Heinrich Heine (1797 –1856)
>>>Gott
Inhaltsverzeichnis
Der
Gott meiner Wahl
Die Idee des
Christentums
Der Geist
der Wahrheit
Sie
haben dir übel mitgespielt
Der
Gott meiner Wahl
Jedenfalls ist es aber ein hoher Geist, der uns aus jenen
altflorentinischen Gemälden anspricht, es ist das eigentlich Heroische,
das wir auch in den marmornen Götterbildern der Alten erkennen und das
nicht, wie unsre Ästhetiker meinen, in einer ewigen Ruhe ohne Leidenschaft,
sondern in einer ewigen Leidenschaft ohne Unruhe besteht. Auch durch einige
spätere Ölbilder, die im Dome von Lucca hängen, zieht sich, vielleicht
als traditioneller Nachhall, jener altflorentinische Sinn. Besonders fiel mir
auf eine Hochzeit zu Kana, von einem Schüler des Andrea del Sarto, etwas
hart gemalt und schroff gestaltet. Der Heiland sitzt zwischen der weichen schönen
Braut und einem Pharisäer, dessen steinernes Gesetztafelgesicht sich wundert
über den genialen Propheten, der sich heiter mischt in die Reihen der Heiteren
und die Gesellschaft mit Wundern regaliert, die noch größer sind
als die Wunder des Moses; denn dieser konnte, wenn er noch so stark gegen den
Felsen schlug, nur Wasser hervorbringen, jener aber brauchte nur ein Wort zu
sprechen, und die Krüge füllten sich mit dem besten Wein. Viel weicher,
fast venezianisch koloriert, ist das Gemälde von einem Unbekannten, das
daneben hängt und worin der freundlichste Farbenschmelz von einem durchbebenden
Schmerze gar seltsam gedämpft wird. Es stellt dar, wie Maria ein Pfund
Salbe nahm, von ungefälschter köstlicher Narde, und damit die Füße
Jesu salbte und sie mit ihren Haaren trocknete. Christus sitzt da, im Kreise
seiner Jünger, ein schöner, geistreicher Gott, menschlich wehmütig
fühlt er eine schaurige Pietät gegen seinen eignen Leib, der bald
soviel dulden wird und dem die salbende Ehre, die man den Gestorbenen erweist,
schon jetzt gebührt und schon jetzt widerfährt; er lächelt gerührt
hinab auf das kniende Weib, das, getrieben von ahnender Liebesangst, jene barmherzige
Tat verrichtet, eine Tat, die nie vergessen wird, solange es leidende Menschen
gibt, und die zur Erquickung aller leidenden Menschen durch die Jahrtausende
duftet. Außer dem Jünger, der am Herzen Christi lag und der auch
diese Tat verzeichnet hat, scheint keiner von den Aposteln ihre Bedeutung zu
fühlen, und der mit dem roten Barte scheint sogar, wie in der Schrift steht,
die verdrießliche Bemerkung zu machen: »Warum ist diese Salbe nicht
verkauft um dreihundert Groschen und den Armen gegeben?« Dieser ökonomische
Apostel ist eben derjenige, der den Beutel führt, die Gewohnheit der Geldgeschäfte
hat ihn abgestumpft gegen alle uneigennützigen Nardendüfte der Liebe,
er möchte Groschen dafür einwechseln zu einem nützlichen Zweck,
und eben er, der Groschenwechsler, er war es, der den Heiland verriet - um dreißig
Silberlinge. So hat das Evangelium auch symbolisch, in der Geschichte des Bankiers
unter den Aposteln, die un-heimliche Verführungsmacht, die im Geldsacke
lauert, offenbart und vor der Treulosigkeit der Geldgeschäftsleute gewarnt.
Jeder Reiche ist ein Judas Ischariot.
»Sie schneiden ja ein verbissen gläubiges Gesicht, teurer Doktor«, flüsterte Mylady, »ich habe Sie eben beobachtet,
und verzeihen Sie mir, wenn ich Sie etwa beleidige, Sie sahen aus wie ein guter
Christ.«
»Unter uns gesagt, das bin ich; ja, Christus -«
»Glauben Sie vielleicht ebenfalls, daß er
ein Gott sei?«
»Das versteht sich, meine gute Mathilde. Es ist
der Gott, den ich am meisten liebe - nicht weil er so ein legitimer Gott ist,
dessen Vater schon Gott war und seit undenklicher Zeit die Welt beherrschte,
sondern weil er, obgleich ein geborener Dauphin des Himmels, dennoch, demokratisch
gesinnt, keinen höfischen Zeremonialprunk liebt, weil er kein Gott einer
Aristokratie von geschorenen Schriftgelehrten und galonierten Lanzenknechten
und weil er ein bescheidener Gott des Volks ist, ein Bürgergott, un bon
dieu citoyen. Wahrlich, wenn Christus noch kein Gott wäre, so würde
ich ihn dazu wählen, und viel lieber als einem aufgezwungenen absoluten
Gott würde ich ihm gehorchen, ihm, dem Wahlgotte, dem Gotte meiner
Wahl.«
Aus: Heinrich Heine: Sämtliche Schriften . Herausgegeben
von Klaus Briegleb. Zweiter Band, Reisebilder – Vierter Teil, Die Stadt
Lucca, (S.498 – 500)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München © 1968 Carl Hanser Verlag, München
Wien
Die Idee des Christentums
Denn das Christentum ist eine Idee und als solche unzerstörbar
und unsterblich wie jede Idee. Was ist aber diese Idee? [...]
Wie sich diese Idee historisch gebildet und in der Erscheinungswelt manifestiert,
ließe sich wohl schon in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt
entdecken, wenn wir namentlich in der Geschichte der Manichäer und der Gnostiker
vorurteilsfrei nachforschen. Obgleich erstere verketzert und letztere
verschrien sind und die Kirche sie verdammt hat, so erhielt sich doch ihr Einfluss
auf das Dogma, aus ihrer Symbolik entwickelte sich die katholische Kunst, und
ihre Denkweise durchdrang das ganze Leben der christlichen Völker. Die
Manichäer sind ihrer letzten Gründe nach nicht sehr verschieden von
den Gnostikern. Die Lehre von den beiden Prinzipien, dem guten und dem bösen,
die sich bekämpfen, ist beiden eigen. Die einen, die Manichäer,
erhielten diese Lehre aus der altpersischen Religion,
wo Ormuz, das
Licht, dem Ariman, der Finsternis, feindlich
entgegengesetzt ist.
Die anderen, die eigentlichen Gnostiker, glaubten
vielmehr an die Präexistenz des guten
Prinzips und erklärten die Entstehung des bösen
Prinzips durch Emanation,
durch Generationen von Äonen,
die, je mehr sie von ihrem Ursprung entfernt sind, sich desto trüber verschlechtert.
Nach Cerinthus war der Erschaffer unserer Welt
keineswegs der höchste Gott, sondern nur eine Emanation desselben, einer von den Äonen,
der eigentliche Demiurgos,
der allmählich ausgeartet ist und jetzt, als böses Prinzip, dem aus
dem höchsten Gott unmittelbar entsprungenen Logos, dem guten Prinzip, feindselig gegenüberstehe. Diese gnostische
Weltansicht ist urindisch, und sie führte mit sich die Lehre von der Inkarnation
Gottes, von der Abtötung des Fleisches, vom geistigen Insichselbstversenken,
sie gebar das asketisch beschauliche Mönchsleben, welches die reinste Blüte
der christlichen Idee. Diese Idee hat sich in der Dogmatik nur sehr verworren
und im Kultus nur sehr trübe aussprechen können. Doch sehen wir überall
die Lehre von den beiden Prinzipien hervortreten; dem guten Christus
steht der böse Satan entgegen; die Welt des Geistes
wird durch Christus, die Welt der Materie durch
Satan repräsentiert; jenem gehört
unsere Seele, diesem
unser Leib; und die ganze Erscheinungswelt, die Natur, ist demnach ursprünglich
böse, und Satan, der Fürst der Finsternis,
will uns damit ins Verderben locken, und es gilt, allen sinnlichen Freuden des
Lebens zu entsagen, unsern Leib, das Lehn Satans, zu peinigen, damit die Seele
sich desto herrlicher emporschwinge in den lichten Himmel, in das strahlende
Reich Christi. Diese Weltansicht, die eigentliche Idee des Christentums,
hatte sich, unglaublich schnell, über das ganze römische Reich verbreitet,
wie eine ansteckende Krankheit, das ganze Mittelalter hindurch dauerten die
Leiden, manchmal Fieberwut, manchmal Abspannung, und wir Modernen fühlen
noch immer Krämpfe und Schwäche in den Gliedern.
Ist auch mancher von uns schon genesen, so kann er doch der allgemeinen Lazarettluft
nicht entrinnen, und er fühlt sich unglücklich als der einzig Gesunde
unter lauter Siechen. Einst, wenn die Menschheit ihre völlige Gesundheit
wiedererlangt, wenn der Friede zwischen Leib und Seele wiederhergestellt und
sie wieder in ursprünglicher Harmonie sich durchdringen, dann wird man
den künstlichen Hader, den das Christentum zwischen beiden gestiftet, kaum
begreifen können. Die glücklichern und schöneren Generationen,
die, gezeugt durch freie Wahlumarmung, in einer Religion der Freude emporblühen,
werden wehmütig lächeln über ihre armen Vorfahren, die sich aller
Genüsse dieser schönen Erde trübsinnig enthielten und, durch
Abtötung der warmen farbigen Sinnlichkeit, fast zu kalten Gespenstern verblichen
sind! Ja, ich sage es bestimmt, unsere Nachkommen werden schöner und glücklicher
sein als wir. Denn ich glaube an den Fortschritt, ich glaube, die Menschheit
ist zur Glückseligkeit bestimmt, und ich hege also eine größere
Meinung von der Gottheit als jene frommen Leute, die da wähnen, er habe
den Menschen nur zum Leiden erschaffen. Schon hier auf Erden möchte ich,
durch die Segnungen freier politischer und industrieller Institutionen, jene
Seligkeit etablieren, die, nach der Meinung der Frommen, erst am Jüngsten
Tage, im Himmel, stattfinden soll. Jenes ist vielleicht ebenso wie dieses eine
törichte Hoffnung, und es gibt keine Auferstehung der Menschheit, weder
im politisch-moralischen noch im apostolisch-katholischen Sinne.
Die Menschheit ist vielleicht zu ewigem Elend bestimmt, die Völker sind
vielleicht auf ewig verdammt, von Despoten zertreten, von den Spießgesellen
derselben exploitiert und von den Lakaien verhöhnt zu werden.
Ach, in diesem Falle müßte man das Christentum, selbst wenn man es
als Irrtum erkannt, dennoch zu erhalten suchen, man müßte in der
Mönchskutte und barfuß durch Europa laufen und die Nichtigkeit aller
irdischen Güter und Entsagung predigen und den gegeißelten und verspotteten
Menschen das tröstende Kruzifix vorhalten und ihnen nach dem Tode, dort
oben, alle sieben Himmel versprechen.
Vielleicht eben weil die Großen dieser Erde ihrer Obermacht gewiß
sind und im Herzen beschlossen haben, sie ewig zu unserem Unglück zu mißbrauchen,
sind sie von der Notwendigkeit des Christentums für ihre Völker überzeugt,
und es ist im Grunde ein zartes Menschlichkeitsgefühl, daß sie sich
für die Erhaltung dieser Religion so viele Mühe geben!
Das endliche Schicksal des Christentums ist also davon abhängig, ob wir
dessen noch bedürfen. Diese Religion war eine Wohltat für die leidende
Menschheit während achtzehn Jahrhunderten, sie war providentiell, göttlich,
heilig. Alles, was sie der Zivilisation genützt, indem sie die Starken
zähmte und die Zahmen stärkte, die Völker verband durch gleiches
Gefühl und gleiche Sprache, und was sonst noch von ihren Apologeten hervorgerühmt
wird, das ist sogar noch unbedeutend in Vergleichung mit jener großen
Tröstung, die sie durch sich selbst den Menschen angedeihen lassen. Ewiger
Ruhm gebührt dem Symbol jenes leidenden Gottes, des Heilands mit der Dornenkrone,
des gekreuzigten Christus, dessen Blut gleichsam der lindernde Balsam war, der
in die Wunden der Menschheit herabrann. Besonders der Dichter wird die schauerliche
Erhabenheit dieses Symbols mit Ehrfurcht anerkennen. Das ganze System von Symbolen,
die sich ausgesprochen in der Kunst und im Leben des Mittelalters, wird zu allen
Zeiten die Bewunderung der Dichter erregen. In der Tat, welche kolossale Konsequenz
in der christlichen Kunst, namentlich in der Architektur! Diese gotischen Dome,
wie stehen sie im Einklang mit dem Kultus, und wie offenbart sich in ihnen die
Idee der Kirche selber! Alles strebt da empor, alles transsubstanziiert sich:
der Stein sproßt aus in Ästen und Laubwerk und wird Baum; die Frucht
des Weinstocks und der Ähre wird Blut und Fleisch; der Mensch wird Gott;
Gott wird reiner Geist! Ein ergiebiger, unversiegbar kostbarer Stoff für
die Dichter ist das christliche Leben im Mittelalter. Nur durch das Christentum
konnten auf dieser Erde sich Zustände bilden, die so kecke Kontraste, so
bunte Schmerzen und so abenteuerliche Schönheiten enthalten, daß
man meinen sollte, dergleichen habe niemals in der Wirklichkeit existiert und
das alles sei ein kolossaler Fiebertraum, es sei der Fiebertraum eines wahnsinnigen
Gottes. Die Natur selber schien sich damals phantastisch zu vermummen; indessen,
obgleich der Mensch, befangen in abstrakten Grübeleien, sich verdrießlich
von ihr abwendete, so weckte sie ihn doch manchmal mit einer Stimme, die so
schauerlich süß, so entsetzlich liebevoll, so zaubergewaltig war,
daß der Mensch unwillkürlich aufhorchte und lächelte und erschrak
und gar zu Tode erkrankte.
Aus: Heinrich Heine: Sämtliche Schriften . Herausgegeben
von Klaus Briegleb. Dritter Band, Zur Geschichte der Religion und Philosophie
in Deutschland, (S.516, 517 – 520)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München © 1968 Carl Hanser Verlag, München
Wien
Der Geist der Wahrheit
Aus dem Alten Testament springe ich manchmal ins Neue, und
auch hier überschauert mich die Allmacht des großen Buches. Welchen
heiligen Boden betritt hier dein Fuß! Bei dieser Lektüre sollte man
die Schuhe ausziehen, wie in der Nähe von Heiligtümern.
Die merkwürdigsten Worte des Neuen Testaments sind für mich die Stelle
im Evangelium Johannis, Kap. 16, V. 12. 13.
»Ich habe euch noch viel zu sagen,
aber ihr könnet es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit,
kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht von sich
selbst reden, sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig
ist, wird er euch verkündigen.« Das letzte Wort ist also nicht
gesagt worden, und hier ist vielleicht der Ring, woran sich eine neue Offenbarung
knüpfen läßt. Sie beginnt mit der Erlösung vom Worte, macht
dem Märtyrtum ein Ende und stiftet das Reich der ewigen Freude: das Millennium.
Alle Verheißungen finden zuletzt die reichste Erfüllung.
Eine gewisse mystische Doppelsinnigkeit ist vorherrschend im Neuen Testamente.
Eine kluge Abschweifung, nicht ein System sind die Worte: »Gib Cäsars,
was des Cäsars, und Gott, was Gottes ist.« So auch, wenn man Christum
frägt: »Bist du König der Juden?«, ist die Antwort ausweichend.
Ebenfalls auf die Frage, ob er Gottes Sohn sei. Mahomet zeigt sich weit offener
bestimmter. Als man ihn mit einer ähnlichen Frage anging, nämlich,
ob er Gottes Sohn sei, antwortete er: »Gott hat keine Kinder.«
Welch ein großes Drama ist die Passion! Und wie tief ist es motiviert
durch die Prophezeiungen des Alten Testamentes! Sie konnte nicht umgangen werden,
sie war das rote Siegel der Beglaubnis. Gleich den Wundern, so hat auch die
Passion als Annonce gedient... Wenn jetzt ein Heiland aufsteht, braucht er sich
nicht mehr kreuzigen zu lassen, um seine Lehre eindrücklich zu veröffentlichen...
er läßt sie ruhig drucken und annunziert das Büchlein in der
»Allgemeinen Zeitung« mit sechs Kreuzern die Zeile Inserationsgebühr.
Welche süße Gestalt, dieser
Gottmensch! Wie borniert erscheint in Vergleichung
mit ihm der Heros des Alten Testaments! Moses liebt
sein Volk mit einer rührenden Innigkeit; wie eine Mutter sorgt er für
die Zukunft dieses Volks. Christus liebt die Menschheit, jene Sonne umflammte
die ganze Erde mit den wärmenden Strahlen seiner Liebe. Welch ein lindernder
Balsam für alle Wunden dieser Welt sind seine Worte! Welch ein Heilquell
für alle Leidende war das Blut, welches auf Golgatha floß!... Die
weißen marmornen Griechengötter wurden bespritzt von diesem Blute
und erkrankten vor innerem Grauen und konnten nimmermehr genesen! Die meisten
freilich trugen schon längst in sich das verzehrende Siechtum, und nur
der Schreck beschleunigte ihren Tod. Zuerst starb Pan. Kennst Du die Sage, wie
Plutarch sie erzählt?
Diese Schiffersage des Altertums ist höchst merkwürdig. - Sie lautet
folgendermaßen: Zur Zeit des Tiberius fuhr ein Schiff nahe an den Inseln
Parä, welche an der Küste von Ätolien liegen, des Abends vorüber.
Die Leute, die sich darauf befanden, waren noch nicht schlafen gegangen, und
viele saßen nach dem Nachtessen beim Trinken, als man auf einmal von der
Küste her eine Stimme vernahm, welche den Namen des Thamus (so
hieß nämlich der Steuermann) so laut rief, daß alle
in die größte Verwunderung gerieten. Beim ersten und zweiten Rufe
schwieg Thamus, beim dritten antwortete er; worauf dann die Stimme mit noch
verstärktem Tone diese Worte zu ihm sagte: »Wenn du auf die Höhe
von Palodes anlangst, so verkündige, daß der große Pan gestorben
ist!« Als er nun diese Höhe erreichte, vollzog Thamus den Auftrag
und rief vom Hinterteil des Schiffes nach dem Lande hin: »Der
große Pan ist tot!« Auf diesen Ruf erfolgten von dort her
die sonderbarsten Klagetöne, ein Gemisch von Seufzen und Geschrei der Verwunderung,
und wie von vielen zugleich erhoben. Die Augenzeugen erzählten dies Ereignis
in Rom, wo man die wunderlichsten Meinungen darüber äußerte.
Tiberius ließ die Sache näher untersuchen und zweifelte nicht an
der Wahrheit.
Aus: Heinrich Heine: Sämtliche Schriften . Herausgegeben
von Klaus Briegleb.. Vierter Band, Ludwig Börne, Eine Denkschrift (S.44-46)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München. © 1968 Carl Hanser Verlag,
München Wien
Sie haben
dir übel mitgespielt
Caput XIII
Die Sonne ging auf bei Paderborn
Mit sehr verdroßner Gebärde.
Sie treibt in der Tat ein verdrießlich Geschäft
Beleuchten die dumme Erde!
Hat sie die eine Seite erhellt,
Und bringt sie mit strahlender Eile
Der andern ihr Licht, so verdunkelt schon
Sich jene mittlerweile.
Der Stein entrollt dem Sisyphus,
Der Danaiden Tonne
Wird nie gefüllt, und den Erdenball
Beleuchtet vergeblich die Sonne! —
Und als der Morgennebel zerrann,
Da sah ich am Wege ragen,
Im Frührotschein, das Bild des Manns,
Der an das Kreuz geschlagen.
Sie haben dir übel mitgespielt,
Die Herren vom hohen Rate.
Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos
Von der Kirche und vom Staate!
Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal
Dein Anblick, mein armer Vetter,
Der du die Welt erlösen gewollt,
Du Narr, du Menschheitsretter!
Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei
Noch nicht in jenen Tagen
Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch
Über die Himmelsfragen.
Der Zensor hätte gestrichen darin,
Was etwa anzüglich auf Erden,
Und hebend bewahrte dich die Zensur
Vor dem Gekreuzigtwerden.
Ach! hättest du nur einen andern Text
Zu deiner Bergpredigt genommen,
Besaßest ja Geist und Talent genug,
Und konntest schonen die Frommen!
Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar
Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel —
Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz
Als warnendes Exempel!
Aus: Heinrich Heine: Sämtliche Schriften . Herausgegeben
von Klaus Briegleb. Vierter Band, Deutschland. Ein Wintermärchen (S.605f.)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München ©1968 Carl Hanser Verlag, München
Wien