Johann Joseph von Görres (1776 – 1848)

  Deutscher Publizist, Schriftsteller, Mystiker und Laientheologe mit einer metaphysischen Neigung zur religiös motivierten mystisch-okkulten Philosophie. Görres war Anhänger der Französischen Revolution und einer rheinischen Republik. 1799/1800 setzte er sich in Paris für den Anschluss des linksrheinischen Gebiets an Frankreich ein. Enttäuscht von Napoleon, zog er sich jedoch zunächst aus der aktiven Politik zurück. Als Privatdozent in Heidelberg (1806—08) gab er 1817 »Die teutschen Volksbücher« heraus und kam mit dem Kreis um Clemens Brentano und Achim von Arnim in Berührung. 1814 wurde er Herausgeber des Rheinischen Merkur, in dem er einen leidenschaftlichen Kampf gegen Napoleon führte und zugleich eine freiheitliche Verfassung für ein föderalistisch geeintes Deutschland forderte. Als er in der Schrift »Teutschland und die Revolution« (1819) die Politik der Restauration heftig angriff, musste er nach Straßburg fliehen, wo er mit dem Gedankengut der katholischen Restauration vertraut wurde und zu der Auffassung kam, dass allein die katholischen Glaubensinhalte aus den Widersprüchen der Zeit führen können. Hier vollzog sich seine endgültige Rückwendung zur Katholischen Kirche. Seit 1827 Professor der Geschichte in München, wurde er ein führender Vertreter der katholischen Publizistik und Vorkämpfer des politischen Katholizismus. Insbesondere anlässlich des Kölner Kirchenstreits griff er in feuriger, bildreicher Sprache die preußische Politik an (»Athanasius«) und bestärkte so im katholischen Süden die Abneigung gegen Preußen. 1876 wurde anlässlich seines 100. Geburtstags in Koblenz auf Anregung von Georg von Hertling die Görres-Gesellschaft gegründet, in der sich im Kulturkampf katholische Gelehrte zum Widerstand und zur Selbstbehauptung der katholischen Idee zusammenschlossen. Heute ist die Görres-Gesellschaft eine wissenschaftliche Gesellschaft, die im Geist von Joseph von Görres durch wissenschaftliche Institute sowie durch Herausgabe von Zeitschriften und Einzelwerken, die wissenschaftliche Arbeit der deutschen Katholiken fördert und Auslandsinstitute in Rom (Vatikan), Jerusalem, Madrid, Lissabon unterhält.

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Inhaltsverzeichnis
Die Mystik
Die mystischen Gebiete und die Wissenschaft
Die aufsteigende Mystik
Die absteigende Mystik

Die Mystik
Die Mystik ist ein Schauen und Erkennen unter Vermittlung eines höheren Lichtes und ein Wirken und Tun unter Vermittlung einer höheren Freiheit; wie das gewöhnliche Wissen und Tun durch das dem Geiste eingegebene geistige Licht und die ihm eingepflanzte persönliche Freiheit sich vermittelt findet. Das ist kürzester rationaler Ausdruck dessen, was die folgenden Blätter zu begründen und in annähernder Reihe in allen seinen Gliederungen darzustellen sich vorgesetzt...

Die mystischen Gebiete und die Wissenschaft
Gibt es nur zwei grundwesentlich verschiedene Substanzen, eine ewige schaffend ungeschaffene, die Gottheit, und eine zeitliche unschaffend selbst, aber von jener sich zum Bilde ausgeschaffen in der W e l t; dann wird jedes einzelne selbständige Geschöpf im Verbande dieser Welt in zwiefachem Bezuge auch ein zwiefach Leben leben mögen: im vorherrschenden zur Äußerlichkeit ein ä u ß e r l i c h e s, n a c h b i l d l i c h e s, a u s g e b r e i t e t e s in überwiegender Bezüglichkeit zur innerlichen göttlichen Mitte ein i n n e r l i c h e s, v o r b i l d l i c h e s, in Verborgenheit g e s a m t e s. Jenes ist das n a t ü r l i c h e Leben in seiner ausgehenden Verweltlichung im allgemeinsten Ausdruck gefaßt; dies das m y s t i s c h e in seiner eingehenden Vergöttlichung in seinem tiefsten Grunde ausgedrückt. Mystisch wird dieses mit Recht genannt, weil es sich in Gott dem tiefen Mysterium des Daseins aufgesetzt; natürlich das andere ebenso bedeutsam, weil es sich in der Natur, der sichtlichsten Offenbarung dieses Geheimnisses, begründet.

Ruht aber das mystische Leben auf Gott, dann nimmt es auch in Licht und Liebe teil an der höheren Freiheit Gottes; geht das natürliche aber auf in den Naturverband, dann wird es auch der gesetzlichen Gebundenheit der realen Dinge in Gehorsam sich fügen müssen: jenem sich hingebend, wird sich das Geschöpf befreien, diesem sich fügend, wird es ihm dasselbe hörig machen, und wie es wechselt zwischen innerem und äußerem Leben, werden auch Liebe und Gesetz umeinander in ihm zur Herrschaft gelangen. Stellt sich das Leben, auf Gott gefestet, in den Bezug von ihm zu aller Kreatur, wie das Christentum fordert, dann macht es in sich und im Verbande der geschaffenen Dinge bis zur Naturtiefe hinunter mit der Liebe auch die göttliche Freiheit geltend. Setzt es sich aber auf die Natur und richtet sich auf diesem Grunde in dem Bezuge von ihr zu Gott, wie die alte Zeit im Gefolge des Sündenfalls getan, dann räumt es in sich dem Gesetze die größere Herrschaft ein, und sogar sein Wandel in Gott muß der Macht desselben erliegen. Selbst das weltliche Leben in der Natur wird im ersten Falle in seinem Prinzipe mystisch, dagegen im andern selbst das mystische Tun weltlich und naturalistisch, und es deckt sich hier die Wurzel des großen Gegensatzes auf, der zwischen religiöser und natürlicher Mystik besteht.

Wir haben in dieser einleitenden Betrachtung so Gott wie die Welt und das besondere Geschöpf in ihr als einfach genommen und beide nur im Verhältnisse der Unterordnung der einen unter die andern erwogen. Nun aber ist zwar Gott, obgleich dreipersönlich, doch im tiefsten und innersten Grunde eins und einig; die Welt aber, obgleich in ihrem Grunde in Gott geeinigt, doch in ihren eigentümlichen Gründen dreigeteilt. Diese Welt scheidet sich nämlich in eine sichtbare und materielle und eine unsichtbare geistige und eine dritte sie einigende organische; woraus sich denn ergibt, daß auch die einzelne menschliche Kreatur, aus dem Kreise dieser einigenden, dreiwesig in Einpersönlichkeit sein muß. Eine also geartete Persönlichkeit, zwischen die beiden Weitreiche ihnen zum Bande gestellt, wird von diesem Standpunkte aus in verschiedenartige Bezüge eintreten können, die, in den großen Grundbezug von Gott zur Gesamtwelt eingetragen, die untergeordnete Gliederung desselben und sohin auch der Mystik und ihres Gegensatzes begründen.

Und zwar wird der einzelne Mensch, wenn er von diesem seinem Standpunkte aus nach der äußerlichen Weise die also geteilte Natur zur Unterlage nimmt, im engeren Gebiete, wie zuvor im weiteren, in einen zwiefachen Bezug eintreten können, indem er durch seine Leiblichkeit hindurch entweder die körperliche Natur zum Stützpunkt nimmt, um von da aus sich zur geistigen zu erheben, oder indem er, durch das Mittel seiner Geistigkeit hindurch sich der geistigen aufsetzend und in ihr bewurzelnd, von da bis zur Körperlichkeit niedersteigt. Wie nun wieder die körperlich sichtbare Natur die äußere Offenbarung der geistig unsichtbaren ist, so wird in jenem ersten Bezuge auch ein äußerliches, tiefer verleiblichtes Leben unter der Hörigkeit an das Machtgebot des physischen Gesetzes begründet werden. Und wie dagegen die unsichtbare Geisterwelt das beschlossene Mysterium der körperlichen in sich befaßt, so wird das gesteigerte Leben in ihr in höherer geistiger Freiheit auch verhältnismäßig jenem gegenüber als ein verborgen mystisches erscheinen, und es muß sich mithin in diesem Gebiete wieder eine esoterische M y s t i k im engeren Sinne einem exoterischen N a t u r a l i s m u s entgegensetzen; zwischen beiden in der Mitte aber das gewöhnliche Leben, schwebend zwischen dem Zwange des physischen Gesetzes und dem höheren Gebote des moralisch Geistigen, sich befestigen.

Es begreift sich aus dem bisher Gesagten, daß diese Mystik im engeren Sinne je nach der Verschiedenheit des Bezuges im mystischen Leben sich zwiefach gliedert, ebenso wie das entsprechende Leben in der Äußerlichkeit eine gleiche Gliederung erfährt. Weil nämlich die physische Natur in den ihr einwohnenden Kräften, dem Stoffischen an ihr gegenüber, ebenso ein Verborgenes, Geisterartiges in sich hat, wie die geistige Natur, dem ihr eigentümlich Tätigen entgegen, in ihren Umhüllen ein sich kundgebend Stoffartiges, darum wird das Leben so im Geiste wie in der leiblichen Natur im einen sich erhöhen, im andern sich vertiefen können, und wie also die Mystik in eine p s y c h i s c h e und eine p h y s i s c h e sich teilt, so muß auch das Leben in der bloßen Erscheinung zwiespaltig sie je nach beiden Reichen gliedern.

Was nun zuerst die physische Hälfte dieser zweigeteilten Mystik betrifft, so wird sie zunächst den Gliederungen jener äußeren Natur, in deren Innerliches sie sich vertieft, folgen müssen und dadurch in ihren verschiedenen Gestaltungen sich bedingen. Da nun die Erde, in die der Mensch sich eingepflanzt findet, selbst in ein tieferes Innen und ein höheres Außen zerfallend, im Monde ein noch Tieferes denn sie selber unter sich, in der Sonne aber ein Höheres über sich hat, so wird auch die Naturmystik dieser äußeren Artikulation sich fügen. Wie daher das innerlich tellurische Berührtwerden im Wasser- und Metallfühlen, das Orakelwesen in Höhlen und unter Anregung von erdhaften Ausdünstungen, der Heilschlaf und jede Art von mondsüchtiger Affizierung einerseits jenem Tieferen, so werden andererseits alle Formen orgiastischer Begeisterung im bachantischen Taumel, wie die tierische Brunst an den Sonnenstand geknüpft und an die Weinrebe angewiesen, die Augurien und Zeichendeutungen im Gebiete höherer Meteore, die Sehergabe äußerlich blinder, innerlich erschlossener Sänger und andere in Ähnlichkeit verwandte Erscheinungen dem Höheren angehören. Alle, durch das Band magischer Bindemittel in den verschiedenen Naturgebieten sich bewurzelnd, erlangen in ihnen teilweise höhere Lebenserregung, und es sind dann immer Naturlichter, tiefere und höhere, die in diesen Zustanden scheinen, Naturstimmen, die in ihnen sprechen, Naturkräfte, die durch sie wirken, und so bilden sie alle insgesamt vorzugsweise den Kreis naturalistischer Mystik, in dem das im Naturgebiete wohl gefestete Altertum sich beschlossen gehalten.

In allen diesen mystischen Anregungen ist es das untere, tiefere, organische Leben, das durch die ihm zunächst verbundene tiefere Leiblichkeit hindurch sich mit jenen verschiedenen Naturgebieten in engeren Verkehr versetzt und von sich aus dann auch die höheren geistigen Kräfte und die ihnen zunächst verbundenen oberen Organe in Mitleidenschaft versetzt. Aber dieser a n t i k e n Mystik tritt nun die andere p s y c h i s c h e entgegen, die in den höheren geistigen Gebieten Sitz und Ausgangspunkt genommen und von da aus den höheren nervösen Organismus durchwirkend die Bänder webt, die sie unmittelbar mit dem umgebenden Geisterreich verbinden und nun, nach abwärts in Mitleidenschaft das untere Leben bewurzelnd, auch in das seelenartige der Natur sich absteigend vertieft, wie die andere aufsteigend auch in die ihr eigentümliche Region hineingeragt. Es sind die verschiedenen Formen des H e l l s e h e n s und des sogenannten L e b e n s - M a g n e t i s m u s, die sich hier uns bieten und die, vorzugsweise der neueren, nervös und psychisch gesteigerten Zeit angehörig, Herd und Mitte im Seelischen, Werkzeug aber in den Nervensystemen gefunden und von da aus nun, den psychischen Gebieten sich aufsetzend, bis in die tieferen Naturgebiete sich hinab verbreiten. Das Geisterreich aber, in dem diese psychische Mystik regioniert, wird vorzugsweise das dem Menschen am nächsten verwandte sein, in dem die Abgeschiedenen der Gattung weilen; wie daher dieses Geistergebiet sich gliedert in ein höheres und ein tieferes, so wird auch die mystische Anregung gegliedert sein und zugleich auch nach Maßgabe dieser Gliederung in die unteren Naturreiche niedergehen, die höheren überirdischen, geistigen Gebiete gleichsam nur an den äußersten Säumen streifend.

So die neuere seelische wie die alte Lebensmystik sind ihrem Wesen nach durchaus profaner Art, und weil beide, nur jede in verschiedener Weise, Geschöpf zu Geschöpf in geheimen Bezug versetzen und daher sich nirgendwo über das kreatürliche Gebiet erheben, darum fallen sie auch ganz der Wissenschaft anheim und bilden in ihr die eigentliche und wahre praktische Metaphysik. Aber diesem naturalen, in seinem Gebiete scharf begrenzten Mystizismus gegenüber gibt es einen andern, der, den Bezug über die Kreatur hinaus steigernd und ihn bis zu Gott, der ungeschaffenen Substanz, erhöhend, diese nun zu einem Verhältnisgliede macht, zu dem sie das andere im geheimnisvollen Verbande richtet und also auch über jene Metaphysik hinaus in ein überweltliches Gebiet des Schauens und Wirkens sich erhoben findet. Diese zweite Art von Mystik, spezifisch und in tiefster Wurzel geschieden von der andern, wird dieser, die da wissenschaftlich ist, gegenüber eine religiöse sein; der profanen entgegen eine heilige; der weltlichen eine kirchliche, und im Umkreise der Kirche selbst das innerkirchliche Gebiet erfüllen ...
Erwägen wir nun das Verhältnis jener naturalen Mystik zu dieser göttlichen, dann müssen wir allerdings diese letztere als die bei weitem würdigere, edlere und höhere anerkennen; aber wir können auch der andern an sich kein Arg und keine Makel beilegen: denn die Kreatur ist von Gott ausgegangen, und alle Bezüge in ihr gehen daher zuletzt doch auf ihn zurück, und so kann an sich auch die Naturmystik der religiösen nicht entfremdet sein, sondern ist in ihr begriffen und bildet ihre kreatürliche Unterlage. Aber es lauert, seit die Sünde eingedrungen, in dieser Unterlage eine Gefahr, weil mit diesem Eindringen in den Bezug der beiden Wesenheiten, der göttlichen und der kreatürlichen, ein Gegensatz eingetreten, der, von g u t zu b ö s gerichtet, zwar die eine der beiden nicht berührt, die andere aber in ihren verschiedenen Gebieten infiziert. Es ist nämlich die untere physische Natur je nach Kraft und Stoff in diesem Zwiespalt in eine heilkräftig nährende und giftig zerstörende geteilt; Leben und Tod erscheinen in der organischen in stetem Kampf entzweit; das Sinnliche ist im Gesetz des Geistes und dem des Fleisches zerrissen; das Geistige selbst von Wahrheit und Lüge umeinander in Anspruch genommen; sogar das höhere Geisterreich ist der Zerrüttung nicht fremd geblieben und erscheint unter Geister guter Art und solche, die dämonischer Natur sind, ausgeteilt.

Der allgemeine Charakter dieses neuen Gegensatzes ist, in kurzen Worten ausgesprochen, der, daß alles, was in einem Gliede desselben um das Gute, dessen Art es hat, geordnet steht, m i t Gott ist und tut und wirkt, während alles, was sich zu dem andern hält, w i d e r Gott wirkt und kämpft und streitet. — In diesem Charakter wachen daher die Mächte der guten Seite für die Ordnung, Harmonie und Schöne der physischen Natur; während die, welche ihnen entgegenstehen, Umsturz, Unordnung, das Auflehnen wilder, zügelloser Kräfte und das wirre Gegenstreben titanischen Grimmes fördern. So sind nicht minder die einen Hüter des Friedens, der Wohlordnung und des gesicherten Lebens in der organischen Natur, während die anderen den Krieg der Lebenstriebe, die krankhafte Verzerrung des von jener Ordnung Umschriebenen und die Entwicklung des im Keime schlafenden Verderbens fördern... So sind also die beiden Reiche durch alle ihre Gebiete und in allen ihren Mächten und Kräften widereinander, und nur darin zeigt sich die Überlegenheit desjenigen, das in Gottes Sache streitet, über das andere, das gegen ihn zum Kampfe ausgezogen, daß, indem die wachsende Verneinung die Bejahung mittelbar in der Rückwirkung, wie die sinkende unmittelbar, erweitert, sie mit steigender wie mit nachlassender Tätigkeit gleich sehr die Sache des Gegners fördert und so, wenn auch widerwillig, ihr den Sieg bereitet.

Es folgt daraus unmittelbar, dass diese Entzweiung in jeder der verschiedenen Arten von Mystik, die wir ausgefunden, wiederkehren muss. Der Mensch, in seiner Freiheit zwischen die beiden Reiche gestellt, findet wie im guten, das seiner Natur geblieben, Bänder, die mit dem Lichtreich enger ihn verknüpfen, so in der Sünde, die in dieses sein Wesen eingedrungen, andere, um mit den Mächten der Finsternis sich näher zu verbinden, und wird dann beidemal, dort in Bejahung, hier in Verneinung, über sich hinaus und unter sich hinunter, wirklich oder scheinbar gehöht und ausgetieft, schärfer gespannt und gekräftigt und gegeistigt. So hat die Naturmystik des Altertums in ihrer unteren niedersteigenden Seite in Steinen, Zauberkräutern und Zaubertieren die Bänder aufgesucht, um mit den zerstörenden Naturkräften unterer Ordnung im Bunde die eigene beschränkte Macht zu steigern, und jenes Geschlecht von Zauberweibern, das z. B. von Kolchis herübergewandert, hat in diesem finstern Naturbezuge die s
chwarze Magie begründet, während die weiße, die auf die Lichtseite sich hingewendet, in den Pflegern, die sie in Priestergeschlechtern entgegengesetzter Art gefunden, jenen Sympathien nachgegangen, die sie mit den segenbringenden Naturkräften unterer Ordnung zu einigen versprochen. In gleicher Weise hat dieselbe Mystik, in ihren ansteigenden Strebungen mehr den geistigeren Untergewalten sich zuwendend, durch Zaubersprüche, geheimnisvolle Formeln, Beschwörungen, Talismane und Amulette sich in der einen Richtung der schadenbringenden, schreckenden Gewalten des Unterreiches zu bemächtigen gesucht, und indem sie im Dunkel der Mitternacht an den Kreuzwegen der finsteren Hekate und ihrem gespenstischen Gefolge Opfer und Dienst geweiht, hat sie sich nach dieser Seite zur Goätie [griech. Goeteia = Zauberei, Bezeichnung für schwarze Magie] ausgebildet. während nach der andern ähnliches Bestreben, die Mächte des Lichtreiches in den Umkreis menschlicher Tätigkeit zu ziehen, sich zur Theurgie [(vermeintliche) Fähigkeit und Kraft, durch Zauber Götter zu beschwören] entwickelte. Der gleiche Gegensatz der Strebungen hat in ähnlicher Weise auch schon im magnetischen Hellsehen der neueren Zeit sich kundgegeben, und wie in seiner niedersteigend organisch-physischen Richtung lockende, verführende, zerstörende Mächte des Unterreiches anderen heilkräftigen, besserwirkenden, segenbringenden gegenüber in den Kreis dieses Hellsehens eingetreten, so hat in seinen ansteigenden psychischen Strebungen ein gleicher Dualismus zwischen finstern und hellen Geistern sich kundgegeben, und Bezüge haben so nach der einen wie der andern Seite sich gebildet, die dem, was im kirchlichen Gebiete in einer weit tieferen Weise sich begründet, analog gegenüberstehen.

Es kann nicht fehlen, der gleiche Gegensatz muss auch in der religiösen Mystik, soweit die Entzweiung eingedrungen in ihr Gebiet, wieder zum Vorschein kommen und auch in sie eine neue Teilung bringen. Es ist aber die Zwietracht, die das Böse hervorgerufen, durch das gesamte kreatürliche Gebiet hindurchgegangen, es teilend unter ethisches Licht und Finsternis. Solange die Mystik mithin in dem Gebiete des Geschaffenen verweilt, wird sie diesem Gegensatze sich nimmer zu entziehen imstande sein. Mit dem Eintreten in die höheren geistigen Gebiete findet sie gleichmäßig von beiden Seiten sich begrüßt und angesprochen, und an den Scheideweg gestellt, gilt es sofort, wie sie sich bestimmt: ob sie sich zu den dämonischen Mächten hält, wo sie dann zur dämonischen Mystik sich ausstattet; oder ob sie den Geistern des Himmels sich zuwendet und dann zur echten und rechten Mystik, die da ist vom guten Wasser, erhebt. Das wird für die beiden Grade dieser Mystik, den unteren, der sich mehr in die physische Natur versenkt, und den oberen. der mehr im eigentümlichen geistigen Gebiete weilt, Gültigkeit haben, und wie die dämonische Mystik dort der schwarzen Magie, hier der Goätie als ihrem Naturgrunde sich aufsetzt, so wird die bessere im tieferen Naturgebiete mehr der weißen Magie, im höheren der Theurgie aufstehen.

Wie aber nun der Mystische, beiden Reichen durch innere Sympathie verwandt, sich in eigener Selbstbestimmung einbürgern kann, in einem oder dem andern nach Wohlgefallen, so werden doch, da beide sich in ihm berühren, auch selbst nach getroffener Wahl noch Wechselbezüge beider auf ihn stattfinden, in denen die Geschiedenen sich gleichsam vermitteln und eine Art von Übergang begründen. Hat nämlich die Wahl auf die gute Seite sich entschieden und die Mystik im Lichtgebiete sich festgesetzt, dann mag sie von da aus, als ihrer eigentlichen Heimat, auch ohne Gefahr die Gebiete der Nacht betretend, in nächtlich finsterer Vision sie durchschauen und durchfühlen. Dagegen aber muß es auch den Mächten dieses Reichs gestattet sein, zur weiteren Reinigung und Läuterung des ihnen feindseligen Prinzipes, in der dämonischen Versuchung prüfend es anzusehen, ob es in der Anfechtung bestehe und sich bewähre. Das gleiche, nur in umgekehrter Richtung, wird dann erfolgen, wenn die Mystik den andern Pfad gewählt und, nachdem sie im mitternächtlichen Reiche ihren Standpunkt sich genommen, von da aus sich in das andere ergeht und seine Rückwirkung erfährt, die, wie die andere auf das Verderben, so auf Heil und Rettung gerichtet ist. Visionen und Versuchungen der ersten Art werden eine Brücke des Übergangs aus der Mystik des guten Prinzipes ins Böse; sowie Gesichte und Einwirkungen der andern, die der Vermittlung der Mystik der bittern Wurzel mit jener der süßen bereiten, und beide eine Art von Mittelgebiet zwischen den beiden in sich scharf geschiedenen Gegensätzen erfüllen.

Über allen diesen Zwiespalt hinauf erhebt sich dann endlich die einigende Mystik, so Anfang wie Endziel der ganzen mystischen Bewegung. Wie nämlich diese Bewegung von Gott und seiner Begnadigung ihren ersten Ausgang genommen, so ist all ihr Streben auch dahin gerichtet, zu jenem ersten Quellpunkt zurückzukehren und, hat sie ihn erreicht, dort in Befriedigung zu ruhen. In Gottes Wesen aber ist die Scheidung von Geistigem und Natürlichem nicht eingegangen, noch weniger wird es von dem Gegensatz von gut und bös berührt: denn sein eigenster Charakter ist eben lautere und heitere Einheit, durch nichts getrübt, und es teilt dies Gepräge auch jeglichem Zustande mit, in dem in sich Geteiltes mit ihm zur Einigung gelangt. Diese einigende Mystik ist daher Gipfel und Mitte aller Mystik, in welche die geteilten Radien aller vorbereitenden Strebungen zusammengehen und sich wie in ihrem gemeinsamen Knotenpunkte verbinden.

Dies ist, im schnellen Überfluge aufgefasst, die Darstellung der Mystik in ihren Hauptmomenten und der Weise, wie jene Geister sich den mystischen Verkehr der Seele mit der Gottheit vorgestellt. Seither haben die, so nach ihnen gekommen, andere Wege eingeschlagen; so manche, denen sonst wohl ein Beruf geworden, weiter fortzuführen, was jene begonnen, haben, da die Welt so gänzlich sich säkularisiert, sich ausschließlich gegen das Zeitliche hingewendet und nun in dieser Richtung die Grenzen das menschlichen Geistes zu erweitern sich bestrebt
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S.49-57 ...

Die aufsteigende Mystik
1. Berufungen
Wenn auch Gott alle liebend zieht und gleich der Sonne über alle sein Licht scheinen läßt und nicht etwa dem einen verschlossen, dem anderen sich auftut, dagegen aber nicht alle ihm erwidern, wie er es ihnen zuvorgetan; darum wendet er, der in seiner Ahlwissenheit weiß, an wem seine Einwirkung fruchtlos vorübergeht und wer sie ergreift, auch diesen vorzugsweise sich entgegen. Das ist, was man als Wahl bezeichnet, in der, wie mit erster Empfängnis die Geburt, so die Wiedergeburt beginnt und das wiedergeborene Leben zugleich die erste Weihe erlangt, um dann unter fortgesetzter Führung zum höheren zu gelangen. Sie wird daher das erste sein, dem wir unsere Aufmerksamkeit entgegenzuwenden haben.

Ein Zug nach oben, der die Wende bewirkt, und ein warmer Anhauch, der sie begleitet, und ein Lichtblick, der, von ihm ausgehend, die gewendete Seele begrüßt, verkündet, daß die Wahl geschehen und der Gewählte in die Kreise des höheren Lebens eingetreten. Inwiefern von der einen Seite keine Verpflichtung zu der Gabe stattgefunden, ist sie als ein freies Geschenk der Gnade geboten worden; inwiefern aber dies Bieten nur auf die Gewißheit der Aneignung hin geschehen, diese aber, als von der Eigentümlichkeit des Annehmenden abhängig, an seine Anlage geknüpft erscheint, zeigt sich die Mitwirkung einer Art von Talent, eines Genius der Heiligkeit dabei im Spiele. Überall nämlich, wo etwas, in welchem Gebiete es sei, ohne unser direkt wirkendes T u n, nur mit unserem Z u t u n in uns gewirkt wird, setzen wir einen Genius voraus, der uns gedrängt, es in uns hervorgerufen. So sendet in philosophischen Dingen die Wahrheit ihren Strahl zu uns hernieder; wir lassen uns ihr und werden von ihr entzündet und befruchtet, und wir nennen das vom Genius begeistert. So ist es in anderer Weise das Schöne, das uns in seinen Harmonien berührt; wir geben uns hin, und wenn unser Inneres nun nachklingend in denselben Harmonien zum Selbsttönen sich bewegt, dann sagen wir, es habe uns der Genius der Kunst ergriffen. Es ist in beiden Fällen etwas in uns gekommen, das wir nicht in freiem Bewußtsein hervorgerufen; und doch haben wir nicht müßig dabei uns verhalten: denn es ist doch unser Werk, wir haben es gefaßt und, nachdem wir ihm irdischen Leib gegeben, es an den Tag erboren; nur das ihm einwohnende Lebenslicht ist ihm, wie durch blitzartige höhere Befruchtung, von anderswoher gekommen... Es wird daher alle Begeisterung, welcher Art sic auch immer sein möge, hat jede gleich einen selbst eigenen Grund in sich, doch zuletzt zurückgehen auf jenen ersten Grund, der in jeglicher nur oben unmittelbar, unten mittelbar sich wirksam zeigt: denn alle gute Gabe kommt von oben, und alle guten Geister sind von jenem einen göttlichen Geiste, der sie alle ausgestrahlt.

Es ist aber, wie sich leicht begreift, die Wirkung dieser, in Allgegenwärtigkeit zur Erwählung und Führung wirksamen Gotteskraft an kein irdisch beschränktes Verhältnis gebunden; nicht an Ort und Zeit oder Gelegenheit; sie schlägt durch den Übermut des frischen und gesunden Lebens durch, wie sie durch die Erschöpfung und Müde des Kranken sich nicht hemmen läßt; sie geht an der geistigen Einfalt nicht etwa verächtlich vorüber, noch auch läßt sie sich von der höchsten Geisteskraft Gewalt antun. Selbst die Gesinnung entscheidet nicht unbedingt; da die gute, sich willig öffnend, wie die leitenden Körper dem Blitze geöffnet sind, von selbst sich zum Ziele richtet, die verkehrte aber wohl bisweilen Gewalt erfährt und, durchbrochen von ihrer Macht, sich in sich selbst zur Willigkeit umgewendet und also befreit findet. Wie hier überall die innerliche Handlung dieselbe ist und nur die Form ihres Hervortritts sich wandelt, so wird auch das Verhältnis der Geschlechter nur einen solchen formalen Einfluß üben. Eben weil in jenem Verkehre mit Gott sein höherer, nur in Achtung fremder Freiheit sich selbst mäßigender Wille der stärkere ist, wird das Tun des mitwirkenden schwächeren bei beiden verhältnismäßig als ein Leiden und Lassen erscheinen und, wie Gott überhaupt in keine notwendige Relation zur Kreatur eintritt, obgleich sie zu ihm, so wird auch um so mehr die des Geschlechtes vor ihm verschwinden. In Rücksicht auf den aufwärtsgehenden Bezug der Seele zur Gottheit wird aber allerdings das gegenseitige Geschlechtsverhältnis von Bedeutung sein; und das weibliche als das vorzugsweise empfangende wird sich daher auch besonders für die leichtere Aufnahme höherer Einwirkung eignen, während im männlichen der Geschlechtscharakter in der stärkeren Gegenwirkung sich kundgibt. Die Gesamtwirkung wird daher im ersten Falle mehr durch in beweglicher Fülle harmonisch geordnete Gestalt, im anderen mehr durch in Kraft und Leben mitwirksame Tätigkeit bezeichnet sein. Dieser Gegensatz, durch das ganze Dasein der vom höheren Strahl Berührten durchgehend, wird nicht minder auch schon im Beginne, in der Form der Weihe, hervortreten; und wir werden die reiche Mannigfaltigkeit, in der sich je nach der Verschiedenheit der Individualitäten diese Berührung äußert, wenigstens zur Rechten und zur Linken hin austeilen, wenn wir sie nach den Geschlechtern zusammenstellen. S.65-67 ...

Die absteigende Mystik
Nachdem früher die untere Mystik der Heiligen verhandelt worden, muß die Betrachtung jetzt zu der der Dämonischen übergehen. Am Übergange liegt die Naturmystik, der einen wie der andern als irdische Unterlage sich unterbauend. Die schickliche Stelle, um von dieser zu reden, war also hier gegeben; daß dies nicht in anmutiger Kürze sich abtun lassen wollte, daran ist der Reichtum der Natur schuld und die Tiefe, in der diese Dinge wurzeln.

Wie ist es nun um diese natürliche Magie beschaffen; ist sie wirklich der Art, daß kein vernünftiger Mensch ihr Glauben beimessen darf, und daß der kindische um so eher zur Mündigkeit gelangt, je früher er sich von ihr lossagt? Die Frage hat viele Seiten, von denen sie betrachtet werden kann, wie man im Buche sehen wird; der langen Rede kürzester Sinn scheint aber auf Folgendes hinauszulaufen.

Der Mensch ist ein aus Natur und Geist in eine Persönlichkeit verbundenes Wesen, was nur dadurch sich bilden. kann, daß die Natur in ihm etwas vom Geiste, der Geist hinwiederum etwas von der Natur angenommen und beide nun im Lebensbande aufs engste untereinander sich geeint.

Die Natur in ihm, mit einem ihr untergeordneten Geistigen verbunden, der N a c h t m e n s c h in der Persönlichkeit, ist nun, weil aus der Erde hervorgegangen, auch der Mensch der Erde; er gehört ihr also, auf die Bedingung jedoch, daß sie ihm angehöre. Denn er ist das eigentliche Zentrum der Erde und aller ihrer Bildungen, er ist also durch Radien mit allen ihren Reichen und Peripherien verbunden, lebt mithin in ihnen allen, wie sie in ihm; ist Leib von ihrem Leibe und Geist von ihrem Geiste; fühlt darum auch in alles sich hinein, wie er alles aus ihr herausfühlt, und beherrscht durch seine Rapporte alle ihre unteren Kreise, indem er ihnen allen dient.

Der Geist mit einem ihm untergeordneten Natürlichen verbunden, der T a g m e n s c h in der Persönlichkeit, ist aber seinerseits nicht von der Erde und gehört ihr also auch nicht an, ungleich dem vorigen. Denn einem höheren Zentrum als das ihrige verbunden, lebt er, gleichwie dieses, wohl im niedern und dem mit ihm geknüpften Peripherischen, also jedoch, daß er frei gelöst und doch wieder dasselbe in sich aufnehmend, es überschwebt, es stets auf sich beziehend und in seinem Lichte es zum klaren Bewußtsein bringend. Sein Reich ist das Geistige, dem er entstammt; daher gehen seine Rapporte und Verbindungen in dies Reich; und wie Freiheit das Gepräge aller Geister ist, so ist er auch mit Anerkenntnis dieser seiner Freiheit in dasselbe aufgenommen.

Jener Nachtmensch und dieser Tagmensch sind nun in den einen und selben Menschen verbunden, ursprünglich ohne sich durcheinander zu verwirren oder aufzuheben; weil eben ihr gemeinsames Sein in Gott, der über ihren beiden Welten steht, die Getrennten auseinanderhaltend, doch in sich zusammenhält. Der erste hat dem andern sein leibliches Haus erbaut und hat Wohnung in ihm genommen; aber der andere, der mit beim Bau gewesen, durchwohnt nun das Gebaute gleichfalls und gebraucht sich seiner zu seinem Zwecke. Die ganze Leiblichkeit ist daher zweiherrisch, und die Doppelherrschaft greift durch alle Organe hindurch und drückt sich in ihnen aus; und dieselbe Schiednis geht durch alle Verrichtungen hindurch bis zur höchsten Spekulation hinauf, die, in subjektive und objektive geteilt, nur in Gott und was Gottes ist Ruhe und Einheit findet.

So war es uranfänglich. Der höhere Mensch war der Gebieter, der untere dienstbar, und jener herrschte durch seine höhere Mitte über die Tiefen des andern. Dieser als Zentrum der Natur durchschaute die ihm verbundene Natur, wie wir unsern Leib durchschauen; er beherrschte sie, wie wir unsere Glieder beherrschen, und belebte sie in gleicher Weise. Er befaßte also in sich das Bild und Gesetz der unteren Natur, wie der andere das der höheren; und wie dies Bild und dies Gesetz, diese Naturweisheit, die Naturethik und dazu die natürliche Vitalität ins Höhere eingetragen und in Gott aufgehoben wurde, beherrschte der Mensch in Gott ohne Anstrengung und ohne Mühe die ihm zugeteilte Region.

So sollte es auch bleiben und sich befestigen durch die geforderte Gewähr. Da schlug ein neues Moment, die Sünde, ein Produkt des geistigen Reichs hervor und störte die ganze Ordnung. Der Tagmensch hatte die Missetat begangen, in ihm auch der Nachtmensch, beide miteinander traf die Strafe. Die Sünde setzte sich zwischen jenen und Gott, und auch das höhere Geisterreich verfinsterte sie bis zur Unsichtbarkeit und fesselte den Tagmenschen an den Zwang des alten Gesetzes. Sie drang zwischen den andern und die äußere Natur, umnachtete ihm auch diese in ihren tieferen Gebieten und machte den Nachtmenschen dem Naturgesetze hörig. Sie drang endlich auch zwischen beide menschliche Naturen desselben Menschen, schied sie wie mit Schwertes Schärfe und machte im Tode in ihren unteren Gebieten sie lösbar voneinander. Sie umnachtete eine für die andere und kehrte die Ordnung der Mittelpunkte um, so daß, da der höhere zuvor herrschend in seiner Höhe gestanden, umfaßt von dem andern; jetzt der untere herrschend in der Mitte steht und der obere ihn umfaßt, wie dem Scheine nach der Himmel die Erde. Nun muß der Tagmensch im Schweiße seines Angesichts die Wissenschaft, wie die Erde mit dem Pflug, bebauen.

Was aber nun durch den Tod in Trennung voneinander gelöst werden mag, das kann auch durch Krankheit innerhalb eines gewissen Spielraums auseinanderweichen und eines um das andere eines gewissen Übergewichtes sich erfreuen. Es kann also das untere Zentrum, äußerlich auf der Höhe sich im Zerebrum [Gehirn] bergend, weit vorweg überwiegend werden und das höhere im Zerebrum ganz und gar sich unterordnen und bemeistern. Dann wird der Mensch, der der Natur schon hörig ist, ganz und gar ihr leibeigen; der Tagmensch dient dem Nachtmenschen ganz und gar, wie dieser der äußeren Natur verfallen ist. Der eine herrscht aber in der Macht dieser Natur über den andern, denn er denkt Naturanschauungen und wirkt Naturwirkungen in den Kräften dieser Natur, mit der er sich geeinigt findet, und lebt ganz und gar in ihrem Leben. Er ist ein natürlicher Magier, der da herrscht als dienstbarer Geist der umgebenden Welt.

Mit einem solchen Verhältnis würden viele unter den Weisen der Welt sich nun versöhnen; aber dies einmal zugegeben, kommt nun die Kehrseite desselben herangezogen und will sich nimmer abweisen lassen. ist innerhalb jenes Spielraums nämlich eine Lösung nach der unteren Seite hin möglich, dann wird auch eine nach der oberen hin zugegeben werden müssen. Der Mensch kann nämlich, besonders seit die Erlösung ihn befreit, noch all sein Tun und seine Mühen dem oberen, gegen Gott hingerichteten Mittelpunkte entgegenwenden und diesen, soviel das im Leben tunlich ist, von der Macht des unteren zu befreien sich bestreben, und eine Gnade von oben kann ihm dabei hilfreich entgegenkommen. Dann wird, wenn dies gelungen, der Mensch nach unten frei, denn die höhere Mitte in ihm ist die zentrale geworden; und er hat nach oben nicht Knechtschaft, sondern Freiheit in Gott eingetauscht. Sein Prinzip ist nun: Ich erkenne nur, inwiefern mich und in mir Gott erkennt; ich will nur, inwiefern Gott mich und in mir will; ich lebe nur, inwiefern Gott mich und in mir lebt. Er ist jetzt auch ein Seher und ein Magier geworden, aber einer der höheren Art, weil Gott in ihm seine Werke schaut, seine Taten wirkt und ein unsterbliches Leben lebt.
S.268-271 ...
Aus: Joseph von Görres, Mystik, Magie und Dämonie
»Die christliche Mystik« in Auswahl . Herausgegeben von Joseph Bernhart
Druck und Verlag von R. Oldenbourg, München und Berlin 1927