsmaßregeln das Menschengeschlecht nicht ebenso hart an wie ich? Die Natur selbst ist hier nicht schuld. Die Leidenschaften der Menschen sind ebensowenig wie die daraus entstehenden Handlungen Sünde, solange keine Macht da ist, welche sie hindert; solange ein Gesetz noch nicht gegeben ward, ist es auch nicht vorhanden, und solange der Gesetzgeber nicht einmütig ernannt wurde, kann auch kein Gesetz gegeben werden. Doch wozu noch mehr Beweise für verständige Menschen in einer Sache, wofür sogar die Hunde ein Gefühl zu haben scheinen; wer kommt, den bellen sie an, bei Tage jeden Unbekannten, des Nachts aber jeden.

Aber, möchte jemand sagen, es hat niemals einen Krieg aller gegen alle gegeben! Wie, hat nicht Kain seinen Bruder aus Neid ermordet? Würde er das wohl gewagt haben, wenn schon damals eine allgemein anerkannte Macht, die eine solche Greueltat hätte rächen können, dagewesen wäre? Wird nicht selbst zu unseren Zeiten noch an vielen Orten ein solches Leben geführt? Die Amerikaner leben zum Teil so, bloß, daß sie sich in kleinen Familien gewissen väterlichen Gesetzen unterworfen haben, und die Eintracht dieser Familien dauert nur so lange, als sie von gleichen Absichten beseelt werden. Aus jedem Bürgerkriege erhellt, wie das menschliche Leben ohne einen allgemeinen Oberherrn beschaffen wäre.

Gab es auch gleich niemals eine Zeit, in der ein jeder eines jeden Feind war, so leben doch die Könige und die, welche die höchste Gewalt haben, miteinander in ständiger Feindschaft. Sie haben sich wechselseitig in stetem Verdacht; wie Fechter stehen sie gegeneinander, beobachten sich genau und halten ihre Waffen in Bereitschaft, ihre Festungen und Kriegsheere an den Grenzen und ihre geheimen Kundschafter im Feindeslande. Ist das nicht wirklicher Krieg? — Freilich wird hierbei nicht all das Elend wahrgenommen, welches die allgemeine Freiheit einzelner Menschen mit sich brächte; dennoch konnte auf keine andere Art für das Wohl der Untertanen gesorgt werden.
Bei dem Kriege aller gegen alle kann auch nichts ungerecht genannt werden. in einem solchen Zustande haben selbst die Namen gerecht und ungerecht keinen Platz. Im Kriege sind Gewalt und List Haupttugenden; und weder Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit sind notwendige Eigenschaften des Menschen; weil, wenn es nämlich so wäre, sie auch bei demjenigen angetroffen werden müßten, der einsam und allein auf der Welt lebt. Sie sind Eigenschaften des Menschen, aber nicht sofern er Mensch überhaupt, sondern sofern er Bürger ist. Ebendaraus ergibt sich ferner, daß es in einem solchen Zustande keinen Besitz, kein Eigentum, kein Mein und Dein gibt, sondern was jemand erworben hat, gehört ihm, solange er es sich zu sichern imstande ist. Genug von dem bloßen Naturzustande des Menschen, aus dem er nur durch Vernunft und gewissermaßen auch durch seine Leidenschaften gerettet werden konnte.

Die Leidenschaften, die die Menschen zum Frieden unter sich geneigt machen können, sind die Furcht überhaupt und insbesondere die Furcht vor einem gewaltsamen Tod; ferner das Verlangen nach den zu einem glücklichen Leben erforderlichen Dingen und endlich die Hoffnung, sich diese durch Anstrengung wirklich zu verschaffen. Die Vernunft aber liefert uns einige zum Frieden führende Grundsätze, und das sind die natürlichen Gesetze, von welchen in den nächsten beiden Kapiteln umfassender gehandelt werden wird.

Die beiden ersten natürlichen Gesetze
Das Naturrecht ist die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu etwas beizutragen scheint, tun kann.

Freiheit begreift ihrer ursprünglichen Bedeutung nach die Abwesenheit aller äußeren Hindernisse in sich.

Das natürliche Gesetz aber ist eine Vorschrift oder allgemeine Regel, welche die Vernunft lehrt, nach welcher keiner dasjenige unternehmen darf, was er als schädlich für sich selbst anerkennt. Die Wörter Recht und Gesetz werden zwar häufig füreinander gebraucht; sie sind jedoch wirklich voneinander unterschieden. Das Recht besteht nämlich in der Freiheit, etwas zu tun oder zu unterlassen; das Gesetz aber schließt eine Verbindlichkeit, etwas zu tun oder es zu unterlassen, in sich. Folglich sind Recht und Gesetz ebenso unterschieden wie Freiheit und Verbindlichkeit, welche bei ein und derselben Sache zugleich widersprechend sind.

Weil nun, wie schon in dem vorhergehenden Kapitel gezeigt worden ist, die Menschen sich in dem Zustande des Krieges aller gegen alle befinden und jeder sich der Leitung seiner eigenen Vernunft überläßt und da es nichts gibt, was er nicht irgendeinmal zur Verteidigung seines Lebens gegen einen Feind mit Erfolg gebrauchen könnte, folgt, daß im Naturzustande alle ein Recht auf alles, die Menschen selbst nicht ausgenommen, besitzen. Solange daher dieses Recht gilt, wird keiner, sollte er auch der Stärkste sein, sich für sicher halten können. Also ist folgendes eine Vorschrift oder allgemeine Regel der Vernunft: suche Frieden, solange nur Hoffnung darauf besteht; verschwindet diese, so schaffe dir von allen Seiten Hilfe und nutze sie; dies steht dir frei. Der erste Teil dieser Regel enthält das erste natürliche Gesetz: suche Frieden und jage ihm nach; der zweite Inbegriff des Naturrechts: jeder ist befugt, sich durch Mittel und Wege aller Art selbst zu verteidigen.

Aus diesem ersten natürlichen Gesetze ergibt sich das zweite; sobald seine Ruhe und Selbsterhaltung gesichert ist, muß auch jeder von seinem Rechte auf alles — vorausgesetzt, daß andere dazu auch bereit sind — abgehen und mit der Freiheit zufrieden sein, die er den übrigen eingeräumt wissen will. Solange er sich aber das Recht, alles zu tun, was er will, vorbehält, dauert auch der Krieg; weigern sich indes die übrigen, ihren Rechten auf alles zu entsagen, so darf er auch von seinen nicht abgehen, weil er sonst vermuten ließe: seine Absicht sei nicht, Frieden zu suchen, sondern vielmehr sich andern willig zum Raube darzubieten, was das natürliche Gesetz nicht verlangt. Und ebendas lehren auch die Worte des Evangeliums: »Was ihr wolle, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch«; sowie die des allgemein bekannten Sprichwortes: »Was andere dir nicht tun sollen, tue ihnen auch nicht!«
S.115-120

Die Erkenntnis einer Gottheit oder eines übernatürlichen Wesens.
Wohingegen Gott durch übernatürliche Offenbarung Religion lehrte, da errichtete er sich auch ein ihm eigentümliches Reich und erteilte seinen Untertanen Gesetze, sowohl mit Pflichten gegen ihn als gegen sich untereinander. Folglich sind in einem solchen Reiche Gottes die Staatsregierung und alle bürgerlichen Gesetze ein Teil der Religion; und deshalb fand auch darin nie ein Unterschied zwischen weltlichem und geistlichem Regimente statt.

Gott ist zwar der Herr der ganzen Welt, dennoch aber kann dabei ein jedes Volk, ohne diesem allgemeinen Oberherrn Abbruch zu tun, einen besonderen König haben. Dem Feldherrn eines großen Heeres kann eine besondere Masse an Kriegsleuten noch zugehören. Doch von dem Reiche Gottes, insofern es auf Vertrag oder auf Natur gegründet ist, wird weiter unten gehandelt werden.

Aus dem über Religion bisher Gesagten ergibt sich, welches der Grund von allem sei, nämlich die Erkenntnis einer Gottheit oder eines übernatürlichen mächtigen Wesens; und diese Erkenntnis kann niemals so weit vertilgt werden, daß nicht immer von dazu geeigneten Männern neue Religionseinrichtungen gebildet werden könnten.

Da übrigens jede vorhandene Religion in dem Vertrauen ursprünglich gegründet ist, welches das Volk zu einem Manne hegt, den es für weise, wohlwollend und auch für heilig hält und von ihm glaubt, Gott habe ihn übernatürlicher Offenbarungen gewürdigt, so wird auch notwendig folgen, daß, sobald die Weisheit oder das Wohlwollen oder die Heiligkeit der Religionsdiener verdächtig wird, ja, auch wohl der Beweis für die Offenbarung sich gänzlich verliert, die Religion, deren Erhaltung ihnen obliegt, verworfen werden wird, wenn nicht bürgerliche Macht dazwischentritt.

Fordern Religionslehrer, daß man widersprechende Dinge glauben soll, so kommt ihre Weisheit in Verdacht; denn jeder, auch der Ungelehrte, welcher nicht eigentlich weiß, was ein Widerspruch ist, sieht dennoch ein, daß einer von den sich widersprechenden Sätzen notwendig falsch sein müsse. Verlangt man, beide als wahr anzunehmen, so verrät man dadurch Unwissenheit und macht seine ganze Lehre verdächtig. Freilich ist vieles, obgleich es über unsere Vernunft geht, wahr; aber nichts, was wider sie streitet.

Geben Religionslehrer durch Reden und Handlungen zu erkennen, daß sie das, was sie lehren, nicht selbst für wahr halten, so muß ihre Heiligkeit bezweifelt werden. Solche Reden und Handlungen, durch welche andere wahre Religionsverehrer zum Straucheln oder zu Fall gebracht werden können, wie Ungerechtigkeit, Härte, Heuchelei, Geiz, Wollust usw., heißen Ärgernisse. Führen nun die Lehrer einen aus solchen Quellen fließenden Wandel, wer kann ihnen gegen die unsichtbaren Wesen diejenige Ehrfurcht zutrauen, welche sie bei anderen erwecken wollen?

Suchen sie nicht das Wohl der Herde, sondern nur ihr eigenes oder lehren sie nur solche Dinge, welche, wenn sie angenommen werden, ihnen selbst entweder einzig und allein oder doch hauptsächlich Macht und Reichtum verschaffen, so wird dadurch die herrschende Meinung von ihrem Wohlwollen beseitigt. Hat nämlich jemand von irgend etwas einen Vorteil, so wird gemeinhin angenommen, daß er dies nicht sowohl für andere als für sich betreibe.

Will endlich jemand zu den angenommenen Religionslehren neue einführen, ohne sie durch Wunderwerke zu erhärten, so wird man ihm nicht weiter beipflichten, als es die Gesetze und Bräuche des Staates oder die Meinung von seiner überaus großen Heiligkeit erlauben. Denn die Verrichtung der Wunderwerke ist der einzige Beweis einer göttlichen Offenbarung; und jeder Verständige fordert bei übernatürlichen Dingen auch übernatürliche Beweise, so wie er bei natürlichen Dingen natürliche Beweise verlangt.
S.108-110 [...]

Die göttlichen Gesetze.
Die göttlichen Gesetze werden aber auf dreifache Art bekanntgemacht: durch natürliche Vernunft, durch Offenbarung oder vermittelst eines Menschen, den Gott durch Wunderwerke als glaubwürdig den übrigen bestätigt hat. Man könnte folglich fast sagen: es gibt ein dreifaches Wort Gottes; nämlich ein vernünftiges, ein sinnliches und ein prophetisches Wort, womit auch die dreifache Art, Gott zu vernehmen, übereinstimmt:
gesunde Vernunft, Sinn für das Übernatürliche und der Glaube. Da aber der Sinn für das Übernatürliche in einer Offenbarung besteht, welche einem einzelnen widerfährt, so ist sie auch nur für den Betreffenden verbindlich.

Wegen der anderen beiden Arten des göttlichen Wortes kann man Gott ein zwiefaches Reich zuschreiben, ein natürliches und ein prophetisches. Ein natürliches, insofern er die, welche seine Vorsehung anerkennen, durch das Urteil der gesunden Vernunft leitet. Ein prophetisches, insofern er sein besonderes Volk, welches anfangs die Israeliten waren und später die Christen geworden sind, nicht bloß durch die Urteile der gesunden Vernunft, sondern auch durch bestimmte und von seinen Propheten bekanntgemachte Gesetze regiert. Von dem natürlichen Reiche Gottes wird in diesem Kapitel gehandelt werden.

Das Recht, nach welchem Gott in diesem Reiche die Übertreter der Gesetze der Natur bestraft, hat er nicht als Schöpfer, sondern als das allmächtige Wesen, dem keiner widerstehen kann. Es ist oben erwiesen worden, daß unter den Menschen die höchste Gewalt durch Verträge entstanden ist; um aber zu begreifen, wie dieses Recht von Natur habe entstehen können, stelle man sich einen Fall vor, in welchem es immer bestanden hätte. Von Natur hat jeder ein Recht auf alles und folglich auch ein Recht zur Herrschaft, wiewohl man dieselbe wegen des gegenseitigen Widerstandes nie wird erreichen können. Nun denke man sich: es habe irgend jemand eine so große Macht, daß er in einem Kriege gegen alle Menschen einen gewissen Sieg sich versprechen könnte; würde ein solcher wohl geneigt sein, anstatt sich und alle anderen Menschen, die er beherrscht, nach Gutdünken zu verteidigen, lieber zu seiner eigenen Verteidigung einen Staat errichten und Gesetze über sich anerkennen wollen? Dem Allmächtigen, welchem keiner widerstehen kann, gebührt daher offenbar schon von selbst die Regierung und Herrschaft über das ganze Menschengeschlecht. Und dies (nicht aber, wie manche gemeint haben, die Sünden der Menschen) ist der eigentliche Grund für das Recht Gottes, diesen zu bestrafen und jenem zu vergeben, wie er es für gut hält.

Schon in den frühesten Zeiten warf man die Frage auf: warum es in der Welt so häufig den Bösen wohl, den Guten hingegen übel er gehe; und sie ist in der Tat so schwierig, daß sie den Glauben nicht bloß gewöhnlicher Menschen, sondern auch den der Weltweisen und was noch mehr, den der Heiligen fast wankend gemacht hat. »Israel hat dennoch Gott zum Trost«, heißt es im Ps. 73, 1—3., »wer nur reinen Herzens ist. Ich aber hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen, mein Schritt hätte beinahe geglitten. Denn es verdroß mich auf die Ruhmredigen, da ich sah, daß es den Gottlosen so wohl ging.«Wie heftig rechtet nicht auch Hiob mit Gott darüber, daß er ungeachtet seiner Gerechtigkeit dennoch so schwere Leiden erdulden müsse! Und in der Antwort auf die Klagen Hiobs bezieht sich Gott nicht auf dessen Sünden, sondern auf seine eigene Macht. Denn da die Freunde Hiobs aus dessen Leiden auf seine Sünden schlossen, er hingegen sich auf seine Unschuld berief, tat Gott selbst den Ausspruch, daß er diese Leiden nur vermöge seiner Allmacht über den Hiob verhängt habe. Indem er zu ihm sagte: »Wo warst du, da ich die Erde gründete?« und andere ähnliche von seiner Macht zeugende Ausdrücke gebrauchte, widerlegte er zwar das, womit sich Hiob verteidigt hatte, bekräftigte aber dennoch seine Unschuld und erklärte das Urteil der Freunde Hiobs für irrig. Mit dem, was Gott hier sagt, stimmt das überein, was unser Erlöser über die Blindgeborenen urteilt: »Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern, daß die Werke Gottes offenbar würden an ihm.«Es heißt zwar: »Der Tod kam durch die Sünde in die Welt«, d. h., hätte Adam nicht gesündigt, so gäbe es keinen Tod; aber hieraus folgt nicht, daß Gott ihm, wenn er nicht gesündigt hätte, auch nicht gerechterweise hätte Leiden zufügen können; denn wir sehen täglich dergleichen Leiden an den Tieren, die doch nicht sündigen können.

Zuerst müssen wir nun die göttlichen Gesetze kennenlernen, welche die gegenseitigen Pflichten der Menschen untereinander lehren; und dann diejenigen Gesetze, welche den natürlichen Gottesdienst zum Gegenstande haben. Die ersteren sind die, von welchen im 14. und 15. Kapitel gehandelt worden ist. Folglich muß nur noch gezeigt werden, welches die Aussprüche der natürlichen Vernunft hinsichtlich der Verehrung und des Dienstes sind, wozu jeder Mensch gegen das höchste Wesen verpflichtet ist.

Die Ehrerbietung ist eigentlich die Sache des Herzens und besteht in den Begriffen, die man von der Macht und Güte dessen hegt, den man ehrt. Gott ehren heißt also von der Macht und Güte Gottes eine so hohe Vorstellung als möglich haben; Gott dienen aber heißt seine Vorstellungen von ihm anderen sichtbar machen. Der Dienst ist die Mühe, die ein jeder für etwas aufwendet, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Die Dinge aber, von denen wir einen Vorteil erwarten, sind entweder in unserer Macht, so daß der Vorteil unserer Mühe auf natürliche Weise folgt. Oder sie sind nicht in unserer Macht, und unsere Mühe wird nicht nach unserem Willen belohnt, sondern nach Lage der Dinge. Im ersten Sinn, d. h., wenn wir die Erde bearbeiten, spricht man von Anbau und Kultivierung. Im zweiten Sinn, d. h., wenn wir Menschen nach unserem Willen lenken nicht durch Gewalt, sondern durch Dienstleistungen, bezeichnet Dienst alles, wodurch man anderen zu gefallen sucht, nämlich durch Lob, Anerkennung und Bewunderung. Und es geschieht fast auf die gleiche Art, wie die Menschen ihre gegenseitige Hochachtung zutage legen, nämlich durch Loben, Erheben und Bewundern.

Aus der inneren Ehrerbietung oder aus den hohen Vorstellungen von der Macht und Güte dessen, den man ehrt, entstehen Liebe, welche sich auf Güte gründet, Hoffnung und Furcht, welche beide auf die Macht Bezug nehmen; ebenso entsteht daraus ein dreifacher äußerlicher Dienst: Loben, Erheben und Seligpreisen, wovon das erstere auf die Güte, das andere auf die Macht und das dritte auf die Glückseligkeit geht.

Manche Zeichen der Ehrerbietung sind allgemein und notwendig, z. B., wenn man jemandem gewisse vorzügliche Eigenschaften beilegt und ihn gut, gerecht, großzügig usw. nennt oder wenn man Handlungen verrichtet, wie z. B. Gebet, Dank und Gehorsam. Andere Zeichen haben in den willkürlichen Gewohnheiten der Menschen ihren Grund; daher werden sie nur zu manchen Zeiten und an manchen Orten für Zeichen der Ehrerbietung gehalten. Hierzu sind zu rechnen die feierlichen Gebräuche und Gebärden beim Gebet, die nicht immer und überall dieselben sind und ein willkürlicher Gottesdienst genannt werden können.

Dieser aber kann von dem Oberherrn bestimmt oder einem jeden überlassen werden.

Außerdem gibt es einen öffentlichen und einen privaten Gottesdienst; der erste wird von dem ganzen Staat, der letztere aber von einem einzelnen Bürger geübt. Die Einrichtung des öffentlichen Gottesdienstes hängt ganz vom Staat ab; der private steht zwar einem jeden frei, solange er im Verborgenen geübt wird, die öffentliche Ausübung geschieht nie ganz ohne Furcht entweder wegen der Gesetze oder wegen der Personen, welche dabei zugegen sind, denn beides bewirkt eine Art von Zwang.

Um der Macht willen wünschen sich die Menschen Ehre, denn diese läßt die Existenz von Macht vermuten. Warum aber Gott von uns Menschen verehrt sein will, dafür ist kein anderer Grund denkbar, als daß er uns Wohltaten erweist. Wir sind zu seiner Verehrung verpflichtet, und diese muß, wie Mächtigere von minder Mächtigen nach den Regeln der gesunden Vernunft Ehre empfangen, auch von uns zur Abwendung des Bösen und Erlangung des Guten gegen Gott geleistet werden. Unter den Eigenschaften, welche wir Gott nach der Vernunft zuschreiben müssen, ist die erste seine Existenz; wir müssen also bekennen: es gibt einen Gott. Von wessen Existenz wir nicht überzeugt sind, das können wir unmöglich verehren.

Die zweite Eigenschaft ist die Allmacht und daß er der Schöpfer und Lenker aller Dinge ist. Die, welche behaupten, die Welt sei ewig, versagen Gott die ihm gebührende Ehre, ebenso wie die, welche leugnen, daß sich Gott um die menschlichen Schicksale kümmere.

Drittens entziehen diejenigen Gott einen Teil der ihm gebührenden Ehre, welche sich ihn als ein begrenztes Wesen vorstellen. Denn was begrenzt ist, kann erweitert werden. Der Ehre Gottes läuft es daher ganz zuwider, wenn man ihm eine Gestalt beilegt, weil Gestalt etwas Begrenztes ist. Aus gleichem Grund ist es auch gegen die Ehre Gottes, wenn man sagt: man begreife ihn, bilde sich ihn ein oder habe von ihm im Geiste eine Vorstellung. Alles, was wir begreifen, ist ja begrenzt. Hierher gehört auch, wenn man das Wort ganz auf Gott anwendet, denn ganz kann nur von endlichen Dingen gebraucht werden. Ferner, wenn man Gott einen bestimmten Aufenthaltsort zuschreibt, da alles, was sich an irgendeinem Orte befindet, begrenzt und endlich ist.

Viertens ist die Behauptung, daß es mehrere Götter gebe, eine Verletzung der Ehre Gottes, denn es kann nur ein unendliches Wesen geben.

Fünftens ist es gegen die Ehre Gottes, wenn man Leidenschaften (im eigentlichen Sinne des Wortes), welche eine Störung der inneren Ruhe bedeuten, wie Reue, Zorn, Barmherzigkeit, bei Gott annimmt; oder auch solche, die ein Bedürfnis ausdrücken, wie Verlangen, Hoffnung, Begierde, und jede andere Leidenschaft, die ein Leiden anzeigt. Denn Leiden ist eine Einschränkung der Macht, die von einem anderen wirkenden Wesen abhängt. Wenn wir daher Gott einen Willen zuschreiben, so darf darunter nicht ein auf Willen gegründetes Verlangen, wie bei uns Menschen, verstanden werden, sondern die göttliche Macht, die alles, was geschieht, wirkt. Auch wenn man von Gott sagt, er sieht, empfindet, weiß, versteht, ehrt man ihn nicht, man müßte denn dabei überhaupt an Gottes unbegreifliche Macht denken; denn diese Eigenschaften bei uns Menschen sind nichts anderes als eine Unruhe, die von außen her durch die körperlichen Sinneswerkzeuge im Geiste hervorgebracht wird.

Wer von Gott keine anderen Benennungen gebrauchen wollte als die der natürlichen Vernunft gemäßen, müsste dazu solche wählen, die entweder verneinen wie der Unendliche, Ewige, Unbegreifliche oder ausschließen wie der Höchste, der Größte oder aber unbestimmt sind wie der Gütige, Heilige, Gerechte, Schöpfer; und zwar in dem Sinne, daß wir dadurch nicht bestimmt anzeigen wollen, was Gott sei, sondern wie sehr wir ihn bewundern und verehren. Von Gott läßt sich nach seiner Natur nur sagen: er ist.
(S.296-302)
Aus: Thomas Hobbes, Leviathan, Erster und zweiter Teil
Übersetzung von Jacob Peter Mayer, Nachwort von Malte Diesselhorst
Reclams Universalbibliothek Nr. 8348 (S.108-110, 296-302)
© 1970 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages und Mrs. Edna M. L. Mayer (für die Übersetzung)


Einwände gegen die Meditationen des Descartes nebst dessen Erwiderungen
Fünfter Einwand
Zur dritten Meditation. Von Gott

»Einige davon« (nämlich den menschlichen Bewußtseinsinhalten) »sind gleichsam Bilder der Dinge, und ihnen allein gebührt der Name Idee; so wenn ich mir einen Menschen oder eine Chimäre oder den Himmel, einen Engel oder Gott denke.«

Denke ich mir einen Menschen, so habe ich eine Idee oder ein Bild, bestehend aus Gestalt und Farbe, in meinem Bewußtsein, wobei aber zweifelhaft sein kann, ob dieses dem Menschen ähnlich ist oder nicht. Ebenso verhält es sich mit dem Himmel. Denke ich mir eine Chimäre, so habe ich eine Idee oder ein Bild in meinem Bewußtsein, von welchem zweifelhaft ist, ob es einem existierenden Geschöpf oder einem, das möglicherweise existieren könnte oder existiert hat, ähnlich ist oder nicht.
Denke ich mir aber einen Engel, dann stellt sich der Geist bisweilen das Bild einer Flamme, bisweilen das eines wohlgestalteten geflügelten Knaben vor, von welchem Bild ich zu wissen glaube, daß es keinem Engel gleicht und daher auch nicht die Idee des Engels ist. Aber da wir glauben, daß es irgendwelche Gott untergebene unsichtbare und immaterielle Geschöpfe gibt, legen wir diesen nur geglaubten und vermuteten Gebilden den Namen Engel bei, obwohl die Vorstellung eines Engels sich für uns aus den Vorstellungen sichtbarer Dinge zusammensetzt.
Ebenso besitzen wir für den verehrungswürdigen Namen Gottes keine Vorstellung oder Idee Gottes. Daher uns geboten wird, Gott nicht unter einem Bilde anzubeten, auf daß es nicht den Anschein habe, als könnten wir ihn, den Unvorstellbaren, dennoch vorstellen und begreifen. So scheint mir eine Idee Gottes in uns überhaupt nicht vorhanden zu sein. Es verhält sich vielmehr hier ebenso wie mit einem Blindgeborenen, den man öfter einem Feuer genähert hat; er fühlt, daß er warm wird, er bemerkt, daß es etwas gibt, wodurch er erwärmt wird; hört er nun, dass jenes Etwas Feuer genannt wird, so schließt er, daß es Feuer gibt, ohne daß er doch weiß, von welcher Gestalt oder Farbe das Feuer ist; ja er hat überhaupt keine Idee oder kein dem Geiste vorschwebendes Bild des Feuers. So erkennt der Mensch, dass es irgendeine Ursache für seine Bilder oder Ideen geben müßte und von dieser Ursache eine andere usw.; als das Ende dieser Reihe setzt er dann eine ewige Ursache, die, da sie niemals zu sein begann, eine vorangehende nicht mehr erfordert; so schließt er, daß irgend etwas Ewiges notwendig existiert; er besitzt aber keine Idee von jenem Ewigen, sondern mit dem Worte Gott bezeichnet und benennt er nur dieses geglaubte und anerkannte Ding.
Von der Darlegung des Satzes, daß wir in uns die Idee Gottes haben, schreitet Descartes sofort zu dem Beweis fort, daß Gott als der Allmächtige, Allweise und Schöpfer der Welt existiere; er hätte aber jene Idee Gottes besser erklären und von ihr aus nicht allein die Existenz Gottes, sondern auch die Schöpfung der Welt erweisen sollen.

Erwiderung
Hobbes will unter dem Wort Idee nur die Abbilder materieller Dinge, wie sie sich in der körperlichen Phantasie abzeichnen, verstanden wissen. Wird das zugegeben, so ist es für ihn leicht, zu beweisen, daß es Ideen von Gott oder Engeln nicht geben kann. Immer wieder aber und ganz besonders auch an dieser Stelle hebe ich hervor, daß ich unter Idee alles verstehe, was von dem Geist unmittelbar erfaßt wird; auch das Wollen und Fürchten rechne ich, da ich, während ich will und fürchte, dieses Wollen und Fürchten perzipiere, zu den Ideen. Ich bediente mich dieses Namens, weil er schon längst im Gebrauch der Philosophen ist, um die Form der Perzeption des göttlichen Verstandes zu bezeichnen, obwohl wir bei Gott keine Phantasie annehmen. Überdies wußte ich keinen passenderen Ausdruck. Ich glaube für diejenigen, die auf meine Begriffsbestimmung achten wollen, die Idee Gottes genügend erklärt zu haben; für diejenigen aber, welche meine Worte durchaus anders als ich verstehen wollen, könnte ich niemals genug tun. Was Hobbes schließlich über die Schöpfung der Welt hinzufügt, hat offensichtlich mit der hier behandelten Frage nichts zu tun.
S.170-172 [...]


Siebenter Einwand

»Es bleibt noch zu untersuchen, auf welche Weise ich die Idee Gottes erhalten habe. Ich habe sie nämlich nicht aus den Sinnen geschöpft, sie hat sich mir auch niemals aufgedrängt, wie das der Fall bei den Vorstellungen der Sinnendinge zu sein pflegt, wenn die Außendinge den Sinnesorganen sich darbieten oder sich darzubieten scheinen. Endlich ist sie auch nicht von mir geschaffen worden, da ich ihr nichts nehmen, ihr nichts hinzufügen kann. So bleibt nur übrig, daß sie mir eingeboren sei, wie mir auch die Idee meiner selbst eingeboren ist.«

Es ist nicht bewiesen, daß die Idee Gottes mir überhaupt gegeben ist; ist sie aber nicht gegeben, wie es zu sein scheint, dann ist diese ganze Erörterung gegenstandslos. Überdies entsteht mir die Idee meiner selbst aus dem Gesichtssinn, indem der eigene Körper angeschaut wird; von einer Seele gibt es überhaupt keine Idee, sondern wir schließen auf etwas, das dem menschlichen Körper einwohnt und ihm die Lebensbewegung gibt, vermittelst derer er empfindet und sich bewegt; und dies, was es auch sei, nennen wir Seele, ohne eine Idee davon zu haben.

Erwiderung
Wenn eine Idee von Gott gegeben ist - und es ist offenbar, daß es eine gibt -, so ist dieser ganze Einwand gegenstandslos. Wird hinzugefügt, daß eine Idee der Seele nicht gegeben sei, sondern durch Vernunft erschlossen werde, so besagt dies nur, daß von ihr uns kein sinnlich anschauliches Bild gegeben sei; aber gegeben ist doch das, was ich Idee genannt habe.
S.173f [...]

Zehnter Einwand
»Einzig die Idee von Gott bleibt, bei der zu erwägen ist, ob sie etwas ist, das aus mir nicht stammen kann. Unter dem Namen Gottes verstehe ich eine unendliche, unabhängige, höchst weise, höchst mächtige Substanz, die mich und auch alles, was es sonst außer mir gibt, geschaffen hat. Alles Bestimmungen, die, je sorgfältiger ich sie erwäge, um so weniger von mir allein hervorgebracht zu sein scheinen. Und daraus folgt nach den früheren Ausführungen, daß Gott notwendig existiert.«

Betrachtet man die Attribute Gottes, um daraus die Idee Gottes zu erhalten, und prüft man, ob in ihnen etwas ist, was nicht von uns hervorgebracht sein kann, so finde ich, wenn ich mich nicht täusche, dass das, was wir bei dem Namen Gottes denken, zwar nicht von uns stammt, aber darum doch nicht einen anderen Ursprung als in den Außendingen haben müßte. Denn unter dem Namen Gottes verstehe ich eine Substanz; das heißt, ich denke ihn als existierend, nicht auf Grund einer Idee, sondern eines Schlusses; ich denke diese Substanz als unendlich,
das heißt so, dass ich Grenzen (nämlich äußerste Teile, über die hinaus weitere nicht mehr vorzustellen sind) in ihr weder gedanklich noch sinnlich vorzustellen vermag. Woraus folgt, dass, wenn ich das Wort »Unendlich« gebrauche, damit noch keine Idee einer göttlichen Unendlichkeit gesetzt ist; ich werde vielmehr nur meiner Grenzen oder Schranken bewußt. Endlich denke ich jene Substanz als unabhängig, das heißt, ich kenne keine Ursache, aus der Gott hervorginge.
Daraus erhellt, daß meine Idee der Unabhängigkeit nichts anderes als die Erinnerung an Ideen von mir enthält, die zu verschiedenen Zeiten beginnen und deshalb abhängig sind. Die Behauptung: Gott sei unabhängig, besagt somit nur, daß Gott zu der Klasse von Dingen gehört, deren Ursprung ich nicht einsehe, wie die Unendlichkeit Gottes nichts anderes meint, als daß Gott zu der Klasse von Dingen gehört, bei denen wir uns keine Grenzen vorstellen. Damit aber wird jede Idee von Gott aufgehoben, denn was wäre eine Idee ohne Ursprung und Grenzen?

Was heißt »höchst weise«? Ich frage, durch welche Idee weiß Descartes etwas von der Weisheit Gottes? Was ist »höchst mächtig«? Welche Idee gibt uns von der Macht, also von künftigen, jetzt noch nicht existierenden Dingen eine Vorstellung? Entspringt uns doch der Begriff von Macht oder Vermögen allein aus der Besinnung auf bereits vollzogene Leistungen, indem geschlossen wird: irgendwas, das existiert, handelte, also konnte es so handeln, also wird es noch einmal so handeln können, also besitzt es die Macht zu handeln. All dies sind Ideen, die von äußeren Objekten gewonnen werden können.
Was nun die Vorstellung eines
»Schöpfers alles Existierenden« anbetrifft, so vermag ich mir ein Bild der Schöpfung nur aus dem zu machen, was ich gesehen habe. So etwa, wie ein Mensch geboren wird oder gleichsam aus einem Punkt zu seiner gegenwärtigen Gestalt und Größe heranwächst. Eine andere Idee hat niemand bei dem Namen »Schöpfer«. Um die Schöpfung der Welt zu erweisen, genügt es nicht, daß wir sie uns als geschaffen vorstellen können.
Mag auch bewiesen werden, daß ein Unendliches, Unabhängiges, höchst Mächtiges existiere, so folgt daraus nicht, dass ein Schöpfer existiere. Man müsste denn den Schluss für richtig halten: weil etwas existiert, von dem wir glauben, daß er alles andere geschaffen hat, ist auch die Welt von ihm einst geschaffen worden.
Wenn Descartes übrigens sagt, daß die Ideen Gottes und der Seele uns eingeboren sind, möchte ich wissen, ob der Geist auch im tiefen traumlosen Schlaf denkt. Wenn nicht, so besitzt er zu dieser Zeit keine Ideen. Daher ist uns keine Idee eingeboren; denn was uns eingeboren ist, ist immer da.

Erwiderung
Nichts von dem, was wir Gott zuschreiben, kann von Außendingen als gleichsam den Mustern stammen, da in Gott nichts ist, was dem gleicht, das in äußeren, d.h. körperlichen Dingen enthalten ist. Offenbar kann aber, was wir ihnen entgegengesetzt denken, nicht vor ihnen, sondern allein von der Ursache stammen, die macht, daß wir dieser Gegensätzlichkeit uns bewußt werden.

Ich frage hier, wie jener Philosoph den Verstand Gottes von den Außendingen ableitet. Meine Idee von ihm ist einfach zu erläutern; denn ich verstehe unter Idee alles, was Form einer Perzeption ist; wer also sich bewußt ist, daß er etwas versteht, hat damit zugleich die Form oder die Idee des Verstehens, den Verstand, den er nur ins Unendliche auszudehnen braucht, um zu dem göttlichen Verstand zu gelangen. Und ist es mit allen übrigen Attributen nicht genau so?
Da wir die uns einwohnende Idee Gottes zu dem Beweis seiner Existenz benutzt haben und da in dieser Idee eine so unermeßliche Macht enthalten ist, daß es ersichtlich ein Widerspruch wäre, etwas außer ihm als existierend anzunehmen, das nicht von ihm geschaffen wäre, so folgt aus dem Beweis seiner Existenz auch, daß die Gesamtheit aller von Gott verschiedenen und existierenden Dinge, d.h. die Welt, von ihm geschaffen ist.

Wenn wir endlich sagen, eine Idee sei uns eingeboren, so meinen wir nicht, dass sie uns beständig gegenwärtig sei; in diesem Sinne wäre uns überhaupt keine Idee angeboren; wir meinen vielmehr nur, daß wir die Fähigkeit besitzen, sie zu entwickeln
. S.175-178

Elfter Einwand
»Der Nerv des Beweises liegt darin, dass ich anerkenne, so, wie ich bin, mit meiner Idee von Gott in mir, könnte ich nicht existieren, wenn nicht auch Gott, ich meine jener Gott, dessen Idee in mir ist, wahrhaft existierte.«

Es war nicht bewiesen, dass wir eine Idee von Gott haben, auch die christliche Religion fordert von uns den Glauben, daß Gott unfaßlich sei, d.h. dass nach meiner Meinung es von ihm keine Idee gäbe; daher ist die Existenz Gottes nicht bewiesen und noch viel weniger die Schöpfung.

Erwiderung
Wird Gott als unfassbar bezeichnet, so gilt das nur von dem Versuch, von ihm eine adäquate und ihn ganz begreifende Vorstellung zu gewinnen. Inwiefern es aber eine Idee von Gott doch gibt, ist schon bis zum Überdruss wiederholt worden. Hier wird überhaupt nichts vorgebracht, das meine Beweise erschüttert. S.178
Aus: Thomas Hobbes, Vom Körper (Elemente der Philosophie I)
Meiner Philosophische Bibliothek Band 157