Ernst Haeckel
(1834 – 1919)
>>>Gott
Inhaltsverzeichnis
Das Buch der
Bücher
Mohammeds Sicht
von Christus
Die Quellen
des Christentums
Die goldene
Regel
Die Abstammung Jesu
>> Gott
Das Buch
der Bücher
Christus steht ebenso auf den Schultern von Moses wie
später Mohammed auf den Schultern von Christus. Ebenso ruht das
Neue Testament, welches in der kurzen Zeitspanne von 1900 Jahren das Glaubensfundament
der höchstentwickelten Kulturvölker gebildet hat, auf der ehrwürdigen
Basis des Alten Testaments. Beide zusammengenommen haben als Bibel einen
Einfluß und eine Verbreitung gewonnen wie kein anderes Buch in der Welt.
Tatsächlich ist ja noch heute in gewisser Beziehung die Bibel - trotz ihrer
seltsamen Mischung aus den besten und den schlechtesten Bestandteilen! - das
»Buch der Bücher«. (S.360)
Mohammeds
Sicht von Christus
Als der junge Mohammed (geb.
570) frühzeitig den polytheistischen
Gottesdienst seiner arabischen Stammesgenossen verachten und das Christentum
der Nestorianer kennen lernte, eignete er sich zwar deren Grundlehren im allgemeinen
an; er konnte sich aber nicht entschließen,
in Christus etwas anderes zu erblicken als einen Propheten, gleich Moses. Im
Dogma der Dreieinigkeit fand er nur das, was bei
unbefangenem Nachdenken jeder vorurteilsfreie Mensch darin finden muß,
einen widersinnigen Glaubenssatz, der weder mit
den Grundsätzen unserer Vernunft vereinbar noch für unsere religiöse
Erhebung von irgendwelchem Werte ist. Die Anbetung der
unbefleckten Jungfrau Maria als der »Mutter
Gottes« betrachtete er mit Recht ebenso als eitle
Götzendienerei wie die Verehrung von Bildern und Bildsäulen.
Je länger er darüber nachdachte, und je mehr er nach einer reineren
Gottesvorstellung hinstrebte, desto klarer wurde ihm die Gewißheit
seines Hauptsatzes: »Gott ist der alleinige
Gott«; es gibt keine anderen Götter neben ihm. (S.362)
Die
Quellen des Christentums
Das Urchristentum umfaßt die ersten drei Jahrhunderte. Christus selbst,
der edle, ganz von Menschenliebe erfüllte Prophet und Schwärmer, stand
tief unter dem Niveau der klassischen Kulturbildung; er kannte nur jüdische
Tradition; er hat selbst keine einzige Zeile hinterlassen. Auch hatte er von
dem hohen Zustande der Welterkenntnis, zu dem griechische Philosophie und Naturforschung
schon ein halbes Jahrtausend früher sich erhoben hatten, keine Ahnung.
Was wir daher von ihm und von seiner ursprünglichen Lehre wissen, schöpfen
wir aus den wichtigsten Schriften des Neuen Testamentes; erstens aus den vier
Evangelien und zweitens aus den paulinischen Briefen. Von den vier
kanonischen Evangelien wissen wir jetzt,
daß sie im Jahre 325 auf dem Konzil zu Nizäa durch 318 versammelte
Bischöfe aus einem Haufen von widersprechenden und gefälschten Handschriften
der drei ersten Jahrhunderte ausgesucht wurden. Auf die weitere Wahlliste kamen
vierzig, auf die engere vier Evangelien. Da sich die streitenden, boshaft sich
schmähenden Bischöfe über die Auswahl nicht einigen konnten,
beschloß man, die Auswahl durch ein göttliches
Wunder bewirken zu lassen: man legte alle Bücher zusammen unter
den Altar und betete, daß die unechten, menschlichen Ursprungs, darunter
liegen bleiben möchten, die echten, von Gott selbst eingegebenen dagegen
auf den Tisch des Herrn hinaufhüpfen möchten. Und das geschah wirklich!
Die drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas - alle drei nicht
von ihnen, sondern nach ihnen niedergeschrieben, im Beginn des zweiten Jahrhunderts
) und das ganz verschiedene vierte Evangelium (angeblich nach Johannes,
in der Mitte des zweiten Jahrhunderts abgefaßt), alle vier hüpften
auf den Tisch und wurden nunmehr zu echten (tausendfach sich widersprechenden!)
Grundlagen der christlichen Glaubenslehre. Sollte ein moderner ,,Ungläubiger“
dieses ,,Bücherhüpfen“
unglaubwürdig finden, so erinnern wir ihn daran, daß das ebenso
glaubhafte ,,Tischrücken“ und
„Geisterklopfen“ noch heute von Millionen ,,gebildeter“
Spiristen fest geglaubt wird; und Hunderte von Millionen gläubiger Christen
sind noch heute ebenso fest von ihrer eigenen Unsterblichkeit, ihrer ,,Auferstehung
nach dem Tode“ und von der ,,Dreieinigkeit
Gottes“ überzeugt — Dogmen, welche der reinen Vernunft
nicht mehr md nicht weniger widersprechen als jenes wunderbare Springen der
Evangelienhandschriften. Näheres darüber erichtet der englische Theologe
Saladin (Stewart Ross) in seiner scharfsinnigen, neuerdings viel besprochenen
Schrift: ,,Jehovas Gesammelte Werke, eine kritische Untersuchung des jüdisch-christlichen
Religionsgebäudes auf Grund der Bibelforschung“, Leipzig 1896.
(S.396f)
Nächst den Evangelien sind bekanntlich die wichtigsten Quellen die 13 verschiedenen
(größtenteils gefälschten!) Episteln
des Apostels Paulus. Die echten paulinischen Briefe (der neueren Kritik zufolge
nur vier: an die Römer, die Galater und die beiden Korintherbriefe) sind
sämtlich früher niedergeschrieben als die vier kanonischen Evangelien
und enthalten weniger unglaubliche Wundersagen als die letzteren; auch suchen
sie mehr als diese sich mit einer vernünftigen Weltanschauung zu vereinigen.
Die aufgeklärte Theologie der Neuzeit konstruiert daher teilweise ihr ideales
Christentum mehr auf Grund der Paulusbriefe als der Evangelien,
so daß man dasselbe geradezu als Paulinismus
bezeichnet hat. Die bedeutende Persönlichkeit des Apostels Paulus,
der jedenfalls viel mehr Weltkenntnis und praktischen Sinn besaß als
Christus, ist für die anthropologische
Beurteilung auch insofern interessant, als der Rassenursprung
der beiden großen Religionsstifter ähnlich sein soll. Auch von den
beiden Eltern des Paulus soll (neueren
historischen Forschungen zufolge) der Vater griechischer, die Mutter jüdischer
Rasse sein. Die Mischlinge dieser beiden Rassen, die ursprünglich ja sehr
verschieden sind (obgleich beide Zweige derselben
Spezies: Homo mediterraneus!), zeichnen sich oft durch eine glückliche
Mischung der Talente und Charaktereigenschaften aus, wie auch viele Beispiele
aus neuerer Zeit und aus der Gegenwart beweisen. Die plastische orientalische
Phantasie der Semiten und die
kritische okzidentalische Vernunft der Arier
ergänzen sich oft in vorteilhafter Weise. Das zeigt sich auch in
der paulinischen Lehre, die bald größeren Einfluß gewann als
die älteste urchristliche Anschauung. Man hat daher auch den Paulinismus
mit Recht als eine neue Erscheinung bezeichnet, deren Vater die griechische
Philosophie, deren Mutter die jüdische Religion war; eine ähnliche
Mischung zeigte der Neuplatonismus.
Über die ursprünglichen Lehren und Ziele von Christus - ebenso wie
über viele wichtige Seiten seines Lebens - sind die Ansichten der streitenden
Theologen um so mehr auseinander gegangen, je mehr die historische Kritik (Strauß,
Feuerbach, Baur, Renan, Kalthoff) die
zugänglichen Tatsachen in ihr wahres Licht gestellt und unbefangene Schlüsse
daraus gezogen hat. Sicher bleibt davon stehen das edelste Prinzip der allgemeinen
Menschenliebe und der daraus folgende höchste Grundsatz der Sittenlehre:
»die goldene Regel«
- beide übrigens schon Jahrhunderte vor Christus bekannt und geübt
(vergl. Kap. 19)! Im übrigen waren die Urchristen der ersten Jahrhunderte
zum größten Teil reine Kommunisten, zum Teil Sozialdemokraten, die
nach den heute in Deutschland herrschenden Grundsätzen mit Feuer und Schwert
hätten vertilgt werden müssen. (S.397f)
Die
goldene Regel
Aus der Anerkennung unseres Fundamentalprinzipes der Moral ergibt sich unmittelbar
das höchste Gebot derselben, jenes Pflichtgebot, das man jetzt oft als
das Goldene Sittengesetz oder kurz als
die »Goldene Regel« bezeichnet. Christus
sprach dasselbe wiederholt in dem einfachen Satze aus: »Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Matth.
19, 19; 22, 39-40; Römer 13, 9 usw.). Der Evangelist Markus
(12, 31) fügte ganz richtig hinzu: »Es
ist kein größeres Gebot als dieses«;
und Matthäus sagte: »In
diesen zwei Geboten hänget das ganze Gesetz und die Propheten.« In
diesem wichtigsten und höchsten Punkte stimmt unsere monistische
Ethik vollkommen mit der christlichen überein. Nur
müssen wir gleich die historische Tatsache hinzufügen, daß die
Aufstellung dieses obersten Grundgesetzes nicht ein Verdienst Christi ist, wie
die meisten christlichen Theologen behaupten und ihre unkritischen Gläubigen
unbesehen annehmen. Vielmehr ist diese Goldene Regel mehr als 500 Jahre
älter als Christus und von vielen verschiedenen Weisen Griechenlands und
des Orients als wichtigstes Sittengesetz anerkannt. Pittakos
von Mytilene, einer der sieben Weisen Griechenlands, sagte 620 Jahre
vor Christus: »Tue deinem Nächsten nicht, was
du ihm verübeln würdest.« - Konfutse,
der große chinesische Philosoph und Religionsstifter (der die Unsterblichkeit
der Seele und den persönlichen Gott leugnete), sagte 500 Jahre v. Chr.:
»Tue jedem anderen, was du willst, daß er dir tun soll; und tue
keinem anderen, was du willst, daß er dir nicht tun soll. Du brauchst
nur dieses Gebot allein; es ist die Grundlage aller anderen Gebote.«
- Aristoteles lehrte um die Mitte des
vierten Jahrhunderts v. Chr.: »Wir sollen uns gegen
andere so benehmen, als wir wünschen, daß andere gegen uns handeln
sollen.« In gleichem Sinne und zum Teil mit denselben Worten wird
auch die Goldene Regel von Thales, Isokrates, Aristippus,
dem Pythagoräer Sextus und anderen
Philosophen des klassischen Altertums - mehrere Jahrhunderte
vor Christus! - ausgesprochen. (Vergleiche
darüber das wichtige Werk von Saladin:
»Jehovas gesammelte Werke«.) Aus dieser Zusammenstellung
geht hervor, daß das Goldene Grundgesetz polyphyletisch entstanden, d.h.
zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten von mehreren Philosophen
- unabhängig voneinander - aufgestellt worden ist. Anderenfalls müßte
man annehmen, daß Jesus dasselbe aus anderen orientalischen Quellen (aus
älteren semitischen, indischen, chinesischen Traditionen, besonders buddhistischen
Lehren) übernommen habe, wie es jetzt für die meisten anderen christlichen
Glaubenslehren nachgewiesen ist. Saladin
faßt die bezüglichen Ergebnisse der modernen kritischen Theologie
in dem Satze zusammen: »Es gibt keinen vernünftigen
und praktischen, von Jesus gelehrten Moralgrundsatz, der nicht vor
ihm auch schon von anderen gelehrt worden wäre
(Thales, Solon, Sokrates, Plato, Konfutse usw.)«. (S.447f)
Die
Abstammung Jesu
Wie schon vorher angeführt wurde, sind die vier kanonischen Evangelien,
welche von der christlichen Kirche allein als die echten anerkannt und als die
Grundlagen des Glaubens hochgehalten werden, willkürlich ausgewählt
aus einer viel größeren Zahl von Evangelien, deren tatsächliche
Angaben sich oft unter sich nicht weniger widersprechen als die Sagen der ersteren.
Die Kirchenväter selbst zählen nicht weniger als 40-50 solcher unechter
oder apokrypher Evangelien auf; einige davon sind sowohl in griechischer als
auch in lateinischer Sprache vorhanden, so z.B. das Evangelium des Jakobus,
des Thomas, des Nikodemus u. a. Die Angaben, welche diese apokryphen Evangelien
über das Leben Jesu machen, besonders über seine Geburt und Kindheit,
können ebensogut (oder vielmehr größtenteils ebensowenig!) Anspruch
auf historische Glaubwürdigkeit erheben als die vier kanonischen, die sogenannten
»echten« Evangelien. Nun findet sich aber in einer jener apokryphen
Schriften eine historische Angabe, die wahrscheinlich das »Welträtsel«
von der übernatürlichen Empfängnis und Geburt Christi
ganz einfach und natürlich löst. Jener Geschichtschreiber erzählt
mit trockenen Worten in einem Satze die merkwürdige Novelle, welche diese
Lösung enthält: »Josephus Pandera,
der römische Hauptmann einer kalabresischen Legion, welche in Judäa
stand, verführte Mirjam von Bethlehem, ein hebräisches Mädchen,
und wurde der Vater von Jesus.«
(Vergl. Celsus, 178 n. Chr.)
Natürlich werden diese historischen Angaben von den offiziellen Theologen
sorgfältig verschwiegen, da sie schlecht zu dem traditionellen Mythus passen
und den Schleier von dessen Geheimnis in sehr einfacher und natürlicher
Weise lüften. Um so mehr ist es gutes Recht der objektiven
Wahrheitsforschung und heilige Pflicht der reinen Vernunft,
diese wichtigen Angaben kritisch zu prüfen. Da ergibt sich denn, daß
dieselben sicher weit eher Anrecht auf Glaubwürdigkeit haben, als alle
anderen Behauptungen über den Ursprung Christi. Da wir seine Parthenogenesis,
die übernatürliche Erzeugung durch »Überschattung
des Höchsten«, aus den bekannten wissenschaftlichen Prinzipien
überhaupt als reinen Mythus ablehnen müssen,
bleibt nur noch die weitverbreitete Behauptung der modernen »rationellen
Theologie« übrig, daß der jüdische Zimmermann Joseph
der wahre Vater von Christus gewesen sei. Diese Annahme wird aber durch verschiedene
Sätze des Evangeliums ausdrücklich widerlegt. Christus selbst war
überzeugt, »Gottes Sohn«
zu sein, und hat niemals seinen Stiefvater Joseph als seinen Erzeuger anerkannt.
Joseph aber wollte seine Braut Maria verlassen, als er entdeckte, daß
sie ohne sein Zutun schwanger geworden war. Er gab diese Absicht erst auf, nachdem
ihm im Traum ein
»Engel des Herrn« erschienen war und ihn beschwichtigt hatte.
Wie im ersten Kapitel des Evangeliums Matthäi (Vers 24, 25) ausdrücklich
hervorgehoben wird, fand die sexuelle Verbindung von Joseph und Maria zum ersten
Male statt, nachdem Jesus geboren war.
Die Angabe der alten apokryphen Schriften, daß der römische Hauptmann
Pandera oder
Pantheras der wahre Vater von Christus
gewesen, erscheint um so glaubhafter, wenn man von streng anthropologischen
Gesichtspunkten aus die Person Christi kritisch
prüft. Gewöhnlich wird derselbe als reiner Jude betrachtet. Allein
gerade die Charakterzüge, die seine hohe und edle Persönlichkeit besonders
auszeichnen, und welche seiner »Religion der Liebe« den Stempel
aufdrücken, sind entschieden nicht semitisch; vielmehr erscheinen
sie als Grundzüge der höheren arischen Rasse
und vor allen ihres edelsten Zweiges, der Hellenen. Nun deutet aber
der Name von Christus’ wahrem Vater: »Pandera«
unzweifelhaft auf hellenischen Ursprung; in einer Handschrift wird er sogar
»Pandora«
geschrieben. Pandora war aber bekanntlich
nach der griechischen Sage die erste, von Vulkan aus Erde gebildete und von
den Göttern mit allen Liebreizen ausgestattete Frau, welche Epimetheus
heiratete, und welche der Göttervater mit der schrecklichen, alle Übel
enthaltenden »Pandorabüchse« zu
den Menschen schickte; das war die Strafe dafür, daß der Lichtbringer
Prometheus das göttliche Feuer
(der »Vernunft«!) vom Himmel entwendet hatte! (S.412f)
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 1, Ernst Haeckel, Die Welträtsel.
Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie. Mit einer
Einleitung von Iring Fetscher
©1984 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred
Kröner Verlages, Stuttgart