Jakob Friedrich Fries (1773 – 1843)
Deutscher
Philosoph, Mathematiker und Physiker, der bei der Herrnhuter Brüdergemeine von Niesky (Niederschlesien) erzogen und dabei mit dem Geiste der deutschen Mystik vertraut gemacht wurde. Etwa gleichzeitig mit Hegel
habilitierte er sich 1801 in Jena. Nach
seinem Studium (Naturwissenschaft, Philosophie und
Theologie) war er zunächst in Jena (1805) und Heidelberg (ab 1806) als Professor der Philosophie und Mathematik tätig. Fries setzte sich aus liberaler Sicht für die Einheit Deutschlands ein. 1818
bis 1824 erhielt er Vorlesungsverbot wegen Teilnahme an burschenschaftlichen
Aktivitäten (Wartburgfest 1817). Danach
lehrte er bis zu seinem Tode in Jena. Seine Philosophie kann als eine (von
F. H. Jacobi beeinflusste) mit religiösen Elementen versehene
Glaubens- und Ahndungslehre bezeichnet werden, in der er die
Kantische Lehre durch realistische Umdeutung des transzendental-philosophischen
Ansatzes auf eine intensive analytische und psychologische Selbstbeobachtung zu gründen suchte. Fries erhob den Anspruch, dass er als erster den vollständigen Nachweis der in der menschlichen
Vernunft liegenden philosophischen Wahrheiten geführt habe. Unbestreitbar ist, dass Fries Ansätze zur Begründung der Psychiatrie geliefert hat. Siehe auch Wikipedia |
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Wissen, Glauben
und Ahnden
Die Sinnenwelt, als Inbegriff der Gegenstände der Erfahrung, oder die Natur
ist keineswegs an sich so, wie wir sie erkennen, sondern sie ist nur der Gegenstand
unsrer subjektiv bedingten Vorstellungsweise. Wir müssen ihr vielmehr die
Idee des Ewigen oder des Seins an sich entgegensetzen.
Es stehen drei Gesetze [Sätze] für unsre
Erkenntnis fest:
[1.] die
Welt unter Naturgesetzen ist bloße Erscheinung;
[2.] ihr liegt ein Sein an sich zugrunde, welches durch die
Idee des Ewigen
gedacht wird; und
[3.] in dem ewigen und endlichen Sein ist die gleiche Realität, das Ewige erscheint uns in der Natur.
Die Welt unter Naturgesetzen ist das Einzige, um welches wir wissen, zum Ewigen
gelangen wir nur durch den Glauben, diesen Glauben aber verbinden wir notwendig
mit dem Wissen um das Endliche, indem wir unser Dasein in beiden Welten erkennen,
unsern Willen, der in der innern Natur erscheint, doch zugleich als frei annehmen
[ahnden].
Es ist also wohl klar, daß wir durch das Selbstbewußtsein unsrer Freiheit vom Wissen zum Glauben übergehen.
Unsre Meinung ist aber, daß wir keineswegs aus diesem Selbstbewußtsein,
aus der bloßen Idee der Freiheit des Willens und der sittlichen Verpflichtung
einen Beweis zu führen vermögen (sei es spekulativ
oder moralisch) von der Realität des ewigen Gutes überhaupt,
oder dem Dasein Gottes, sondern wir entdecken dadurch nur in uns das tiefste
Innere unsers Bewußtseins, welches sich unmittelbar in dem Glauben an
das ewige höchste Gut selbst ausspricht.*
*Es sind also (im Unterschied
zu Kant) nach der Ansicht von Fries keine apriorischen Deduktionen möglich;
was der Erkenntnis zugrundeliegt, kann nur als tatsächlich aufgewiesen
werden.
Wir setzen hier diesen Glauben an das höchste Gut unmittelbar dem Wissen
gegenüber, und sehen es dann als bloße Folge an, daß wir, die
wir uns in beiden Welten finden, unser Wissen nur als Erscheinung des Ewigen
selbst betrachten können.
Die nähere Kenntnis dieses Verhältnisses und die wahre Rechtfertigung
dieses Glaubens bleibt aber nur der vollendeten kritischen Philosophie vorbehalten;
wir glauben zwar nur an das Ewige,
aber wir wissen um unsern Glauben, und
wir wissen um
unsre Ahndung. Es gibt also eine Philosophie von
allen dreien, welche ihre Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit für die endliche
Vernunft aufweist. Hier haben wir es nur mit den Resultaten dieser Lehre zu
tun, müssen uns aber dabei erstlich über den Unterschied der drei
Arten des Fürwahrhaltens, den wir gebrauchen, deutlicher machen.
Wir unterscheiden das Wissen, Glauben und Ahnden als frei getrennte, voneinander
gänzlich verschiedene Arten der Überzeugung. Man hat bisher höchstens
nur versucht, einen Unterschied des Wissens und Glaubens in der Philosophie
zu rechtfertigen, aber selbst damit sich nicht allgemein verständlich machen
können. In der Religionslehre war der Unterschied zwar anerkannt, wenn
man ihn aber bisher in die Philosophie übertragen wollte, so erhielt man
am Ende doch nur eine ganz unphilosophische Art des Fürwahrhaltens, eine
bloße durch Interesse begünstigte Meinung, welche nur einen niedern
Grad des Wissens bezeichnete. Die Ahndung aber hat man
meist den Dichtern und Schwärmern überlassen, sie in die Philosophie
einzuführen, ist, soviel ich weiß, vor mir noch keinem Philosophen
eingefallen.
Man hat bisher die Unterscheidungen des Fürwahrhaltens so genommen, daß
im Grunde jede vollständige Überzeugung ein Wissen sein mußte.
Ich sage hingegen, Wissen heißt
nur die Überzeugung einer vollständigen Erkenntnis,
deren Gegenstände durch Anschauung erkannt werden; Glaube
hingegen ist eine notwendige Überzeugung aus bloßer
Vernunft, welche uns nur in Begriffen, das heißt in Ideen zum Bewußtsein
kommen kann; Ahndung aber ist eine notwendige
Überzeugung aus bloßem Gefühl.
Um aber diese Begriffe näher zu erörtern, muß erst darauf aufmerksam
gemacht werden, daß wir mit den Worten Meinen und Glauben gemeinhin niemals
eine der Art nach vom Wissen unterschiedene Überzeugung, sondern nur verschiedene
Grade derselben Gewißheit im Fürwahrhalten bezeichnen. Jedes gesetzmäßige
Fürwahrhalten ist im Gegensatz der Überredung gegründete Überzeugung.
Wegen der Schranken unsrer Kräfte sind wir aber nicht immer im-stande,
mit unserm Urteil bis zur vollständigen Gewißheit zu gelangen, sondern
für uns hat die Gewißheit Grade, welche größer
oder kleiner sein können, der höchste Grad gehört der Wahrheit
selbst, die niedern geben bloße Wahrscheinlichkeit. Hier nennen
wir nun gemeinhin unser Fürwahrhalten Wissen, wenn wir es mit einem Urteil bis zur vollständigen Gewißheit bringen
können. Neben dem Wissen steht aber noch Meinung und Glaube. Meinung ist
nämlich mit allgemeiner Einstimmung des Wortgebrauchs, ein unvollständiges
Fürwahrhalten aus Wahrscheinlichkeit, dessen Unvollständigkeit anerkannt
wird, also nur ein niederer Grad, wo Wissen den Höchsten bezeichnet.
Glaube hingegen soll mehr sein als Meinung, wie er aber vom Wissen unterschieden
wird, ist streitig. Man nennt gewöhnlich den Glauben eine nur subjektiv
hinlänglich begründete Überzeugung, dagegen das Wissen objektiv
hinlänglich begründet sein soll; so wie wir z. B. bei einer Überraschung
zuweilen sagen: ich sehe es wohl, aber ich kann es noch gar nicht glauben, gleichsam
die Überzeugung mir zu eigen machen. Diese Unterscheidung ist sehr vieldeutig,
wir können hier bei einem bestimmteren Ausdruck stehen bleiben, indem wir
sagen: Glaube ist eine Überzeugung, welche willkürlich
durch ein Interesse bestimmt wird. Wenn wir etwas nur glauben, so haben
wir unser Urteil bestimmt, weil wir uns dafür interessieren.
Der Einfluß eines Interesse auf unser Fürwahrhalten kann aber von
zweierlei Art sein; entweder das Interesse treibt uns überhaupt nur unser
Urteil über einen Gegenstand zu bestimmen, oder Neigung und Furcht wirken
selbst zu dieser Bestimmung mit. Der erste Fall ereignet sich unzähligemal
im gemeinen Leben. Wenn wir zu einem Urteile noch nicht vollständige Gründe
haben, so ist unsre Meinung in Rücksicht desselben nur ein vorläufiges
Urteil, wir sind in dem Falle eigentlich gar noch nicht zu urteilen befugt,
und sind uns auch bewußt, daß wir unser Urteil nur auf unsichre
Weise bestimmen können: wir würden also gar nicht absprechen, wenn
uns nicht irgend ein Interesse triebe, oder gar nötigte, über diesen
Gegenstand gerade ein bestimmtes Urteil zu haben, z. B. in der Unterhaltung,
um nur darüber zu sprechen; in der Wissenschaft, um auf ein solches vorläufiges
Urteil hin die Konsequenz eines Systems zu probieren, oder in Geschäften,
ein Kaufmann wagt eine Spekulation, ein Arzt entscheidet sein Urteil über
eine unsichere Krankheit, eben nur um darnach handeln zu können. In diesem
Falle ist das Fürwahrhalten des Glaubens aber von der Meinung gar nicht
verschieden, der Glaube ist eine Meinung, die ich genötigt
bin, zur meinigen zu machen.
Der andere Fall war, daß Neigung oder Furcht, oder irgend ein Interesse
selbst mit einwirken und uns glauben machen, daß das wahr sei, was wir
gern wollten, oder das, wovor wir uns fürchten. Ein solches Fürwahrhalten
scheint aber auf den ersten Anblick durchaus gesetzwidrig und übereilt,
es scheint bloße Überredung zu sein, die man in der Übereilung
annimmt, und niemals zur Überzeugung taugen zu können. Man hat daher
auch Kant gegen seinen angeblichen reinen Vernunftglauben die Einwendung gemacht,
er fordere, daß wir mit ruhiger Überlegung eine Überzeugung
annehmen sollen, nur weil wir sehr angelegentlich wünschen, die Sache möge
sich so verhalten; ein solches Fürwahrhalten sei aber etwas psychologisch
Unmögliches, indem wir uns mit ruhiger Überlegung doch niemals frei
zu einer Überzeugung im Ernste entschließen können, bloß
weil wir es gern sehen, die Sache möchte so oder so beschaffen sein.
Kant antwortet darauf, etwas anderes ist ein bloßes Interesse der Furcht
oder Neigung, und etwas anderes ein notwendiges Interesse der Vernunft, nur
dies letzte kann uns zu einem reinen Vernunftglauben nötigen. Ich fürchte
aber sehr, daß er dessenungeachtet dem Einwurfe nicht wird ausweichen
können. Sein Raisonnement ist ungefähr folgendes. Wir können
keinen spekulativen Beweis führen, daß ein Gott sei und daß
die Seele unsterblich sei, aber wir haben in uns das Bewußtsein, daß
wir Sollen, und dieses Sollen ist das Höchste und Größte in
unserm ganzen Wesen. Alles Sollen wäre aber für
uns ohne Bedeutung und klarer Widerspruch,
wenn wir nicht Gott und die Unsterblichkeit
der Seele voraussetzen. Wir müssen das Letztere also glauben,
nicht nur, weil wir uns von dem Gebote, welches sich im Sollen ankündigt,
nicht losmachen wollen, sondern vorzüglich, weil wir uns gar nicht davon
losmachen können.
Dieses Raisonnement wäre unwiderleglich, wenn der
Widerspruch, der ohne Gott und Unsterblichkeit im Sollen liegt, ein logischer
wäre, das ist er aber nicht, er ist ein bloßer Wider-streit der Zwecke.
Es wird mir im Sollen ein Zweck mit Notwendigkeit aufgegeben, dessen sich aber
die Weltregierung selbst nicht annimmt, der außer mir ohne Bedeutung ist,
ohne Gott und Unsterblichkeit, und. der doch auch nicht eigentlich mein Zweck
ist, von dem ich mich aber nicht losmachen kann. Hieraus würde denn doch
ohne Gottheit und Unsterblichkeit kein logischer Widerspruch in der Annahme
des Sittengesetzes, sondern nur Zwecklosigkeit, und für mich Zweckwidrigkeit
in der Welteinrichtung folgen. Wenn ich also aus dieser Bedeutungslosigkeit
des Sollens ohne jene Voraussetzung eben auf das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit
der Seele schließe,
so ist der Beweisgrund im Schlusse eigentlich die vorausgesetzte Zweckmäßigkeit in der Welteinrichtung das heißt, ich
setze die Realität des höchsten Gutes, oder
den Grundsatz der besten Welt eigentlich schon
voraus, und schließe daraus erst auf das
Dasein Gottes. Aber die Realität des höchsten Gutes und das
Dasein Gottes sagen mir im Grunde eins und dasselbe, der ganze Beweis ist eine Vorwegnahme aus der ursprünglichen Überzeugung,
daß die Welt die beste sei. Mein Interesse für das Gesetz
figurierte bloß in dem Beweise, ohne dabei nötig zu sein.
Also auch so wie Kant noch den Begriff des Glaubens bestimmt hat, ist er entweder
nur Überredung, oder eine besser oder schlechter begründete Meinung,
das heißt nur dem Grade nach vom Wissen unterschieden. Allein wiewohl,
er sich in seinen moralischen Beweisen im Grunde geirrt hat, so behalten doch
seine dahin gehörigen Untersuchungen für uns einen sehr großen
Wert, sie können uns leicht zu einer richtigern Bestimmung der Begriffe
leiten.
Die gewöhnlichen Bedeutungen des Wortes Glaube lassen darin also nur einen
niedern Grad der Überzeugung unter dem Wissen verstehen. Noch in einem
andern Sinne aber bediente sich Jacobi dieses Wortes, wie wir schon früher anführten. Ihm ist Wissen die
durch Schlüsse begründete Überzeugung, Glaube eine unmittelbare
Überzeugung ohne Schluß. Der größte Teil der Rationalisten
unter den Philosophen gestand allein der Vernunfterkenntnis im Gegensatz gegen
den Sinn Realität zu, dachte aber unter Vernunft nur den Verstand als das
Vermögen der Begriffe, das heißt, als das Vermögen der Reflexion,
und hielt dadurch die erschlossene Wahrheit für die einzige allgemeingültige.
Jede Wahrheit sollte erweislich sein bis auf das höchste Prinzip.
Diese widersprechende Vorstellungsart rührte nur von einer unzulänglichen
Kenntnis der Logik und der Reflexion her, indem man nicht bedachte, daß
man durch alles Schließen niemals mehr Wahrheit erhält, als die dürftige
Ausbeute der obersten Prämissen, welche die leersten und allgemeinsten
Formeln in unserer Erkenntnis sind, und doch selbst nicht wieder erschlossen
sein können. Diese Lehre bildete sich am weitesten in der Wolff‘schen
Philosophie aus, und Jacobi zeigte dagegen, wie man durch
alles Schließen zu gar nichts komme, ohne eine unmittelbare Erkenntnis,
welche allem Schluß vorausgeht. Diese nennt er dann Glaube im Gegensatz
des Wissens durch Schlüsse. Aber ein solcher Wortgebrauch ist uns zu allgemein,
indem wir nicht nur mit Glauben, sondern auch mit Wissen
und Ahndung Arten der Überzeugung benennen, denen unmittelbare Erkenntnisse,
und nicht bloß erschlossene zukommen.*
*Alle Erkenntnis, auch die Auffindung
der Erkenntnisprinzipien selbst, geschieht nach Fries durch innere Erfahrung
oder Selbstbobachtung, ohne daß dadurch ihre unbedingte Gültigkeit
gefährdet würde
Wir gehen also, um unsre Unterscheidung dieser drei Überzeugungsarten deutlich
zu machen, zu dem zurück, was soeben von Kants moralischen Beweisen gesagt
wurde.
Kants moralischer Beweis des Daseins Gottes sollte
eigentlich nur aufweisen, daß unsre Vernunft für das Bewußtsein,
daß wir Sollen, notwendig das Dasein Gottes postulieren müsse; allein
selbst in dieser Form läßt er sich nicht einmal recht anwenden, indem
sogar dieses Postulat auch dann nur unter Voraussetzung der Realität des
höchsten Gutes oder einer zweckmäßigen Welteinrichtung gilt.
Wir müssen also dasjenige, was Kant eigentlich wollte, ganz abgesehen von
seinen moralischen Beweisen oder Postulaten ansehen, so wie wir es, von ihm
aufmerksam gemacht, in der Vernunft selbst finden.
Alsdann ergibt sich, daß ursprünglich in dem Wesen der Vernunft,
als das erste Vorausgesetzte, ein Glaube an die ewige Realität des höchsten
Gutes liege, welcher sich, gemäß ihren spekulativen Ideen, in
einem Glauben an Gott, die Ewigkeit unsers Wesens, und die Freiheit des Willens
entfaltet. Dieser Glaube entspringt rein aus der Vernunft, findet aber
für uns nur dadurch Anwendung, daß wir unser Wissen, welches wir
aus der Erfahrung schöpfen, nur auf Erscheinungen beschränken, und
so die Schranken der innerhalb der Erfahrung unumschränkten Naturnotwendigkeit
durchbrechen, endlich aber in der Ahndung das Endliche mit dem Ewigen wieder
vereinigen durch die Schönheit der Natur.
Es ist uns für keinen Begriff möglich, durch einen spekulativen Beweis
vom Endlichen der Natur zum Ewigen zu gelangen, denn die Natur mit ihrer strengen
Notwendigkeit stößt zwar die Idee des Seins an sich von sich aus,
ist sich aber in ihrer Unvollendbarkeit durchaus selbst genug und hinreichend,
sie ist etwas in sich durchaus Erklärliches, und führt selbst nicht
über ihre Grenzen hinaus. Wiewohl wir in der Spekulation durch die Unvollendbarkeit
des Naturganzen auf eine höhere Idee des Unbedingten geleitet werden, und
für diese durch die in innrer Natur aufgefundenen Ideen der Pflicht und
des Rechtes Realität fordern: so müssen wir doch erst über das
Wissen hinaus gehen, um ihnen diese zu verschaffen, denn für das bloße
Wissen fordert das Endliche kein Ewiges, das Bedingte kein Unbedingtes, sondern
wir können da zwischen Schein und Erscheinung nicht
unterscheiden.
Ebenso ist es den logischen Ideen des Glaubens als Begriffen der Vernunft unmöglich,
aus dem Ewigen heraus das Endliche zu berühren, sie machen für sich
wieder ein geschlossenes Ganzes, welches mit der Natur in gar keine Berührung
käme, sondern für sie ein bloßer leerer Gedanke einer fremden
Welt wäre, ohne das Gefühl und die ästhetischen Ideen der Ahndung.
Es fällt nämlich jenes Wissen um das Endliche
und dieses Glauben an das Ewige in unserm Gemüte in einem und demselben Bewußtsein zusammen, so daß die Realität beider sich innig vereinigt; diese
Vereinigung kann aber nur durch das Gefühl der frei reflektierenden Urteilskraft
in den ästhetischen Ideen der Ahndung zum Bewußtsein kommen.*
*Hier wird deutlich, daß
die drei Begriffe Wissen, Glauben, Ahnden der Kantischen Unterscheidung von
theoretischer Ver¬nunft, praktischer Vernunft und ästhetisch-telologischer
Urteilskraft entsprechen.
Der richtige Unterschied des Wissens und Glaubens geht
also darauf hin, daß das Wissen seine Gegenstände aus der Anschauung
nimmt, der Glaube aber nicht, auf das Nicht-sehen und doch glauben.
Wir wissen um alle Erfahrungs- und Naturerkenntnis, denn wiewohl uns nicht alle
Naturerkenntnis durch die Anschauung gegeben wird, so erhalten wir durch diese
doch allein Gegenstände derselben.
Die Welt dieser Erkenntnisse ist die Sinnenwelt, deren Inhalt uns nur die Anschauung
liefert, wenngleich ihre Form in den obersten Gesetzen der Naturnotwendigkeit
nur aus Begriffen erkannt wird. Die Gesetze der Kausalität und der Stetigkeit
z. B. erkennen wir zwar nur in Begriffen, ihre Anwendung geht aber nur auf die
Gegenstände der Natur, welche in die Anschauung fallen, sie gehören
also noch zum Wissen.
Dagegen entspringen uns die Ideen des Ewigen, Freien und Absoluten bloß
in Begriffen, und ihre Anwendung geht auf eine Welt, welche uns nicht in der
Anschauung, sondern nur im Glauben gegeben ist. Die Gegenstände dieser Weltordnung, Seele, höhere Welt und Gottheit, werden
von uns nicht angeschaut, sondern durch den bloßen
Glauben erkannt nach Ideen, denen die endliche Vernunftkraft ihres eignen Wesens
notwendige Realität zuschreiben muß.
Die Ahndung aber bezieht die Gegenstände der Anschauung auf diese Ideen,
kann das aber nur durch Gefühle zustande bringen. Dem Wissen
gehört der Begriff, dem
Glauben die Idee, der
Ahndung das reine Gefühl.
S.2ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe
Band 207, Philosophisches Lesebuch. Zweiter Band, Das neunzehnte Jahrhundert.
Ausgewählt und erläutert von Hermann Glockner
©1950 by Alfred Kröner Verlag in Stuttgart. Veröffentlichung
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