Johannes Gerson, eigentlich Jean Charlier de Gerson (1363 – 1429)
Französischer Theologe (»Doctor
christianissimus«), der seit 1395 Kanzler der Sorbonne war.
Gerson spielte eine hervorragende Rolle bei der Beendigung des großen
Schismas und vertrat insbesondere auf dem Konstanzer Konzil (1415) die These
von der Überordnung eines allgemeinen Konzils über den Papst (Konziliarismus).
Von dort 1418 floh vor Jean Sans Peur nach dem Kloster Melk, kehrte 1419 nach Paris zurück und wirkte besonders als Erneuerer der Augustinischen Überlieferung gegen die »falsche Mystik«. Gerson war Gegner von Wycliffe und Hus. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
»Unterscheidung
zwischen wahren und falschen Visionen«
Das wahre Gold der göttlichen Offenbarung unterscheidet sich von den falschen
Scheidemünzen teuflischer Einbildungen zunächst durch sein Gewicht:
das heißt dadurch, daß der Mystiker infolge seiner Vision nur demütiger
wird und nicht noch hochmütiger. Zweitens durch seine Geschmeidigkeit:
das heißt, daß der Mystiker umso zurückhaltender wird, und
nicht etwa aufdringlich sei. Drittens durch seine Beständigkeit: das heißt,
daß Verfolgungen und daß auch Verachtung den Mystiker nur immer
geduldiger und sicherer machen. Viertens durch die Form der Aussage: das heißt
durch ihre Wahrheit. Und schließlich, fünftens, durch die Farbe der
Aussage: nämlich durch die Liebe, die Selbstlosigkeit und die Hilfsbereitschaft
des Mystikers.
Wir werden also eher geneigt sein, unser Vertrauen den Aussagen von solchen
Visionären zu schenken, die niemals aus Eitelkeit nach Gesichten oder Enthüllungen
gestrebt haben; solchen, denen es niemals an Maß und Zurückhaltung
in ihrem Benehmen gefehlt hat; solchen, die mit echter Geduld — mit demütiger
Geduld und nicht mit stolzem Eigensinn — allen Spott und alle Verfolgungen
erdulden, wohl wissend, das dies das allgemeine Los derer ist, die das zweite
Gesicht besitzen. Ferner müssen es solche Visionen sein, die sich auch
bewahrheiten. Die Hauptsache aber ist, daß aus ihnen die wirkliche Liebe
Gottes und die wirkliche Liebe zu Gott sprechen muß und nicht Heuchelei,
kein durch sinnliche Liebe nahegelegtes Bild wodurch sich besonders die Frauen
oft täuschen lassen, wenn sie in haltlosem Eifer für den Kirchendienst
entbrennen.
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band II, Die
Welt der Mystik . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.225), Holle Verlag , Darmstadt