Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769)
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Deutscher
Schriftsteller, Theologe und Philosoph.
Der Pastorensohn begann 1734 in Leipzig ein
Theologiestudium. Nach seiner Habilitation im Jahre
1744 hielt er - seit 1751 als a. o.
Professor für Philosophie - an der Universität Leipzig Vorlesungen über Moral, Poesie und Beredsamkeit, die auch von Goethe
besucht wurden, der in seiner »Dichtung
und Wahrheit« Gellerts Morallehre als »Fundament der deutschen sittlichen Kultur« bezeichnete. In seinen Schriften vertrat Gellert das
Tugendideal der Aufklärung. Seine »Moralische
Gedichte« und »Geistliche Oden
und Lieder« haben seine Zeitgenossen tief beeindruckt. Durch Beethovens Vertonung sind einige – wie »Die Himmel
rühmen des Ewigen Ehre«, »Gott,
deine Güte reicht so weit« - unsterblich geworden. Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Aus den moralischen Vorlesungen,
Der Freigeist,
Geistliche Oden und Lieder
Preis
des Schöpfers, Die
Ehre Gottes aus der Natur, Bitten,
Vertrauen auf Gottes Vorsehung,
Beständige Erinnerung
des Todes, Vom Tode,
Betrachtung des Todes,
Der Trost des ewigen
Lebens,
>>>Christus
Ärgernis auf Erden (Osterlied), Jesus
lebt (Osterlied), Der
Schutz der Kirche,
Aus den moralischen
Vorlesungen
XXII. Vorlesung
Um das Herz des Knaben frühzeitig zu den frommen Empfindungen der Menschenliebe,
des Mitleidens, der Guttätigkeit, der Dankbarkeit, Freundschaft, Demut und des Vertrauens auf die göttliche Vorsehung zu bilden, sammelt der Lehrer
die Beispiele dieser Tugenden und der entgegengesetzten Laster aus der Geschichte,
insbesonderheit der biblischen, erzählet sie ihm in einer Kindern verständlichen
und angenehmen Sprache, läßt sie ihn selber lesen, darüber urteilen
und kleine Anwendungen machen und nötigt ihn also, das Vortreffliche dieser
Tugenden mit Beifall und Bewunderung und das Schreckliche der Laster mit Widerwillen
und Abscheu empfinden. Wenn er ihm zum Exempel die Demut eines heiligen Paulus
empfindlich machen will, so wird er ihn zuerst auf seine Größe aufmerksam
machen, auf seine Erkenntnis von Gott, auf seine Gaben, der Natur zu gebieten,
Kranke durch ein Wort gesund, Blinde sehend zu machen und selbst Toten das Leben
wieder zu erteilen. Er wird ihm seinen Eifer für die Ehre Gottes, seine
Liebe gegen alle Menschen in seinen Taten und Arbeiten, seine Großmut,
seine Geduld in seinen Gefahren, Verfolgungen, Beschimpfungen und Leiden zeigen.
Wie uneigennützig und großmütig ist Paulus, dass er oft
mit seinen eignen Händen sich und seine Gefährten ernährt, um
die Gemeinden, die er stiftet, unterrichtet und zum Reiche Gottes geschickt
macht, nicht zu beschweren! Mit welcher Hoheit der Seele erduldet er alle Beschwerlichkeiten
und Verfolgungen, um den Willen Gottes zu tun! Er erhebt sich durch eine christliche
Verachtung, durch einen heiligen Heldenmut über Mangel an Reichtum, über
Schande und Ehre, über Gefängnis und Bande, über Leben und Tod,
über Engel und Fürstentum. Und dieser außerordentliche Mann,
dieser Gesandte Gottes, dieser Wundertäter, dieser eifrige und beredte
Lehrer, dieser Vater so vieler Gemeinden, dieser Wohltäter ganzer Völker
schätzt sich selbst geringe, achtet andre höher denn sich, sieht alle
Menschen als seine Brüder an, gibt in allen seinen Unternehmungen, darinnen
einen so brennenden Eifer, eine so große Klugheit, einen so unermüdeten
Fleiß ein ganzes Leben hindurch zeigt, Gott als den Geber alles Guten,
als dem Anfänger und Vollender seines Wollens und seines Vollbringens allein
die Ehre. Wieviel Eindruck auf das Herz muss nicht so ein erhabnes Beispiel
der Demut machen, wenn es dem Verstande der Jugend auf eine faßliche Art
in allem seinen Umfange und seiner Stärke gezeiget wird! Kann das Herz
des Knabens nicht empfinden, daß der Charakter eines so demütigen
und bescheidnen Mannes nicht nur an sich ehrwürdig, sondern auch für
andre liebenswürdig sein und überall Zuneigung und Vertrauen erwecken
müsse? Kann er nicht die sichtbare Auslegung dieser Wahrheit selbst in
einer Begebenheit erblicken, die ihn rühren muss, in der Begebenheit
aus der Apostelgeschichte: »Und sie geleiteten Paulum
alle mit Weibern und Kindern an das Schiff und fielen ihm um den Hals und weinten
und küsseten ihn«? (Apostelgeschichte 20,
37-38)
Wie alle heiligen Männer der Schrift Muster der Demut sind, so sind sie
auch Beispiele der Liebe zu Gott und den Menschen. Dieses muss der Schüler
der Tugend mit eignen Augen sehen und empfinden lernen. Er muss anfangen,
den Wusch zu fühlen, dass er auch liebreich, wohltätig, treu,
wahrhaft und freundschaftlich gegen alle Menschen sein möchte. Er muß
an den Beispielen dieser Tugenden ihre Hauptbegriffe selbst entdecken lernen.
Sein Herz muss fühlen lernen, dass Hiob dadurch, dass er
sich der Unglücklichen in ihrem Elende hilfreich annahm, oder wie die Schrift
es schön ausdrückt, dass er der Lahmen Fuß und des Blinden
Auge, daß er ein Vater der Armen war (Hiob
29, 15-16), viel schätzbarer ist als durch alle seine Herden
und Reichtümer, durch alle seine Knechte und Güter; dass er unter
den schmerzhaftesten Leiden der Natur, unter aller Verspottungen seiner Freunde,
in der Asche sitzend, dennoch bei seiner Gottesfurcht und Ergebung in die göttlichen
Schickungen weit glücklicher ist, als er unter allen Herrlichkeiten der
Erde, auf einem Throne mit Schmeichlern und Anbetern umringt, unter den Vorwürfen
und Anklagen eines bösen Gewissens und mit sklavischer Furcht vor Gott
erfüllt, nicht sein würde. Dieses kann das jugendliche Herz zu fühlen
sich anmaßen und durch diese zeitig gewagten Empfindungen des Guten gleich
einem jungen Adle, der früh dem Lichte und der Wärme der Sonne entgegeneilt,
sich zu der Höhe der Tugend empor heben lernen. Man beschäftige nur
den Verstand des jungen Schülers auf eine lebhafte und geistreiche Art
mit den Beispielen der Menschenliebe und der Ehrfurcht und Unterwerfung gegen
Gott, die sich in der Schrift so häufig darbieten. Man erleichtre ihm das
Nachsinnen und lasse ihm zugleich die Freude, selbst zudenken und zu erraten.
Man lasse ihm die hohen liebesvollen Aussprüche der Schrift durch solche
Vorstellungen begreiflich werden, und er wird richtigere Begriffe von der Tugend
und mehr Neigung für sie bekommen als durch alle zu trockne oder zu ängstliche
Katechisationen, Er wird an dem Exempel eines Abrahams, der seinen Sohn auf
Befehl Gottes zu opfern bereit ist, leichter die Eigenschaften des Glaubens
und der erhabensten Liebe zu Gott, die über diese süßeste Liebe
der Natur gegen einen Sohn siegt, kennen lernen, als aus den richtigsten Begriffen
einer maegrn Erklärung. Was ist das Bekenntnis des Erzvaters: »Ich
bin zu geringe aller der Treue und Barmherzigkeit, die du an deinem Knechte
getan hast« - ? (1.
Mos. 32, 10). Ist es nicht die beste Erklärung der Demut und Dankbarkeit?
Alle Wunderwerke der göttlichen Religion sind gleichsam
Gemälde der göttlichen Eigenschaften und , wie die Werke der Natur,
Abdrücke der Gottheit. Daraus lerne der junge Bürger der Welt
seinen Gott kennen und seine Vorsehung, seine Güte und Heiligkeit zugleich
empfinden. Was ist das göttliche Leben unsers Erlösers, sein Leiden,
sein Tod, seine Auferstehung, seine Himmelfahrt, was ist es als sichtbare Geschichte
des Himmels und der Erde, der Gottheit und der Menschheit? Was lehret sie, wenn
sie in ihrem heiligen Lichte gezeigt wird? Mehr als alle Philosophie, als aller
Tiefsinn der Vernunft, unendlich mehr lehrt sie die Seele die Vollkommenheiten
des Schöpfers, seine Heiligkeit und seine erbarmende Liebe und in der Person
des Erlösers das vollkommenste und bewundernswürdigste
Beispiel des Gehorsams gegen Gott, der Liebe gegen eine ganze Welt voll unwürdiger
Menschen, das größte Exempel der Demut, Verleugnung und Großmut
in allen Verfolgungen und Leiden, bei aller Unschuld und selbst in dem peinlichsten
Tode. Diese Geschichte, dem Schüler, wenn er gehörig dazu vorbereitet
ist, aus ihrem hohen Gesichtspunkte von dem Lehrer mit Ernst und Leben gezeigt
wird, wird auf seinen Verstand und auf sein Herz den tiefsten Eindruck machen
und bei mancher frommen Träne ihn fühlen lassen, was er diesem seinen
Gott und Erlöser für Ehrfurcht, Liebe und Gehorsam schuldig sei. Aber
wie oft läßt man uns bei dem ersten Unterricht in der Religion Begriffe
auswendig lernen, die wir nicht verstehen, Worte hersagen, deren Laut wir nur
denken, Lehrsätze ins Gedächtnis prägen, die für uns mit
Finsternis umgeben sind! Wie oft erweckt man uns in den ersten Jahren durch
trockne und langweilige Erklärungen einer Glaubenslehre oder durch Auswendiglernen
eines Katechismi einen Ekel an der Religion, da doch nichts geschickter ist,
unser Herz zu rühren und zur Liebe Gottes zu bewegen als eben sie! Wie
oft lehrt man uns Gebete und gewöhnet uns diese gedankenlose Andacht auf
unsre künftigen Jahre an! Ich fürchte, daß der Ekel gegen die
Weisheit und Tugend der Religion bei vielen größtenteils von der
elenden Methode, uns dieselbe in der Jugend beizubringen, herrühre. Ich
verweise Sie wegen der Art, wie man diesen ersten Unterricht von Gott und Religion
einrichten soll, auf die lehrreichen und trefflichen Blätter in dem »Nordischen Aufseher«. Man kann auch diesen Unterricht, von
dem wir jetzt geredet haben, noch lebhafter machen, wenn man gute Kupferstiche
zu Hilfe nimmt, worinnen die merkwürdigsten Beispiele und Handlungen der
Schrift beredt vorgestellet sind. Wir haben von einem Künstler in Augsburg,
Philipp Andreas Kilian*, gute Kupferstiche solcher Art nach den Gemälden
der besten Maler erhalten und die noch dazu nicht hoch zu stehen bekommen. *
Philipp Andreas Kilian (1714-59) lieferte den Stich einer Bilderbibel.
Mit diesen Beispielen der Schrift verbindet der Lehrer die guten Exempel aus
der Profangeschichte des Altertums, aber mit großer Behutsamkeit, damit
sein Schüler die Tugend der Vernunft, der bald eigensinnigen, bald abergläubischen
Vernunft, nicht mit der Tugend der Religion, die Tugend des Ehrgeizes und Temperaments
nicht mit der Tugend des erleuchteten Verstandes und Gott geweihten Herzens,
oder die Weisheit und Rechtschaffenheit eines Sokrates und Aristides nicht mit
der Weisheit und Frömmigkeit eines David oder Paulus vermenge; daß
er nicht glaube, als machten etliche einzelne große Handlungen, die ins
Auge fallen, schon den tugendhaften Charakter eines Mannes aus. Vergißt
man dieses nicht bei den berühmten Beispielen der Alten, so kann man sie
mit Rechte zu Lehrern der bürgerlichen Tugenden aufstellen und die rühmliche
Begierde, sich ihnen zu nähern, in dem Herzen der Jugend erwecken; aber
ohne eingestreute Betrachtungen wird das Leben eines tugendhaften Heiden ein
sehr dunkler und ungetreuer Spiegel für sie bleiben.
S.313ff.
Aus: Gellerts Dichtungen. Herausgegeben von A. Schullerus, Meyers Klassiker
Ausgaben, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien
Geistliche
Oden und Lieder
Preis des
Schöpfers
Wenn ich, o Schöpfer! deine Macht,
Die Weisheit deiner Wege,
Die Liebe, die für alle wacht,
Anbetend überlege:
So weiß ich, von Bewundrung voll,
Nicht, wie ich dich erheben soll,
Mein Gott, mein Herr und Vater!
Mein Auge sieht, wohin es blickt,
Die Wunder deiner Werke.
Der Himmel, prächtig ausgeschmückt,
Preist dich, du Gott der Stärke!
Wer hat die Sonn an ihm erhöht?
Wer kleidet sie mit Majestät?
Wer ruft dem Heer der Sterne?
Wer mißt dem Winde seinen Lauf?
Wer heißt die Himmel regnen?
Wer schließt den Schoß der Erde auf,
Mit Vorrat uns zu segnen?
O Gott der Macht und Herrlichkeit!
Gott, deine Güte reicht so weit,
So weit die Wolken reichen!
Dich predigt Sonnenschein und Sturm,
Dich preist der Sand am Meere.
Bringt, ruft auch der geringste Wurm,
Bringt meinem Schöpfer Ehre!
Mich, ruft der Baum in seiner Pracht,
Mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht;
Bringt unserm Schöpfer Ehre!
Der Mensch, ein Leib, den deine Hand
So wunderbar bereitet;
Der Mensch, ein Geist, den sein Verstand
Dich zu erkennen leitet;
Der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis,
Ist sich ein täglicher Beweis
Von deiner Güt und Größe.
Erheb ihn ewig, o mein Geist!
Erhebe seinen Namen!
Gott, unser Vater, sei gepreist,
Und alle Welt sag Amen!
Und alle Welt fürcht ihren Herrn,
Und hoff auf ihn und dien ihm gern!
Wer wollte Gott nicht dienen? S.248f.
Aus: Gellerts Dichtungen. Herausgegeben von A. Schullerus, Meyers Klassiker
Ausgaben, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien
Die Ehre
Gottes aus der Natur
Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,
Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.
Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere;
Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!
Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?
Wer führt die Sonn aus ihrem Zelt?
Sie kömmt und leuchtet und lacht uns von ferne,
Und läuft den Weg, gleich als ein Held.
Vernimm‘s, und siehe die Wunder der Werke,
Die die Natur dir aufgestellt!
Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke
Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?
Kannst du der Wesen unzählbare Heere,
Den kleinsten Staub fühllos beschaun?
Durch wen ist alles? O gib ihm die Ehre!
Mir, ruft der Herr, sollst du vertraun.
Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Erde;
An meinen Werken kennst du mich.
Ich bin‘s, und werde sein, der ich sein werde,
Dein Gott und Vater ewiglich.
Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und Güte,
Ein Gott der Ordnung und dein Heil;
Ich bin‘s! Mich liebe von ganzem Gemüte,
Und nimm an meiner Gnade teil. S.223f.
Aus: Chr. F. Gellert, Sämtliche Fabeln und Erzählungen, Geistliche
Oden und Lieder, Winkler-Verlag München
Bitten
Gott, deine Güte reicht so weit,
So weit die Wolken gehen;
Du krönst uns mit Barmherzigkeit,
Und eilst, uns beizustehen.
Herr, meine Burg, mein Fels, mein Hort,
Vernimm mein Flehn, merk auf mein Wort;
Denn ich will vor dir beten!
Ich bitte nicht um Überfluß
Und Schätze dieser Erden.
Laß mir, so viel ich haben muß,
Nach deiner Gnade werden.
Gib mir nur Weisheit und Verstand,
Dich, Gott, und den, den du gesandt,
Und mich selbst zu erkennen.
Ich bitte nicht um Ehr und Ruhm,
So sehr sie Menschen rühren;
Des guten Namens Eigentum
Laß mich nur nicht verlieren.
Mein wahrer Ruhm sei meine Pflicht,
Der Ruhm vor deinem Angesicht,
Und frommer Freunde Liebe.
So bitt ich dich, Herr Zebaoth,
Auch nicht um langes Leben.
Im Glücke Demut, Mut in Not,
Das wollest du mir geben.
In deiner Hand steht meine Zeit;
Laß du mich nur Barmherzigkeit
Vor dir im Tode finden. S.217
Aus: Chr. F. Gellert, Sämtliche Fabeln und Erzählungen, Geistliche
Oden und Lieder, Winkler-Verlag München
Vertrauen
auf Gottes Vorsehung
Auf Gott, und nicht auf meinen Rat
Will ich mein Glücke bauen,
Und dem, der mich erschaffen hat,
Mit ganzer Seele trauen.
Er, der die Welt
Allmächtig hält,
Wird mich in meinen Tagen
Als Gott und Vater tragen.
Er sah von aller Ewigkeit,
Wie viel mir nützen würde,
Bestimmte meine Lebenszeit,
Mein Glück und meine Bürde.
Was zagt mein Herz?
Ist auch ein Schmerz,
Der zu des Glaubens Ehre
Nicht zu besiegen wäre?
Gott kennet, was mein Herz begehrt,
Und hätte, was ich bitte,
Mir gnädig, eh ich‘s bat, gewährt,
Wenn‘s seine Weisheit litte.
Er sorgt für mich
Stets väterlich.
Nicht, was ich mir ersehe,
Sein Wille, der geschehe!
Ist nicht ein ungestörtes Glück
Weit schwerer oft zu tragen,
Als selbst das widrige Geschick,
Bei dessen Last wir klagen?
Die größte Not
Hebt doch der Tod;
Und Ehre, Glück und Habe
Verläßt mich doch im Grabe.
An dem, was wahrhaft glücklich macht,
Läßt Gott es keinem fehlen;
Gesundheit, Ehre, Glück und Pracht
Sind nicht das Glück der Seelen.
Wer Gottes Rat
Vor Augen hat,
Dem wird ein gut Gewissen
Die Trübsal auch versüßen.
Was ist des Lebens Herrlichkeit?
Wie bald ist sie verschwunden!
Was ist das Leiden dieser Zeit?
Wie bald ist‘s überwunden!
Hofft auf den Herrn!
Er hilft uns gern:
Seid fröhlich, ihr Gerechten!
Der Herr hilft seinen Knechten. S.295ff.
Aus. Chr. F. Gellert, Sämtliche Fabeln und Erzählungen, Geistliche
Oden und Lieder, Winkler-Verlag München
Beständige
Erinnerung des Todes
Was sorgst du ängstlich für dein Leben?
Es Gott gelassen übergeben,
Ist wahre Ruh und deine Pflicht.
Du sollst es lieben, weislich nützen,
Es dankbar, als ein Glück, besitzen,
Verlieren, als verlörst du's nicht.
Der Tod soll dich nicht traurig schrecken:
Doch dich zur Weisheit zu erwecken,
Soll er dir stets vor Augen sein.
Er soll den Wunsch zu leben mindern,
Doch dich in deiner Pflicht nicht hindern,
Vielmehr dir Kraft dazu verleihn.
Ermattest du in deinen Pflichten:
So laß den Tod dich unterrichten,
Wie wenig deiner Tage sind.
Sprich: Sollt ich Gutes wohl verschieben?
Nein, meine Zeit, es auszuüben,
Ist kurz, und sie verfliegt geschwind.
Denk an den Tod, wenn böse Triebe,
Wenn Lust der Welt und ihre Liebe
Dich reizen; und ersticke sie.
Sprich: Kann ich nicht noch heute sterben?
Und könnt ich auch die Welt erwerben,
Beging ich doch solch Übel nie.
Denk an den Tod, wenn Ruhm und Ehren,
Wenn deine Schätze sich vermehren,
Daß du sie nicht zu heftig liebst.
Denk an die Eitelkeit der Erden,
Daß, wenn sie dir entrissen werden,
Du dann dich nicht zu sehr betrübst.
Denk an den Tod bei frohen Tagen.
Kann deine Lust sein Bild vertragen:
So ist sie gut und unschuldsvoll.
Sprich, dein Vergnügen zu versüßen:
Welch Glück werd ich erst dort genießen,
Wo ich unendlich leben soll!
Denk an den Tod, wenn deinem Leben
Das fehlt, wonach die Reichen streben;
Sprich: Bin ich hier, um reich zu sein?
Heil mir! wenn ich in Christo sterbe,
Dann ist ein unbeflecktes Erbe,
Dann ist der Himmel Reichtum mein.
Denk an den Tod, wenn Leiden kommen;
Sprich: Alle Trübsal eines Frommen
Ist zeitlich, und im Glauben leicht.
Ich leide; doch von allem Bösen
Wird mich der Tod bald, bald erlösen;
Er ist's, der mir die Krone reicht.
Denk an den Tod, wenn freche Rotten
Des Glaubens und der Tugend spotten,
Und Laster stolz ihr Haupt erhöhn.
Sprich bei dir selbst: Gott trägt die Frechen;
Doch endlich kömmt er, sich zu rächen,
Und plötzlich werden sie vergehn.
Denk an den Tod zur Zeit der Schrecken,
Wenn Pfeile Gottes in dir stecken;
Du rufst, und er antwortet nicht.
Sprich: Sollte Gott mich ewig hassen?
Er wird mich sterbend nicht verlassen;
Dann zeigt er mir sein Angesicht.
So suche dir in allen Fällen
Den Tod oft, lebhaft, vorzustellen;
So wirst du ihn nicht zitternd scheun;
So wird er dir ein Trost in Klagen,
Ein weiser Freund in guten Tagen,
Ein Schild in der Versuchung sein. S.230ff.
Aus: Chr. F. Gellert, Sämtliche Fabeln und Erzählungen, Geistliche
Oden und Lieder, Winkler-Verlag München
Vom
Tode
Meine Lebenszeit verstreicht,
Stündlich eil ich zu dem Grabe;
Und was ist‘s, das ich vielleicht,
Das ich noch zu leben habe?
Denk, o Mensch! an deinen Tod.
Säume nicht; denn eins ist not.
Lebe, wie du, wenn du stirbst,
Wünschen wirst, gelebt zu haben.
Güter, die du hier erwirbst,
Würden, die dir Menschen gaben;
Nichts wird dich im Tod erfreun;
Diese Güter sind nicht dein.
Nur ein Herz, das Gutes liebt,
Nur ein ruhiges Gewissen,
Das vor Gott dir Zeugnis gibt,
Wird dir deinen Tod versüßen;
Dieses Herz, von Gott erneut,
Ist des Todes Freudigkeit.
Wenn in deiner letzten Not
Freunde hülflos um dich beben:
Dann wird über Welt und Tod
Dich dies reine Herz erheben;
Dann erschreckt dich kein Gericht;
Gott ist deine Zuversicht.
Daß du dieses Herz erwirbst,
Fürchte Gott, und bet und wache.
Sorge nicht, wie früh du stirbst;
Deine Zeit ist Gottes Sache.
Lern nicht nur den Tod nicht scheun,
Lern auch seiner dich erfreun.
Überwind ihn durch Vertraun,
Sprich; Ich weiß, an wen ich gläube,
Und ich weiß, ich werd ihn schaun
Einst in diesem meinem Leibe.
Er, der rief: Es ist vollbracht!
Nahm dem Tode seine Macht.
Tritt im Geist zum Grab oft hin,
Siehe dein Gebein versenken;
Sprich: Herr, daß ich Erde bin,
Lehre du mich selbst bedenken;
Lehre du mich‘s jeden Tag,
Daß ich weiser werden mag! S.273ff.
Aus: Chr. F. Gellert, Sämtliche Fabeln und Erzählungen, Geistliche
Oden und Lieder, Winkler-Verlag München
Betrachtung
des Todes
Wie sicher lebt der Mensch, der Staub!
Sein Leben ist ein fallend Laub;
Und dennoch schmeichelt er sich gern,
Der Tag des Todes sei noch fern.
Der Jüngling hofft des Greises Ziel,
Der Mann noch seiner Jahre viel,
Der Greis zu vielen noch ein Jahr,
Und keiner nimmt den Irrtum wahr.
Sprich nicht: Ich denk in Glück und Not
Im Herzen oft an meinen Tod.
Der, den der Tod nicht weiser macht,
Hat nie mit Ernst an ihn gedacht.
Wir leben hier zur Ewigkeit,
Zu tun, was uns der Herr gebeut,
Und unsers Lebens kleinster Teil
Ist eine Frist zu unserm Heil.
Der Tod rückt Seelen vor Gericht;
Da bringt Gott alles an das Licht,
Und macht, was hier verborgen war,
Den Rat der Herzen offenbar.
Drum da dein Tod dir täglich dräut,
So sei doch wacker und bereit;
Priif deinen Glauben, als ein Christ,
Ob er durch Liebe tätig ist.
Ein Seufzer in der letzten Not,
Ein Wunsch, durch des Erlösers Tod
Vor Gottes Thron gerecht zu sein,
Dies macht dich nicht von Sünden rein.
Ein Herz, das Gottes Stimme hört,
Ihr folgt, und sich vom Bösen kehrt;
Ein gläubig Herz, von Lieb erfüllt,
Dies ist es, was in Christo gilt.
Die Heiligung erfordert Müh;
Du wirkst sie nicht, Gott wirket sie.
Du aber ringe stets nach ihr,
Als wäre sie ein Werk von dir.
Der Ruf des Lebens, das du lebst,
Dein höchstes Ziel, nach dem du strebst,
Und deiner Tage Rechenschaft
Ist Tugend in des Glaubens Kraft.
Ihr alle seine Tage weihn,
Heißt eingedenk des Todes sein:
Und wachsen in der Heiligung,
Ist wahre Todserinnerung.
Wie oft vergeß ich diese Pflicht! Herr,
geh mit mir nicht ins Gericht;
Drück selbst des Todes Bild in mich,
Daß ich dir wandle würdiglich;
Daß ich mein Herz mit jedem Tag
Vor dir, o Gott! erforschen mag,
Ob Liebe, Demut, Fried und Treu,
Die Frucht des Geistes, in ihm sei;
Daß ich zu dir um Gnade fleh,
Stets meiner Schwachheit widersteh,
Und einstens in des Glaubens Macht
Mit Freuden ruf: Es ist vollbracht! S.305ff.
Aus. Chr. F. Gellert, Sämtliche Fabeln und Erzählungen, Geistliche
Oden und Lieder, Winkler-Verlag München
Der
Trost des ewigen Lebens
Nach einer Prüfung kurzer Tage
Erwartet uns die Ewigkeit.
Dort, dort verwandelt sich die Klage
In göttliche Zufriedenheit.
Hier übt die Tugend ihren Fleiß;
Und jene Welt reicht ihr den Preis.
Wahr ist‘s, der Fromme schmeckt auf Erden
Schon manchen selgen Augenblick;
Doch alle Freuden, die ihm werden,
Sind ihm ein unvollkommnes Glück.
Er bleibt ein Mensch, und seine Ruh
Nimmt in der Seele ab und zu.
Bald stören ihn des Körpers Schmerzen,
Bald das Geräusche dieser Welt;
Bald kämpft in seinem eignen Herzen
Ein Feind, der öfter siegt, als fällt;
Bald sinkt er durch des Nächsten Schuld
In Kummer und in Ungeduld.
Hier, wo die Tugend öfters leidet,
Das Laster öfters glücklich ist,
Wo man den Glücklichen beneidet;
Und des Bekümmerten vergißt;
Hier kann der Mensch nie frei von Pein,
Nie frei von eigner Schwachheit sein.
Hier such ich‘s nur, dort werd ich‘s finden;
Dort werd ich, heilig und verklärt,
Der Tugend ganzen Wert empfinden,
Den unaussprechlich großen Wert;
Den Gott der Liehe werd ich sehn,
Ihn lieben, ewig ihn erhöhn.
Da wird der Vorsicht heilger Wille
Mein Will und meine Wohlfahrt sein;
Und lieblich Wesen, Heil die Fülle
Am Throne Gottes mich erfreun.
Dann läßt Gewinn stets auf Gewinn
Mich fühlen, daß ich ewig bin.
Da werd ich das im Licht erkennen,
Was ich auf Erden dunkel sah;
Das wunderbar und heilig nennen,
Was unerforschlich hier geschah;
Da denkt mein Geist mit Preis und Dank
Die Schickung im Zusammenhang.
Da werd ich zu dem Throne dringen,
Wo Gott, mein Heil, sich offenbart;
Ein Heilig, Heilig, Heilig singen
Dem Lamme, das erwürget ward;
Und Cherubim und Seraphim
Und alle Himmel jauchzen ihm.
Da werd ich in der Engel Scharen
Mich ihnen gleich und heilig sehn,
Das nie gestörte Glück erfahren,
Mit Frommen stets fromm umzugehn.
Da wird durch jeden Augenblick
Ihr Heil mein Heil, mein Glück ihr Glück.
Da werd ich dem den Dank bezahlen,
Der Gottes Weg mich gehen hieß,
Und ihn zu millionen Malen
Noch segnen, daß er mir ihn wies;
Da find ich in des Höchsten Hand
Den Freund, den ich auf Erden fand.
Da ruft, o möchte Gott es geben!
Vielleicht auch mir ein Selger zu:
Heil sei dir! denn du hast mein Leben,
Die Seele mir gerettet; du!
O Gott, wie muß dies Glück erfreun,
Der Retter einer Seele sein!
Was seid ihr, Leiden dieser Erden,
Doch gegen jene Herrlichkeit,
Die offenbart an uns soll werden,
Von Ewigkeit zu Ewigkeit?
Wie nichts, wie gar nichts gegen sie,
Ist doch ein Augenblick voll Müh! S.310ff.
Aus: Chr. F. Gellert, Sämtliche Fabeln und Erzählungen, Geistliche
Oden und Lieder, Winkler-Verlag
Der Freigeist
Ihr, die ihr nach der Tugend strebet;
Ihr, die ihr dem gehorsam seid,
Was die Vernunft und was die Schrift gebeut,
Ein Freigeist lacht euch aus, daß ihr so sklavisch lebet.
Was sucht ihr? fragt er euch; nicht die Zufriedenheit?
Ists möglich, sich so zu betrügen?
Um euch vergnügt zu sehn, raubt ihr euch das Vergnügen?
Ihr sucht die Ruh, und findt sie in der Last,
Haßt, was ihr liebt, und liebet, war ihr haßt.
Habt ihr Vernunft? Ich zweifle fast.
Die Freiheit in der Tugend finden,
Das heißt, um frei zu sein, sich erst an Ketten binden.
Dringt durch des Aberglaubens Nacht,
Die euch zu finstern Köpfen macht;
Folgt der Natur, genießt, was sie euch schenket;
Sucht nichts, als was ihr wünscht; flieht nichts, als was euch kränket;
Denkt frei, und lebet, wie ihr denket,
Und gebt nicht auf die Toren acht.
Der Pöbel ist der größte Hauf auf Erden,
Von diesem reißt euch los. Er weiß nicht, was er glaubt,
Hält seinen Trieb für unerlaubt,
Und sieht nicht, daß er sich sein Glück aus Milzsucht raubt;
Sonst würd er nicht so abergläubisch werden.
Drum faßt den kurzen Unterricht:
Was viele glauben, glaubet nicht.
Sie glauben es aus Trägheit, nichts zu prüfen;
Doch ein Vernünftiger dringt in der Wahrheit Tiefen.
Was ist die Schrift? Was lehret sie?
Ein traurig Leben, reich an Müh,
Und Rätsel, die wir aufzuschließen,
Erst der Vernunft entsagen müssen.
Was ist das mächtige Gewissen?
Ein Ding, das die Erziehung schafft,
Ein heilig Erbteil aller Blöden;
Doch die, die wissen, was sie reden,
Empfinden nichts von seiner Kraft.
Folgt der Natur! Sie ruft; was kann sie anders wollen,
Als daß wir ihr gehorchen sollen?
Die Furcht erdachte Recht und Pflicht,
Und schuf den Himmel und die Hölle.
Setzt die Vernunft an ihre Stelle,
Was seht ihr da? Den Himmel und die Hölle?
O nein, ein weibisches Gedicht.
Laßt doch der Welt ihr kindisches Geschwätze.
Was jeden ruhig macht, ist jedes sein Gesetze.
Mehr glaubt und braucht ein Kluger nicht."
Dies war der Witz, mit dem in seinem Leben
Ein Freigeist sein System erwies;
Die Tugend von dem Throne stieß,
Um nur sein Laster drauf zu heben.
Sein böses Herz war ihm Vernunft und Gott,
Und der am Kreuze starb, war oft des Frechen Spott.
Sein Ende kam. Und der, der nie gezittert,
Ward plötzlich durch den Tod erschüttert.
Das Schrecken einer Ewigkeit,
Ein Richter, der als Gott ihm fluchte,
Ein Abgrund, welcher ihn schon zu verschlingen suchte,
Zerstörte das System tollkühner Sicherheit.
Und der, der sonst mit seinen hohen Lehren
Der ganzen Welt zu widerstehn gewagt,
Fing an, der Magd geduldig zuzuhören,
Und ließ von seiner frommen Magd,
Zu der er tausendmal »du christlich Tier« gesagt,
Sich widerlegen und bekehren.
So stark sind eines Freigeists Lehren! S.124ff.
Aus. Chr. F. Gellert, Sämtliche Fabeln und Erzählungen, Geistliche
Oden und Lieder, Winkler-Verlag München