Johann Georg Hamann (1730 - 1788)
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Deutscher
Gelehrter und philosophischer Schriftsteller, der an der Unversität in Königsberg ein vielfältiges,
aber jedoch wenig sytematisches Studium absolvierte. Nach seinem Studium war er zunächst als Hofmeister tätig, später dann Mitarbeiter
eines Rigaer Handelshauses.1767 wurde Hamann Beamter in der peußischen Zollverwaltung, in der er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1787 tätig war. Hamann,
der sich selbst »Metacriticus«
bezeichnete, schrieb 1759 an Kant, dass er ihm nicht beipflichte, sondern vielmehr »ein
Ankläger und Widersprecher« sei. Als Gegner der Aufklärung stellte er das Irrationale des Lebens in den Mittelpunkts seines Denkens,
das er von der christlichen Religion aus interpretierte. In seinem christologisch-heilsgeschichtlichen
Denken begreift er seine Epoche als gottferne Endzeit . Er betont das
Konkrete und das Individuelle des ganzen Menschen und setzt es - mit all
seinen Sinnen und irrationalen Leidenschaften - dem abstrakten System-Denken des aufgeklärten Rationalismus entgegen. Natur ist Schöpfung und Ansprache Gottes an den Menschen, Wirklichkeit vorgegebenes Geschehen. Als Wegbereiter und Anhänger der Sturm-und-Drang-Bewegung sah er Ahnung und Intuition als die eigentlichen Einsichtsorgane an. Sein
dunkel-prophetischer Stil trug ihm den Namen »Magus
des Nordens« bei. |
Inhaltsverzeichnis
Berufung Endzweck der Menschwerdung Gottes Vorsehung Gott als höchstes Wesen Über das Papsttum Die Muttersprache des Menschengeschlechts |
>>>Christus Das Wort vom Kreuz Es ist wahr . . . |
Berufung
. . . nur denen, die berufen sind, wird göttliche Kraft und göttliche Weisheit offenbar, und dieser Beruf hängt von
keinem Willen des Fleisches noch eines Mannes noch vom Geblüte ab – weder von Materie noch Form noch Lehrart. S.
178
Endzweck
der Menschwerdung Gottes
Diese ganze Vereinigung mit Gott ist der Vorgeschmack des
Himmels und der Himmel selbst, ist die letzte Sprosse der Leiter, welche die
Erde mit dem Throne Gottes vereinigt. Diese Teilnehmung der göttlichen
Natur war der Endzweck der Menschwerdung Gottes, und
sind beide gleich große Geheimnisse, deren Vorbild aber in das Wesen des
Menschen und die Teile desselben gelegt sind. Eine ungleich vollkommnere Einigkeit,
als zwischen Leib und Seele herrscht. Wenn jene in Vergleichung Gottes als ein
Hauch Gottes ist, wie groß muss Gott selbst sein, wie groß
werden wir durch ihn werden, wie selig in ihm! Was der Leib gegen die Seele,
ein Kloß gegen den Hauch Gottes, das ist die Natur des Menschen, alle
vereinigte, geläuterte, verklärte Kräfte der Menschheit gegen
die Gottheit. Wie die Schranken unserer Glieder und der sinnlichen Werkzeuge
nebst ihrer Empfindung sich gegen den Schwung verhalten, dessen unsere Seelen
hier schon fähig sind, was für übersteigende Vorstellungen müssen
wir uns von einem Wesen machen, das in Gott Eins sein soll wie der Vater im
Sohne und der Sohn im Vater. S.178f
Vorsehung
Ohne eine individuelle Vorsehung kann Gott weder Regent des
Weltalls noch Richter der Menschen und Geister sein. Ich bin von dieser Wahrheit
a priori durch das gegebene Wort der Offenbarung und a posteriori durch meine
und die tägliche Erfahrung überzeugt. Das höchste Wesen ist im
eigentlichsten Verstande ein Individuum, das nach keinem anderen Maßstabe,
als den es sich selbst gibt, und nicht nach willkürlichen Voraussetzungen
unseres Vorwitzes und unserer naseweisen Unwissenheit gedacht oder eingebildet
werden kann. Das Dasein der kleinsten Sache beruht auf unmittelbarem Eindruck,
nicht auf Schlüssen. Das Unendliche ist ein Abgrund. Alles Endliche ist
begrenzt und kann durch einen Umriss bezeichnet werden.
Eine höhere Liebe scheint uns Grausamkeit. Der den Sohn seines Wohlgefallens
durch Leiden vollkommen gemacht, hat eben diese Kreuzestaufe nötig, um
die Schlacken der Naturgaben, die er nicht als ein Eigentum zu Ihrem eigenen
willkürlichen Gebrauche von Ihnen verschleudert wissen will, zu seinem
Dienste, in seiner Ehre, zu Ihrem Frieden und Gewinn zu läutern. Dem Himmel
sei Dank, daß es über den Sternen ein Wesen gibt, das von sich sagen
kann: Ich bin, der ich bin — alles unter dem Monde sei wandelbar und wetterwendisch. S.164f
Wer eine beste Welt vorgibt, wie Rousseau, und eine individuelle, atomistische und momentane Vorsehung leugnet, der widerspricht sich selbst. Gibt es einen Zufall in Kleinigkeiten, so kann die Welt nicht mehr gut sein noch bestehn. Fließen Kleinigkeiten aus ewigen Gesetzen, und wie ein Säkulum aus unendlichen Tagen von selbst besteht, so ist es eigentlich die Vorsehung in den kleinsten Teilen, die das Ganze gut macht. Ein solches Wesen ist der Urheber und Regierer der Welt. Er gefällt sich selbst in seinem Plan und ist für unsere Urteile unbesorgt . . . S.165
Gott als
höchstes Wesen
Gott . . . ist ein Wesen, das nur ein Blinder mit starren
Augen ansehen kann, und dessen Denkungsart und moralischen Charakter sich nur
ein eitler Mensch zu erkennen getraut. Ein aufrichtiger Sophist sagt, je länger
ich daran denke, desto weniger kann ich aus ihm klug werden. S.165
. . . wenn der Philosoph nur weiß, dass Gott das höchste Wesen ist, so fließt aus diesem Begriffe seine höchste Weisheit und Güte, das Urteil über seine Werke, wie eine Zigeunerin aus den Zügen der Hand den ganzen Lebenslauf eines Menschen oder wie ein Moralist aus dem gegebenen Charakter einen ganzen Mechanismus sittlicher Handlungen herleiten kann. Wer also den Beweis einer besten Welt auf die Eigenschaften eines unsichtbaren und unbegreiflichen Wesens gründen will, der versteht die Frage nicht und in in welches Fach sie gehört. S.165
»Etwas ist gemacht; folglich ist ein Etwas, das nicht gemacht ist; folglich hat dieses Etwas jenes Etwas gemacht.« Auf ein quelque chose beruht der ganze Nachdruck dieser neuen Gottesgelehrtheit und die Erklärung des Schöpfers auf ein Etwas, das, ohne selbst gemacht zu sein, Etwas gemacht hat. In diesem erhabenen Begriffe findet Herr Robinet (Verfasser von »De la Nature«, mit dessen Thesen Hamann sich hier kritisch auseinandersetzt) teils die Beweggründe der tiefsten Anbetung, teils den verdienstlichen Beruf zu einer metaphysischen Bilderstürmerei; weil nämlich alle Eigenschaften, die man Gott zueignet, durch eine ungeschickte Analogie veranlasst werden und entweder auf sinnliche Erscheinungen oder willkürliche Abstraktionen, die sich selbst aufheben, endlich hinauslaufen. Hierin besteht der gefährliche und dem Menschen angeborene Anthropomorphismus (= Vermenschlichung Gottes), durch den bloße Verneinungen körperlicher Eigenschaften zum Charakter der Gottheit erdichtet, und sittliche Tugenden . . . in ein kolossalisches Verhältnis gebracht und vergöttert worden . . . Auf einem so dornigen, aber auch mit Blumen bestreuten Umwege . . . fährt der Verfasser . . . fort, sich selbst zu überzeugen, dass es eine Lästerung und Widerspruch, wenigstens eine Torheit und Vorurteil sei, von Gott zu sagen: dass er denke, handle, weise, gütig und heilig sei. Weil dieser philosophische Baum nun die ganze menschliche Sprache unheilig macht, und man gänzlich verzweifelt sein muß, ein unentweihtes Beiwort darin zu finden, das dem Namen Gottes mit gutem Gewissen zur Seite stehen kann, so blieb nichts als das emphatische und ebenso unschuldige Grundwort Etwas übrig, worin nach dem standhaften Bekenntnis des Herrn Robinet die ganze Fülle der Gottheit, wie in einer tauben Nußschale, verborgen liegt. S.166f
Gott, Natur und Vernunft haben eine so innige Beziehung aufeinander, Licht, Auge und alles, was jenes diesem offenbart, oder wie Mittelpunkt, Radius und Peripherie jeden gegebenen Zirkels, oder wie Autor, Buch und Leser. S.167
Eine Welt ohne Gott ist ein Mensch ohne Kopf – ohne Herz, ohne Eingeweide, ohne Zeugungsteile. S.167
Über
das Papsttum
Das Papsttum ist eine Absonderung
der menschlichen Natur und des fleischlichen Christentums, . . . eine
göttliche Entwicklung des Antichrists durch das menschliche Geschlecht. S.181
Aus: Hamann, Magus des Norden, Hauptschriften (S.164-167,
178f, 181)
Herausgegeben von Otto Mann in der Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung,
Leipzig
Die
Muttersprache des Menschengeschlechts
Nicht Leier! — noch Pinsel! — eine Wurfschaufel für meine Muse,
die Tenne heiliger Literatur zu fegen! — Heil dem Erzengel über die
Reliquien der Sprache Kanaans! — auf schönen Eselinnen siegt er im
Wettlauf; — aber der weise Idiot Griechenlands borgt
Euthyphrons stolze Hengste zum philologischen Wortwechsel.
Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts;
wie der Gartenbau, älter als der
Acker: Malerei, — als Schrift: Gesang, — als Deklamation: Gleichnisse,
— als Schlüsse: Tausch, — als Handel. Ein tieferer Schlaf
war die Ruhe unserer Urahnen; und ihre Bewegung, ein taumelnder Tanz. Sieben
Tage im Stillschweigen des Nachsinns oder Erstaunens saßen sie; —
und taten ihren Mund auf — zu geflügelten Sprüchen.
Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder. In Bildern besteht
der ganze Schatz menschlicher Erkenntnis und Glückseligkeit. Der erste
Ausbruch der Schöpfung, und der erste Eindruck ihres Geschichtschreibers;
— — die erste Erscheinung und der erste Genuß der Natur vereinigen
sich in dem Worte: Es werde Licht!
hiemit fängt sich die Empfindung von der Gegenwart der Dinge
an.
Endlich krönte Gott die sinnliche Offenbarung
seiner Herrlichkeit durch das Meisterstück des Menschen. Er schuf den Menschen
in göttlicher Gestalt; — — zum
Bilde Gottes schuf er ihn. Dieser Ratschluß des Urhebers löst die
verwickeltesten Knoten der menschlichen Natur und ihrer Bestimmung auf. Blinde
Heiden haben die Unsichtbarkeit erkannt, die der
Mensch mit Gott gemein hat. Die verhüllte
Figur des Leibes, das Antlitz des Hauptes, und das Äußerste der Arme
sind das sichtbare Schema, in dem wir einher gehn; doch eigentlich nichts als
ein Zeigefinger des verborgenen Menschen in uns;
—
Exemplumque Dei quisque est in imagine parva.
Die erste Nahrung war aus dem Pflanzenreiche; die Milch der Alten, der Wein;
die älteste Dichtkunst nennt ihr gelehrter Scholiast
(der Fabel des Jothams und Joas zufolge) botanisch; auch die erste Kleidung
des Menschen war eine Rhapsodie von Feigenblättern. — —
Aber Gott
der Herr machte Röcke von Fellen, und zog sie
an — unsern Stammeltern, welche die Erkenntnis des Guten und Bösen
Scham gelehrt hatte. — Wenn die Notdurft eine Erfinderin der Bequemlichkeiten
und Künste ist: so hat man Ursach sich mit Goguet
zweimal zu wundern, wie in den Morgenländern die Mode sich zu kleiden,
und zwar in Tierhäuten, hat entstehen können. Darf ich eine Vermutung
wagen, die ich wenigstens für sinnreich halte? — — Ich setze
das Herkommen dieser Tracht, in der Adam durch den Umgang mit dem alten Dichter,
(der in der Sprache Kanaans Abaddon, auf hellenistisch
aber Apollyon heißt), bekannt gewordenen allgemeinen Bestandheit
tierischer Charaktere, — die den ersten Menschen bewog unter dem gelehnten
Balg eine anschauende Erkenntnis vergangener und künftiger Begebenheiten
auf die Nachwelt fortzupflanzen — — —
Rede, daß ich Dich sehe! — — Dieser Wunsch wurde durch die
Schöpfung erfüllt, die eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur
ist; denn ein Tag sagts dem andern, und eine Nacht tuts kund der andern. Ihre
Losung läuft über jedes Klima bis an der Welt Ende und in jeder Mundart
hört man ihre Stimme. — —
Die Schuld mag aber liegen, woran sie will, (außer
oder in uns): wir haben an der Natur nichts als Turbatverse und
disiecti membra poetae zu unserm Gebrauch übrig. Diese zu sammeln
ist des Gelehrten; sie auszulegen, des Philosophen; sie nachzuahmen —
oder noch kühner! — — sie in Geschick zu bringen des Poeten
bescheiden Teil.
Reden ist übersetzen — aus
einer Engelsprache in
eine Menschensprache, das heißt, Gedanken
in Worte, — Sachen in Namen, — Bilder in Zeichen; die poetisch
oder kyriologisch, historisch, oder symbolisch oder hieroglyphisch - und philosophisch
oder charakteristisch sein können. Diese Art der Übersetzung (verstehe
Reden) kommt mehr, als irgend eine andere, mit der verkehrten Seite von
Tapeten überein.
And shows the stuff, but not the workman‘s skill;
oder mit einer Sonnenfinsternis, die in einem Gefäße
voll Wassers in Augenschein genommen wird.
Mosis Fackel erleuchtet selbst die intellektualische
Welt, die auch ihren Himmel und ihre Erde hat. Bacon vergleicht
daher die Wissenschaften mit den Gewässern über und unter dem Gewölbe
unserer Dunstkugel. Jene sind ein gläsern Meer, als Kristall mit Feuer
gemengt; diese hingegen kleine Wolken aus dem Meer, als eine Manneshand.
Die Schöpfung des
Schauplatzes verhält sich aber zur Schöpfung
des Menschen: wie die epische zur dramatischen Dichtkunst. Jene geschah durchs
Wort; die letzte durch Handlung. Herz! sei wie ein stilles Meer! — —
Hör den Rat: Laßt uns Menschen machen, ein
Bild, das uns gleich sei, die da herrschen! — — Sieh die
Tat: Und Gott der
Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß —
— Vergleich Rat und Tat; bete den kräftigen Sprecher mit dem Psalmisten;
den vermeinten Gärtner mit der Evangelistin der Jünger; und den freien
Töpfer mit dem Apostel hellenistischer Weltweisen
und talmudischer Schriftgelehrten an!
Der hieroglyphische Adam ist die Historie des ganzen
Geschlechts im symbolischen Rade: — — der Charakter der Eva,
das Original zur schönen Natur und systematischen Ökonomie, die nicht
nach methodischer Heiligkeit auf dem Stirnblatt geschrieben steht; sondern unten
in der Erde gebildet wird, und in den Eingeweiden, — in
den Nieren der Sachen selbst — verborgen liegt.
Virtuosen des gegenwärtigen Äons, auf welchen Gott
der Herr einen tiefen
Schlaf fallen lassen! Ihr wenigen Edeln! macht euch diesen Schlaf zunutz, und
baut auf einer Ribbe dieses Endymions die neueste
Ausgabe der menschlichen Seele, die der Barde mitternächtlicher
Gesänge in seinem Morgentraum sahe, — — aber nicht von nahe.
Der nächste Äon wird wie ein Riese vom Rausch erwachen, eure Muse
zu umarmen, und ihr das Zeugnis zuzujauchzen: Das ist doch Bein von meinem Bein,
und Fleisch von meinem Fleisch!
Aus: Johann Georg Hamann, Sämtliche Werke, Band
2, Wien 1950, S.197ff.
Enthalten in: Zeichen der Zeit, Ein deutsches Lesebuch in vier Bänden.
Band 1: Auf dem Wege zur Klassik, Herausgegeben von Walther Killy Fischer Bücherei
441 (S.180ff.)