Gregor der Große (540 – 604)

  Römischer Kirchenlehrer und Kirchenvater. Gregor stammte aus einem berühmten Patriziergeschlecht. 572—73 war er Stadtpräfekt von Rom und lebte seit 575 in dem von ihm auf dem Monte Celio errichteten Kloster als Mönch. 579 wurde er von Papst Pelagius II. als Geschäftsträger nach Konstantinopel entsandt und war seit 585/86 dessen maßgeblicher Berater in Rom. 590 wird er selbst Papst. In diesem Amt ordnete er die Verwaltung der ausgedehnten päpstlichen Ländereien (Patrimoniom Petri) völlig neu und legte damit den Grund zum späteren vatikanischen Kirchenstaat. Seine umfangreiche Fürsorge für die vom oströmischen Kaiser verlassene Bevölkerung machte ihn zu deren politischen Führer. Als erster Papst erkannte er schließlich die Bedeutung der germanischen Völker für die Zukunft der Kirche. Dauernde Wirkung hatte Gregor als Verfasser der »Regula pastoralis« und als Reformer der Messzeremonie, vielleicht auch des kirchlichen Gesangs (Gregorianischer Gesang) – Heiliger (Tag: 13.2.)

Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Aus der Pastoralregel IV
Nach einer schönen und inhaltreichen Predigt wird oft die Seele des Redners im Innern von geheimer Freude über sein Auftreten angefochten. Darum ist es wohl sehr notwendig für jeden von uns, dass er innerlich stets große Furcht bewahre. Denn es darf derjenige, der die Wunden anderer heilt und sie wieder gesund macht, nicht stolz werden und sein eigenes Heil vernachlässigen; es darf, wer anderen hilft, nicht sich selbst vergessen; es darf nicht fallen, wer andere aufrichten will. Für manche war schon oft die Größe ihrer Tugend die Veranlassung ihres Verderbens, indem sie im Vertrauen auf ihre Kräfte sich ohne Grund sicher wähnten und durch ihre Nachlässigkeit unvermutet zugrunde gingen. Denn wenn die Tugend dem Laster entgegentritt, so empfindet das Herz ein gewisses Wohlgefallen; und es kann vorkommen, dass eine rechtschaffene Seele die umsichtige Furcht ablegt und im Vertrauen auf sich selbst der Ruhe überlässt; da naht dann der schlaue Verführer und zählt der lau werdenden Seele alles auf, was sie Gutes getan, und macht sie eitel und stolz in dem Gedanken, sie würde die anderen weit überragen. So kann es geschehen, dass vor den Augen des gerechten Richters die Erinnerung an ein Tugendwerk der Seele zum Fall wird; denn in der Erinnerung an das, was sie getan, macht sie sich groß und sinkt so in den Augen dessen, der die Urquelle aller Demut ist. Darum wird der hoffärtigen Seele gesagt: »Worin bist du denn besser? Fahre hinab und bette dich zu den Unbeschnittenen!« Das will sagen: Weil du dich deines Tugendschmuckes rühmst, wird gerade deine Schönheit dich zu Fall bringen. Die tugendstolze Seele unter dem Bildnis Jerusalems wird verworfen, wenn es heißt: »Dank meinem Schmuck, welchen ich dir angelegt hatte, warst du vollkommen, spricht der Herr, dein Gott. Aber du verließest dich auf deine eigene Schönheit und buhltest auf deinen Ruhm hin.« Im Vertrauen auf ihre Schönheit erhebt sich die Seele, wenn sie aus Freude an ihrem Tugendverdienst sich rühmt und wähnt, bei sich selbst sicher zu sein. Aber durch eben dieses Vertrauen wird sie zur Unzucht verführt; denn während noch ihre eigenen Gedanken die umgarnte Seele betrügen, kommen schon die bösen Geister herbei und verführen sie zu zahllosen Lastern und stürzen sie ins Verderben. Zu beachten ist, dass es heißt: »Du buhltest auf deinen Ruhm hin«; denn sobald die Seele den Aufblick zum Lenker aller Dinge verloren hat, sucht sie sogleich ihr eigenes Lob und beginnt alles Gute sich selbst zuzuschreiben, das sie doch nur zur Ehre des Gebers empfangen hat. Sie geht darauf aus, ihren Ruhm zu verbreiten und allen Leuten als eine wunderbare Persönlichkeit zu erscheinen. David sagt: »Er gab ihre Macht in Gefangenschaft und ihre Zierde in die Gewalt der Feinde«. Macht und Zierde sind aber in die Gewalt des Feindes gegeben, sobald der Urfeind über eine Seele herrscht, die sich dadurch hat täuschen lassen, dass sie auf ihre guten Werke stolz geworden ist. Solcher Tugendstolz naht sich sogar oft den Seelen der Auserwählten in dieser oder jener Weise, wenn er bei ihnen auch nicht die Oberhand gewinnen kann: denn sofort wird in ihnen auch wieder eine heilige Furcht wachgerufen, da sie durch jede Selbsterhebung alsbald eine Erniedrigung empfinden. So sagt David an einer anderen Stelle: »Ich sprach in meines Glückes Fülle: nimmermehr werde ich wanken!«. Weil er aber ein zu großes Vertrauen auf seine Tugendkraft gesetzt hatte, fügt er bei, was er gleich darauf zu dulden gehabt habe: »Du wandtest dein Angesicht von mir ab, und ich ward bestürzt.« Das will sagen: Bei meinen Tugenden hielt ich mich stark; aber von Gott verlassen, habe ich erkannt, wie groß meine Schwäche ist. Und er sagt weiter: »Ich habe geschworen und beschlossen, deine gerechten Gesetze zu halten.« Seine Kräfte aber reichten nicht aus, Gottes Gesetze zu halten, und bald musste er mit Beschämung seine Schwäche erkennen. Da nimmt er eilends zum Gebet seine Zuflucht und sagt: »Ich bin schwer gebeugt, Herr! Belebe mich nach deinem Wort!«

Bisweilen ruft uns die göttliche Vorsehung, bevor sie uns durch ihre Gnaden erhöht, unsere Schwäche ins Gedächtnis zurück, damit wir auf die empfangene Kraft nicht stolz werden. Der Prophet Ezechiel wird Menschensohn genannt, so oft er in die Beschauung himmlischer Dinge erhoben wird, als ob der Herr ihn geradezu ermahnen wollte: Damit dein Herz nicht eitel werde auf das, was du siehst, so erwäge sorgfältig das, was du bist. Wenn du die tiefen Geheimnisse durchschaust, so erinnere dich, dass du ein Mensch bist; wenn du über dich selbst entrückt wirst, so lasse dich durch den Zügel deiner Schwachheit zu dir selbst wieder behutsam zurückführen. Das Auge der Seele muss sich wieder zu den Schwächen hinwenden und sich gleichsam wieder demütigen. Nicht das Gute, das wir getan, sondern das, was wir zu tun unterlassen haben, soll es betrachten, und das angesichts der eigenen Schwäche gedemütigte Herz soll bei Gott, dem Urheber der Demut, fester in der Tugend gegründet werden. Denn wenn der allmächtige Gott die Seelen der Vorsteher oft in einem Punkte unvollkommen lässt, so hat Er dabei eine heilige Absicht: sie sollen bei all ihrem wunderbaren Tugendglanz doch Ekel und Widerwillen ob ihrer eigenen Unvollkommenheit empfinden und sich nicht um der großen Dinge willen erheben, da sie noch mit so viel Kleinem zu kämpfen haben; da sie kleine Schwierigkeiten nicht zu überwältigen vermögen, haben sie keinen Grund, auf die großen Erfolge stolz zu sein. Siehe, lieber Freund, veranlasst durch deinen Tadel habe ich zu zeigen versucht, wie ein Seelsorger beschaffen sein muss; ich, ein schlechter Maler, habe einen schönen Mann gemalt und den Weg zu den Gestaden der Vollkommenheit gewiesen, während ich selbst mit den Fluten der Sünde kämpfe. Aber ich bitte dich, halte mich in dem Schiffbruch dieses Lebens durch das rettende Brett deines Gebetes über Wasser, damit doch die Hand deines Verdienstes mich hält, wenn meine eigene Last mich niederzieht.

Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band II, Die Welt der Mystik. Herausgegeben von Walter Tritsch (S.71-74)
Holle Verlag , Darmstadt