Philipp Matthäus Hahn (1739 – 1790)

 

Deutscher evangelischer Pfarrer und Mechaniker, der eine feinmechanische Werkstatt gründete, in der er astronomische Uhren, Taschen- und Großuhren, Sonnenuhren, Planetarien, Waagen und Rechenmaschinen konstruierte und bauen ließ. Seine Werkstatt bildete eine Keimzelle der feinmechanischen Industrie Württembergs. Der tiefgläubige und geniale Pfarrerssohn Hahn aus dem schwäbischen Scharnhausen auf den Fildern, der in Tübingen Philosophie und Theologie studiert hatte, entwickelte sich zu einem der führenden Vertreter des schwäbischen Pietismus im 18. Jahrhundert.

Siehe auch Wikipedia und
Kirchenlexikon

Vom Geheimnis des Willens Gottes
I. Gott will das ganze Schöpfungsall mit seiner Herrlichkeit erfüllen (Eph. 4, 10; 1, 23) oder: der unsichtbare Gott (1. Tim. 6, 16; Joh. 1, 18), das allervollkommenste geistliche Wesen, hat sich von Ewigkeit vorgesetzt, aus seinen unergründlichen und unfaßlichen Tiefen in die Sichtbarkeit hervorzutreten, sich zu offenbaren und sich stufenweise in einer Reihe von unzähligen Ewigkeiten faßlich, leibhaft und mitteilbar zu machen. Der Beweis hierfür ist das Wort »zu Lobe seiner Herrlichkeit«, das Epheser 1 dreimal vorkommt (Vers 6, 12 und 14). Sein Lob kann nicht ohne seine Erkenntnis und Offenbarung sein. Auf diesen großen Zweck der Erkenntnis und Offenbarung Gottes gründet sich die Schöpfung und Erlösung und sein ganzer Vorsatz oder das Geheimnis seines Willens. Aus seiner Erkenntnis wird das erhöhte Lob seiner Herrlichkeit von einer Ewigkeit zur andern erweckt, das umso weniger aufhören und alt werden kann, als das unausdenkliche Wesen Gottes erstaunlich mannigfaltig, auch so tief und groß ist, dass, wenn Gott auch in jeder Ewigkeit etwas Neues zum Genuss und zur Anbetung aus seinen verborgenen Tiefen offenbart, der Ablauf aller Ewigkeiten noch nicht hinreichend sein wird, alles zu entdecken, so dass eine ohne Ende fortgesetzte Offenbarung Gottes mit immer neuem Ausfluss und Genuss unsere Glückseligkeit aufs höchste erheben wird; denn Gott ist die lebendige Quelle (Jer. 2, 13). Seine Herrlichkeit ist (nach dem Grundtext) sein Glanz, nämlich seine Offenbarung und sein Hervortreten aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit. Epheser 1, 18 und 3, 16 sagt Paulus von einem Reichtum seiner Herrlichkeit, welcher Ausdruck soviel andeutet, daß Gott nichts im Verborgenen, in seinem Abgrund zurückzubehalten beschlossen habe, das er nicht nach und nach ans Licht setzen will. Der Reichtum seines Glanzes ist also die unerschöpfliche Quelle des Lichts, der Kraft, der Liebe, der Schönheit, der Süßigkeit und Erquickung, da immer noch weit mehr zu erwarten ist als man vermutet und als unser enger Menschenverstand fassen und glauben kann. Großer Grund des Glaubens, des Vertrauens und der Hoffnung zu Gott in allerlei Umständen, wo wir oft die Unmöglichkeit einer Hilfe und Rettung vermuten! Da kann einem das erkannte Geheimnis seines Willens eine Aussicht und Durchsicht durch alle Widerstände und Finsternisse geben. Gott will sich offenbaren, zeigen und sichtbar machen.

Wann mein Können und Vermögen
nichts vermag, nichts helfen kann,
kommt mein Gott und fanget an,
sein Vermögen beizulegen.


Aus dem Lied: »Sollt ich meinem Gott nicht singen?« Und dies alles zu Lob seiner Herrlichkeit!

II.
Der ewige Sohn Gottes ist vor dem Anfang der Zeit die erste und vollständigste Offenbarung des verborgenen Gottes gewesen, in dem alles geistlich und unsichtbar enthalten war, was hernach ans Licht kam (Kol. 1, 15). Der Sohn der Liebe ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, das Urbild der Menschheit, nach dem die Menschen erschaffen worden sind (1. Mose 1, 27), der aus dem Vater zuerst Geborene alles Geschöpfs, der unsichtbare Gott, der das ganze verborgene Wesen des Vaters sichtbar ausdrückte, der Anfang der Schöpfung Gottes (Offb. 3, 14), der Abglanz seiner Herrlichkeit, die geistlich leibhafte und geistlich sichtbare Gestalt des verborgenen, unbegrenzten und allervollkommensten Wesens Gottes, der als die ewige Weisheit (Spr. 8) alles, was aus dem Unsichtbaren zur Sichtbarkeit kommen sollte, als einen vorgezeichneten Riß eines Baues nach der Zusammenfügung aller Dinge unter ein Haupt in sich trug und übersah, in dem also alles schon bei seiner ewigen Geburt aus dem Vater sein ursprüngliches Wesen erhalten hat, was in den Himmeln und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare: es seien Thronen oder Herrschaften, Fürstentümer oder Mächte. Er war der Grundbestand und die Entstehungswurzel von allem (Kol. 1, 16. 17). Er war das Wort (Joh. 1, 1) oder vielmehr der, der hernach alles durch sein mächtiges Wort erschaffen hat, und alle Offenbarungen Gottes von Anfang geschahen durch ihn. Er war der Anfang und das Ende der Schöpfung. Er war vor allen Dingen, und alle zukünftig zu erschaffenden Dinge sind in ihm zusammengestellt gewesen in ein einiges Ganzes, von dem er das Haupt und die Geschöpfe sein Leib waren.

Gott sah ihn auch in seiner künftigen Menschwerdung nach allen Ständen seiner Erniedrigung und Erhöhung und in ihm alle Menschenkinder nach der Ordnung ihrer Verherrlichung. Er sah in ihm alle seine Wege seit unsrem Hervorkommen aus dem unsichtbaren Ort unsres Aufenthaltes nach den äußeren Umständen, dem Glaubenslauf und der gesellschaftlichen Verbindung mit andern, die zu unsrer Erniedrigung und Erhöhung etwas beitragen werden. Er sah in ihm die ganze zukünftige alte und neue Erde, alle Bäume, Vögel, Fische, Tiere, Pflanzen usw., wie die Weisheit (Spr. 8, 22—31) spricht: »Der Herr hat mich gehabt im Anfang seiner Wege; ehe er etwas schuf, war ich da. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit, von Anfang, vor der Erde. Da die Tiefen noch nicht waren, da war ich schon geboren, da die Brunnen noch nicht mit Wasser quollen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln war ich geboren, da er die Erde noch nicht gemacht hatte und, was darauf ist, noch die Berge des Erdbodens. Da er die Himmel bereitete, war ich daselbst, da er die Tiefe mit seinem Ziel faßte, da er die Wolken droben festete, da er festigte die Brunnen der Tiefe, da er dem Meer das Ziel setzte und den Wassern, daß sie nicht überschreiten seinen Befehl, da er den Grund der Erde legte: da war ich der Werkmeister bei ihm und hatte meine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit und spielte auf seinem Erdboden, und meine Lust ist bei den Menschenkindern.«

III. Gott hat auch seine zukünftige Offenbarung im Fleisch zuvor gesehen und hat auch seine künftige irdische Menschheit zum Schauplatz seiner Herrlichkeit und zum Thron seiner Offenbarung von Ewigkeit her bestimmt, jedoch mit dem Vorsatz, sie durch die tiefste Erniedrigung zur höchsten Erhöhung zu führen. Der Beweis dafür steht Kolosser 1, 18—20: »Und er selbst ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde; er, der da ist der Anfang und der Erstgeborene von den Toten, auf daß er (auch nach seiner irdischen, in der Zeit anzunehmenden Menschheit unter allen geschaffenen Dingen) den Vorrang habe. Denn es ist sein Wohlgefallen gewesen, daß in ihm alle Fülle wohnen sollte (der Gottheit leibhaftig) und daß er durch ihn versöhnte alles gegen sich, da er eine Vereinigung und Zusammenfassung aller Dinge, die auf der Erde und in den Himmeln sind, durch das Blut seines Kreuzes gestiftet« (Kol. 1, 18—20; Eph. 1, 10) da er nach dem Vorsatz Gottes um des ganzen Schöpfungsalls willen den Tod schmecken mußte (Hebr. 2, 9) als das Lämmlein das sich hat schlachten lassen und in dessen Lebensbuch die Namen der Erstlinge geschrieben sind von der Stellung (Erschaffung) der Welt an (Offb. 13, 8), als der, der durch bestimmten Rat und vorausgehende Erkenntnis Gottes zum Kreuz, Tod, Auferstehung und Herrschaft über alles von Gott hergegeben war (Apg. 2, 23—28).

Ohne diesen wunderbaren Weg der Erhöhung des Menschensohnes hätte sich Gott nicht nach allen seinen Tiefen und nach allem Reichtum seiner Erbarmung und Macht erfahrungsgemäß und stufenweise offenbaren können. Den ganzen Lauf Jesu nach seiner irdischen Menschheit ordnete Gott in seinem Herzen von Ewigkeit. Seine Fleischwerdung mußte zu einer Zeit geschehen, da das Wort Gottes auf das äußerste verkehrt war, da man durch so viele Hindernisse des ungläubigen Pöbels, der falschgelehrten und unerleuchteten Frommen durchzubrechen hatte. Sein Suchen im Wort, sein heroischer Glaube an das Wort da er Wahrheiten in dem Wort Gottes fand und glaubte, die wider allen Sinn der gewöhnlichen Sätze waren, sein Gehorsam, Vertrauen und Warten auf Gott unter allem Leiden, sein Kreuz und Tod, den er im tiefsten Glaubensgehorsam auf sich nahm, die stufenweise Erfüllung seiner irdischen Menschheit mit aller Gottheitsfülle, der Ausfluß seiner Auferstehungskräfte in seine Glieder und durch sie in alle Geschöpfe stand so klar in der Anordnung seines Weges vor den Zeiten der Welt vor den Augen Gottes, als wir uns selbst und andere neben uns mit Augen sehen.

Denn was Gott in dem Wohlgefallen seines Willens in der Ferne sieht, das ist ihm so nahe wie uns der heutige Tag (Apg. 15, 18) und ist vor ihm nicht nur ein leeres Gedankenbild. Was Gott mit Wohlgefallen sich vorstellt, das empfängt durch das Wohlgefallen des Willens Gottes im Vorsatz und Wort ein geistliches Wesen und eine Wirklichkeit. Insofern möchte also die himmlische Menschheit einen Blick auf die künftig zu verklärende irdische oder Fleischesmenschheit schon damals bekommen haben (Joh. 3, 12; 17, 5). Diese himmlische Menschheit kam also in der Fülle der Zeit wirklich vom Himmel herab als das ewige Wort und als das ewige Leben, das bei dem Vater war, und nahm die Hülle des menschlichen Fleisches an, wodurch seine Herrlichkeit eine Weile verdeckt war, wie Gott bei der Aufrichtung der Stiftshütte sprach: »Ich will im Dunkeln wohnen« (1. Kön. 8, 12; 2. Chron, 6, 1).

Sie setzte den Weg zur Erhöhung der angenommenen Fleischesmenschheit in der Person Jesu von Nazareth und im Glauben ans Wort fort, wie ihn Gott von Ewigkeit gesehen und ihn durch Bilder, Worte und Beispiele, besonders durch die Stiftshütte (2. Mose 26; Ps. 78, 6o; Joh. 1, 14; Hebr. 10, 20) im Alten Bunde hatte abzeichnen lassen, bis er als der Sohn des Vaters, durch den der Vater alles mit seiner Herrlichkeit erfüllen will, durch die Auferstehung und Himmelfahrt dargestellt und kundgemacht worden, da er am Tage der Erhöhung seiner irdischen Fleischesmenschheit auf den Thron Gottes vor allen Engeln zu ihm sprach: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«. In diesem Blick konnte Jesus vor seinem Leiden sagen: »Verkläre mich, Vater, mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war«. Er war der geoffenbarte Gott von Anfang; er wurde aber in der Fülle der Zeit als ein solcher durch die Verklärung seines Fleisches erst offenbar, da dies zum Thron der Gottheit und zum Schauplatz seiner Herrlichkeit erhöht wurde. Nun wohnt Gott in Christus, unserm Herrn, und will von da aus alles mit seiner Herrlichkeit erfüllen. Ein Geschöpf und der Schöpfer der Geschöpfe ist in der Person Jesu eine einzige Person.

Dies alles scheint Paulus vor Augen gehabt zu haben, wenn er Gott, Epheser 1, 3, wohlbedacht den Vater unsers Herrn Jesu Christi und in Vers 17 den Gott unsers Herrn Jesu Christi und den Vater der Herrlichkeit nennt. Was also Gott an Jesus getan hat von seiner menschlichen Geburt durch seinen ganzen Lauf, wie er sich in seiner allerhöchsten Schwachheit als sein Gott und Vater und als die überschwengliche Größe der Kraft bewiesen, da er ihn von den Toten auf erweckt und zur Rechten der Majestät über alle Werke seiner Hände gesetzt, das sind lauter Offenbarungen Gottes. Christi Leben im Himmel, wie auch sein künftiges, offenbares Königreich, das er in Gemeinschaft der Auserwählten verwalten wird, geht allein auf jenen großen Zweck, daß er alles erfülle und alles unter sich als das einzige Haupt versammle, bis alles in allen mit der Herrlichkeit Gottes erfüllt ist (Eph. 1, 10. 23; 1. Kor. 15, 28; Eph. 3, 18. 19). Gottes allerhöchste Liebe, Macht, Freundlichkeit, Weisheit, Heiligkeit, Wahrheit und ewige Güte wäre uns verborgen geblieben, wenn Jesus durch sein Vorbild, seinen Wandel und seine Lehre, besonders durch seine Liebe gegen seine Schafe bis in den Tod nicht den Vater geoffenbart hätte, und er wird ihn, den unbekannten Gott und Vater, noch ferner durch seine Geisteswirkungen und Erneuerungskräfte an allen Menschen und Geschöpfen künftig offenbaren, auf daß sein Name geheiligt werde und sein Königreich und völlige Offenbarung zu uns komme.

IV. Wie der Sohn das vollständigste Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist, ebenso sind die Schöpfungswerke in ihrem ganzen Umfang abgeteilte Abbildungen des Sohnes Gottes; sie gehören zur faßlichen Darstellung der Herrlichkeit des Sohnes und machen auch in ihrer künftigen Erneuerung und Zusammenordnung unter ein Haupt den Leib oder die sichtbare Darstellung des Vaters und des Sohnes im künftigen Königreich der Himmel aus. Aus Gott sind alle Dinge (Röm. 11, 36), jedoch nicht unmittelbar, sondern durch den Sohn. Im Sohn, dem Anfang der Schöpfung (Offb.3, ,4) und Ebenbild des unsichtbaren Gottes, sind alle Dinge im Plan der Weisheit Gottes als ein einziges Ganzes zusammengeordnet gewesen (Kol. 1, 17). Die Welt ist also nicht aus einem eigentlichen Nichts gemacht. Aus nichts wird nichts. In der Herrlichkeit Gottes oder in der sichtbaren Offenbarung Gottes im Sohn oder vielmehr im Raum seiner Offenbarung liegt der Grundstoff zur Schöpfung; nämlich die himmlischen Elemente des Feuers und Wassers, ohne die keine sichtbare Offenbarung Gottes möglich gewesen wäre, waren der Anfang der Schöpfung. Die sichtbaren Dinge sind aus ungesehenen, nichtscheinenden Dingen entstanden (Hebr. 11, 3). Das unübersehbare und unausdenkliche Schöpfungsall ist der große Wirkungskreis oder der Leib und das Kleid des Sohnes und folglich auch des Vaters, das dem unsichtbaren Grundstoff nach mit dem Sohn gleich ewig ist. Es ist nicht Gott, sondern das Kleid und Haus des unsichtbaren Gottes, der große Schauplatz der Herrlichkeit des Sohnes und des Vaters, da Gott das belebende und bewirkende, die Schöpfungswerke aber das belebte und bewirkte sind. Paulus sagt Römer 1, 20: »Gottes Unsichtbarkeiten werden gesehen an den Werken der Schöpfung«. Auf diese Weise will sich Gott betasten und finden lassen; denn er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns. In ihm leben wir, in ihm bewegen wir uns, in ihm sind wir (Apg. 17, 27. 28). Er ist außer und vor seiner Offenbarung ohne allen Raum, Zeit und Ort zu denken.

Als Erstgeborener alles Geschöpfs oder als geoffenbarter Gott in geschöpflicher Art und Gestalt aber wohnt er in dem unendlichen Raum Himmels und der Erde, in allen Menschen, Engeln und Geschöpfen, in jedem nach seiner Art. Und Paulus sagt insbesondere von den Menschen: »Wir sind göttlichen Geschlechts«. Die Menschen insbesondere hat er zu Tempeln des lebendigen Gottes gemacht, in denen er wohnen und wandeln will, zu Gefäßen seiner Kraft, zu Gefäßen des ewigen Lebens, durch die er die übrigen Geschöpfe zu höheren Stufen der Herrlichkeit erheben will; er hat sie zu einer Behausung Gottes im Geist, zu Gliedern Jesu Christi bestimmt, in denen die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Durch die Schöpfung sind die unendlichen Lebenskräfte, die verborgenen Lieblichkeiten und Schönheiten des Sohnes in viel tausend Arten und Abwechslungen an das Licht gesetzt worden, und ein jeder verständiger Geist ist ein kleiner Gott, der einen Abgrund von verborgenen Vollkommenheiten in sich liegen hat, die er ebenso wie Gott an das Licht zu bringen und seine Herrlichkeit zu offenbaren bemüht ist, wenn er anders durch den Geist des allgemeinen Haupts die wahre Erleuchtung und die rechte Richtung seiner Begierden und Triebe aus der guten Botschaft und dem eröffneten Geheimnis Gottes gefunden hat. Wenn das Schöpfungsall in der rechten Zusammenordnung unter den Sohn als dem Haupt der Schöpfung bestanden wäre, so wäre diese der wirkliche Himmel, eine erquickungsvolle Anschauung und ein Genuß Gottes gewesen. Gott aber hat eine Trennung der Geister zugelassen, damit er durch die nach und nach geschehene Hervorbringung des Lichts aus der Finsternis allen Reichtum seiner Gnade und Macht in Jesus Christus erzeugen könne und die geistliche Natur der unsichtbaren Welt desto massiver und leibhafter, auch sein Lob, seine Erkenntnis und sein Genuß desto völliger und deutlicher und im einzelnen dargelegt werde.

Die Möglichkeit zum Fall des Engelfürsten und der Trennung vom Haupt war der eigene Wirkungskreis, den jeder erschaffene Geist als ein Ebenbild des Vaters und des Sohnes hatte, nämlich der freie Wille. Das allgemeine Haupt aller dieser eigenen Wirkungssphären war der Sohn Gottes. Ein Teil des Ganzen trennte sich vom Haupt ab und verlor also den Einfluß aus dem Haupt. Eine ganze Welt, die diesem Geist zu seinem freien Wirkungskreis untergeben war, wurde durch die Trennung ihres Haupts vom allgemeinen Haupt mit Finsternis bedeckt, indem sie durch die Trennung ihres Fürsten vom Haupt keinen Einfluß aus der Quelle des Lichts mehr hatten. Das ganze Schöpfungsall litt insofern dadurch, als die vollständige Zusammenordnung des Ganzen durch Trennung eines beträchtlichen Teiles des Ganzen zerrissen wurde.

Wenn ein Glied leidet, so leiden auch die andern, jedes nach seiner Art. Weil nun in den übrigen großen untergeordneten Häuptern des Schöpfungsalls, nämlich bei den Engeln, noch eine große göttliche Liebe herrschte, kraft der sie die Unglückseligen nicht gleichgültig ansehen konnten und doch keinen Weg zur Wiedervereinigung mit dem Ganzen für sie sahen, und noch mehr: weil das Wachstum des Ganzen und die weiteren Offenbarungen Gottes einen Aufenthalt bekommen zu haben schienen, auch weil sich Gott um der erhobenen Finsternis eines Teiles seiner Geschöpfe willen auf eine Zeitlang zurückziehen mußte und nicht frei in seiner angefangenen Offenbarung fortfahren konnte, endlich aber auch, weil sie in den abgefallenen Engeln Feinde bekommen hatten, die auf Eroberungen ihrer eignen, noch gut beschaffenen Sphären ausgingen, ist aus all diesem leicht zu schließen, daß ihr Zustand in Ansehung ihrer vorigen Ruhe bei all ihrer Seligkeit eine mächtige Veränderung erlitten habe.

Deshalb mußte sie es um so mehr freuen, daß sie aus der guten Botschaft Gottes an die Menschen ein Licht bekamen, in dem sie die Wunderanstalten Gottes erblickten, nach denen Gott durch die Verklärung des Fleisches Jesu eine Wiedervereinigung aller Dinge, die in den Himmeln und auf Erden sind, gestiftet, und daß sie nach und nach verstehen lernten, wie Jesus um das ganze All, Gott allein ausgenommen, den Tod geschmeckt (Hebr. 2, 9) und es also an dem sei, daß alles, beides das in den Himmeln und das auf der Erde ist, in Christus wieder zusammengefaßt werde (Eph. 1, 10), ferner wie das Haupt der Menschen deswegen über alle Himmel gefahren sei, auf daß er wieder alles erfülle (Eph. 4, 10), folglich alle Knie derer im Himmel und derer auf Erden und derer unter der Erden sich im Namen Jesu beugen und alle Zungen bekennen werden, daß Herr sei Jesus Christus zur Herrlichkeit Gottes, des Vaters (Phil. 2, 10. 11) und also alles, Gott allein ausgenommen, ihrem ersten, rechtmäßigen Haupt wieder untertan werden solle, auf daß Gott durch den Sohn alles in allen sei (1. Kor. 15, 28).

Allem Anschein nach ist die Schöpfung, die Mose beschreibt, aus dem Schutt und Stoff der ersten verfinsterten Engelwelt gemacht und des ersten Menschen Fall durch die neu geoffenbarten Gnadenanstalten der ganzen Welt Reichtum geworden, ebenso wie der Juden Fall der Heiden Reichtum geworden ist (Röm. 11, 12). 1. Mose 1, 1 scheint also die erste und 1. Mose 1, 2 den Anfang der zweiten Schöpfung anzuzeigen. Jetzt sieht freilich noch die Welt einem öden Garten gleich, der verwildert und mit Dornen bewachsen ist, wo Zerstreuung, Unruhe, Kummer, Mangel, Elend und kein wahres Vergnügen zu finden ist. Jedoch seufzt der unsterbliche Geist in dem groben Fleisch aller Geschöpfe nach Erlösung von dem Dienst der Eitelkeit und wartet auf die Entdeckung der Söhne Gottes. Und auch wir selbst, die wir des Geistes Erstlinge haben, sehnen uns zugleich mit ihnen nach unsrer Sohnschaft und erwarten unsre Auferstehung (Röm. 8, 19—23); denn Gott will nichts von sich, dem höchsten Gut, nach eines jeden Geschöpfs Maß und Teil unerfüllt lassen (Eph. 1, 23). Dies fühlt das Geschöpf und seufzt nach dem Ziel seiner Bestimmung.

V. Gott hat in seinem einmal festgesetzten Plan seiner Offenbarung und Mitteilung gewisse Ordnungen nach seinem freien Wohlgefallen gemacht sowohl in Ansehung der Zeit als des Maßes der Erfüllung oder Mitteilung.

1. Gott hat die Menschheit Jesu von Ewigkeit, im Vorsatz und dann auch wirklich in der Zeit, am ersten und ganz und gar mit all seiner Herrlichkeit erfüllt (Kol. 2, 9), weswegen er der Gott und Vater unsers Herrn Jesus Christus im völligsten Verstand heißt (Eph. 1, 3).

2. Aus den Menschen hat Gott eine gewisse Anzahl zu Brüdern der Erstgeborenen verordnet, die seinem Ebenbild ähnlich werden und seine Glieder und seinen ersten Wirkungskreis abgeben sollen. Sie sind das Eigentum und der Leib des Haupts (Eph. 1, 5. 11. 23), die zunächst nach Christus in Ansehung der Zeit und in größtem Maß unter allen Geschöpfen von Gott durch Christus erfüllt werden, wenn sie zum Stand der Söhne gelangen, zu dem sie verordnet sind (Eph. 1, 5). Sie sind und werden Erben Gottes und Miterben Christi (Röm. 8, 17; Offb. 21, 7).

3. Auf die Erstgeborenen folgen ihre Brüder, die noch im Buch des Lebens aufgeschrieben stehen, die in der Zeit zu keinem vollen Maß des Geistes ausgereift sind und wegen dem Anfang des Lebens aus Christus, das noch in der Zeit in sie gepflanzt worden ist, nicht in das Feuer des zweiten Todes fallen (Offb. 20, 5. 15), sondern als Durstige vom Lebenswasser umsonst getränkt werden (Offb. 21, 6).

4. Danach das Ende, wann der Sohn sein Königreich dem Vater übergeben wird (1. Kor. 15, 24—28); Christi und der Auserwählten Königreich wird aber solange währen, bis daß alle Feinde Gottes zum Schemel der Füße Jesu gelegt sind (Hebr. 10, 13).

VI. Gott hat sich auch in der Pflanzung der Gemeinde oder der Erstlinge nach seinem freien Wohlgefallen gewisse Ordnungen vorgesetzt. Das jüdische Volk hat er aus allen Völkern herausgelesen und verordnet zu Brüdern des Erstgeborenen, aber auch selbst aus diesem Volk noch eine besondere Auswahl gemacht; denn es sind nicht alle Israeliten, die von Israel sind (Röm. 9, 6), ob ihnen schon die Kindschaft und Herrlichkeit, der Bund, das Gesetz, der Gottesdienst und die Verheißung gehört (Röm. 9, 4).

Ebenso hat Gott auch aus den übrigen Völkern eine Auswahl als Erstlinge der übrigen herausgelesen, um sich in ihnen zu verherrlichen, wie Paulus sagt (Eph. 3,6): das sei das Geheimnis, über dem er leide, daß die Völker Miterben mit den Juden seien und dies in Ansehung verschiedener Landschaften, Orte und Zeiten. Die gläubigen Epheser und Kolosser aus den Heiden waren dergleichen Beispiele. Zu Ephesus und Kolossä sind nicht alle als Erstlinge auserwählt gewesen. Es ist kein Ort, der nicht auch seine Ungläubigen, viele oder wenige, unter sich hat, weil allezeit die Ungläubigen das Ihrige zur Glaubensübung und Vollendung der Erwählten mit beitragen müssen.

Und so ist es noch heutzutage, da die Schar der Auserwählten aus den Völkern noch gesammelt und gepflanzt wird. Da hat Gott in manchem Land, Ort und Haus seine besondere Zahl der Auserwählten, die er zur Sohnschaft, zu Brüdern des Erstgeborenen, verordnet hat, an denen er den überfließenden Reichtum seiner Gnade und Macht erzeigt, in denen er seinen Sohn und in ihm sich selbst offenbart und sich also zu erkennen, zu genießen und zu schmecken gibt, bis die gesetzte Zahl der Erstlinge aus den Völkern erfüllt ist und endlich die Reihe wieder an das ganze Israel kommt und dann das ganze menschliche Geschlecht aus den Toten lebendig wird (Röm. 11, 13. 24. 26; 1. Kor. 15, 22; Röm. 5, 18. 21; 11, 32. 36).
S.130ff.
Aus: Philipp Matthäus Hahn, Die gute Botschaft vom Königreich Gottes. Eine Auswahl
Band VIII Zeugnisse der Schwabenväter, herausgegeben und mit Einführung und Anmerkungen versehen von Dr. theol. J. Roessle Copyright 1963 Verlag Ernst Franz, Metzingen