Karl Robert Eduard von Hartmann (1842 - 1906)

  Deutscher Philosoph, der zunächst die Offizierslaufbahn einschlug, dann als Privatgelehrter tätig war. Von Schelling, Schopenhauer und Hegel beeinflusst, entwickelte Eduard von Hartmann im Rahmen des Neovitalismus eine Philosophie des Unbewussten.

Siehe auch Wikipedia

 

Das Unbewusste und der Gott des Theismus
Gesetzt aber dennoch, ein beschränktes, von anderen unterschiedenes Individualbewusstsein wäre entstanden, so würden die auf dasselbe gerichteten Funktionen des All-Einen, falls sie bewusste wären, das absolute Bewusstsein in das individuelle gleichsam mit hineinscheinen; denn es wäre nicht abzusehen, wodurch diese Funktionen die ihnen ein Mal anhaftende und nach Annahme der Theisten wohl gar wesentlich mit ihnen verknüpfte Form des absoluten Bewusstseins beim Eintritt in das Individuum und bei der Formierung seines Spezialbewusstseins abstreifen sollten; das Individuum müsste sich vom absoluten Bewusstsein allerwärts durchleuchtet finden, und das absolute Bewusstsein seinem Blicke offen liegen. Alle diese erfahrungswidrigen Konsequenzen fallen bei Seite, wenn man die unmögliche Voraussetzung des absoluten Bewusstseins im All-Einen ausmerzt.

Der Monismus verträgt einmal schlechterdings kein an und für sich bewusstes Weltwesen, und erst der Abfall vom Monismus zum Pluralismus einer schaffenden und vieler geschaffenen Substanzen macht die anthropopathische Annahme eines bewussten Gottes möglich - freilich auch nur auf Kosten des Verständnisses der Möglichkeit innerlicher Beziehungen zwischen der Kreatur und ihrem transzendenten Schöpfer, die dann höchstens noch als der magische Hokuspokus des Besessenseins des einen persönlichen Geistes durch den andern gefasst werden können.

Ein Gott, dessen Realität allein in seiner Geistigkeit besteht, und dessen Geistigkeit sich ausschließlich in der Form des Bewusstseins bewegt, wird bei geschiedenem Bewusstsein unweigerlich auch zu einem realiter von der Welt geschiedenen Gott, zu einem äußerlichen jenseitigen Schöpfer; wer hingegen einen immanenten Gott sucht und begehrt, einen Gott, der in unsere Brust herniedersteigt und in ihr wohnet, einen Gott, in dem wir leben, weben und sind, wie ihn jede tiefere Religion fordern muss und wie auch das Christentum und Judentum (Deut. 6, 4. 30, 11. Jes. 66, 1.) ihn wirklich fordern, der muss sich klar machen, dass das All-Eine nur dann den Individuen wahrhaft innewohnen kann, wenn es sich zu ihnen als das Wesen zu seinen Erscheinungen, als das Subjekt zu seinen Funktionen verhält, ohne durch ein eigenes Bewusstsein von ihnen geschieden zu sein, oder mit andern Worten, dass ein und dieselbe Tätigkeit nur dann gleichzeitig und ohne Kollision zweier Bewusstseine Tätigkeit des Individuums und des All-Einen sein kann, wenn das All-Eine sich als unpersönlicher Wille und bewusstlose Intelligenz durch die Welt mit ihren persönlichen und bewussten Individuen ergießt. Sowie Gott durch Verleihung eines eigenen Bewusstseins von der Welt geschieden wird, entsteht bei jeder Tätigkeit unrettbar die schneidige Alternative: entweder Tätigkeit Gottes, oder Tätigkeit des Individuums; ein drittes, ein Verbundensein beider Tätigkeiten ohne Kollision der verschiedenen bewussten Willen wäre nur ausnahmsweise einmal durch Zufall, aber nicht in öfterer Wiederkehr oder gar als Regel möglich.

Wir haben zugestanden, dass es das Unbewusste selbst ist, welches in den organischen Individuen zum Bewusstsein kommt. Hieraus folgt, dass in dem Unbewussten die zureichende Ursache seines Bewusstwerdens gegeben sein muss, oder kürzer: es folgt das Unbewusste als Ursache des Bewusstseins. Ganz verkehrt aber wäre es, hieraus etwa schliessen zu wollen, dass das Bewusstsein schon in dem angeblich Unbewussten drinstecken müsse, da es sonst nicht aus ihm herauskommen könnte. Dieser Schluss wäre ebenso unrichtig wie der von Wilden und Ungebildeten in der Tat oft vollzogene Schluss, dass das Feuer in Stahl und Stein schon als Feuer drinsitzen müsse, da es sonst nicht als Funke aus ihrem Zusammenstoss herausspringen könnte. Nur soviel ist richtig, dass in der Ursache die Summe aller der Bedingungen enthalten sein muss welche erforderlich und zureichend sind, damit die Wirkung aus ihnen hervorspringe oder resultiere, aber keineswegs zutreffend ist die Forderung, dass in der Ursache die Wirkung schon als solche, d.h. schon in der Gestalt, wie sie als Wirkung erscheint, enthalten sein müsse, denn dann wäre das Eintreten der Wirkung gar keine Veränderung, also auch keine Kausalität, sondern nur das Sichtbarwerden eines längst Bestehenden. Wir sahen schon oben, dass aus einem absoluten Bewusstsein das Entstehen von Individualbewusstseinen nimmermehr als möglich zu begreifen sei; aus einem Unbewussten dagegen ist es sehr wohl zu begreifen, wenn nur das Unbewusste alle Bedingungen in sich enthält, welche erforderlich und zureichend sind, um das Bewusstsein als Form der anderweitig gegebenen und bestimmten Vorstellung oder Empfindung daraus resultieren zu lassen. Als diese Bedingungen aber haben wir im Kap. C. III. die Zweiheit der Attribute und die Möglichkeit einer oppositionellen Stellung der aus ihnen zusammengesetzten Funktionen zu einander erkannt, und diese Bedingungen müssen wir demnach notwendig im Unbewussten voraussetzen. Wer etwa die angeführten Bedingungen als nicht richtig bestimmt ansieht, der wird an ihrer Stelle andre im Unbewussten voraussetzen müssen; mag er dieselben auch ganz unbestimmt lassen, wenn er sich nur vor dem Fehler hütet, das Bewusstsein selbst als unentbehrliche Bedingung der Entstehung des Bewusstseins hinzustellen, - eine Behauptung, welche als gänzlich aus der Luft gegriffen zu bezeichnen wäre, während die zwingendsten Gründe für das Gegenteil teils schon oben besprochen sind, teils alsbald zur Sprache kommen werden.

Einen gewissen Anstrich von Berechtigung würde der eben erwähnte Einwurf erst dann bekommen, wenn er sich darauf beriefe, dass der teleologischen Auffassung der Philosophie des Unbewussten gemäss das Bewusstsein aus dem Unbewussten nicht als ein zufälliges oder kausal-notwendiges, also jedenfalls blindes Resultat hervorgehe, sondern dass es vom Unbewussten teleologisch gesetzt, d.h. um eines höheren Zweckes willen beabsichtigt sei, worin eben die ideale Antizipation enthalten sei. Man könnte alsdann meinen, diese ideale Antizipation des Bewusstseins oder das teleologische Vordenken des Bewusstseins müsse selbst schon ein Bewusstsein, und zwar eine höhere Stufe des Bewusstseins repräsentieren. Abgesehen jedoch von der impliziten Form, wie im Unbewussten das Denken des Zweckes das Denken des Mittels einschliesst und umgekehrt, ist noch Folgendes zu erwägen.

Das Denken des Bewusstseins setzt nur dann notwendig ein höheres Bewusstsein voraus, wenn das Bewusstsein als Bewusstsein, d.h. in der subjektiven Art und Weise gedacht wird, wie das Bewusstseinssubjekt von seinem Bewusstsein sich affiziert fühlt. So aber denkt das Unbewusste ganz gewiss das Bewusstsein nicht, da ja überhaupt sein Denken unserem subjektiven Denken schlechthin entgegengesetzt ist, so dass es als objektives Denken bezeichnet werden müsste, wenn nicht diese Bestimmung ebenso exklusiv einseitig und damit unzutreffend wäre. Schon in Kap. C. I. haben wir gesehen, dass wir von der Art und Weise, wie das Unbewusste vorstellt, nur das behaupten können, dass es nicht so vorstellt, wie wir vorstellen. Wenn wir also positiv sagen sollen, was das Unbewusste eigentlich denkt, wenn es das Bewusstsein als Mittelzweck eines anderweitigen Endzwecks denkt, so dürfte, da das Subjektive ausgeschlossen ist, nichts übrig bleiben, als erstens der objektive Prozess, dessen subjektive Erscheinung das Bewusstsein ist, und zweitens die Wirkung der Emanzipation der Vorstellung vom Willen, welche aus diesem Prozesse hervorgeht.

Hiermit sind die beiden festen Punkte gewonnen, auf die es bei dem teleologischen Vordenken des Bewusstseins allein ankommt, nämlich das Mittel und der Zweck, während die subjektiv-innerliche Seite des Bewusstseins in teologischer Hinsicht akzidentiell ist und deshalb von der idealen Antizipation des Vorgangs nicht berührt wird.

Man könnte aber den Einwand noch allgemeiner hinstellen und z.B. sagen: Zwecke setzen, heisst für seine Zukunft sorgen; wie kann nun ein Unbewusstes, d.h. ein sich seiner als eines Gegenwärtigen Unbewusstes, sich seiner als eines Zukünftigen bewusst sein? Nun könnte ich mich zwar darauf berufen, dass ja diese ganze Zwecktätigkeit im Hinblick auf den bloss negativen Endzweck (der universellen Willensverneinung) ebenfalls nur eine negative ist, also sich nur darum dreht, den gegenwärtigen Zustand (des erhobenen Weltwillens) aufzuheben, nicht darum, einen positiven zukünftigen herbeizuführen; indessen würde die Zwecktätigkeit einerseits immer den künftigen privativen Zustand als Grenze des gegenwärtigen auf-zuhebenden vorstellen, und würde andrerseits die Verzichtleistung auf das Vorstellen des künftigen Zustandes als Ziel des Prozesses mit dem allwissenden Hellsehen des Unbewussten, das wir überall gefunden haben, wenig übereinstimmen. Es bedarf aber auch dieser Berufung gar nicht, da in der Schlussfolgerung des Einwandes ein Fehler steckt. - Im Reiche der Individuation werden vom Bewusstsein nämlich meist nur individuelle Zwecke verfolgt, individuelle Zustände bezweckt, mit Anschluss der Teilnahme andrer Individuen an den bezweckten Zuständen; hierbei macht diese Exklusivität des Bezweckten natürlich die scharfe und deutliche Unterscheidung des Trägers des bezweckten Zustandes von anderen Individuen erforderlich. Anders im Reiche des All-Einen Unbewussten, wo eben jede Unterscheidung verschiedener Träger des bezweckten Zustandes und ebenso jede Ausschliessung des einen zu Gunsten des andern aufhört, weil die phänomenale Vielheit nicht in die Sphäre des metaphysischen Wesens hineinreicht. Hier, kann man sagen, ist Zustand schlechthin Zustand, d.h. allumfassender Zustand, außer dem es jeweilig nichts Zuständliches mehr gibt; wird also in der Sphäre des All-Einen Unbewussten ein zukünftiger Zustand bezweckt, so wird er als absoluter, d.h. allumfassender Zustand bezweckt, der nichts außer sich hat, und bei dem deshalb die Frage nach dem Träger des Zustandes als eine völlig bedeutungslose für den Vorgang des Bezweckens vernünftiger Weise gar nicht aufgeworfen werden kann. Es folgt hieraus, dass es verkehrt ist, die Reflexion des Bewusstseins auf den Träger des bezweckten Zustandes, an die wir einmal gewöhnt sind, nach dem Beharrungsvermögen der Gewohnheit auch auf die Zwecktätigkeit des Unbewussten zu übertragen; sehen wir doch schon bei den individuellen Instinkten, dass das Individuum für seine Zukunft sorgt, ohne darum zu wissen, dass es sein eigenes Zukunftswohl ist, für das es sorgt, und sehen sogar bei den generellen Instinkten, dass das Individuum für generelle Zwecke, also für fremde Subjekte sich abmüht, ohne eine Ahnung davon, für wen es sich plagt und opfert.

Es bleibt also an obigem Einwand nur so viel haltbar, dass das Unbewusste den Zustand wissen muss, den es als zu negierenden setzen soll, und von dem es nur wissen kann, indem es ihn in sich vorfindet, empfindet, da er ja nicht durch die unbewusste Vorstellung selbst spontan gesetzt ist, wie alle späteren Intuitionen; d.h. es ergibt sich hier in der Tat aus dem Erklärungsbedürfniss der Zwecktätigkeit des Unbewussten a posteriori die Notwendigkeit der Annahme eines transzendenten ausserweltlichen Bewusstseins, welches seinen Inhalt als einen zu negierenden Zustand, d.h. als Unseligkeit oder Qual empfindet, - eine Annahme, deren Notwendigkeit wir später in Kap. C. XV 2 a priori als in der Natur des Willens und den Gesetzen der Bewusstseinsentstehung begründet erkennen werden. Wohl gemerkt hat dieses einzige transzendente Bewusstsein des All-Einen, zu dessen Annahme wir bisher Veranlassung gefunden haben, nicht etwa eine Idee oder Vorstellung als Inhalt, sondern sie hat als einzigen Inhalt die absolut unbestimmte transzendente Unlust oder Unseligkeit des leeren unendlichen Wollens, welches unbestimmte metaphysische Unbehagen eben als der zu negierende Zustand den notwendigen Ausgangspunkt der unbewussten teleologischen Tätigkeit, als das Nichtseinsollende die feste Grundlage des Weltprozesses bildet. Dieses hier zugestandene Bewusstsein, welches erst durch die unheilvolle Erhebung des ruhenden Willens zum Wollen entstanden ist, und mit der Rückkehr des Willens in seinen ursprünglichen Zustand des in sich beschlossenen Friedens wieder aufhören muss (dies alles kommt erst in Kap. C. XV zur Begründung und Erläuterung), kann selbstverständlich dem Theismus keine Veranlassung bieten, über die Notwendigkeit eines Bewusstseins im Unbewussten zu triumphieren. Der Versuch aber, aus der Finalität des Weltprozesses ein Bewusstsein von weiterem Inhalt als dem angegebenen ableiten zu wollen, stellt sich jedenfalls als vergebliches Bemühen heraus.

Fassen wir unsre Betrachtungen über die Frage nach dem Bewusstsein des All-Einen noch einmal zusammen, so ergibt sich als Resultat, dass außer dem ideenlosen Bewusstsein des unbestimmten Unbehagens über den erhobenen und unbefriedigten Weltwillen das All-Eine nur ein beschränktes Bewusstsein in den Bewusstseinsindividuen besitzt, welches ihm aber für die Ziele des Weltprozesses genügt, und dass die eigentümliche Art und Weise oder Form seiner allwissenden und allweisen Intuition (absoluten Idee) eine solche ist, von welcher wir in Ermangelung positiver Angaben nur so viel aussagen können, dass sie über diejenige Form, welche wir als Bewusstsein kennen, erhaben ist, d.h. dass sie negativ bestimmt eine unbewusste, positiv unbestimmt bezeichnet eine überbewusste ist. Hiernach müssen wir das Bestreben, dem All-Einen dennoch ein exklusiv-göttliches, nach Analogie des menschlichen vorgestelltes Bewusstsein zuzuschreiben, für eine nicht geringere anthropopathische Verirrung und herabsetzende Beschränkung Gottes erklären, wie die der biblischen Schriften, wenn dieselben ihm Zorn, Rachsucht und ähnliche nach den an uns selbst gemachten Erfahrungen bemessene Eigenschaften zuschreiben. (Selbst fromme Kirchenväter wie Augustinus sind von solchen Bedenken über das Bewusstsein Gottes beunruhigt worden.) Gilt dieses schon vom Bewusstsein überhaupt, so werden wir es um so mehr behaupten müssen von dem Bestreben, als speziellen Inhalt eines solchen Bewusstseins in Gott die Idee des All-Einen selbst zu setzen, d.h. ihm ein Selbstbewusstsein anzudichten. Gleichwohl wollen wir auch diesen Punkt noch genauer prüfen. -

Das von mir zugestandene transzendente Bewusstsein hat als einzigen und alleinigen Inhalt die absolut unbestimmte Unlust, aber keine Idee, am wenigsten die Idee des All-Einen selbst; das Bewusstsein, welches das All-Eine in seinen Individuen hat, hat sich zwar seit Jahrtausenden in philosophischen Köpfen zum Bewusstsein des All-Einen selbst, also zum Selbstbewusstsein des All-Einen erhoben, doch ist dies eben nur ein innerweltliches, kein ausserweltliches Selbstbewusstsein des All-Einen, wie der Theismus es verlangt; von der unbewussten Vorstellung des All Einen oder der absoluten Idee aber können wir negativ wenigstens das mit Bestimmtheit behaupten, dass sie in der Selbstgenügsamkeit ihrer reinen Intuition zu einer Reflexion überhaupt eben so wenig Veranlassung hat, als zu einer bestimmten Reflexion in sich oder in Anderes; in Anderes nicht, da etwas Anderes ausser ihm nicht existiert; in sich nicht, da die Reflexion in sich erst aus der Reflexion in etwas Anderes hervorgehen kann. In der Einheit der absoluten Idee fehlt eben jeder Grund zur Trennung von Subjekt und Objekt, deshalb fehlt auch deren Scheinen in einander, welches das Bewusstsein ausmacht, und es fehlt speziell die Umbiegung der Vorstellungstätigkeit nach ihrem Ursprung hin, die Zurückwendung aufs tätige Subjekt als Vorstellungsziel, welche Retroversion der Denktätigkeit gerade das Charakteristische ist für den Begriff des Selbstbewusstseins, wie wir ihn vom menschlichen Selbstbewusstsein abstrahiert haben. Die absolute Idee umfasst ja sonst alles was ist denn ihre idealen Bestimmungen werden ja als Willensinhalt zu jenen Erscheinungen, deren Summe wir die Welt nennen; das unbewusste Denken der Substanz erschöpft mithin die Summe aller ihrer Modi, und insofern in diesen ihr eigenes ganzes Wesen sich auseinandergelegt hat, sich selbst als die Summe seiner auseinandergelegten Momente (in seinem Anderssein), - aber nur in diesem Sinne sich selbst, nicht als das, worauf es in dem Begriffe des Selbstbewusstseins eigentlich ankommt, als tätiges Zentrum der Emanation. Um letzteres zu ergreifen, dazu bedarf es der Umbiegung oder Reflexion, die in den Gehirnen der Individuen stattfindet, wobei der intuitive Charakter der Vorstellung verloren geht, aber dafür in der Tat das Selbstbewusstsein des All-Einen im strengen Sinne gewonnen wird - nur freilich nicht als extramundanes transzendentes - und zugleich als ein solches, das ausser dem Begriff des All-Einen als tätigen Weltzentrums nur einen sehr geringen Teil seiner Erscheinungen, nicht, wie die unbewusste Idee, deren ganze Fülle umspannt. Wie die aus Lichtstrahlen bestehende Lichtsphäre den ganzen Raum erleuchtet, nur den Punkt nicht, von dem sie ausgestrahlt wird, es sei denn, dass eine Reflexion einiger Strahlen an spiegelnden Flächen und dadurch eine Umkehr der Richtung dieser Strahlen stattfinde, so kann auch die intuitive ideale Gesamttätigkeit des All-Einen das All erkennen, nur den Punkt nicht, von dem sie ausgeht, das tätige Zentrum des Alls, es sei denn, dass gewisse Bündel dieser Strahlen an dem Gehirn eines Organismus zum Bewusstsein gebrochen werden, welches dann aber notwendig ein einseitiges, beschränktes, kein allumfassendes absolutes, werden muss.

Die bisherigen Betrachtungen scheinen im Verein mit dem unten anzuführenden, vom Uebel in der Welt hergenommenen Argument hinreichend, um die völlige Unhaltbarkeit eines spezifisch göttlichen Bewusstseins und Selbstbewusstseins im All-Einen zur Evidenz zu bringen. Wir befinden uns in dieser Auffassung im vollsten Einklange mit den Ansichten der neueren deutschen Philosophie; auch hier hat das Absolute weder in Fichte's früherer Lehre, wo es durch die unreelle, unsubstantielle abstrakte moralische Weltordnung repräsentiert wird (Fichte's Werke V. 186-187, 264, 368), noch in seiner späteren Lehre, wo es als das ewig unveränderliche, verhüllte Sein hinter unserem es offenbarenden Bewusstsein steht (W. V, 441-442), noch bei Schelling (vgl. seine Werke I. 1. S. 180; I. 3. S. 497; I. 4. S. 256; I. 7. 53-54 und 67-68), noch bei Hegel (was allerdings der reaktionäre Teil der Hegel'schen Schule zu bestreiten sucht), noch bei Schopenhauer ein Bewusstsein ausserhalb der von ihm durchwehten Individuen (vgl. auch Bd. I, S. 20-26 Einleitendes I. c. die Bemerkungen über die genannten Philosophen). -

Nach diesen Ergebnissen in Betreff des Bewusstseins und Selbstbewusstseins in Gott werden wir kaum ein günstigeres Resultat erwarten dürfen in Bezug auf den Begriff der Persönlichkeit, auf welchen der Theismus als Prädikat seines Gottes so hohen Wert zu legen pflegt, dass er gerade, um ihn in retten, so dringlich auf dem unhaltbaren Prädikate des Bewusstseins und Selbstbewusstseins selbst dann noch besteht, nachdem durch die Erkenntniss der unbewusst-überbewussten reflexionslos-intuitiven Intelligenz im All-Einen die früheren Bedenken gegen die Beseitigung dieser anthropopathischen Prädikate Gottes erledigt waren. Es würde der Anwendung des Persönlichkeitsbegriffs nichts im Wege stehn, wenn man dessen Definition auf eine mit Willen und Intelligenz verknüpfte Individualität beschränkte, und sicher wäre: keine inadäquaten, anthropopathischen Nebenbegriffe hineinzutragen. Aber leider liegt eine Garantie hierfür so wenig vor, dass vielmehr im Gegenteil das Prädikat der Persönlichkeit fast immer nur in der Absicht angewendet worden ist, um dadurch unangemessene Vorstellungen, die aber vielleicht dem Gemüte behagen, hineinzuschmuggeln. Juridisch beruht der Begriff der Persönlichkeit auf den Kriterien der bürgerlichen Rechtsselbstständigkeit; dieser Begriff hat natürlich in Bezug auf Gott gar keinen Sinn. Ethisch genommen ist der Begriff der Persönlichkeit mit der Beurteilungsfähigkeit der eigenen Handlungen und der dadurch bedingten sittlichen Verantwortlichkeit gegeben, aber auch diese Uebertragung einer Beziehung, die zwischen gesondert sich gegenüberstehenden Individuen höchst wichtig ist, auf das absolute, allumfassende Individuum erscheint unzulässig, weil es keine Individuen mehr neben sich, sondern nur in sich, und weil selbst diese letzteren nur Manifestationen seiner selbst, Phänomene, nicht Substanzen sind, also nicht der Substanz, durch welche sie erst sind, koordiniert werden können, wie es der Begriff der ethischen Relation erfordern würde.

Dianoiologisch genommen besteht der Begriff der Persönlichkeit in dem Vorhandensein eines Bewusstseins über die Identität der allen zeitlich getrennten Selbstbewusstseinsakten in demselben Bewusstsein zu Grunde liegenden Bewusstseinssubjekte , ist also hier das Resultat einer ziemlich komplizierten Reflexion über eine Anzahl von durch das Gedächtnis zusammengefassten Reflexionsakten des Selbstbewusstwerdens; da Gott in seiner absoluten Intuition über jede Reflexion (schon über die des einfachen Selbstbewusstwerdens, geschweige denn über die Reflexion der Identität der Subjekte jener Reflexionsakte) weit erhaben ist, und obenein für ihn eine solche Reflexion bei dem Mangel irgend eines Seienden, von dem er sich zu unterscheiden hätte, völlig überflüssig und tautologisch wäre, so kann auch der dianoiologische Persönlichkeitsbegriff keine Anwendung auf Gott finden, eben so wenig wie der juridische oder ethische. Der Versuch, die dianoiologische [»denkende«] Persönlichkeit Gottes aus religiösen Rücksichten um jeden Preis zu retten, führt durch seine Konsequenzen notwendig zu der phantastischen Annahme einer über die materielle zeitliche Natur erhabenen und von ihr verschiedenen ewigen Natur in Gott (Jacob Böhme und Franz von Baader), welche einen ewigen Prozeß in Gott mit Selbstunterscheidung und Wiederineinsfassung in ähnlicher Weise ermöglichen soll, wie die wirkliche zeitliche Natur den zeitlichen Weltprozeß mit der sich in ihm ergebenden Entzweiung von Subjekt und Objekt in den endlichen Bewußtseinen, welche ja doch sämtlich Bewußtseine des All-Einen Wesens sind. Man erkennt hieraus nur, wie schwach es mit einer Hypothese bestellt sein muß, wenn ihre bedeutendsten Vertreter sich genötigt bekennen, behufs ihrer Aufrechterhaltung zu so künstlichen, phantastischen und aus der Luft gegriffenen Hilfshypothesen ihre Zuflucht zu nehmen.

Diesen Erwägungen nach scheint es angemessener, dem Begriff der Persönlichkeit nicht eine so weite Bedeutung zu verleihen, wie die oben gegebene Definition tut, um ihn dadurch auf Gott anwendbar zu machen. Individuen, die mit Wille und Intelligenz begabt sind, gibt es viele, welche darum doch noch nicht dem Begriff der Persönlichkeit entsprechen (Tiere, tiefstehende Wilde, Blödsinnige u. s. w.) und denen wir deshalb diese Bezeichnung versagen; warum sollen wir nicht dieselbe Enthaltsamkeit üben einem Individuum gegenüber, das jenem Begriff nicht mehr entspricht, weil es über alle die Beschränkungen erhaben ist, welche die Merkmale jenes Begriffs nach seinen verschiedenen Seiten ausmachen? Auch hier liegt die Herabsetzung des höchsten Wesens wiederum nicht auf Seiten derer, welche ihm das Prädikat der Persönlichkeit versagen, sondern auf Seiten derer, welche es ihm zuschreiben. Ja sogar genauer besehen stellt sich auch gerade die Herabziehung Gottes als der heimliche Zweck der Sache heraus, d.h. man sucht in Gott eine Person (nach menschlichem Maße), um durch diese Art von Koordination Gottes mit dem bei ihm Trost suchenden Ich es zu ermöglichen, dass man sich mit Gott gleichsam auf Du und Du stellen kann, wie mit einem pietätsvoll verehrten Gleichstehenden, um bei der Ausschüttung des Herzens vor ihm eines menschlich nachfühlenden Verständnisses für die eigene Gemütsbewegung sicherer zu sein. Schon die christlichen Apostel fingen bei der wachsenden Läuterung des Gottesbegriffs an, die Unangemessenheit dieses kindlichen Gebahrens zu ahnen, an dem die naiv anthropopathische Vorstellungsweise des älteren Judentums noch keinen Anstoss genommen hatte, und je erhabener bei fortschreitender Entwickelung des christlichen Theismus durch die Berührung mit hellenischer Philosophie der Gottesbegriff sich gestaltete, desto mehr sah das mit dem Gedanken in Widerspruch geratende religiöse Gemütsbedürfnis sich dazu gedrängt, zu einer vermittelnden menschlichen Persönlichkeit (Christus, später Maria und die Heiligen) Zuflucht zu nehmen.

Wie die Reformation sich genötigt fand, die menschliche Persönlichkeit Christi nach Beseitigung des Gebets an die Heiligen wieder mehr hervorzuheben, als im Katholizismus geschah, so hat in Folge des seit einem Jahrhundert mehr und mehr schwindenden Christusglaubens der Theismus wieder Gott selbst durch Verleihen menschlicherer Züge aus seiner abstrakten Ferne dem Menschen näher zu rücken gesucht, und dies ist der wichtigste Grund für die mit dem Begriff Gottes unvereinbare Betonung der Persönlichkeit desselben. Erwägt man aber, dass aus philosophischem Gesichtspunkt der praktische Nerv des Gebets ohnehin schon dadurch gelähmt ist, dass ihm nach der modernen Weltanschauung nur noch eine rein subjektive Bedeutung und Wirksamkeit zugeschrieben werden kann, so erscheint der Wert jenes dem Gedanken widerstreitenden Gemütspostulats auch von dieser Seite mehr als zweifelhaft; denn wenn ich einmal die illusorische Beschaffenheit des Glaubens an eine objektive Bedeutung und Wirksamkeit des Gebets erkannt habe, so ist die Beschaffenheit der objektiven Adresse, an die das Gebet gerichtet gedacht wird, völlig gleichgültig geworden, da es sich in Wahrheit doch nur um einen Monolog handelt, dem die etwaige Taschenspielerei einer bewussten Selbsttäuschung hinsichtlich eines fingierten Angeredeten an Wert nichts zulegen kann. Mit diesem heut unvermeidlichen Zugeständnis, dass die Bedeutung des Gebete auf den Wert einer tatsächlich monologisierenden Gemütsexpektoration zur Selbstaufrichtung reduziert ist (Schleiermacher), verschwindet auch innerhalb des Theismus jedes praktisch religiöse Motiv, mit Umgehung und Missachtung des begrifflich Geforderten nach der Bekleidung Gottes mit dem Prädikat der Persönlichkeit im genaueren Wortsinn zu trachten; mit dem Verzicht auf das Prädikat der Persönlichkeit schwindet aber, wie schon oben bemerkt, wiederum das praktisch religiöse Interesse an der Aufrechterhaltung des persönlichen göttlichen Selbstbewusstseins, und mit diesem das letzte Interesse an der Behauptung eines exklusiven transzendenten Bewusstseins des All-Einen. Ist so erst das praktisch religiöse Interesse beseitigt, welches alle diese Begriffe trotz ihrer längst erwiesenen Unhaltbarkeit fallen zu lassen sich nicht entschliessen konnte, dann treten die begrifflichen Schwierigkeiten und philosophischen Beweise in ungehemmte Wirksamkeit, und zwingen denjenigen Theismus, welcher von der rohen Natürlichkeit einer anthropopathischen Gottesvorstellung sich philosophisch zu haltbaren metaphysischen Begriffen zu klären und zu läutern bemüht ist, in diesem Läuterungs- und Vertiefungsprozess den letzten notwendigen Schritt zu tun, vor dem er bisher aus missverstandenem religiösem Interesse zurückgebebt ist. Das Resultat aber, welches bei diesem letzten, gegenwärtig unabweisbar gewordenen Schritte der Selbstläuterung des Theismus herauskommt, ist dasselbe, welches die Philosophie des Unbewussten von ganz andrer Seite her eigenartig begründet dem Theismus entgegenbringt, und die alten Stützen des letzteren sind nachgerade eine nach der andern morsch und hinfällig genug geworden, dass er froh sein sollte, wenn eine anderweitige neue sich ihm darbietet.

Dass alle Eigenschaften der göttlichen Intelligenz (Allwissenheit, Allweisheit, allzeitliche Allgegenwart) auch auf die hellsehende unbewusste Intuition unsres All-Einen anwendbar seien, wird zu Anfang des Cap. C. XII noch näher gezeigt werden, und dem unbewussten absoluten Willen haben wir die Allmacht schon früher zuerkannt. Nehmen wir hinzu, dass wir das Unbewusste im vorigen Kapitel als das Individuum im eminenten Sinne erkannt haben (S. 156 ff. u. 170-173), und dass die früheren Ansprüche des Theismus auf Persönlichkeit, Selbstbewusstsein und Bewusstsein Gottes in ihrem bisherigen Sinne unhaltbar geworden sind, dass aber alles Haltbare an denselben durch unser Unbewusstes in der Tat befriedigt wird, so erhellt, dass auf dieser Seite eine prinzipielle Differenz zwischen einem sich recht verstehenden Theismus und der Philosophie des Unbewussten nicht gefunden werden kann.

Schon eher könnte dies so Scheinen nach einer andern Richtung, nämlich in Betreff der Stellung des Individuums zum All-Einen, aber auch hier werden wir sehen, dass ein sich recht verstehender Theismus notwendig einige Schritte von der vulgären Auffassung sich entfernen muss, und dann ebenfalls mit unserem Standpunkt zusammentrifft. Der Theismus ist nämlich ursprünglich Dualismus, indem er der Welt eben sowohl Substantialität zuschreibt wie Gott; zwar ist dieser Dualismus erst ein seit der (zeitlich gedachten) Weltschöpfung bestehender, also kein rückwärts ewiger, aber er soll doch ein vorwärts ewiger sein, indem auch die Substanz der höheren Kreatur ewig sein soll. Der Dualismus ist mithin zwar erst durch den Akt der Schöpfung entstanden, aber tatsächlich ist er nun einmal vorhanden, und zwar mit der Bestimmung, nicht wieder zu verschwinden. Ein solcher Dualismus ist aber philosophisch unhaltbar und drängt unweigerlich zum Monismus zurück. Wir haben im vorigen Kapitel (S. 162-165) gesehen, dass der ernst genommene Dualismus die empirisch gegebene und a priori geforderte Kausalität der Individuen untereinander aufhebt und zum Okkasionalismus oder zur prästabilierten Harmonie - zwei gleich unhaltbaren Verlegenheitsausflüchten - herabsetzt, und dass die Kausalität als influxus physicus notwendig das Aufgehobensein der Individuen als Phänomene in der Einen absoluten Substanz fordert; wir können hier dasselbe Resultat durch Betrachtung des Begriffs der Schöpfung gewinnen, welche einen unterscheidenden Fundamentalbegriff des Theismus bildet. - Der konsequente Dualismus würde annehmen müssen, dass die durch den Schöpfungsakt als Substanz geschaffene Welt fortsubsistieren würde, auch wenn der Schöpfer plötzlich vernichtet würde; nur unter dieser Bedingung wäre die Welt dauerndes Residuum eines einmaligen Schöpfungsaktes, nur unter dieser Bedingung echte und wahre Substanz. Diese Konsequenz ist denn aber doch dem Theismus selber zu stark, und er verzichtet deshalb darauf, in der Welt ein blosses fertiges Resultat eines einmaligen Schöpfungsaktes zu sehen; er lässt seinen Gott zunächst die Rolle des Weltordners und Weltregierers dauernd fortspielen, wie der Weltbaumeister des griechischen Dualismus sie dem Chaos der ewigen unerschaffenen Materie gegenüber inne hatte. Für diese Materie aber, und streng genommen auch für die individuellen, einmal in die Wirklichkeit gesetzten unsterblichen Geister, sucht der Theismus zunächst noch den Begriff einer geschaffenen Substanz, eines caput mortuum eines einmaligen, jetzt längst vergangenen Schöpfungsaktes festzuhalten, welches Residuum zwar Gott die Macht hat, wieder zu vernichten wenn es ihm einfällt, welches aber ohne solchen göttlichen Eingriff von selbst unvergänglich bestehen bleibt. Indessen bald muss der Theismus merken, dass er hiermit vor derselben Schwierigkeit steht, vor derselben Verkleinerung Gottes, dass dieses Residuum dann auch fortdauern würde, wenn Gott vernichtet würde, und dass ihm damit eine Gottes Absolutheit beschränkende Selbstständigkeit zugestanden sein würde. Dieses Bedenken konnte nur beseitigt werden, wenn die Fortsubsistenz bei Vernichtung Gottes der Kreatur abgesprochen wurde; die Kreatur muss ins Nichts zusammenfallen, wenn der Schöpfer seine Hand auch nur einen Augenblick von ihr abzieht, dies ist aber nur dann möglich, wenn das Fortbestehen durch eine stetig wirksame Funktion Gottes, durch einen in jedem Moment erneuten Willensakt bedingt ist.

Eine solche erhaltende Tätigkeit Gottes, welche das beständig drohende Zurücksinken der Kreatur ins Nichts verhindert, zeigt nun aber keinen Unterschied mehr von dem ersten Schöpfungsakt, welcher die Kreatur aus dem Nichts hervorrief; denn beide setzen an die Stelle der Nichtexistenz der Kreatur in diesem Augenblick die Existenz derselben; d.h. aber, die Erhaltung der Kreatur durch Gott ist näher als stetige Schöpfung zu bestimmen. Hiermit ist der unhaltbare Begriff des caput mortuum eines vergangenen Schöpfungsaktes abgestreift, gleichviel ob diese Vergangenheit nach Jahrtausenden oder nach Sekunden misst, und ist die Existenz der Kreatur in jedem Momente als Schöpfungsakt desselben Moments begriffen. Die Schöpfung aus Nichts, welche im Gegensatz zum griechischen Dualismus vom jüdisch-christlichen Theismus betont wurde, um das Fehlen einer von Gott vorgefundenen ewigen Materie hervorzuheben, ist dann so zu verstehen, dass das, woraus Gott schöpft, seine eigene Schöpferkraft ist, d.h. (auf die Kreatur bezogen): dass die ganze reale Existenz der Kreatur rein in der auf dieselbe gerichteten göttlichen Schöpferkraft und ihre ganze Essenz für jeden Augenblick rein in dem Inhalt besteht, den der göttliche Schöpfungsakt dieses Augenblicks in sie ergiesst.

Soweit ungefähr ist der Theismus in seiner philosophischen Begriffsläuterung gediehen; es ist aber leicht zu sehen, dass hiermit eben schon der Begriff der Substanz in der Kreatur verloren gegangen ist, da sie gar keine Subsistenz mehr hat als durch die absolute göttliche Substanz, also nur diese vermittelst des in ihr sich manifestierenden stetigen schöpferischen Willensaktes das in ihr Subsistierende oder von sich selbst Beharrende ist, die Kreatur selbst aber und ihr Dasein nur die Manifestation oder das Offenbarwerden der auf ihre stetige Schöpfung oder Erhaltung gerichteten Funktionen des Absoluten, oder kurz gesprochen, eine Erscheinung des All-Einen Wesens ist. Die reale Existenz und die Essenz der Kreatur wird hierdurch gar nicht beeinträchtigt, da wir ja ohnehin schon gesehen haben, dass das, was man ihre Realität nennt, nur in der Summe der in ihr funktionierenden Willensakte besteht ; es löst sich aber durch Beseitigung des Begriffs der erschaffenen Substanz der Begriff der Schöpfung in den der stetigen Manifestation des absoluten Willens und der absoluten Idee, d.h. in den der Erscheinung des absoluten Wesens auf. Das Individuum, welches zu dieser Auffassung vorgedrungen ist, erlangt dadurch für sein religiöses Gefühl die erwünschte Ueberzeugung, dass es sein ganzes Sein und alles was es ist, in jedem Augenblick Gott und ihm allein verdankt, dass es gar nicht ist als in ihm und durch ihn, und dass das Wesen in ihm Gottes Wesen selber ist.

So ist auch der Dualismus aus dem Theismus verschwunden und durch volles Ernstmachen mit dem reinen Monismus für das hingebungsbrünstige religiöse Gefühl zugleich das Bewusstsein einer Innigkeit der Beziehung zwischen Gott und Mensch gewonnen, die gar nicht von ferne zu erreichen ist, so lange der Mensch durch den schiefen, in sich widerspruchsvollen Begriff einer erschaffenen Substanz als eine fremde, selbstständige, in sich abgeschlossene persönliche Substanz Gott gegenüber gestellt wird, der nun zusehen mag, wie er es anfängt, in den substantiell von ihm geschiedenen Menschen hineinzukommen.

Die rein monistische Weltanschauung ist auch allein im Stande, das meta-physische Fundament zu einer dem Einspruch jeder souveränen individuellen Willkür enthobenen Ethik zu legen (vgl. Schopenhauer), welche auf Grund einer pluralistisch-individualistischen Ethik nur dann allgemeingültig errichtet werden könnte, wenn der Begriff der göttlichen Offenbarung eines allgemein-verbindlichen Moral-Kanons haltbar wäre. Jene tiefere Innigkeit der Beziehung des Individuums zum Absoluten und diese bessere Grundlegung der Ethik, welche der Monismus dem dualistischen Theismus gegenüber gewährt, und um derentwillen von jeher auch die mystischen Theosophen und Theologen des Abendlandes eine starke und entschiedene Hinneigung zum Pantheismus zeigten, haben schon lange vor Entstehung des Christenthums die rein arischen Religionen Indiens besessen, wogegen das Christentum aus seiner semitischen Entstehung den Dualismus zwischen Schöpfer und Schöpfung wenigstens in den orthodoxen Lehren der hauptsächlichsten Konfessionen festhielt. Während aber die pantheistischen Religionen Indiens, in dem Irrtum der Ewigkeit der Erscheinung befangen und die reale Existenz der Zeit verkennend, sich nicht zu einer geschichtlichen Weltanschauung zu erheben vermochten, und deshalb ihre gläubigen Völker in geschichtslosem Quietismus dahindämmern und verkommen liessen, so hat dagegen der jüdisch-christliche Theismus zum Ersatz für seine sonstigen Mängel eine geschichtliche Weltanschauung entwickelt, in welcher die allweise Vorsehung auf Grundlage des Naturprozesses den historischen Prozess nach teleologisch vorherbestimmtem Plan zu einem vernünftigen Endziel leitet; aus diesem allmählich immer klarer herausgebildeten Glauben an vernünftige historische Entwickelung haben die europäischen Nationen die Kraft ihrer Hingebung an den historischen Prozess geschöpft.

Gegenwärtig, wo die spezielleren Formen der christlichen Religion sich offenbar überlebt haben und der Glaube an die vorsehungsgeleitete historische Entwickelung ohnehin in Fleisch und Blut der modernen Bildung übergegangen ist, handelt es sich wesentlich darum, diesen bleibenden Kern des Theismus aus der hinfälligen Schale zu befreien und mit dem wahren Wesen der pantheistischen indischen Religionen zu vereinigen, um durch diese rein aus dem Geiste unseres arischen Stammes hervorgewachsenen Ideen eine religiöse Vertiefung und Steigerung der Intensität des religiösen und ethischen Empfindens zu gewinnen, welche unsrer irreligiösen und nur noch krampfhaft an religiösen Aeusserlichkeiten sich klammernden Zeit eine belebende Erfrischung sein würde. Dass das Alte als solches nicht mehr haltbar ist, und nur noch künstlich und gewaltsam als Mumie konserviert wird, wird allgemein empfunden und zugestanden.

Dass aber durch blosse kritische Negation nichts direkt gebessert wird, wenn nicht gleichzeitig frische Elemente der religiösen Empfindung zugeführt werden, würde eben so allgemein anerkannt werden, wenn man nicht an dem Auffinden dieser positiven neuen Elemente vielfach verzweifelte. Wenn dieselben irgendwo zu finden sind, so liegen sie in jenem unvergänglich wahren Kern des rein arischen Pantheismus, welcher mit der auf weitem Umwege ausgebildeten geschichtlichen Weltanschauung des Juden- undChristentums verschmolzen werden muss, um durch diese Konkreszenz [Zusammenwachsen] etwas zu Stande zu bringen, was die Vorzüge beider Seiten ohne ihre Mängel in sich vereinigt und deshalb höher steht als jede einzelne der beiden. In diesem Sinne dürfen wir sagen: wir stehen unmittelbar vor der Zeit, wo die jüdisch-christliche Weltanschauung nur noch die Wahl hat, völlig abzusterben oder pantheistisch zu werden. Die metaphysische Grundlegung dieser Umgestaltung aber, welche vorbereitet war durch die pantheistischen und mystischen Philosophien des Mittelalters und der Reformationszeit (Scotus Erigena, Meister Eckhart, Giordano Bruno, Jacob Böhme, Spinoza), ist philosophisch ausgeführt und begründet durch die neueste deutsche Philosophie, deren einseitig berechtigte und wertvolle Bestrebungen und Richtungen im Prinzip des Unbewussten zur vorläufig abschliessenden Einheit zusammengewachsen sind. Gerade in unsrer Zeit, wo der Gegensatz zwischen den unvermittelten Extremen einer starren theistischen Unfehlbarkeitsgläubigkeit und eines irreligiösen atheistischen Naturalismus sich immer unversöhnlicher zuzuspitzen droht, scheint der goldne Mittelweg eines spiritualistischen Monismus oder Pantheismus, welcher beiden Seiten die Brücke zur Verständigung und Vereinigung auf neutralem Boden schlägt, von höchster Wichtigkeit für die friedliche geistige Entwickelung der modernen Gesellschaft zu sein.

Nachdem wir uns bemüht haben, die Hauptdifferenzen zwischen dem Unbewussten und dem Gott des Theismus als bei philosophischer Begriffsläuterung des Theismus verschwindende zu erweisen, darf ein Hauptpunkt schliesslich nicht unerwähnt bleiben: der Theismus behauptet nämlich, dass die Existenz der Welt eine beabsichtigte Folge aus Gottes Güte und Allwissenheit sei, und sieht sich deshalb angesichts des Uebels in die Notwendigkeit des Versuchs einer Theodizee gesetzt, deren Unmöglichkeit schon Kant in einer besonderen Abhandlung überzeugend dargetan hat. Wir rechten hier nicht mit dem Optimismus derer, welche, wie der dische Theismus, die ganze Welt und das Leben in ihr wunderherrlich finden, unddas Uebel für verschwindend halten gegen das Glück, das daneben besteht; wir bestehen auch nicht auf der Notwendigkeit einer Theodizee in Betreff des sittlich Bösen, welches ja sonst indifferent wäre, wenn es nicht zur Vermehrung des Leidens beitrüge; wir fordern nur Rechenschaft von demjenigen Theismus, der, wie der christliche, das überwiegende Leid und Elend in der Welt zugibt, und doch den Entschluss der Schöpfung dieser Welt als einen Ausfluss der göttlichen Allwissenheit und Allweisheit betrachtet.

Die Vertröstung auf die Unsterblichkeit hilft hier nichts, denn auch im Jenseits ist die Zahl der Seligen sehr klein gegen die der Qual leidenden Verdammten (Matth. 7, 13-14; 22, 14). Die nur teilweis akzeptierte Lehre von der dereinstigen Wiederbringung aller Kreatur am Ende aller Dinge ist an sich zu problematisch, um Beachtung zu verdienen, und lässt die Frage offen, weshalb bis dahin die Welt elend sein musste. Da nun Gott schlechterdings nicht Urheber des Uebels sein soll und darf, so sieht sich der Theismus darauf angewiesen, den Ursprung des Uebels ausserhalb Gottes zu suchen, d.h. da ausser Gott nur noch seine Kreatur existiert, in der Kreatur. Eine sittliche Verschuldung des ersten (?) Menschenpaares soll die Verschlechterung der Natur zur natürlichen Folge gehabt haben so dass Gott nun mit ansehen muss, wie Milliarden für den Fehltritt zweier vor Jahrtausenden gestorbener Individuen, d.h. schuldlos leiden; da aber trotzdem der Zusammenhang zwischen menschlichem Fall und Verschlechterung der Natur, zwischen sittlicher Schuld und natürlichem Weltelend, allzukühn erschien, muss eine übermenschliche Kreatur herbeigezogen werden, ein Teufel, der die schöne Schöpfung Gottes verdarb und in Unordnung brachte.

Für eine kindlichere Zeit mochte diese Theodizee durch die beiden Sündenböcke Luzifer und Adam gut genug sein, wir lächeln nur noch über solche Phantasieen; wir weisen aber zugleich im Prinzip jeden Versuch zurück, Gott von der Verantwortlichkeit für das Weltelend durch Abwälzung derselben auf irgend welche seiner Kreaturen zu entlasten, da erstens eine solche, die Absichten Gottes durchkreuzende Selbständigkeit der Kreatur nach unsern obigen Darlegungen nicht denkbar ist, und da zweitens ein allwissender und allweiser Gott die Willensentscheidung seiner Kreatur in allen von ihm herbeigeführten Verhältnissen und die sämtlichen indirekten Folgen ihres Thuns im Augenblick der Schöpfung vorhersehen und in Rechnung stellen musste bei der Frage, ob es weise sei, eine so ausfallende Welt zu schaffen.

Es ist wohl zu beachten, dass es ganz gleichgültig ist und nichts an der Schwere der Verantwortung ändert, ob die bei dem Entschluss zur Weltschöpfung tätige Intelligenz Gottes bewusst oder unbewusst angenommen wird; wäre überhaupt die göttliche Intelligenz bei der Entscheidung darüber, ob eine Welt geschaffen werden sollte oder nicht, mitbeteiligt gewesen, so wäre der tatsächliche Ausfall dieser Entscheidung im Sinne der Bejahung eine unentschuldbare Grausamkeit gegen die geschaffenen Substanzen im Sinne des dualistischen Theismus, im Sinne des Monismus aber der Wahnsinn einer Gottesaskese, einer göttlichen Selbstzerfleischung. Wenn wirklich eine absolute (gleichviel ob bewusste oder unbewusste) Intelligenz zu den Attributen Gottes gehört, wie ja auch wir annehmen, so ist es angesichts des Weltelends unmöglich, dass sie bei der fraglichen Entscheidung mitgewirkt habe, also unmöglich, dass sie während der Willenserhebung, welche über das »Dass« der Welt entschied, tätig und wirksam war. Nur wenn die Existenz der Welt durch den Akt eines blinden, von keinem Lichtstrahl der vernünftigen Intelligenz erhellten Willens entschieden wurde, nur dann ist diese Existenz begreiflich, nur dann ist Gott als solcher nicht für dieselbe verantwortlich zu machen.

Eine solche Nichtbeteiligung der Intelligenz beim Ursprung kann aber der Theismus in allen seinen bisherigen Gestalten nicht erklären, er muss sie bei der Annahme eines ewigen innerlichen Geisteslebens eines selbstbewussten Gottes geradezu als unmöglich behaupten. Bei unsern Prinzipien ist indessen dieselbe sehr wohl begreiflich, ja sogar a priori nicht anders zu erwarten, weil nämlich die Vorstellung an sich kein Interesse am Sein hat und nur durch die Erhebung des Willens aus dem Nichtsein ins Sein gesetzt werden kann, also weder vor, noch während der Erhebung des Willens seiend ist, sondern erst durch dieselbe es wird. Gesetzt also, die Erhebung des blinden Willens zum aktuellen Wollen (d.h. das aller aktuellen Intelligenz im All-Einen vorausgehende Moment der Initiative) genügte, wie wir später sehen werden, um das »Dass« der Welt zu setzen, so wäre hiermit erklärt, wie trotz der Allwissenheit Gottes (während des Weltprozesses) doch der unglückliche Anfang eines solchen zu Stande kommen konnte.

Nun entsteht aber eine zweite Frage: warum hat Gott nicht den blind begangenen Fehler im ersten Moment, wo er sehend wurde, d.h. seine allweise Intelligenz ins Sein trat, wieder gut gemacht und seinen Willen gegen sich selbst gekehrt? So unbegreiflich und unverzeihlich wie der erste Anfang ohne die Annahme einer blinden Aktion, so unbegreiflich und unverzeihlich wäre das laisser aller dieses Elends mit sehenden Augen, wenn die Möglichkeit eines unmittelbaren Aufhebens offen stände. Hier hilft uns wiederum die Untrennbarkeit der Vorstellung vom Willen im Unbewussten, die Unfreiheit und Abhängigkeit der Idee vom Willen, in Folge deren diese wohl sein »Was«, sein Ziel und seinen Inhalt, aber nicht sein »Dass und Ob« zu bestimmen hat. Wir werden sehen, dass der ganze Weltprozess nur dem einen Zwecke dient, die Vorstellung vom Willen vermittelst des Bewusstseins zu emanzipieren, um durch die Opposition derselben das Wollen zur Ruhe zu bringen; wäre nun letzteres ohne Bewusstsein erreichbar, oder bestände schon ein solches Bewusstsein im Sinne einer Emanzipation der Vorstellung vom Willen zu Anfang des Weltprozesses in Gott, so wäre der ganze Weltprozess eine törichte Zwecklosigkeit, indem er sich mühen würde, etwas zu erringen, was entweder zu dem, worauf es ankommt, gar nicht erforderlich ist, oder aber was längst vorhanden ist. Diese Erwägung gibt den letzten durchschlagenden Entscheidungsgrund gegen die Annahme eines transzendenten Bewusstseins in Gott im Sinne einer Emanzipation der Vorstellung vom Willen, wenn schon die oben dagegen angeführten Gründe mehr als ausreichend waren. Dieses letzte Argument ist wohlgemerkt ein durchaus induktives, aus der empirischen Tatsache des Weltelends abgeleitetes, welches allein darauf beruht, dass keine Hypothese mit einem bewussten Gott im Stande ist, die zu erklärende Tatsache ohne Widerspruch denkbar zu machen.

Obwohl nach Spinoza's Identifikation von Gott, Substanz und Natur der Begriff Gott gewissermaßen in die Philosophie eingebürgert worden ist, so halte ich doch den Ursprung eines Begriffes für so wichtig für seine Bedeutung, dass es mir angemessen erscheint, einen Begriff von so exklusiv religiösem Ursprung wie Gott in der Philosophie möglichst zu vermeiden. Ich werde daher auch ferner für gewöhnlich bei dem Ausdruck »das Unbewusste« bleiben, obwohl die vorstehenden Darlegungen gezeigt haben werden, dass ich zum Gebrauch des Wortes »Gott« mehr Recht haben würde, als Spinoza und mancher Andre.

Wenn schon die formelle Negativität meiner Beziehungsweise für ein durch und durch positives Wesen für die Dauer eine inadäquate sein muss, so wird dieselbe doch so lange ihren eigentümlichen prophylaktischen Wert beanspruchen dürfen, als der anthropopathische Irrtum von der Bewusstheit des Absoluten noch in nennenswertem Ansehn steht. Wenn aber erst einmal das negative Prädikat der Unbewusstheit als ein selbstverständliches und nicht mehr erwähnenswertes Prädikat des Absoluten allgemein anerkannt sein wird, dann wird auch zweifelsohne diese negative Bezeichnung im geschichtlichen Fortschritt der Philosophie längst durch eine passendere positive ersetzt sein.
Aus: Eduard von Hartmann, Philosophie des Unbewußten ( S.1279-1325)
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