Philipp Matthäus Hahn (1739 – 1790)
Deutscher evangelischer Pfarrer
und Mechaniker,
der eine feinmechanische Werkstatt gründete, in der er astronomische
Uhren, Taschen- und Großuhren, Sonnenuhren, Planetarien, Waagen und
Rechenmaschinen konstruierte und bauen ließ. Seine Werkstatt bildete
eine Keimzelle der feinmechanischen Industrie Württembergs. Der tiefgläubige und geniale Pfarrerssohn Hahn aus dem schwäbischen Scharnhausen auf
den Fildern, der in Tübingen Philosophie und Theologie studiert hatte,
entwickelte sich zu einem der führenden Vertreter des schwäbischen Pietismus im 18. Jahrhundert. |
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Vom Geheimnis
des Willens Gottes
I. Gott
will das ganze Schöpfungsall mit seiner Herrlichkeit erfüllen (Eph.
4, 10; 1, 23) oder: der unsichtbare Gott
(1. Tim. 6, 16; Joh. 1, 18), das
allervollkommenste geistliche Wesen, hat sich von
Ewigkeit vorgesetzt, aus seinen unergründlichen und unfaßlichen Tiefen
in die Sichtbarkeit hervorzutreten, sich zu offenbaren und sich stufenweise
in einer Reihe von unzähligen Ewigkeiten faßlich, leibhaft und mitteilbar
zu machen. Der Beweis hierfür ist das Wort »zu
Lobe seiner Herrlichkeit«, das Epheser 1
dreimal vorkommt (Vers 6, 12 und 14). Sein Lob
kann nicht ohne seine Erkenntnis und Offenbarung sein. Auf diesen großen Zweck der Erkenntnis und Offenbarung Gottes gründet
sich die Schöpfung und Erlösung und sein ganzer Vorsatz oder das Geheimnis
seines Willens. Aus seiner Erkenntnis wird das erhöhte Lob seiner
Herrlichkeit von einer Ewigkeit zur andern erweckt, das umso weniger aufhören
und alt werden kann, als das unausdenkliche Wesen Gottes erstaunlich mannigfaltig,
auch so tief und groß ist, dass, wenn Gott auch in jeder Ewigkeit
etwas Neues zum Genuss und zur Anbetung aus seinen
verborgenen Tiefen offenbart, der Ablauf aller Ewigkeiten noch nicht
hinreichend sein wird, alles zu entdecken, so dass eine ohne Ende fortgesetzte
Offenbarung Gottes mit immer neuem Ausfluss und Genuss unsere Glückseligkeit
aufs höchste erheben wird; denn Gott ist die lebendige
Quelle (Jer. 2, 13). Seine Herrlichkeit
ist (nach dem Grundtext) sein
Glanz, nämlich seine Offenbarung und sein Hervortreten aus der Unsichtbarkeit
in die Sichtbarkeit. Epheser
1, 18 und 3, 16 sagt Paulus von einem Reichtum seiner Herrlichkeit, welcher
Ausdruck soviel andeutet, daß Gott nichts im Verborgenen, in seinem Abgrund
zurückzubehalten beschlossen habe, das er nicht nach und nach ans Licht
setzen will. Der Reichtum seines Glanzes ist also die
unerschöpfliche Quelle des Lichts, der Kraft, der Liebe, der Schönheit,
der Süßigkeit und Erquickung, da immer noch weit mehr zu erwarten
ist als man vermutet und als unser enger Menschenverstand fassen und glauben
kann. Großer Grund des Glaubens, des Vertrauens und der Hoffnung zu Gott
in allerlei Umständen, wo wir oft die Unmöglichkeit einer Hilfe und
Rettung vermuten! Da kann einem das erkannte Geheimnis
seines Willens eine Aussicht und Durchsicht durch alle Widerstände und
Finsternisse geben. Gott will sich offenbaren, zeigen und sichtbar machen.
Wann mein Können und Vermögen
nichts vermag, nichts helfen kann,
kommt mein Gott und fanget an,
sein Vermögen beizulegen.
Aus dem Lied: »Sollt ich
meinem Gott nicht singen?« Und dies alles zu Lob seiner Herrlichkeit!
II. Der ewige Sohn Gottes ist vor dem
Anfang der Zeit die erste und vollständigste Offenbarung des verborgenen
Gottes gewesen, in dem alles geistlich und unsichtbar enthalten war, was hernach
ans Licht kam (Kol. 1, 15). Der Sohn der
Liebe ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, das Urbild
der Menschheit, nach dem die Menschen erschaffen worden sind (1.
Mose 1, 27), der aus dem Vater zuerst Geborene alles Geschöpfs,
der unsichtbare Gott, der das ganze verborgene Wesen des
Vaters sichtbar ausdrückte, der Anfang der Schöpfung Gottes (Offb. 3, 14), der Abglanz
seiner Herrlichkeit, die geistlich leibhafte und geistlich sichtbare Gestalt
des verborgenen, unbegrenzten und allervollkommensten Wesens Gottes, der als
die ewige Weisheit (Spr.
8) alles, was aus dem Unsichtbaren zur Sichtbarkeit kommen sollte, als
einen vorgezeichneten Riß eines Baues nach der Zusammenfügung aller
Dinge unter ein Haupt in sich trug und übersah, in dem also alles schon
bei seiner ewigen Geburt aus dem Vater sein ursprüngliches
Wesen erhalten hat, was in den Himmeln und auf Erden ist, das Sichtbare
und das Unsichtbare: es seien Thronen oder Herrschaften, Fürstentümer
oder Mächte. Er war der Grundbestand und die Entstehungswurzel
von allem (Kol. 1, 16. 17). Er war das Wort
(Joh. 1, 1) oder vielmehr der, der hernach alles
durch sein mächtiges Wort erschaffen hat, und alle Offenbarungen Gottes
von Anfang geschahen durch ihn. Er war der Anfang und
das Ende der Schöpfung. Er war vor allen Dingen, und alle zukünftig
zu erschaffenden Dinge sind in ihm zusammengestellt gewesen in ein einiges Ganzes,
von dem er das Haupt und die Geschöpfe sein Leib waren.
Gott sah ihn auch in seiner künftigen Menschwerdung nach allen Ständen
seiner Erniedrigung und Erhöhung und in ihm alle Menschenkinder nach der
Ordnung ihrer Verherrlichung. Er sah in ihm alle seine Wege seit unsrem Hervorkommen
aus dem unsichtbaren Ort unsres Aufenthaltes nach den äußeren Umständen,
dem Glaubenslauf und der gesellschaftlichen Verbindung mit andern, die zu unsrer
Erniedrigung und Erhöhung etwas beitragen werden. Er sah in ihm die ganze
zukünftige alte und neue Erde, alle Bäume, Vögel, Fische, Tiere,
Pflanzen usw., wie die Weisheit (Spr. 8, 22—31) spricht: »Der Herr
hat mich gehabt im Anfang seiner Wege; ehe er etwas schuf, war ich da. Ich bin
eingesetzt von Ewigkeit, von Anfang, vor der Erde. Da die Tiefen noch nicht
waren, da war ich schon geboren, da die Brunnen noch nicht mit Wasser quollen.
Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln war ich geboren, da
er die Erde noch nicht gemacht hatte und, was darauf ist, noch die Berge des
Erdbodens. Da er die Himmel bereitete, war ich daselbst, da er die Tiefe mit
seinem Ziel faßte, da er die Wolken droben festete, da er festigte die
Brunnen der Tiefe, da er dem Meer das Ziel setzte und den Wassern, daß
sie nicht überschreiten seinen Befehl, da er den Grund der Erde legte:
da war ich der Werkmeister bei ihm und hatte meine Lust täglich und spielte
vor ihm allezeit und spielte auf seinem Erdboden, und meine Lust ist bei den
Menschenkindern.«
III. Gott hat auch seine zukünftige
Offenbarung im Fleisch zuvor gesehen und hat auch seine künftige irdische
Menschheit zum Schauplatz seiner Herrlichkeit und zum Thron seiner Offenbarung
von Ewigkeit her bestimmt, jedoch mit dem Vorsatz, sie durch die tiefste Erniedrigung zur höchsten Erhöhung zu führen.
Der Beweis dafür steht Kolosser 1, 18—20: »Und
er selbst ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde; er, der da ist
der Anfang und der Erstgeborene von den Toten, auf daß er (auch nach seiner
irdischen, in der Zeit anzunehmenden Menschheit unter allen geschaffenen Dingen)
den Vorrang habe. Denn es ist sein Wohlgefallen gewesen, daß in ihm alle
Fülle wohnen sollte (der Gottheit leibhaftig) und daß er durch ihn
versöhnte alles gegen sich, da er eine Vereinigung und Zusammenfassung
aller Dinge, die auf der Erde und in den Himmeln sind, durch das Blut seines
Kreuzes gestiftet« (Kol. 1, 18—20;
Eph. 1, 10) da er nach dem Vorsatz Gottes um des
ganzen Schöpfungsalls willen den Tod schmecken mußte (Hebr.
2, 9) als das Lämmlein das sich hat schlachten lassen und in dessen
Lebensbuch die Namen der Erstlinge geschrieben sind von der Stellung (Erschaffung)
der Welt an (Offb. 13, 8), als der, der durch bestimmten
Rat und vorausgehende Erkenntnis Gottes zum Kreuz, Tod, Auferstehung und Herrschaft über alles von Gott hergegeben war (Apg. 2, 23—28).
Ohne diesen wunderbaren Weg der Erhöhung des Menschensohnes
hätte sich Gott nicht nach allen seinen Tiefen und nach allem Reichtum
seiner Erbarmung und Macht erfahrungsgemäß und stufenweise offenbaren
können. Den ganzen Lauf Jesu nach seiner irdischen Menschheit ordnete
Gott in seinem Herzen von Ewigkeit. Seine Fleischwerdung
mußte zu einer Zeit geschehen, da das Wort Gottes auf das äußerste
verkehrt war, da man durch so viele Hindernisse des ungläubigen Pöbels,
der falschgelehrten und unerleuchteten Frommen durchzubrechen hatte. Sein Suchen
im Wort, sein heroischer Glaube an das Wort da er Wahrheiten in dem Wort Gottes
fand und glaubte, die wider allen Sinn der gewöhnlichen Sätze waren,
sein Gehorsam, Vertrauen und Warten auf Gott unter allem Leiden, sein Kreuz
und Tod, den er im tiefsten Glaubensgehorsam auf
sich nahm, die stufenweise Erfüllung seiner irdischen Menschheit mit aller
Gottheitsfülle, der Ausfluß seiner Auferstehungskräfte in seine
Glieder und durch sie in alle Geschöpfe stand so klar in der Anordnung
seines Weges vor den Zeiten der Welt vor den Augen Gottes, als wir uns selbst
und andere neben uns mit Augen sehen.
Denn was Gott in dem Wohlgefallen seines Willens in der Ferne sieht, das ist
ihm so nahe wie uns der heutige Tag (Apg. 15, 18) und ist vor ihm nicht nur ein leeres Gedankenbild. Was Gott mit Wohlgefallen
sich vorstellt, das empfängt durch das Wohlgefallen des Willens Gottes
im Vorsatz und Wort ein geistliches Wesen und eine Wirklichkeit. Insofern möchte
also die himmlische Menschheit einen Blick auf die künftig zu verklärende
irdische oder Fleischesmenschheit schon damals bekommen haben (Joh.
3, 12; 17, 5). Diese himmlische Menschheit kam also in der Fülle
der Zeit wirklich vom Himmel herab als das ewige Wort und als das ewige Leben,
das bei dem Vater war, und nahm die Hülle des menschlichen
Fleisches an, wodurch seine Herrlichkeit eine Weile verdeckt war, wie
Gott bei der Aufrichtung der Stiftshütte sprach: »Ich will im Dunkeln wohnen« (1. Kön.
8, 12; 2. Chron, 6, 1).
Sie setzte den Weg zur Erhöhung der angenommenen Fleischesmenschheit in
der Person Jesu von Nazareth und im Glauben ans Wort fort, wie ihn Gott von
Ewigkeit gesehen und ihn durch Bilder, Worte und Beispiele, besonders durch
die Stiftshütte (2. Mose 26; Ps. 78, 6o; Joh. 1,
14; Hebr. 10, 20) im Alten Bunde hatte abzeichnen lassen, bis er als
der Sohn des Vaters, durch den der Vater alles mit seiner Herrlichkeit erfüllen
will, durch die Auferstehung und Himmelfahrt dargestellt und kundgemacht worden,
da er am Tage der Erhöhung seiner irdischen Fleischesmenschheit
auf den Thron Gottes vor allen Engeln zu ihm sprach: »Du
bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«. In diesem Blick konnte
Jesus vor seinem Leiden sagen: »Verkläre mich,
Vater, mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war«.
Er war der geoffenbarte Gott von Anfang; er wurde aber in der Fülle der
Zeit als ein solcher durch die Verklärung seines Fleisches erst offenbar,
da dies zum Thron der Gottheit und zum Schauplatz seiner Herrlichkeit erhöht
wurde. Nun wohnt Gott in Christus, unserm Herrn, und will von da aus alles mit
seiner Herrlichkeit erfüllen. Ein Geschöpf und
der Schöpfer der Geschöpfe ist in der Person Jesu eine einzige Person.
Dies alles scheint Paulus vor Augen gehabt zu haben, wenn er Gott,
Epheser 1, 3, wohlbedacht den Vater unsers Herrn Jesu Christi und in
Vers 17 den Gott unsers Herrn Jesu Christi und
den Vater der Herrlichkeit nennt. Was also Gott
an Jesus getan hat von seiner menschlichen Geburt durch seinen ganzen Lauf,
wie er sich in seiner allerhöchsten Schwachheit als sein Gott und Vater
und als die überschwengliche Größe der Kraft bewiesen, da er
ihn von den Toten auf erweckt und zur Rechten der Majestät über alle
Werke seiner Hände gesetzt, das sind lauter Offenbarungen Gottes. Christi
Leben im Himmel, wie auch sein künftiges, offenbares Königreich, das
er in Gemeinschaft der Auserwählten verwalten wird, geht allein auf jenen
großen Zweck, daß er alles erfülle und alles unter sich als
das einzige Haupt versammle, bis alles in allen mit der Herrlichkeit Gottes
erfüllt ist (Eph. 1, 10. 23; 1. Kor. 15, 28; Eph.
3, 18. 19). Gottes allerhöchste Liebe, Macht,
Freundlichkeit, Weisheit, Heiligkeit, Wahrheit und ewige Güte wäre
uns verborgen geblieben, wenn Jesus durch sein Vorbild, seinen Wandel und seine
Lehre, besonders durch seine Liebe gegen seine Schafe bis in den Tod nicht den
Vater geoffenbart hätte, und er wird ihn, den unbekannten Gott und
Vater, noch ferner durch seine Geisteswirkungen und Erneuerungskräfte an
allen Menschen und Geschöpfen künftig offenbaren, auf daß sein
Name geheiligt werde und sein Königreich und völlige Offenbarung zu
uns komme.
IV. Wie der Sohn das vollständigste
Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist, ebenso sind die Schöpfungswerke in
ihrem ganzen Umfang abgeteilte Abbildungen des Sohnes Gottes; sie gehören
zur faßlichen Darstellung der Herrlichkeit des Sohnes und machen auch
in ihrer künftigen Erneuerung und Zusammenordnung unter ein Haupt den Leib
oder die sichtbare Darstellung des Vaters und des Sohnes im künftigen Königreich
der Himmel aus. Aus Gott sind alle Dinge (Röm. 11,
36), jedoch nicht unmittelbar, sondern durch den Sohn. Im Sohn, dem Anfang
der Schöpfung (Offb.3, ,4) und Ebenbild des
unsichtbaren Gottes, sind alle Dinge im Plan der Weisheit Gottes als ein einziges
Ganzes zusammengeordnet gewesen (Kol. 1, 17). Die
Welt ist also nicht aus einem eigentlichen Nichts gemacht. Aus nichts wird nichts.
In der Herrlichkeit Gottes oder in der sichtbaren Offenbarung Gottes im Sohn
oder vielmehr im Raum seiner Offenbarung liegt der Grundstoff zur Schöpfung; nämlich die himmlischen Elemente des Feuers und Wassers, ohne die
keine sichtbare Offenbarung Gottes möglich gewesen wäre, waren der
Anfang der Schöpfung. Die sichtbaren Dinge sind aus ungesehenen, nichtscheinenden
Dingen entstanden (Hebr. 11, 3). Das unübersehbare
und unausdenkliche Schöpfungsall ist der große Wirkungskreis oder
der Leib und das Kleid des Sohnes und folglich auch des Vaters, das dem unsichtbaren
Grundstoff nach mit dem Sohn gleich ewig ist. Es ist nicht Gott, sondern das
Kleid und Haus des unsichtbaren Gottes, der große Schauplatz der Herrlichkeit
des Sohnes und des Vaters, da Gott das belebende und bewirkende, die Schöpfungswerke
aber das belebte und bewirkte sind. Paulus sagt Römer 1, 20: »Gottes Unsichtbarkeiten
werden gesehen an den Werken der Schöpfung«. Auf diese Weise
will sich Gott betasten und finden lassen; denn er ist nicht ferne von einem
jeglichen unter uns. In ihm leben wir, in ihm bewegen wir uns, in ihm sind wir
(Apg. 17, 27. 28). Er ist
außer und vor seiner Offenbarung ohne allen Raum, Zeit und Ort zu denken.
Als Erstgeborener alles Geschöpfs oder als geoffenbarter Gott in geschöpflicher
Art und Gestalt aber wohnt er in dem unendlichen Raum
Himmels und der Erde, in allen Menschen, Engeln und Geschöpfen,
in jedem nach seiner Art. Und Paulus sagt insbesondere von den Menschen: »Wir sind göttlichen Geschlechts«. Die Menschen insbesondere
hat er zu Tempeln des lebendigen Gottes gemacht,
in denen er wohnen und wandeln will, zu Gefäßen seiner Kraft, zu Gefäßen des ewigen Lebens, durch die
er die übrigen Geschöpfe zu höheren Stufen
der Herrlichkeit erheben will; er hat sie zu einer Behausung Gottes im Geist,
zu Gliedern Jesu Christi bestimmt, in denen die Fülle der Gottheit leibhaftig
wohnt. Durch die Schöpfung sind die unendlichen Lebenskräfte, die verborgenen Lieblichkeiten und Schönheiten des Sohnes in viel
tausend Arten und Abwechslungen an das Licht gesetzt worden, und ein jeder
verständiger Geist ist ein kleiner Gott, der einen Abgrund
von verborgenen Vollkommenheiten in sich liegen hat, die er ebenso wie
Gott an das Licht zu bringen und seine Herrlichkeit zu offenbaren bemüht
ist, wenn er anders durch den Geist des allgemeinen Haupts die wahre
Erleuchtung und die rechte Richtung seiner Begierden
und Triebe aus der guten Botschaft und dem eröffneten Geheimnis
Gottes gefunden hat. Wenn das Schöpfungsall in der rechten Zusammenordnung
unter den Sohn als dem Haupt der Schöpfung bestanden wäre, so wäre
diese der wirkliche Himmel, eine erquickungsvolle Anschauung und ein Genuß Gottes gewesen. Gott aber hat eine Trennung der Geister
zugelassen, damit er durch die nach und nach geschehene Hervorbringung des Lichts aus der Finsternis allen Reichtum seiner Gnade und
Macht in Jesus Christus erzeugen könne und die geistliche Natur
der unsichtbaren Welt desto massiver und leibhafter, auch sein Lob, seine Erkenntnis
und sein Genuß desto völliger und deutlicher und im einzelnen dargelegt
werde.
Die Möglichkeit zum Fall des Engelfürsten und
der Trennung vom Haupt war der eigene Wirkungskreis, den jeder erschaffene
Geist als ein Ebenbild des Vaters und des Sohnes hatte, nämlich der freie
Wille. Das allgemeine Haupt aller dieser eigenen Wirkungssphären
war der Sohn Gottes. Ein Teil des Ganzen trennte sich vom Haupt ab und verlor
also den Einfluß aus dem Haupt. Eine ganze Welt, die diesem Geist zu seinem
freien Wirkungskreis untergeben war, wurde durch die Trennung ihres Haupts vom
allgemeinen Haupt mit Finsternis bedeckt, indem sie durch die Trennung
ihres Fürsten vom Haupt keinen Einfluß aus der Quelle des Lichts mehr hatten. Das ganze Schöpfungsall litt insofern dadurch, als die vollständige
Zusammenordnung des Ganzen durch Trennung eines beträchtlichen Teiles des
Ganzen zerrissen wurde.
Wenn ein Glied leidet, so leiden auch die andern, jedes nach seiner Art. Weil
nun in den übrigen großen untergeordneten Häuptern des Schöpfungsalls,
nämlich bei den Engeln, noch eine große göttliche Liebe herrschte,
kraft der sie die Unglückseligen nicht gleichgültig ansehen konnten
und doch keinen Weg zur Wiedervereinigung mit dem Ganzen
für sie sahen, und noch mehr: weil das Wachstum des Ganzen und die
weiteren Offenbarungen Gottes einen Aufenthalt bekommen zu haben schienen, auch
weil sich Gott um der erhobenen Finsternis eines Teiles seiner Geschöpfe
willen auf eine Zeitlang zurückziehen mußte und nicht frei in seiner
angefangenen Offenbarung fortfahren konnte, endlich aber auch, weil sie in den abgefallenen Engeln Feinde bekommen hatten, die
auf Eroberungen ihrer eignen, noch gut beschaffenen Sphären ausgingen,
ist aus all diesem leicht zu schließen, daß ihr Zustand in Ansehung
ihrer vorigen Ruhe bei all ihrer Seligkeit eine mächtige Veränderung
erlitten habe.
Deshalb mußte sie es um so mehr freuen, daß sie aus der guten Botschaft
Gottes an die Menschen ein Licht bekamen, in dem
sie die Wunderanstalten Gottes erblickten, nach denen Gott durch die Verklärung
des Fleisches Jesu eine Wiedervereinigung aller Dinge, die in den Himmeln und
auf Erden sind, gestiftet, und daß sie nach und nach verstehen lernten,
wie Jesus um das ganze All, Gott allein ausgenommen, den Tod geschmeckt (Hebr.
2, 9) und es also an dem sei, daß alles, beides das in den Himmeln
und das auf der Erde ist, in Christus wieder zusammengefaßt werde (Eph.
1, 10), ferner wie das Haupt der Menschen deswegen über alle Himmel
gefahren sei, auf daß er wieder alles erfülle (Eph.
4, 10), folglich alle Knie derer im Himmel und derer auf Erden und derer
unter der Erden sich im Namen Jesu beugen und alle Zungen bekennen werden, daß Herr sei Jesus Christus zur Herrlichkeit Gottes, des Vaters (Phil.
2, 10. 11) und also alles, Gott allein ausgenommen, ihrem ersten, rechtmäßigen
Haupt wieder untertan werden solle, auf daß Gott durch den Sohn alles
in allen sei (1. Kor. 15, 28).
Allem Anschein nach ist die Schöpfung, die Mose beschreibt,
aus dem Schutt und Stoff der ersten verfinsterten Engelwelt gemacht und des
ersten Menschen Fall durch die neu geoffenbarten Gnadenanstalten der ganzen
Welt Reichtum geworden, ebenso wie der Juden Fall der Heiden Reichtum geworden
ist (Röm. 11, 12). 1. Mose 1, 1 scheint
also die erste und 1. Mose
1, 2 den Anfang der zweiten Schöpfung anzuzeigen. Jetzt sieht freilich
noch die Welt einem öden Garten gleich, der verwildert und mit Dornen bewachsen
ist, wo Zerstreuung, Unruhe, Kummer, Mangel, Elend und kein wahres Vergnügen
zu finden ist. Jedoch seufzt der unsterbliche Geist in
dem groben Fleisch aller Geschöpfe nach Erlösung von dem Dienst der
Eitelkeit und wartet auf die Entdeckung der Söhne Gottes. Und auch
wir selbst, die wir des Geistes Erstlinge haben, sehnen uns zugleich mit ihnen
nach unsrer Sohnschaft und erwarten unsre Auferstehung (Röm.
8, 19—23); denn Gott will nichts von sich, dem höchsten Gut,
nach eines jeden Geschöpfs Maß und Teil unerfüllt lassen
(Eph. 1, 23). Dies fühlt das Geschöpf und seufzt nach dem Ziel
seiner Bestimmung.
V. Gott hat in seinem einmal festgesetzten
Plan seiner Offenbarung und Mitteilung gewisse Ordnungen nach seinem freien
Wohlgefallen gemacht sowohl in Ansehung der Zeit als des Maßes der Erfüllung
oder Mitteilung.
1. Gott
hat die Menschheit Jesu von Ewigkeit, im Vorsatz und dann auch wirklich in der
Zeit, am ersten und ganz und gar mit all seiner Herrlichkeit erfüllt
(Kol. 2, 9), weswegen er
der Gott und Vater unsers Herrn Jesus Christus im völligsten Verstand heißt
(Eph. 1, 3).
2. Aus den
Menschen hat Gott eine gewisse Anzahl zu Brüdern der Erstgeborenen verordnet,
die seinem Ebenbild ähnlich werden und seine Glieder und seinen ersten
Wirkungskreis abgeben sollen. Sie sind das Eigentum und der Leib des Haupts (Eph. 1, 5. 11. 23), die zunächst nach Christus
in Ansehung der Zeit und in größtem Maß unter allen Geschöpfen
von Gott durch Christus erfüllt werden, wenn sie zum Stand der Söhne
gelangen, zu dem sie verordnet sind (Eph. 1, 5).
Sie sind und werden Erben Gottes und Miterben Christi (Röm.
8, 17; Offb. 21, 7).
3. Auf die Erstgeborenen folgen ihre Brüder, die noch
im Buch des Lebens aufgeschrieben stehen, die in der Zeit zu keinem vollen Maß des Geistes ausgereift sind und wegen dem Anfang des Lebens aus Christus, das
noch in der Zeit in sie gepflanzt worden ist, nicht in das Feuer des zweiten
Todes fallen (Offb. 20, 5. 15), sondern als Durstige
vom Lebenswasser umsonst getränkt werden (Offb. 21,
6).
4. Danach das Ende, wann der Sohn sein Königreich dem
Vater übergeben wird (1. Kor. 15, 24—28); Christi und der Auserwählten Königreich wird aber solange währen,
bis daß alle Feinde Gottes zum Schemel der Füße Jesu gelegt
sind (Hebr. 10, 13).
VI. Gott hat sich auch in der
Pflanzung der Gemeinde oder der Erstlinge nach seinem freien Wohlgefallen gewisse
Ordnungen vorgesetzt. Das jüdische Volk hat er aus allen Völkern herausgelesen
und verordnet zu Brüdern des Erstgeborenen, aber auch selbst aus diesem
Volk noch eine besondere Auswahl gemacht; denn es sind nicht alle Israeliten,
die von Israel sind (Röm. 9, 6), ob ihnen
schon die Kindschaft und Herrlichkeit, der Bund, das Gesetz, der Gottesdienst
und die Verheißung gehört (Röm. 9, 4).
Ebenso hat Gott auch aus den übrigen Völkern eine Auswahl als Erstlinge
der übrigen herausgelesen, um sich in ihnen zu verherrlichen, wie Paulus
sagt (Eph. 3,6): das sei das Geheimnis, über
dem er leide, daß die Völker Miterben mit den Juden seien und dies
in Ansehung verschiedener Landschaften, Orte und Zeiten. Die gläubigen
Epheser und Kolosser aus den Heiden waren dergleichen Beispiele. Zu Ephesus
und Kolossä sind nicht alle als Erstlinge auserwählt gewesen. Es ist
kein Ort, der nicht auch seine Ungläubigen, viele oder wenige, unter sich
hat, weil allezeit die Ungläubigen das Ihrige zur Glaubensübung und
Vollendung der Erwählten mit beitragen müssen.
Und so ist es noch heutzutage, da die Schar der Auserwählten aus den Völkern
noch gesammelt und gepflanzt wird. Da hat Gott in manchem Land, Ort und Haus
seine besondere Zahl der Auserwählten, die er zur Sohnschaft, zu Brüdern
des Erstgeborenen, verordnet hat, an denen er den überfließenden
Reichtum seiner Gnade und Macht erzeigt, in denen er seinen Sohn und in ihm
sich selbst offenbart und sich also zu erkennen, zu genießen und zu schmecken
gibt, bis die gesetzte Zahl der Erstlinge aus den Völkern erfüllt
ist und endlich die Reihe wieder an das ganze Israel kommt und dann das ganze
menschliche Geschlecht aus den Toten lebendig wird (Röm.
11, 13. 24. 26; 1. Kor. 15, 22; Röm. 5, 18. 21; 11, 32. 36).
S.130ff.
Aus: Philipp Matthäus Hahn, Die gute Botschaft vom Königreich Gottes.
Eine Auswahl
Band VIII Zeugnisse der Schwabenväter, herausgegeben und mit Einführung
und Anmerkungen versehen von Dr. theol. J. Roessle Copyright 1963 Verlag Ernst
Franz, Metzingen