Albert Görres (1918 - 1996)
>>>Gott
Jesus Christus
verstehen
Wo das Fundament des Gottesgedankens fest ist oder fest werden kann, da kann
auch die Stimme des Jesus Christus gehört und verstanden werden.
Das richtige Verstehen dieser Stimme allein genügt oft genug zum Werden
der Gewissheit: Das kann nicht falsch sein. Auch hier ist die Bedingung
ein Zurückhalten der eigenen Unwilligkeit und Destruktivität. Die
Offenheit des Geistes für alle Wirklichkeit ist schon eine naturhafte Disposition
dafür, jedem Wissenden zu glauben, was er weiß; wenn nicht die Kultur
eine abweisende oder lässige Voreingenommenheit aufdrängt. Ausgestattet
mit einer von Natur, Kultur und Goodwill angebotenen Aufgechlossenheit ist es
wiederum leicht, in der Begegnung mit dem unverzerrten und gut erklärten
Evangelium zu der Gewißheit zu kommen: Das kann nicht falsch sein. Dies
ist das Aha-Erlebnis des nachdenklichen Christen. Schwer, oft unmöglich
wird es, wo das Klima von unüberwindlichen Vorurteilen vernebelt ist, die
mit eigenen leidenschaftlichen Interessen und Fehihaltungen zusammenfließen.
»Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher (an Geld,
an Genuss, an Gesetzestugend wie die Pharisäer, an Bildungshochmut
wie die Athener, an verfestigten Vorurteilen wie einige andere) in das Himmelreich.«
Es ist ein unvergleichliches existentielles Experiment, die Evangelien Satz
für Satz zu lesen und mit der ständigen Frage zu begleiten: Kann das
falsch sein, was der Jesus Christus hier durch Wort und Zeichen lehrt?
So wird der Schnellzugang des Äthiopiers zum Glauben verständlich.
Ebenso der Zugang all derer, die von den Jüngern Jesu innerlich erreicht
wurden bis hin zu den Kindern glaubwürdiger Eltern. Psychologisch ist in
gewisser Weise das Glauben der Glaubenden weder ein Rätsel noch ein Wunder,
weil dem, der nur den Gottesgedanken gut verstanden hat, die Glaublichkeit des
Inhalts der Botschaft und die Glaubwürdigkeit der Person des Jesus Christus in voller Stimmigkeit mit seinen eigenen naturhaften Grundeinsichten und mit
seiner Selbst- und WeIterfahrung begegnen kann, einleuchtend und erleuchtend.
Alles paßt zusammen, Erfahrung, Wissen und Glauben, wie ein richtig gelöstes
Kreuzworträtsel oder ein durch eine Flut von Indizien usw. bis zum Ausschluß
jedes vernünftigen Zweifels aufgeklärter Kriminalfall. Die Lösung
kann im wesentlichen nicht falsch sein, man sieht es geradezu. Ein Irrtum kann
ausgeschlossen werden.
Aus: Albert Görres: Kennt die Religion den Menschen?.
Erfahrungen zwischen Psychologie und Glauben, (Serie Piper 318, S.58-59)
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Zustimmung von Frau
Silvia Görres