Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782 - 1852)

Deutscher Pädagoge , der als Schüler von Johann Heinrich Pestalozzi stark von Jean-Jacques Rousseau beinflusst war. Er gründete 1817 ein Landeserziehungsheim in Keilhau bei Rudolfsstadt und gilt als Vater des Kindergartens, weil er in den Jahren 1839/1840 den ersten »Kindergarten« in Deutschland bei Blankenburg/Thüringen gründete. Er erdachte Spiel- und Beschäftigungsmittel für die frühe Kindheit und richtete im Jahre 1849 ein Seminar für Kindergärtnerinnen ein. Fröbel war tief religiös und seine klare Absicht war es, Gott als zentrale Macht in den Mittelpunkt seiner Erziehungsbestrebungen zu stellen,

Siehe auch Wikipedia
und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
An unser deutsches Volk
Religion

An unser deutsches Volk

1820

1. Aus einem unbekannten Punkte, aus einem kleinen verborgenen Tale unseres gemeinsamen Vaterlandes redet eine kleine Gesellschaft von Menschen, welche Glieder von nur wenigen Familien, sämtlich Deutsche sind, zu euch. Sie sind Glieder aller Familienverhältnisse, sie sind Vater, Mutter, Eltern, sie sind Bruder, Schwester, Geschwister, sie sind Verwandte und Freunde; Vater- und Mutter-, Bruder- und Schwestersinn und -liebe, Liebe zu den Verwandten und Sinn für Verwandtschaft, Freundesherz, Liebe zu den Freunden verknüpfen sie und verknüpfen sie seit langem. In verschiedenen deutschen Landschaften, in drei deutschen Gebirgslandenl wurden sie geboren und erzogen; aber eine Liebe vereinte sie, die Liebe zum Menschen, zur Ausbildung und Darstellung des Menschlichen, der Menschheit im Menschen. Da diese Liebe echt, lauter und rein war, so konnte sie in keinem Streben, in keinem Zweck entsprechender, umfassender und genügender heraustreten, sich gegenseitig betätigen, als in dem Wirken für gegenseitige Erziehung, als in gegenseitiger Erziehung, in gegen­seitig vereinter Tätigkeit für diesen Zweck. Lange schon hatte in allen dieses Bedürfnis teils in bezug auf sich, teils in Beziehung auf die, welche Gott ihnen schenkte und mit welchen Gott durchs Blut sie verband, gelebt. Seit langem hatten einige die Bedingungen dazu unter den mannigfachsten, entgegenge­setztesten Verhältnissen in sich bearbeitet und sich anzueignen gesucht, bis endlich das gemeinsame Bedürfnis sich lebendig in ihnen allen aussprach und sie aus den verschiedenen Gegenden des Vaterlandes durch eine Liebe, durch Liebe zu einem für gleichen Zweck geeinten Ganzen, zu einer einzigen Familie, zu einer erziehenden Familie in einem kleinen Dorfe eines stillen Tales zusammenzog.

2. So ist nun seit einigen Jahren angewandte Erziehung der Zweck aller unserer Tätigkeit. Was früheres, ja lebenslängliches Nachdenken, Forschen und Vergleichen uns als Wahrheit lehrte, wurde nun der Gegenstand der Anwendung an uns und in unserem Kreise mit ununterbrochenem Nachdenken, Forschen und Vergleichen.

3. Wir stehen aber nicht allein in der Welt; außerdem, dass wir Glieder verschiedener Familien aus allen bürgerlichen Verhältnissen sind, sind wir auch Glieder eines Volkes, eines großen Volkes; wir konnten, durften uns also nicht für uns allein, sondern wir mussten, so wie in jeder in sich geschlossenen Familie sich jedes Glied für die Erhaltung, für das Bedürfnis der Familie erzieht und ausbildet, so auch uns für unser Volk, für das Bedürfnis, für die Forderungen unseres Volkes erziehen. Um dieses zu können, mussten wir die Bedürfnisse und Forderungen unseres Volkes uns zur Erkenntnis und Einsicht bringen; wir mussten über alle Bedürfnisse und alle Forderungen unseres Volkes nachdenken
und ihre entweder verschiedenen oder gemeinsamen Quellen aufsuchen. Hier kamen wir von allen Seiten, von allen Beziehungen, von allem, was uns äußerlich darüber ausgesprochen wurde, was wir als Forderung an andere machen hörten und sahen, was uns von den mannigfaltigen Erscheinungen und Streben in dem Volke, mit dem Volke, in den verschiedenen Ständen des Volkes, in den verschiedenen Geschäftskreisen und bürgerlichen Verhältnissen, in dem verschiedenen Alter nur immer bekannt wurde, einstimmig zur Erziehung, zur Volkserziehung durch die Erziehung jedes einzelnen für seine Familie, für sein Geburts-, sein Vaterland, für seine Tätigkeit, sein Tun, als zu dem Grund und Quellbedürfnis des deutschen Volkes, in welchem alle Erscheinungen desselben, wie sie auch Form und Namen haben mögen, ihren Grund haben.

4. Wir fassten daher den Gedanken, für dieses Bedürfnis zu wirken. Wir erkannten es für uns wie für jeden einzelnen überhaupt als Pflicht, über die Erfüllung dieser Forderung, über die Befriedigung dieses Bedürfnisses allen Ernstes mit genauer Beachtung alles dessen, was uns Forschung und Erfahrung über Erziehung gelehrt, nochmals nachzudenken; und wir fanden bald, dass Familien-, Standes-, Landschafts-, Vaterlands- und Volkserziehung, dass alle Erziehung eine Erziehung, Menschheitserziehung sei, nur in verschiedenen Graden des Umfanges, der Ausbildung, dass alle Erziehung aus einer einzigen Quelle, Einheit des Geistes, hervorgehe, ein Ziel und einen Zweck, Entwickelung, Ausbildung und Anwendung des Geistes, haben müsse.

5. Da sich unsere Lehre, unser Unterricht, unsere Erziehung auf die allgemein menschliche gründet; da alle Lehre, aller Unterricht, alle Erziehung für besondere Zwecke aus ihr wie verschiedene Zweige nach den verschiedenen Seiten hin hervorwachsen; da wir überhaupt in allem von der Entwickelung und Ausbildung des allgemeinst Menschlichen zu dem Besonderen und Besondersten herabsteigen: so erkannten wir, dass diese Erziehungsweise, der Erziehungsgang, den wir gehen, jeder Familie, jeder Landschaft, dem ganzen Vaterlande, dem ganzen Volke und allen Gliedern desselben angemessen sei und sein müsse.

6. Wir legen, da ja jeder unseres Volkes sich Erziehung erfreut, unsere Erziehung ihren Grundsätzen, ihrem Wirken und Leben nach, dem ganzen Volke, jedem Gliede des Volkes, welches mit uns erkennt, dass der einzelne und das Ganze Bedürfnisse und Forderungen habe, zur Prüfung vor, damit es selbst entscheide: ob eine durchgreifende, auf die Forderungen und Bedürfnisse des Lebenns und der Zeit gegründete Erziehung allen Forderungen, allen Bedürfnissen des Volkes entspreche, sich in ihnen auflöse, ob ihre Darstellung und Ausführung gleichsam die Quelle der Mittel zur Befriedigung aller sich aussprechenden Bedürfnisse und Forderungen des Volkes als eines Ganzen, und jedes einzelnen in Beziehung auf sich allein und als Glied dieses Ganzen, erfassend in sich schließe.

7. Wir gründen unsere Erziehung auf die einfachste von allen Menschen gemachte, von jedem Menschen in jedem Augenblick wiederholt zu prüfende Erfahrung und Erkenntnis, dass kein Ding in der Natur und also auch der Mensch, als Gegenstand der Natur und in derselben lebend, sich sein Dasein selbst gegeben habe, dass vielmehr alle Dinge der Natur, also auch die Menschen, ihren Grund in einem letzten, allumfassenden Einen - Gott habe, und wir bemerken, wie jeder, der auf sein tägliches Leben aufmerksam ist, jeder Lebende und Sprechende bemerken kann, und wie, so wie uns dünkt, jeder Mensch die Erfahrung machen muss, dass wir, so wenig wir uns unser Leben und Dasein gegeben haben, ebensowenig durch unsere eigene Macht, sondern durch den Gebrauch und die Kraft der Mittel, die Gott in uns durch eine Seele, einen Geist, ein Gemüt gelegt hat, und durch die nach den Forderungen des Geistes geörauchten Kräfte der uns umgebenden Naturwesen unser Dasein forterhalten.

8. Wir gehen von der ganz einfachen Bemerkung aus, welche jeder auf sich und sein Leben und auf das Leben und Wirken alles ihn Umgebenden wahrhaft aufmerksame Mensch gemacht hat und täglich und stündlich wiederholen kann, dass wir nur durch, nur aus Gott unser Leben haben, nur in Gott und durch Gott leben, weben und sind, und dass so auch alle Dinge nur aus Gott sind und nur in Gott Leben und Fortbestehen haben.

9. Auf diese ganz einfache Erfahrung: Gott ist unser Vater, die sich uns durch unser ganzes Leben bis herauf in das reife Mannesalter bestätigt hat, gründet sich all unser Handeln, all unser Wirken. Denn wir sehen dadurch, dass sich eine genaue Wechselbeziehung zwischen Gott und den Menschen, zwischen Gott und den Geschöpfen während der ganzen Dauer der Geschöpfe, während der ganzen Dauer der Menschen hindurch erhalte und dass das recht vollkommene Bestehen, die recht vollkommene Dauer jedes Dinges von dem rechten Leben in diesem immer fortbestehenden Wechselverhältnis zwischen Gott und Menschen, zwischen Gott und Geschöpfen abhänge.

10. Wir gehen nun weiter und sagen: weil das Wechselverhältnis zwischen Gott und Menschen für den Menschen so wesentlich ist, so ist es für das Bestehen des einzelnen, des Geschöpfes, des Menschen, höchst wichtig, dass er jenes Verhältnis nicht störe, nicht verletze, wohl gar unterbreche und aufhebe.

11. Und nun sagen wir uns: weil man nur das schonen und pflegen kann, was man kennt, so ist es für den Menschen höchst wichtig und wesentlich, jenes Verhältnis genau zu kennen, genau die Kräfte des Menschengeistes, genau ihren Gebrauch und ihre Anwendung, genau die Kraft der übrigen Natur und ihren Gebrauch, ihre Anwendung zu kennen, so ist es höchst wichtig, dass der Mensch seinen Körper zum Gebrauch für die Kräfte seines Geistes und zum Aneignen und Gebrauch der übrigen Kräfte der Naturkörper entwickele und ausbilde. Ausbildung des Geistes und Körpers des Menschen, eine gründliche, für die verschiedenen Zwecke des Menschenlebens genügende Ausbildung des Geistes und Körpers des Menschen: Lehre, Unterricht, mit einem Wort - Erziehung ist es also, was der Mensch bedarf; aber eine solche Erziehung, die sich auf das tätige Wechselverhältnis zwischen Gott und Menschen gründet, daraus als eine Notwendigkeit gleichsam hervorgewachsen ist. Dieses tätige Wechselverhältnis zwischen Gott und Menschen, dessen er sich von Kindes Beinen an bewusst ist, ist dasjenige, was von jeher Religion genannt wird.

12. Also auf eine lebendige Religion sich gründende, gleichsam durch sie hervorgerufene, aus ihr hervorgewachsene Erziehung ist es, welche wir das Bedürfnis und die Forderung für uns alle, für alle Glieder unseres Volkes, für jeden einzelnen wie für das Ganze erkennen.

13. Wenn wir diesem Bedürfnis, dieser Forderung recht durchgreifend Genüge leisten; je länger, je vollständiger wir ihr Genüge leisten, um so mehr sehen und erkennen wir, wie väterlich Gott durch die Gaben seines Geistes, durch die Anlagen des Körpers, welche er in den Menschen gelegt, durch die mannigfaltigen Kräfte und Eigenschaften, welche er in die uns umgebenden Dinge gepflanzt, für uns gesorgt hat; wir erkennen je länger, je rnehr wir nach den Forderungen der Religion uns und andere erziehen und denselben getreu leben, dass Gott unser Vater ist; wir erkennen, wenn wir dieses unser Bewusstsein und unsere Überzeugung mit jenem vergleichen, was darüber ausgesprochen worden ist von dem, welcher Gott zuerst als Vater der Menschen erkannte, dass alles, was er sagt, sich vollkommen treu und wahr in einem tätigen und zugleich aufmerksam beachteten Leben bestätigt, dass seine Lehre, seine Aussprüche, seine Forderungen wirklich dem väterlichen Verhältnisse Gottes zu den Menschen und dem kindlichen Verhältnisse der Menschen zu Gott genügend entsprechen, dasser es ausschließend ist, der dieses Verhältnis unter allen Menschen nachgelebt, wie kein späterer Mensch es getan hat und tun wird; dass Jesus sich in seiner Lehre, in seinem Leben, obgleich als Mensch geboren, doch als wahrhaften Gottessohn betätigt und bewiesen und von der Zeit seines Lebens bis in unser aller Leben herauf sich uns bewährt, bezeugt und bestätigt hat.

14. Wir sehen so, wir erfahren im eigenen Leben und durch dasselbe, durch das ruhige Beachten der Forderungen und Bedürfnisse desselben und durch die Bemühung, durch Arbeitsamkeit und Nachdenken demselben nachzuleben, dass die Religion Jesu, die christliche Religion es ist, auf welche sich eine genügende Menschen-, auf welche sich unsere Beziehung gründen, auf welche sie sich stützen, auf und aus welcher sie hervorwachsen müsse.

15. Die Religion Jesu, die christliche Religion lehrt uns: Alle Dinge sind aus Gott hervorgegangen; alle Dinge hat Gott geschaffen, Gott ist der Schöpfer aller Dinge, Gott ist der Erzeuger, der Vater der Menschen, die Menschen sind Gottes Kinder.

16. Jedes Ding trägt aber in sich notwendig die Eigenschaften dessen, der es erzeugt hat. Das Kind trägt das Wesen, den Geist und die Eigenschaften der Eltern, des Vaters an sich; also die Menschen, Gottes Kinder, tragen auch das Wesen ihres Schöpfers, ihres Vaters an sich, und so trägt der Mensch göttliches Wesen an sich, so ist der Mensch göttlichen Wesens.

17. Jedes Ding kann aber nur entwickeln, darstellen, ausbilden, was es in sich trägt, und dieses Darstellen, diese Entwickelung erkennen wir als jedes Dinges einzige und ausschließende Bestimmung. Dass also auch der Mensch nur die vom Schöpfer in ihn gelegte Natur, das in ihn gepflanzte göttliche Wesen, seine göttliche Natur entwickeln könne und solle, erkennen wir als des Menschen einzige und ausschließende Bestimmung.

18. Das Samenkorn, der Kern, welcher aus seinem einfachen Wesen eine fast unzählige Menge von einzelnen Teilen und Gliedern, Stamm, Äste, Zweige, Blätter, Blüten und zuletzt wieder Früchte, Kerne aus sich entfaltet; das einfache Ei, was aus sich ein Tier mit fast unzähligen Gliedern, Teilen und Mannigfaltigkeiten entwickelt, die alle unter sich und mit der Einheit in Übereinstimmung stehen, welche in ihrer Gesamtheit das Wesen der Einheit darstellen in ein Gesamtbild derselben, die Einheit in der Mannigfaltigkeit darstellen; der Vater, welcher die Vielseitigkeit seines einigen und einzigen Charakters in der Mannigfaltigkeit seiner Kinder seht und erkennt und sich so gleichsam nach der Vielseitigkeit und doch Einfachheit seines Charakters vervielfältigt schaut; der einfache menschliche Geist, welcher eine große Mannigfaltigkeit von Gedanken bildet, das einfache Gemüt, aus welchem eine große Mannigfaltigkeit von Empfindungen hervorgehen, welche alle den Grundcharakter der Einheit, das Grundwesen der Einheit vereinzelt in sich tragen; diese lehren und überzeugen uns, alles, was uns umgibt, lehrt und überzeugt uns, dass das Grundgesetz aller Entwickelung sei: die Einheit an einer Mannigfaltigkeit von Einzelheiten, wovon jede das Wesen der Einheit in sich trage, hervortreten zu machen.

19. Wir sehen und erkennen nun ferner, wenn wir uns selbst und jedes Ding um uns her aufmerksam betrachten, was auch jeder andere, wer er auch sei, an sich selbst und an den Dingen um sich her beachten und erkennen kann, dass der Mensch und jedes Ding sein Wesen, die in ihm liegende Mannigfaltigkeit in sich selbst, innerhalb der Grenze seiner selbst entwickeln und ausbilden kann, ohne es aus sich, aus den Grenzen seiner selbst heraustreten zu lassen; alle Entwicklung und Ausbildung bleibt hier innerhalb der Einheit des Gegenstan­des, in dem Gegenstande selbst beschlossen. Oder wir sehen, der Mensch und jedes Ding kann die in ihm liegende Mannigfaltigkeit an einem einzelnen Dinge außer sich und uneingeschränkt darzustellen und auszubilden sich bemü­hen; wir sehen und erkennen also, ein jeder, der sich und anderes aufmerksam beobachtet, kann es sehen und bemerken, wie der Mensch und jedes Ding es versucht, sein ganzes Wesen, alle Mannigfaltigkeit, die in seinem Wesen liegt, außer sich an einem Gegenstande, einer Einzelnheit und durch einen Gegenstand, durch eine Einzelnheit darzustellen. Wir sehen und erkennen endlich und zu­letzt an uns und allem anderen um uns her, und jeder, der sich und anderes um sich her beobachtet, kann es erkennen und bemerken, der Mensch und jedes Ding kann sein Wesen, die Mannigfaltigkeit seines Wesens in einer fortlaufenden und durch eine unbegrenzte Mannigfaltigkeit von Gegenständen außer sich darstellen.

20. So finden und erkennen wir, und jeder, der sich und anderes beobachtet, kann finden und erkennen, daß der Mensch und jedes Ding sein einiges Wesen, die Mannigfaltigkeit seines einigen unzertrennten Wesens auf eine dreifache Weise darstellt: entweder in sich selbst, innerhalb der Grenzen seiner selbst, oder an einer und durch eine Einzelnheit außer sich, oder an einer und durch eine unzählige fortlaufende Mannigfaltigkeit von Gegenständen oder Dingen außer sich. In dieser dreifachen Darstellung seines einigen Wesens finden wir nun die Darstellung der Mannigfaltigkeit, der Entwicklung der Mannigfaltig­keit jedes Wesens vollkommen und vollendet geschlossen. Anschauungen dafür geben wieder das Samenkorn, der menschliche Geist, der Vater und seine Kinder. So kann das Samenkorn sich ausbilden in seiner Einheit innerhalb der Grenzen seines Wesens zu einer vollkommenen Pflanze. Es kann auch ganz und vollständig vollendet heraustreten in der Einzelnheit, in einem einzigen Samenkorn, zu dem es sich wieder bildet, und ganz vollständig, aber ins Unbegrenzte fortgehend in und an einer Mannigfaltigkeit von Samenkörnern, die es aus sich entwickelt. Ebenso kann der Vater sein Wesen, seinen Charakter vollkommen in sich, in der Einheit seiner Person darstellen und ausbilden; der Charakter und das Wesen des Vaters tritt aber auch in einer Einzelnheit, so vollkommen es nur immer möglich ist, in dem Sohne, welcher vorzüglich das Abbild des Vaters ist, hervor und bildet sich in demselben aus; aber am vollkommensten schaut der Vater die Vielseitigkeit seines Geistes und Wesens in der Gesamtheit seiner Söhne. Wohl kann auch so der Geist sein Wesen in sich selbst, in seiner Einheit ausbilden; allein er wird streben, [es] 2 an einer Einzelnheit, sei es ein Gedanke oder ein Werk, darzustellen; er wird streben, in dieser Einzelnheit gleichsam den Gedanken, die Grundempfindung seines Wesens, das ganze Wesen seines Geistes auszudrücken und darzustellen; doch erst in und durch die Entwicklung und Darstellung einer ununterbrochenen fortlaufenden Reihe von Mannigfaltigkeiten der Gedanken und Empfindungen wird es ihm gelingen, sein Wesen vollkommen darzustellen, und so wird er wie jedes Ding erkennen, dass erst durch diese dreifache Darstellung der Einheit seines Wesens die Darstellung seines Selbst beschlossen sei.

21. Dieses Gesetz der Entwickelung, der Einheit zur Mannigfaltigkeit oder der Mannigfaltigkeit aus der Einheit, in und durch und an einer Einheit, Einzelnheit, und Mannigfaltigkeit erkennen wir auch als Grundgesetz aller menschlichen Entwickelung und Ausbildung. Der Mensch soll also in aller Mannigfaltigkeit, Einzelnheit seines Denkens und Tuns das Wesen seiner Einheit, sein göttliches Wesen, in dieser dreifachen Weise, Einheit, Einzelnheit und Mannigfaltigkeit, darstellen. Der Mensch kann aber, wenn er dieser Forderung gemäß sich ausbildet und dabei sich selbst ruhig und still beachtet, sein Wesen in und außer sich wahrnehmen, er kann sich vernehmen und seiner selbst sich bewusst werden.

22. Wir sehen und erkennen also, der Mensch ist zum Vernehmen, zur Vernunft, zum Bewusstwerden und endlich zum Bewusstsein des Entwickelungsganges seines Wesens und so zum Bewusstsein seines ganzen Wesens bestimmt. Der Mensch ist bestimmt, mit Bewusstsein und Vernunft sein Wesen zu entwickeln, auszubilden und darzustellen.

23. Entwickeln kann sich jedes Wesen nur durch Tätigkeit, Tun, Arbeiten; vernehmen, bewusst werden kann sich ein Wesen nur durch Bemerken, Kennen, Erkennen, Berichtigen, Vergleichen seiner Tätigkeit, und nur bewusst durch Bewusstsein kann sich ein Wesen vernehmen; vernehmend, vernünftig kann aber ein Wesen, und so besonders der Mensch, nur durch Tun, Arbeiten und Denken werden.

24. So entwickelt sich uns der Menschen Bestimmung vor unseren Blicken immer klarer und bestimmter; dass der Mensch zum Bewusstwerden, zur Vernunft seines Wesens durch Tun und Denken, Darstellen und Erkennen nach dem Grundgesetz aller Entwickelung - der Entwicklung der Einheit zur Mannigfaltigkeit, oder der Mannigfaltigkeit aus der Einheit - durch und in der dreifachen Darstellung des einen, einigen Wesens in der Einheit, Einzelnheit und Mannigfaltigkeit kommen soll.

25. Dieses ist uns das Grundgesetz aller menschlichen Erziehung, ist uns ausschließend das Grundgesetz unserer Erziehung, wie wir sie an uns selbst und an unseren Pfleglingen, Zöglingen auszuführen und darzustellen streben, die Grundlage der Erziehung, welche wir seit vielen Jahren prüfend und sich immer mehr bewährend anwenden. Ebenso ist es uns das Grundgesetz aller Entwickelung, die Grundform, nach welcher wir jedes, was als Lehrgegenstand von uns erkannt wird, behandeln, wodurch eben, weil dies ganz mit der Natur jedes Unterrichtsgegenstandes in Übereinstimmung ist, die Lehrgegenstände unter sich selbst wieder mit einer sich gegenseitig erklärenden Eintracht und Einklang hervortreten. Und dieses Gesetz, die Anwendung dieses Gesetzes ist es auch, wodurch es uns möglich wird, jeden Zögling selbst, jeden Pflegling seiner Eigentümlichkeit ganz gemäß zu leiten und dieser getreu ihn zu entwickeln und auszubilden.

26. Auf diese Weise seiner Natur entsprechend zu dem, wozu Gott, Natur und das Leben ihn bestimmten, entwickelt, gekräftigt und ausgebildet, kann der Zögling aus der Fremderziehung heraus in den Beruf treten, den er als den seinen erkannt hat. Und wir sehen, wir sind überzeugt und finden an uns und unseren Zöglingen bestätigt, dass der so erzogene Mensch seine Familienpflichten, seine Stammes- und Geschlechts, seine Bürger-, Volks- und Staatspflichten auf das vollkommenste erfüllen kann und erfülle; denn er kommt so zum vollendetsten Bewusstsein seiner selbst, seines Seins und seines Könnens, seiner Bestimmung und der Mittel zur vollkommensten Erfüllung derselben, und so auch zum vollendetsten Bewusstsein aller Dinge um sich her, ihres Zweckes und ihrer Bestimmung, daher auch zur vollkommensten Einsicht seiner Selbstpflichten, seiner Familien-, Geschlechts- und Stammpflichten, seiner Bürger-, Volks­ und Staatspflichten, so zur vollendetsten Einsicht zunächst der gegenwärtigen Forderungen und Bedürfnisse seiner selbst, seiner Familie, seines Geschlechtes, seines Volkes und Staates und des Grundes und der Bedeutung derselben.

27. Denn der so erzogene Mensch, schaut er um sich, sieht, dass alle Forderung des Einzelnen, als Einzelnen, dass alles das, was dem Einzelnen als Bedürfnisse und Pflichten erscheint, in folgendem [besteht] :

28. in Sicherstellung seiner selbst unter allen äußerlichen Verhältnissen und Wechseln, und daher in Geltendmachung seiner selbst, seines Wertes, seiner Wirksamkeit, deshalb Streben nach Darstellung seiner selbst, seines Wertes, seiner Wirksamkeit, seines Seins;

29. in Anerkanntsehen seiner selbst, seines Wertes, seiner Wirksamkeit, seines Seins. Jeder strebt also nach Hervorhebung, Emporhebung seiner selbst, nach Hervorhaltung seiner selbst. Dieses kann aber nur durch Geltendmachung von Vorzügen geschehen. Jeder sucht sich daher Vorzüge vor den anderen zu erringen, Vorzüge vor den anderen anzueignen. Diese können und werden natürlich nur nach dem Maße dessen gemacht werden, was vorzüglich genannt wird. Ist es Ehre, wird Ehre gesucht und erstrebt werden; ist es Reichtum, Bequemlichkeit, Herrschaft, Freiheit, so wird sich jeder diese vor den anderen zu verschaffen suchen. Weil aber alles Aneignen nur an Bedingungen gebunden ist, folglich auch die Aneignung der genannten Güter, so sieht der so erzogene Mensch, wie jeder Einzelne sich den Besitz der Bedingung zu verschaffen, sich denselben anzueignen sucht, an welchen jene Güter wirklich geknüpft sind, oder an welche er sie wenigstens geknüpft meint. Die Bedingungen aber, von welchen der Besitz eines Gutes abhängt, sind wieder zweifacher Art, entweder führt ihre Erhaltung geradezu und unmittelbar zu dem Besitz des gewünschten Gutes oder nur mittelbar. Diejenigen Bedingungen, welche mittelbar zum Besitz, zur Erringung des gesuchten Gutes führen, sind zwar leichter anzueignen, allein der Erfolg ist doch immer in gewisser Hinsicht unsicher, daher sieht er,

30. wie sich jeder dasjenige anzueignen sucht und strebt, was er als unmittelbares, was er geradezu als Mittel, als Bedingungen erkennt, um sich unzweifelhaft diejenigen Güter zu verschaffen, welche ihm die wünschenswertesten sind. Er sieht und erkennt,

31. dass ein jeder, wer es auch sei, der Niedrigste wie der Höchste, dieses unmittelbare, unzweifelhafte Mittel in Belehrung, in Unterricht, kurz in Bil­dung, so verschieden, in so verschiedenen Worten und Weisen er sich und anderen es auch aussprechen mag, findet und setzt. Er sieht und hört als unwiderlegbar, dass jeder einzelne als einzelner nach Erziehung und Bildung strebt, insoweit, als er sie selbst nur immer erkennt; denn jeder sieht ein, dass er nur hierdurch zur Erkenntnis und Aneignung der Mittel, wodurch er sein Bestreben und seine Selbstigkeit, sein freies selbständiges Bestehen sichern könne, gelange.

32. Er findet und erkennt also, die Forderung und das Bedürfnis jedes einzelnen ist Lehre, Unterricht, Lehre und Unterricht geeint - Erziehung. Er muss sehen, er kann nicht anders, dass auch alles und alles, was der einzelne nur immer fordert, was und wie er sich darüber auch ausspreche und auf welchem Wege und durch was für Mittel er dafür handeln möge, zuletzt auf Erziehung seiner selbst, darauf hinauslaufe und darin zusammentreffe, dass Erkennen und Darstellen, Wissen und Können auf seiner Stufe der Einsicht in ihm im Gleichgewicht stehe.

33. Da aber der einzelne auch an sich wieder Forderungen gemacht sieht, da er als einzelner wieder Forderungen an andere macht und machen Muss, so fordert er Belehrung über seine Pflichten und Befähigung, seinen Pfliditen gemäß und getreu handeln und wirken zu können; er fordert Befestigung und Befähigung seiner selbst, diesen mancherlei Pflichten stets Genüge leisten zu können.

34. Wenn der so erzogene Mensch nun all das Genannte, was jeder, auch in den mannigfaltigsten Formen, in Sicherstellung, in Geltendmachung, Anerkanntmachung seiner selbst usw. zu erlangen, zu erreichen strebt, in seiner letzten Einheit anzuschauen und aufzufassen sucht, so ist es - Zutrauen. Die Quellforderung, das Quellbedürfnis, aus welchem alles übrige hervorfließt, ist Zutrauen, Zutrauen zu sich, Zutrauen zu anderen und Zutrauen anderer zu ihm.

35.
Er findet und erkennt, dass dieses dreifache Zutrauen, wonach jeder einzelne als Einzelnstehender strebt, jeder dadurch erringt, wenn er

36. erstlich sich selbst, sein Wesen, seine Bestimmung so vollkommen als möglich erkennt und sich selbst dieser Erkenntnis gemäß auszubilden strebt, sie an und in sich darzustellen sucht; wenn er

37. zweitens sich selbst, seine Bestimmung, seinen Beruf so vollkommen als möglich an und durch ein einzelnes außer sich darzustellen und in demselben wiederzuerkennen und anzuschauen sucht; wenn er

38. drittens sich selbst, seine Bestimmung, seinen Beruf so vollkommen als möglich an und durch und in jedem einzelnen, allem einzelnen, was er schafft und tut, darzustellen und anzuschauen sucht; wenn er sich selbst, seine Bestimmung, seinen Beruf so vollkommen, so vollendet als möglich in allem, was ihn äußerlich nur immer umgibt, zu erkennen und anzuschauen sucht. In und durch diese dreifache Erkenntnis, Anschauung und Darstellung seiner selbst findet und erkennt er das dreifache Zutrauen, wonach jeder strebt, unwandelbar begründet und vollendet erreicht. Denn überall tritt ihm die Einheit und Einig­keit seines Wesens entgegen; die dreifache Erkenntnis, die dreifache Anschauung, die dreifache Darstellung seiner selbst in, an und durch die Einheit und Einigkeit seines Wesens.

39. Und so erkennt der so erzogene Mensch hierin alles Streben, Fordern und Bedürfen des einzelnen als solchen beschlossen und abgeschlossen, vollendet.

40. Wie er sieht und findet, dass der einzelne als einzelner seine bestimmten Bedürfnisse und Forderungen hat, so sieht und findet er, dass auch Gesamtheiten als solche ihre bestimmten Forderungen haben.

41. Er findet und erkennt, die Familie als solche fordert und bedarf

42. erstlich als einzelnes betrachtet alles dasjenige, was der einzelne, das einzelne fordert und bedarf - bestehen, zu diesem Ende Unterhalt, Haus, Hof usw. und alles das, was er und wie er es als Forderungen des einzelnen erkennt. Weiter fordert und bedarf aber eine Familie als eine Gesamtheit, als eine geeinte Mehrheit, dass

43 . zweitens jeder, jedes Glied, jeder Teil der Familie als solcher streng und treu seinen Pflichten nachlebe, dieselben erfülle, gehorsam ihnen nachlebe; die Familie fordert also

44. drittens
von jedem einzelnen ihrer Glieder Erkenntnis und Anerkenntnis seiner Pflichten und Aneignung der Mittel und der Kraft, ihnen nachzuleben, ihnen gehorsam sein zu können; also fordert und bedarf auch die Familie als solche

45. viertens
Lehre und Unterricht - Erziehung für jedes einzelne ihrer Glieder; die Familie fordert wieder innerhalb der Grenze ihnen selbst

46. fünftens als der Quelle, woraus alle ihre Forderungen und Bedürfnisse hervorgehen, worein sie aber auch alle zurückfließen und so sich selbst lösen - Zutrauen, höchstes, vollendetes, dreifaches Zutrauen. Der Vater, die Mutter, die Eltern sollen dem Kinde, dem Söhne, der Tochter trauen - als ihrem Kinde, darum, weil es ihr Kind, ihr Sohn, ihre Tochter ist.

47. Das Kind, der Sohn, die Tochter soll Zutrauen zu diesem Vater, dieser Mutter, diesen Eltern haben; denn es sind ihre Eltern, es sind die Eltern, deren gegenseitiger Liebe sie ihr Dasein verdankt.

48. Die Kinder, der Sohn, die Tochter sollen Zutrauen zueinander haben; denn sie sind Bruder, Schwester, Geschwister, sind alle Kinder dieses Vaters, dieser Mutter, dieser Eltern, verdanken der einen ungeteilten treuen gegenseitigen Liebe und Sorgfalt ihr Dasein.

49. Dreifach findet und erkennt jeder einzelne wieder das eine ungeteilte Zutrauen, das in Vater und Mutter lebte und beide Eltern verband; jeder ein­zelne sieht und findet es leben in sich, im Zutrauen zu sich selbst, im Zutrauen zu jedem einzelnen und in seinem Zutrauen zum Ganzen und des Ganzen zu ihm, dem einzelnen. Somit sieht er wieder die Gesamtbedürfnisse und Forde­rungen der Familie als solche in dem dreifachen einigen Zutrauen und in der Darstellung desselben geschlossen.

50.
Der so erzogene Mensch findet und erkennt: das Geschlecht, der Stamm als solcher, fordert

51. erstlich als einzelnes betrachtet alles dasjenige, was der einzelne, das einzelne als einzelner bedarf, er fordert Bestehen als einzelnes usw.

52. zweitens als eine Gesamtheit betrachtet, fordert er wieder alles dasjenige, was die Familie als solche fordert und bedarf; er fordert Bestehen als Gesamtheit usw.

53. Weiter bedarf aber gesetztes Ganzes ein Stamm, ein Geschlecht, als doppelt zusammengwesetztes Ganzes,

54. drittens Festhaltung des geistigen Bandes aller, Festhalten des Geschlechts­und Stammcharakters. Aber festgehalten kann nicht werden, was nicht erkannt, was nicht gekannt wird; folglich fordert er Erkenntnis, Anerkenntnis und Aneignung desselben - also Lehre, Unterricht - Erziehung für denselben.

55. Als die Quelle aber endlich, woraus alle Bedürfnisse und Forderungen des Stammes hervorgehen, worin sie alle wieder zurückfließen und worin sie sich auflösen, bedarf und fordert der Stamm

56. viertens Zutrauen: Zutrauen des einzelnen zu sich selbst, zur Darstellung und Festhaltung des als seiner würdig erkannten geschlechtlichen Charakters; Zutrauen zu jedem einzelnen, dass jeder einzelne, soviel an ihm ist, den gemeinschaftlichen Geschlechtscharakter entwickele und darstelle; Zutrauen zu dem ganzen Geschlecht und Stamm, dass derselbe die Vermannigfaltigung seines Charakters in sich selbst darstelle.

57. Er sieht hier wieder, dass die Forderungen und Bedürfnisse des Geschlechts, des Stammes, in dem dreifachen Zutrauen und dessen Darstellung beschlossen sind.

58. Der so erzogene Mensch findet und erkennt: das Volk als solches fordert:

59. erstlich als einzelnes betrachtet alles das, was der einzelne als solcher zu fordern hat und bedarf;

60. zweitens als einfach Zusammengesetztes betrachtet alles das, was die Familie fordert und bedarf;

61. drittens als doppelt Zusammengesetztes alles das, was das Geschlecht und der Stamm fordert und bedarf.

62. Weiter fordert aber das Volk als solches, als ein aus Geschlechtern oder Stämmen, also als ein dreifach zusammengesetztes Ganzes, wo der Geist und der Charakter des Ganzen schon vielseitig zerteilt und zerspaltet, oft verwischt, in unzähligen Gestalten und Graden sich zeigt und in denselben oft kaum zu erkennen noch weniger festzuhalten ist;

63. viertens: Festhalten der Sitte, Festhalten des Volkstums und der Volkstümlichkeit zur Festhaltung innerer Einigkeit.

64. Und so weist auch das Volksbedürfnis auf Unterricht, Lehre, auf Erziehung hin; denn wie kann etwas festgehalten werden, dessen Geist und Sinn, dessen innere Bedeutung nicht erkannt, nicht angeeignet wird. Und weiter: wie kann und mag der Mensch etwas festhalten, sich aneignen, wozu er nicht Zutrauen des einzelnen zu sich selbst, dass er die Sitte und Volkstümlichkeit bewahren und darstellen werde, und ebenso des einzelnen zum einzelnen des Volks und des einzelnen zum ganzen Volke findet und sieht er die Forderungen und Bedürfnisse des Volkes wieder geschlossen.

65. Der so erzogene Mensch kommt nun zuletzt noch zu den Forderungen und Bedürfnissen des Staates. Er erkennt hier leicht und einfach:

66. Zuerst
muss der Staat als einzelnes gedacht, alle Forderungen und Bedürfnisse des einzelnen in sich schließen, die Forderungen und Bedürfnisse der Familie, des Geschlechts oder Stammes und des Volkes.

67. Der Staat aber ist eine, welche vielfache Formen und äußere Beweggründe sein Entstehen auch haben möge, immer mit Überlegung, mit gegenseitiger Abwiegung des Vorteils und Nachteils, also eine mit Freiheit gewählte
Vergesellschaftung, eine Vergesellschaftung, von deren Notwendigkeit jeder in sich zur Zeit der Bildung, wenn auch nicht durch klares Sich-Rechenschaft-Geben, doch im Gefühl lebendig durchdrungen war. Der Staat hat also sein Dasein, auf so mannigfaltige Weise dies auch ausgesprochen und dargestellt werden könne, durch gegenseitiges Übernehmen von Obliegenheiten und Pflichten erhalten, durch das Erkennen und Anerkennen der Wahrheit, daß alles echte, wahre und unverkümmerte Bestehen nur im lebendigen Wechselve­hältnisse zwischen Teil und Ganzen begründet sei, dass Teil und Ganzes, Glied und Ganzes sich gegenseitig bedingen, dass an das Bestehen des einen das Bestehen des anderen unmittelbar geknüpft sei und dass umgekehrt der Untergang und die Vernichtung des einen auch den Untergang und die Vernichtung des anderen mit sich führe. In diesem Satze, in der Wahrheit in der Unleugbarkeit dieser Wahrheit hat der Staat als eine mit Freiheit gewählte Vergesellschaftung zur Erreichung des höchsten menschlichen Zweckes, Darstellung der Menschheit, seinen Grund. Deshalb sieht und erkennt der so erzogene Mensch: der Staat fordert und bedarf als solcher durch den Grund und Zweck seiner Entstehung und seines Bestehens

68. viertens unbedingten Gehorsam des einzelnen, strenges unbedingtes Nachleben nach den übernommenen Pflichten, treue Hingabe des einzelnen an das Ganze zum Bestehen des Ganzen, völlige Aufopferung des einzelnen für das Allgemeine. Aber Gehorsam setzt schon voraus, dass ich etwas höre; Pflichten setzen voraus, dass etwas zu pflegen sei; Hingabe setzt Zutrauen, Opferung setzt ein Unsichtbares, Ewiges voraus. Also findet und erkennt er wieder, er muss finden und erkennen, wenn er seine menschliche Natur nicht verleugnen soll, dass Lehre, Unterricht, Erziehung wieder das Quellbedürfnis des Staates ist, dass die erste und letzte Forderung des Staates die Erziehung für Zutrauen ist, die Erziehung zu dreifachem Zutrauen: zum Zutrauen des Menschen zu sich. Denn, sagt er zu sich, ich bin und lebe in dem Staate, ich finde mich in diesem Staate, aber mit Freiheit; mit dem Zutrauen zu mir selbst, daß ich den Pflichten des Staates, in welchem ich mich befinde, werde Genüge leisten können, erkenne ich mich in demselben lebend an.

69. Zum Zutrauen zu der Menschheit, dem menschlichen Geiste, der menschlichen Vernunft; denn immer war es menschlicher Geist, menschliche Vernunft, die in einem Staat zusammentrat, und sie, als Vernunft, auf welcher Stufe der Entwickelung sie immer stand, konnte nicht anders, sie musste vernünftig handeln. Ich will mich also bemühen, sagt er weiter zu sich, diese Zwecke, diese stillwaltenden Gründe der Vernunft mir zum Bewusstsein zu bringen; denn ich bin ja ein Glied jener ewigen Vernunft.

70. Zum Zutrauen zu Gott, dem Schöpfer und Vater aller Dinge, zu dem Gott und Vater, ohne welchen kein Sperling vom Dache fällt, durch welchen alle Haare auf dem Haupte des Menschen gezählt sind; denn dieser Gott, so sagt er endlich zu sich, sollte aus der von ihm hervorgerufenen Vernunft haben Staaten entstehen lassen, von welchen das Wohl und Wehe von Millionen Menschen abhängt, wenn es nicht ein notwendiges, obgleich strenges Mittel wäre, um den Menschen zu seiner Bestimmung - Vernunftherrschaft - hinzuführen; dieser Gott sollte mich in einem Staat haben entstehen und leben lassen, der zu meinem Verderben führe, dieser Gott, der sich meinem Vater und mich sein Kind nennt?

71. In diesem dreifachen Zutrauen: zu sich, zu der Menschheit, zu Gott, in der Erziehung dafür findet der so erzogene Mensch wieder das Bedürfnis und die Forderung zuletzt beschlossen.

72. So nun sehen und erkennen wir als einzelne, als Familienglieder, als Glieder verschiedener Geschlechter, als Glieder eines Volkes, als Bürger eines Staats durch vieljährige Selbsterfahrung, dass der nach den von uns früher aufgestellten Grundsätzen erzogene Mensch, unser Zögling, seine Selbstpflichten, seine Familien-, Geschlechts-, Volks-, Bürger- und Staatspflichten auf das vollkommenste erfüllen kann und erfülle; denn obwohl jene Forderungen, die Forderungen des einzelnen und die des Ganzen, sich oft und gerade entgegen­gesetzt erscheinen, indem das einzelne und auch das Ganze Bestehen fordert und dieses zu seinem Bestehen das Aufgeben des einzelnen verlangt - so stört dies weder sein Handeln noch sein Denken noch seinen Frieden noch die Erfüllung irgendeiner, auch seiner besondersten Pflichten; denn er sieht, worin und wie sie sich alle lösen.

73. Hierin finden und erkennen wir nun den Prüfstein aller Erziehung und so auch der unseren; denn sie lehrt, zeigt und stellt dar, wie das Bestehen des einzelnen in dem Bestehen des Ganzen gesichert sei und umgekehrt - und erzieht dafür.

74. Ob und inwiefern aber unsere Erziehung, die wir zwar als den Forderun­gen und Bedürfnissen der mancherlei menschlichen Verhältnisse überhaupt entsprechend und genügend erkennen müssen, auch den Bedürfnissen und Forderungen unseres Volkes, des deutschen Volkes, und - weil für das Volk als sol­ches alle Verhältnisse und Bedürfnisse sich gegenseitig bedingen - dem Bedürfnis und der Forderung jedes einzelnen Deutschen entsprechen und genügen könne, dies möge eine Betrachtung dessen zeigen, was das deutsche Volk ist, was es fordert und bedarf, und hiermit eine Vergleichung dessen, was wir geben.

75. Wir finden unser Volk, so wie es jetzt ist, in Mannesfülle und Manneskraft, nicht gebildet aus den Trümmern eines untergegangenen Volkes, nicht gebildet aus der Vermischung der Siegenden und Besiegten; wir finden und erkennen unser Volk als ein Urvolk. Wir hören es noch dieselbe Sprache reden, welche es ursprünglich sprach, ohne fremde Beimischung, ja jedes Fremdartige, was sich nicht unter seinen Stempel fügt, sein Gepräge annimmt, seinen Geist und Charakter ausdrückt, ausstoßend, auch wenn es sich Menschenalter hindurch unbemerkt in der Sprache und im Volke durch- und eingeschlichen hat. Und wie es treu geblieben ist in seiner Mutter-, seiner Vatersprache, der Einheit ihres Geistes, und sie treu fortentwickelt hat, so hat auch sie sich noch kindlich, schwesterlich, mütterlich und mit dem Volke fortentwickelt und entwickelt es,
entwickelt sich mit demselben noch ununterbrochen fort. Unser Volk ist noch ein deutsches Urvolk.

76. Wir sehen, unser Volk hat nicht auf Kosten des Allgemeinen, nein, durch eigne Kraft und Mittel hat es Sümpfe in Fluren, Heiden in Felder, Berge in schattige Obsthaine umgeschaffen; Gaue mit Städten und Dörfern übersät, Artland in Gartenland umgewandelt. Wir finden und erkennen unser Volk als ein arbeitsames und betriebsames, tätiges, kräfiges, fleißiges Volk.

77. Mit Überlegung, mit Prüfung, mit Vergleichung, mit Nachdenken sehen wir unser Volk alles tun, was es tut, forschen sehen wir es nach den Gründen, Bedingungen und Gesetzen der Erscheinungen, damit solche, sind sie dem ganzen ersprießlich, durch Freiheit hervorgerufen, sind sie dem ganzen nachteilig, durch Gegenmittel abgehalten werden können. Wir finden und erkennen unser Volk als ein denkendes, ein wissenscbaftliches Volk.

78. Was unser Volk als zweckmäßig erkennt, sehen wir es mit Anstrengung aller Kräfte, mit Aufbietung aller Mittel, die ihm zu Gebote stehen, darstellen. Was sein Gemüt bewegt, was ihm seine Würde fühlen macht, sehen wir es in und am Kunstwerk darstellen. Es ist ein darstellendes, ein kunstreiches Volk.

79. Das Heiligste und Höchste bewegt das Innerste des Gemütes unseres Volkes. Das lebendige Wechselverhältnis zwischen Geschöpf und Schöpfer - Gott als Vater der Menschen und die Menschen als seine Kinder - dies in der tiefsten Tiefe des Gemütes sich geoffenbarte angeschaute Wechselverhältnis sucht es in lichter Klarheit des Geistes zu erkennen und in einem reinen; heiligen Leben darzustellen. Unser Volk hat es versucht, die Zwecke Gottes als Vater zu erkennen und sie zu den seinen zu machen, für die Darstellung derselben alles zu opfern. Das Leben im Sinne und Geiste einer solchen väterlichen Religion ist dem Deutschen Grundbedürfnis. Unser Volk ist ein religiöses, ein frommes Volk .

80. Wir sehen, wie in unserem Volke der Vater, der Gatte arbeitet für die Herbeischaffung, für die Hervorbringung dessen, wodurch seine Familie, sein Haus bestehe. Wir sehen, wie in unserem Volke die Mutter, die Gattin bemüht ist, durch Ersparung und Erhaltung und Pflegung, durch weisen Gebrauch und Verbrauch dessen, was da ist, durch Ordnung und Reinlichkeit das Be­stehen der Familie, des Hauses zu sichern. Wir sehen, wie Vater und Mutter bemüht sind, alles für das Wohl und einstige häusliche Glück ihrer Kinder zu opfern. Wir sehen, wie die Kinder, durch das Beispiel der Eltern angezogen, frühe gleiches Streben mit ihnen teilen. Unser Volk ist ein häusliches Volk.

81. Wir sehen, dass unser Volk, solange wir es absehen und in seiner Ent­stehung verfolgen können, mit geringerem oder größerem Bewusstsein, mit geringerer oder größerer Klarheit des Zweckes, mittelbarer oder unmittelbarer für die Erreichung des Zweckes der Menschheit, für reine, klare, heilige Darstellung desselben gearbeitet, dafür Leben und Gut geopfert hat. Unser Volk ist ein wahrhafi geschichtliches Volk.

82. Da wir nun unser Volk als dieses bestimmte Volk erkennen, als ein Volk dieses bestimmten, vielseitigen Charakters, dieser vielseitigen Anlagen, so finden und erkennen wir auch, dass es Entwickelung und Ausbildung alles dieses in jedem einzelnen seiner Glieder fordert und bedarf, dass jedes seiner Glieder dafür erzogen werden müsse.

83. Was wir dafür tun, dass dieses geschehe, ist folgendes:

84. Unser Sprachunterricht gründet sich nach den Forderungen unserer Sprache als einer ursprünglichen auf die in jedem Menschen liegende Sprachfähigkeit und die Festigkeit und Sicherheit der äußeren und inneren Anschauung. Der Zögling auf der Stufe der Sprachfähigkeit findend und empfangend, suchen wir dieselbe in ihm durch die Stufen der Sprachsicherheit und Sprachfertigkeit zum Sprachbewußtsein und so zur vollendeten Sprachkenntnis, Sprachklarheit zu erheben. Wir nehmen das Kind, den Zögling, wo wir ihn finden, in der Stube, in der Familie, im häuslichen Kreise, hier seine Anschauung befestigend und sie ihm klarmachend. Wir schreiten so vom Einfachen zum Zusammengesetzten, vom Nahen zum Fernen, vom Bekannten zum Unbekannten, vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, von der Anschauung zum Begriff fort. Unterricht und Selbsttätigkeit, Erkennen und Darstellen, Lehre und Tun des Zöglings sind immer geeint. So entwickelt und entfaltet sich dem Zögling das ganze Gebiet der Sprache, die sichtbare und unsichtbare Welt derselben, indem er sie gleichsam aus sich selbst von neuem entwickelt und schafft. Was er spricht, weiß und erkennt er, und er kennt, warum er so und nicht anders spricht; was er denkt und empfindet, kann er darstellen; denn er kennt für die Gegenstände seiner Gedanken, für die Gefühle seiner Empfindungen die bestimmten Be­zeichnungen, die bestimmten Worte. Ihm selbst aber erscheint so die Sprache einmal als ein Abbild, Abdruck der Außen- und Innenwelt, die er erkennt, aber dann auch als ein eigenes, für sich bestehendes Werk des Geistes, seines Geistes; sie, die Sprache, führt ihn zur Erkenntnis beider, der Außen- und Innenwelt, der Natur und des Geistes, dadurch, daß sie ihm in sich die Gesetze der Natur und die Gesetze des Geistes und Gemütes darstellt und ausspricht, und sie betätigt ihm so beides, Abbildung der Außenwelt und Darstellung der Innenwelt. So wird sie, die Sprache, unserem Zögling, was sie ist: Verknüpfung der sichtbaren und unsichtbaren, der Geistes- und der Körperwelt. In einem ganz neuen Lichte und Gewande, mit männlicher bewusster Kraft und Fülle und Klarheit, steht so die Sprache vor unserem Zöglinge.

85. Was der Mensch erkennt, das soll er darstellen; was er redet, das soll er tun; deshalb knüpfen wir an die Darlegung unseres Sprachunterrichts sogleich die Darstellung unserer Körperbildung, indem uns der Körper ein Werkzeug des Geistes zur Darstellung alles dessen ist, was er als darzustellen, als er zu tun für Pflicht erkennt, in welchem Verhältnis, in welcher Lage, in welchem Gewerbe oder Stand oder Beruf der Zögling einst immer lebe; der Körper soll als kräftiges, tüchtiges Werkzeug für jeden einstigen Beruf vollkommen aus­gebildet werden. Sollen diese Körperübungen die Ausbildung des Körpers für Tun und Tat, für Arbeiten und Darstellen, bleibenden, unvergänglichen Nutzen für den Menschen haben, so muß der sichere Gebrauch des Körpers nach den verschiedenen Forderungen und Lagen des Lebens gleichsam zur anderen Natur geworden sein. Dies kann nur durch gesetzmäßige, zum Bewusstsein gekommene Entwickelung nach Grund und Folge jeder Übung des Körpers geschehen. Der menschliche Körper, die Glieder des menschlichen Körpers und ihre Bestimmung, die Einsicht und Erkenntnis dieser Bestimmung sind selbst die Ordner dieser Übungen, und ihr Zweck ist einzig Anwendung im Leben, ja schon im Leben des Zöglings selbst in allen den Fällen, wo es auf Haltung und Gebrauch des Körpers und seiner Teile, Arme, Hände, Finger usw., wesentlich ankommt, bei seinem Unterricht wie bei seinen Erholungen und Spielen und auch in seinem äußeren Leben, selbst beim Arbeiten und auf Reisen.

86. Schon bei den Andeutungen über unseren Sprachunterricht als auch bei denen über die Körperübungen wurde mit Bestimmtheit ausgesprochen, dass Denken und Tun, Darstellen und Erkennen geeint sei und Hand in Hand gehe. Ununterbrochen ist uns dies auch Gesetz bei allen übrigen wissenschaftlichen und Unterrichtsgegenständen: erst die Darstellung und dann das Denken darüber, das Erkennen derselben, so z. B. erst Darstellung der Zahlenverhältnisse und dann Erhebung ihrer Erkenntnis zum Bewußtsein; erst Selbstdarstellung der Formen- und Größenverhältnisse und dann Erhebung derselben, ihrer Gesetze, ihrer Gründe und Folgen zum Bewusstsein erst in allem durch Selbstdarstellung, durch die Tat, die Anschauung und dann Erhebung der Anschauung zum Begriff. Auf gleiche Weise werden bei der Naturkenntnis die einfachen Anschauungen im wirklichen Leben, in der lebendigen ungestörten Natur, in dem Gesamtleben der Natur erst zur Anschauung gebracht; für diese mancherlei Erfahrungen werden dann die Gesetze für die verschiedenen Gesetze, ihr Grund, ihre Einheit aufgesucht; so steigen wir von der äußeren Erfahrung zur inneren geistigen Anschauung empor, von der Sache zum Begriffe. Wir suchen aber die Seele, den Geist nur im Leibe, in seiner Wirksamkeit, in seinem und durch sein und an seinem Werke, im Leben selbst zu erkennen. So sind wir in uns fest überzeugt, daß wir, da alle unsere Erkenntnis nur irdisches Gewand, irdischer Leib, irdische Form an sich tragen kann, daß wir so aller Erkenntnis, aller Wissenschaft diejenige irdische Form gegeben haben und geben, an und durch welche sich in fortsteigender Vollkommenheit das Wesen der Dinge, der Geist der Dinge, der Geist ihres Schöpfers, der Geist Gottes, immer bestimmter, deutlicher und klarer kundtun kann. So ist aber unserem Zögling keine seiner Erkenntnisse, nichts von seinem Wissen dem Leben der Wirklichkeit entrissen; er sieht unzweifelhaft ein, will er wissen und erkennen, so muss er leben, viel leben, d. h. denkend tun und tuend denken; er sieht ein, soll seine Erkenntnis, sein Wissen, die Allseitigkeit, das Genügende desselben sich ihm kundtun, so muss er sein Wissen, sein Erkennen anwenden und gebrauchen; nur in der Anwendung des Wissens und Erkennens liegt Bestätigung, unzweifelhaftes Bestätigen und Fortschreiten desselben. Unser Zögling lernt nur, um es zu gebrauchen, anzuwenden, darzustellen. Er arbeitet nur, ist nur tätig, um in der Erkenntnis und Einsicht, in der Sicherheit der Erkenntnis und Einsicht fortzuschreiten.

87. Kunst ist uns die Darstellung des Inneren des Menschen in und durch Gestaltung; sie ist uns die Darstellung der Außenwelt, wie sie der Klarheit und Iteinheit des Inneren in dem Menschen erscheint. Das Innere ist Geist, ist Empfindung, ist Leben; das Äußere ist Körper, ist Tod. Wir erkennen: es ist dem Menschen eine schwierige Aufgabe, es ist ihm die schwierigste und höchste für das ganze menschliche Leben, das Innere, Innerliche am Äußeren, Äußerlichen darzustellen, und umgekehrt in dem Äußeren das Innere zu schauen, zu erkennen, und an und durch dasselbe darzustellen. Es ist ihm die schwierigste Aufgabe für sein ganzes Leben, in, an und durch den Körper den Geist darzustellen und in, an und durch den Körper den Geist zu erkennen. Wir sehen und erkennen es für den Menschen als die schwierigste und höchste der irdischen menschlichen Aufgaben, Leben in, an und durch das Tote darzustellen, und an, in und durch das Tote das Leben zu erkennen und auszubilden. Mit Schüchternheit, mit Scheu und Furchtsamkeit, nur in sehr kleinen Schritten kann der Mensch sich diesem Ziele nahen. Der Schüler, der Zögling für Kunstausbildung kann nur durch eine lückenlose, sehr stetig leitende Ausbildung zu ihm gelangen; er muss ein Inneres, ein Inneres in Gestaltung in sich ahnen, fühlen, erkennen, sowie er ein Inneres in. dem ihn umgebenden Äußeren schauen muss; er muss in seiner Kunst/Darstellung zuerst dem Geiste, den er in sich oder außer sich ahnt, der in ihm oder außer ihm sich ausspricht, nachgehen; er muss sich erst die Mannigfaltigkeit seiner Formen und Gestaltungen zur Erkenntnis und Einsicht bringen; er muß sich zur Darstellung und Beherrschung derselben ausbilden; er muss dann emporsteigen zur Nachahmung dessen, was er in sich oder außer sich schon dargestellt und gebildet sieht, und so endlich sich zur freien Gestaltung dessen erheben, was er in sich trägt, und wie er die Außenwelt in sich aufnimmt, wie er das innere Leben der ihn umgebenden Gegenstände in sich fühlt und schaut. Dieser gilt uns bei dem Zöglinge für die zeichnende sowie für die Tonkunst; dort bekommt er zuerst ein Netz, in welchem er erst die gleichsam im Netz schon vorgezeichneten Gestaltungen nur nachzeichnet, ihnen nur nachgeht; später sucht er bestimmte Gestalten im und durch das Netz nachzuahmen; endlich erhebt er sich zur freien Darstellung erstlich von Linien, dann von Flächen und zuletzt selbst im Körperraum. Daß hiermit zugleich eine Stufenreihe der für den Künstler so wichtigen Phantasiebildung fortlaufe, das wird besonders derjenige einsehen, welchem wir den Gang unserer Kunstbildung in der Anwendung und Ausübung vorzulegen imstande sind. Was für die zeichnende Kunst das Netz ist, das ist für die Tonart das in dem Menschen ruhende Gesetz der Bewegung. An der Hand dieses Gesetzes steigt unser Zögling bis zur freien Dartellung von ganzen Tonstücken sowohl für die menschliche Stimme als deren Nachahmung auf einzelnen Instrumenten empor. Daß der Körper zugleich für diese Darstellungen geübt, gewandt gemacht werden müsse, versteht sich von selbst, und es ist uns die freie, unbeengte, ungezwungene Bewegung und Haltung des Körpers bei den Kunstdarstellungen des Zöglings nicht minder wichtig als die Darstellung selbst. Und hier tritt ein, was wir oben bei den Körperübungen andeuteten, dass sie uns selbst Vorübungen für unseren eigenen Unterricht sind und daß sie doch in dem eigenen Leben unseres Zöglings ihre Anwendungen finden. So sind wir in uns fest überzeugt, dass ebensowenig der Knabe mit Anlagen für das praktische Leben durch unsere Erziehung überbildet als der Knabe mit wissenschaftlichem Geist und Kunsttalent von uns missgeleitet werde und unentfaltet bleibe.

88. Nach dem von uns bis jetzt Ausgesprochenen glauben wir auch außer uns die Überzeugung festgestellt zu haben, dass von uns als Erziehern und Lehrern nichts geschieht, ohne dem inneren Zusammenhange der Dinge nachzugehen, auf ihn hinzudeuten, ihn nachzuweisen und darzulegen, zum Bewusstsein zu bringen, daß so von uns nichts geschieht, ohne auf den Grund und die Einheit aller Erscheinungen zurückzuführen und in ihr nachzuweisen; dass von uns als Erziehern und Lehrern nichts geschieht, als in der letzten und Endbeziehung auf Gott als den Schöpfer aller Dinge, den Vater aller Menschen, ohne alles zurückzubeziehen und alles nachzuweisen in dem lebendigen Wechselverhältnisse zwischen Schöpfer und Geschöpf, nachzuweisen in dem ewigen und lebendigen Wechselverhältnisse zwischen Gott als dem Vater der Menschen und den Menschen als Kindern Gottes. Wir zeigen unserem Zöglinge dieses Wechselverhältnis überall, wo Sein und Dauer anzuschauen ist; wir führen ihn, es anzuschauen, zu sehen, zu finden, zu erkennen in der Natur bis in die kleinste Erscheinung der Natur herab, in der inneren und äußeren Gesetzmäßigkeit der Natur; wir führen ihn, es zu schauen in seinem Geiste und Gemüte; in der Tätigkeit seines Geistes und Gemütes, in der Gesetzmäßigkeit beider; wir führen ihn, es zu schauen im Leben wie in seinem Erkennen, in der Tätigkeit des Geistes wie in dem Tun des äußeren Lebens. Wir suchen es ihm zur An­schauung wie zur Erkenntnis und Einsicht zu bringen, daß, wie das Bestehen aller Dinge, so auch sein Bestehen nur in dem lebendigen Wechselverhältnis zwischen ihm und Gott seinen Grund habe; und dieses lebendige, tätige, immer erzeugende Wechselverhältnis ist uns Religion. So ist uns Erziehung für Religion der Gipfel unserer Erziehung.

89. Aber dafür erzogen, ihr Wesen lebendig in sich erkannt und aufgenom­men und sich angeeignet, so angeeignet, daß es eins mit dem Leben selbst ist, daß es mit demselben zu einem einigen Eins verwachsen ist, so glauben wir nun ihn mit Sicherheit dem Leben, so wie es ist, zunächst den Forderungen des häuslichen Lebens, zurückgeben zu können. In ihm, im häuslichen Leben, findet unser Zögling zuletzt die Quelle alles irdischen Glückes; denn alles und alles, was sein inneres und äußeres Leben nur immer fordert, kann er in und durch dasselbe darstellen. Klare, verständige Sprache besitzt er, sich über alles mit Sicherheit, Bestimmtheit und Lebendigkeit auszudrücken. Körperkraft und Gewandtheit besitzt er, den Forderungen des äußeren Lebens Genüge zu leisten. Denkend kann er darin arbeiten und tätig sein und das Gedachte darin anwenden, um es sich selbst zu größerer Klarheit zu erheben. Sein Inneres und das Innere des Äußeren kann er äußerlich darstellen in der Familie an der höchsten und schwierigsten aller Künste, der Erziehungskunst, treu, innig treu, mit Aufopferung aller seiner Persönlichkeit und alles dessen, was er sein nennt, kann er in der Familie, im häuslichen Kreise dem Wechselverhältnis zwischen Menschen und Gott gemäß leben. So finden und erkennen wir unseren Zögling wie für das Äußere, also auch für das Innere des Familien- und häuslichen Lebens erzogen, tätig, sich hingebend für die Erhaltung des Ganzen und für jedes ein­zelne Glied des Ganzen zu sorgen; brüderlich gegen alle Glieder des Ganzen, friedlich, freudig zu sein; dies wird unzertrennlich von seinem ganzen Wesen sein.

90. Wem die Darstellung des Wesens des Menschen, wem die Erfüllung der Bestimmung des Menschen, wem die reine Darstellung der reinen Menschheit über alles geht, wer ihr alles hinzugeben, hinzuopfern imstande ist: der Mensch, so erkennen wir, der muss geschichtlich sein; sein Name muss eingeschrieben werden und geschrieben stehen in dem Buche, in welchem alles verzeichnet ist, was für diesen Zweck mit menschlichem Bewusstsein, mit menschlichem Geist, mit menschlichem Herzen von den Menschen geschehen ist. Wir müssen daher, wir können nicht anders, auch unseren Zögling für geschichtlichen Wert, für geschichtliche Wirksamkeit ausgebildet sehen; wir müssen ihn ausgebildet sehen für die geschichtliche Bedeutung seines Volkes, unseres Volkes.

91. Wie und als was wir unser Volk seinem Wesen, seinem Charakter nach erkennen, sprachen wir oben aus. Aber so erscheint unser Volk, wenn wir es in Wirklichkeit, in der Anschauung, im Leben sehen, nicht in allen Punkten. Auch unser Volk teilt als Irdisches mit allem Irdischen Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit. Diese fühlt und erkennt gewiss jeder einzelne mit uns; sie drücken ja jeden einzelnen, sind auch aus verschiedenen Zwecken hinlänglich oft ausgesprochen und stehen lebendig und deutlich genug vor eines jeden Augen, um zu entscheiden, ob durch die hier dargelegte Erziehung dem Volke wirklich dasjenige gegeben, ob durch sie wirklich für alles das gearbeitet werde, was der Verstand für das Volk fordert, die Vernunft als notwendig erkennt und das Herz für dasselbe wünscht und begehrt.

92. So legen wir nun unser erziehendes Streben und Wirken dem deutschen Volke, unserem Volke vertrauensvoll zur Prüfung und im Überzeugtsein seiner Bewährung zur Teilnahme und Mitwirkung vor; denn wir fühlen und erkennen als Deutsche, daß es dem Deutschen Bedürfnis, dass es unerlässliche Forderung seines ganzen Wesens ist, sich nicht allein als eine Einheit, als ein Ganzes zu denken und zu wissen, sondern sich auch in einem Werke, in einem großen Werke, in einem Werke, worin der Höchte wie der Niedrigste, der Größte wie der Kleinste, der Ärmste wie der Reichste, der Denkendste wie der nur Arbeitende mit Bewusstsein Anteil nehmen kann und nimmt- als Einheit zu fühlen, zu sehen, zu schauen. Als ein solches Werk erkennen wir die allgemeine Volkserziehung, die allgemeine Erziehung für Volksbildung durch eine dem Wesen der Menschennatur und des Menschengeistes überhaupt, besonders aber dem Charakter, der Natur und dem Geiste des Volkes genügend entsprechende Erziehung jedes einzelnen Gliedes des Ganzen. Es ist dies ein Werk, welches wie der menschliche Geist selbst mit dem Volke, mit der inneren und äußeren Ausbildung desselben stetig fortschreitet, ein Werk, dessen Früchte von der Ausbildung desselben stetig fortschreiten, ein Werk, dessen Früchte von dem Vater auf den Sohn und von diesem auf die spätesten Enkel fort­erben. Ein solches Werk ist der größte Schatz, der größte Reichtum eines Volkes, der wahre Nationalreichtum; denn nichts Äußerliches kann den Fond, das Kapital verringern, und doch trägt es Zinsen auf Zinsen. Es ist dies ein Werk, dessen Zweige bis ins jenseits reichen und dessen Früchte wie aus einem anderen Garten in völliger Gereiftheit dort niederfallen. Es ist dies ein wahrhaft ewiges, unsterbliches Werk, wie der menschliche Geist ewig und unsterblich ist; es ist dies das würdigste Werk des menschlichen Geistes, unseres, des deutschen Geistes, das würdigste Werk eines rein menschlichen Volkes, unseres, des deutschen Volkes.

93. Zu diesem, zu einem solchen Werke, welches wir durch unser Wirken und Streben hervorzurufen und in seinem Keime zu pflegen suchen, laden wir unser Volk, laden wir Euch, die Ihr im gemeinschaftlichen Vaterlande mit uns von gleichem Bedürfnisse, gleichen Forderungen durchdrungen seid, mit Brudersinn und deutschem Wort auf deutsche Treue ein.

94. Zuletzt noch einige Worte über das Äußerliche unseres Wirkens.

95. Der Ort desselben ist ein kleines, dem Vorsteher der Anstalt eigentümlich zugehöriges, ganz der Benutzung für die Zwecke der Anstalt und zur Beförderung und Erreichung dieser Zwecke jetzt gewidmetes Bauerngut in einem nur 20 Häuser großen und 100 Einwohner starken Dörfchen, eine Stunde von Rudolstadt westlich.

96.Unser Erziehungsgrundsatz: - gründliches und umfassendes Wissen und sicheres und fertiges Anwenden und Gebrauchen dieses Wissens im Leben, in jeder Lage, jeder Forderung des Lebens, also ein einsichtsvolles, sich fortent­wickelndes Können in jedem gewählten Wirkungskreise in unserem Zöglinge zu bewirken - erforderte es, unser Erziehungsgeschäft in seiner Ausdehnung als Erziehungsanstalt mit der Bewirtschaftung eines, wenn auch nur kleinen eigenen Landgutes zu verknüpfen; denn hier, geknüpft an einen Boden, welchen jeder Zögling, weil er ihn als den seinen behandelt, sein nennt und nennen darf, nähert sich die Erziehung als Kunst und Geschäft möglichst der elterlichen und häuslichen. Für uns als Lehr- und Unterrichtsanstalt kommt noch hinzu, dass hier Lehre und Unterricht ihre Anwendung und Nutzbarkeit sogleich praktisch zeigen, indem Feld, Wiese, Wald, Garten, Gehöft und Haus fast aller Wissenschaft und Kunst Elementaranwendung erschöpfen und dem Zöglinge für seine Kraft vielfältige Gelegenheit geben, diese Anwendung, diesen Gebrauch nicht nur selbst zu sehen, sondern auch selbst zu versuchen und zu üben. Sonach suchen wir das Gut zugleich als Übungs- und Veranschaulichungsanstalt zu behandeln und die Bewirtschaftung desselben in innigste Übereinstimmung und Wechselwirkung mit unserem Erziehen zu setzen.

97. Vier Männer stehen jetzt dem Ganzen, welches aus zwei für diesen Zweck geeinten Familien besteht, vor. Die Zahl der Personen sind, ohne die Dienenden, 21, die Zahl der Zöglinge 12, von 7 bis 18 Jahren. Die Lehrgegen­stände, welche nach den Grundsätzen des Ganzen geordnet, verteilt und behandelt werden, sind gegenwärtig: Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, deutsche Sprache, Gesang, Mathematik, Naturkunde, Geographie, Griechisch, Klavier und Körperübungen. Für Geschichte, als geschlossenen Lehrgegenstand, finden wir uns durch Naturwissenschaft, Chronologie usw. noch nicht vorbereitet genug, daher sie nur gelegentlich berücksichtigt und noch der persönlichen Neigung, dem Privatfleissüberlassen wird.
Aus: Kleine pädagogische Schriften von Friedrich Fröbel, Klinkhardts pädagogische Quellentexte, Verlag Julius Klinkhardt. Bad Heilbrunn/OBB S.5 -25

Religion
1. Die Religion, die christliche Religion, finden und erkennen wir als die Quelle, den Grund alles Wissens, sowie der Beziehungen, von welchen aus alles Wissen erst Leben und Bedeutung erhält, wohin aber auch alles Wissen und Können und dessen Früchte als zu ihrem höchsten und letzten Zwecke und Ziele zurückkehren.

2. Wir finden daher auch die Wahrheiten unserer christlichen Religion nicht allein in den heiligen Schriften geoffenbart, sondern wir finden sie auch in dem Leben des einzelnen Menschen wie in dem der Menschheit und schauen sie an in der gesamten Natur.

3. Daher gründen wir unseren Religionsunterricht auf die dreifache Offenbarung Gottes in und durch die heiligen Schriften, in und durch das Leben der einzelnen Menschen und des Menschengeschlechtes,in und durch die gesamte Natur, die ihrem Wesen nach eine ist.
Aus: Kleine pädagogische Schriften von Friedrich Fröbel, Klinkhardts pädagogische Quellentexte, Verlag Julius Klinkhardt. Bad Heilbrunn/OBB
S. 28