Gerhard
(Gerrit) Groote, genannt Gerardus Magnus (1340 – 1384)
Mittelalterlicher Bußprediger
aus den Niederlanden.
Geboren als Sohn des sehr reichen Tuchhändlers und Ratskämmerers von
Deventer Werner Groote — im Alter von zehn Jahren bereits Vollwaise, entwischt
seinem Vormund als fahrender Schüler, bezieht 1355 die Weltuniversität
Paris, wird mit achtzehn Jahren als Philosoph und Magister Artium diplomiert,
verblüfft die Pariser und Kölner Doctores in Gastvorlesungen durch
sprühenden Geist und übernimmt 1366 diplomatische Aufträge seiner
Vaterstadt an die päpstliche Kurie in Avignon, stattet die Gesandtschaft
auf eigene Kosten aus, hat als »der schöne Kanonikus« zahllose
Liebesabenteuer, gerät über Wissbegier, Spiel, ziellosen Reichtum
und Wunsch zu glänzen, auf Astrologie, Alchimie und schwarze Magie, kommt
bald in den Ruf — da ihm alles gelingt — einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben. Das ist die Jugend des Mannes, dessen Tagebuch die Urfassung
der tiefsten aller mystischen Schriften christlicher Selbsterkenntnis werden
sollte: jener so lange dem Thomas a Kempis zugeschriebenen »Nachfolge
Christi«. Gegen 1370, in Prag, erkrankte der »faustische«
Gerrit Groote schwer, ließ einen Priester rufen — der aber verweigerte
ihm Absolution und Sakrament, es sei denn, er verbrenne seine Zauberbücher.
Er ließ den Priester gehen — und rief ihn wieder zurück, tat
schließlich was von ihm verlangt worden war, und entsagte dem Aberglauben.
Nach seiner Bekehrung und Überwindung vielfältiger Versuchungen übte
er als Vorläufer und Vorkämpfer der »devotio moderna« großen Einfluss auf die spätmittelalterliche Frömmigkeit aus.
Auf seine Anregung geht die Vereinigung der Brüder vom gemeinsamen Leben
zurück.
AUS DEM TAGEBUCH
Beschlüsse und Vorsätze
— nicht Gelübde — im Namen des Herrn (um 1370)
1. Zu Gottes Ruhm, Ehre und Dienst bin ich bedacht, mein Leben zu ordnen, und
zum Heil meiner Seele. Kein zeitliches Gut an Leib, Ehre, Habe oder Wissenschaft
will ich dem Heil meiner Seele voransetzen. Jede Nacheiferung Gottes will ich
befolgen, von der ich sicher bin, daß sie der wissenschaftlichen Einsicht
und besonnenen Unterscheidungskraft gemäß ist, in Anbetracht meiner
leiblichen Verfassung und meines Standes, woraus sich etliche Nacheiferungen
ergeben.
2. Das erste ist, keine weitere Pfründe begehren, noch künftig Hoffnung
oder Wunsch auf irgend zeitlichen Gewinn setzen.
Item, je mehr ich haben werde, desto habgieriger werde ich, ohne Zweifel.
Item, gemäß der Urkirche darfst du überhaupt nicht mehrere Pfründen
haben.
Item, im Tode wird es dich reuen: da man gemeinhin sagt, daß niemals ein
Pfründensammler ohne Reue darüber gestorben ist.
7. Alles, was ich anfangen werde, will ich im Namen des Herrn anfangen und meine
Hoffnung auf den Herrn setzen, daß Er selber darin mich auf den Weg meines
Heiles lenke. Und nicht hänge sich irgendwelche Hoffnung an eine Weissagung
oder aus den Himmelsbahnen darein, fremd der Hoffnung auf Gott, fremd dem Gebet,
fremd den guten Geistern und ihrer Hut.
Was weiß ich, ob es mir nützlich ist, gerade auf diesem Wege oder
just in dieser Sache zu gedeihen? Ist es doch im Gegenteil sehr oft unnütz!
Oft sind Beklemmung und Drangsal am nützlichsten. Daher will ich mich der
Fügung Gottes unterstellen. Glückselig ist ja nur der Mensch, der
auf den Herrn hofft. Dann wirf alle Sorgen auf den Herrn: Er wird für dich
Sorge tragen. Mit welch großer Barmherzigkeit hat Er mich — wider
meinen Willen — durch Geißelschläge von dem zurückgerufen,
was ich erhoffte! Wir sollen nicht um das besorgt sein, was wir essen, wieviel
weniger um andere Dinge — etwa wegen der Gestirne oder wegen irgendwelcher
Gegenstände unseres Aberglaubens. Ist es doch für jeden Christen reinen
Herzens notwendig, daß er sich selbst verlasse und sich selbst gänzlich
Gott anheimgebe. Niemals will ich Künftiges zu bestimmen suchen — ich will mich um die Zukunft im allgemeinen wenig kehren, weil ich ja mich und
das je Meinige Gott unterstelle...
11. Den Geheimnissen der Natur werde ich nicht mit Fleiß nachspüren,
weder in den Büchern der Heiden noch in unsrem Gesetz des alten und des
neuen Testamentes; wenn sie mir aber begegnen, ist ihretwegen und in ihnen Gott
zu loben und zu verherrlichen, damit uns aus der natürlichen Wissenschaft
eine verdienstliche werde. Wie ein Opfer werde sie Gott dem Allerhöchsten
dargebracht, durch Danksagung mit Abel dem Gerechten, und nur Gutes werde damit
zu Gottes Ehre gedacht. Hüte dich, daß alles dies Einzelwissen dich
nicht besudle, da es niemals sättigt! Es möge dir darin durch die
Gnade des Allerhöchsten hoffentlich übel werden.
Item keine (freie) Kunst studieren, kein Buch verfassen, keine Reise oder Arbeit
auf mich nehmen oder eine Wissenschaft ausüben zur Ausbreitung meines Rufes,
des Namens meiner Wissenschaft, und um Ehren oder Dank von irgendwem zu erhalten
oder um meines Nachruhms willen. Wenn ich nämlich um deretwillen solches
oder irgend ein anderes tue, meinen Lohn darein setzend, wird er mir nicht beim
Vater erstattet, der im Himmel ist, auch wenn ich immer solches um des ewigen
Schatzes oder Lohnes tue. Somit ist auf jede Weise zu meiden, daß ich
mir einen Namen mache.
Item weil dieser leere Ruhm, Nachruhm und Ruf auch von den Philosophen so trefflich
verworfen worden ist, dass ihn kaum ein Löblicher zuließe. Und sollte
aus einem Werk, das in verborgener Absicht Gott zuliebe getan wurde, Lob kommen,
wenn das Werk leuchtet, so erstatte dem Allerhöchsten jenen Preis und Ruhm.
Item Bernhard folgend, sollst du kein Wort sprechen, aus dem du als sehr gottesfürchtig
oder kenntnisreich erscheinest.
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band II, Die
Welt der Mystik . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.209-211f), Holle Verlag
, Darmstadt