Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814)

>>>Gott

Nur mit Johannes kann der Philosoph zusammenkommen . . .

Nur mit Johannes kann der Philosoph zusammenkommen, denn dieser allein hat Achtung für die Vernunft, und beruft sich auf den Beweis, den der Philosoph allein gelten lässt: den innern. »So jemand will den Willen tun des, der mich gesandt hat, der wird inne werden, dass diese Lehre von Gott sei.« Dieser Wille Gottes aber ist nach dem Johannes der, dass man Gott, und den er gesandt hat, Jesum Christum recht erkenne. Die anderen Verkündiger des Christentums aber bauen auf die äußere Beweisführung durch Wunder, welche, für uns wenigstens, nichts beweiset. Ferner enthält auch unter den Evangelisten Johannes allein das, was wir suchen und wollen, eine Religionslehre: dagegen das beste, was die übrigen geben, ohne Ergänzung und Deutung durch den Johannes, doch nicht mehr ist, als Moral; welche bei uns nur einen sehr untergeordneten Wert hat. S.88f [...]

Jesu Verhältnis zu Gott
Was sagt Jesus über sich selbst in Absicht seines Verhältnisses zur Gottheit? sodann, was sagt er über seine Anhänger und Lehrlinge in Absicht des Verhältnisses derselben zuerst zu ihm, und sodann vermittelst seiner, zur Gottheit?

Kap. 1, 18. »Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoss ist, der hat es verkündiget.« - Wie wir gesagt haben: In sich in das göttliche Wesen verborgen, nur in der Form des Wissens tritt es heraus; und zwar ganz wie es in sich ist.

Kap. 5, 19. »Der Sohn kann nichts von ihm selber tun, denn was er siehet den Vater tun; denn was derselbige tut, das tut gleich auch der Sohn.« - Aufgegangen ist seine Selbstständigkeit in dem Leben Gottes, wie wir uns ausgedrückt haben.

Kap. 10, 28. »Ich gebe meinen Schafen das ewige Leben, und niemand kann sie aus meiner Hand reißen.« V. 29. »Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen.« - Wer ist es denn nun, der sie hält und trägt: Jesus oder der Vater? Die Antwort gibt V. 30. »Ich und der Vater sind Eins.« - Einerlei gesagt in beiden identischen Sätzen. - Sein Leben ist das meinige, das meinige das seinige. Mein Werk sein Werk, und umgekehrt.
Soviel von den deutlichsten und zwingendsten Stellen.

Auf diese Weise lehrt über diesen Punkt einmütig und gleichlautend das ganze Evangelium. Jesus redet nie anders von sich.

Ferner, wie redet er von seinen Anhängern und deren Verhältnisse zu sich? Die beständige Voraussetzung ist, dass diese in ihrem dermaligen Zustande gar nicht das rechte Dasein hätten, sondern, wie er Cap. 3 gegen Nikodemus sich äußert, ein so völlig anderes und ihrem bisherigen Dasein entgegengesetztes Dasein erhalten müssten, als ob an ihrer Stelle ein ganz neuer Mensch geboren würde: - oder, wo er am eindringendsten sich ausspricht: dass sie eigentlich gar nicht existierten, noch lebten, sondern im Tode und Grabe sich befänden, und dass Er erst das Leben ihnen erteilen müsse.

Hören Sie darüber folgende entscheidende Stellen:

Kap. 6, 53. »Werdet ihr nicht essen mein Fleisch und trinken mein Blut (dieser Ausdruck wird tiefer unten erklärt werden), so habt ihr kein Leben in euch.« Nur durch dieses Essen meines Fleisches und Trinken meines Blutes kommt welches in euch; und ohne dies ist keines.

Und Kap. 5, 24. »Wer mein Wort höret, der hat das ewige Leben, und ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.« V. 25. »Es kommt die Stunde, und ist schon jetzt, dass die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben. « - Die Toten! Wer sind diese Toten? etwa die, die am jüngsten Tage in den Gräbern liegen werden? Eine rohsinnliche Deutung: - im biblischen Ausdrucke, - eine Deutung nach dem Fleische, nicht nach dem Geiste. Die Stunde war ja schon damals. Diejenigen waren diese Toten, welche seine Stimme noch nicht gehört hatten, und eben darum tot waren.

Und was für ein Leben ist dies, das Jesus den Seinigen zu geben verspricht?

Kap. 8, 51. »So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich« - keineswegs, wie geistlose Ausleger dies nehmen; er wird wohl einmal sterben, nur nicht auf ewig, sondern er wird am jüngsten Tage wieder auferweckt werden; sondern, er wird nun und nimmermehr sterben; - wie es denn auch die Juden wirklich verstanden, und durch die Berufung auf Abrahams erfolgten Tod Jesus widerlegen wollten, und er ihre Auslegung billig indem er andeutet, dass Abraham, - der Jesu Tag gesehen, - in seine Lehre, ohne Zweifel durch Melchisedek, eingeweiht worden, - auch wirklich nicht gestorben sei.

Oder noch einleuchtender: Kap. 11, 23. - »Dein Bruder soll auferstehen.« Martha, die den Kopf eben auch mit jüdischen Grillen angefüllt hatte, sagte, ich weiß wohl, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am jüngsten Tage. - Nein, sagt Jesus: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe. Und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben.« - Die Vereinigung mit mir gibt die Vereinigung mit dem ewigen Gott und seinem Leben, und die Gewissheit derselben; also, dass man in jedem Momente die ganze Ewigkeit ganz hat und besitzt, und den täuschenden Phänomenen einer Geburt und eines Sterbens in der Zeit durchaus keinen Glauben beimisst, daher auch keiner Auferweckung, als der Rettung von einem Tode, den man nicht glaubt, weiter bedarf.

Und woher hat Jesus diese, seine Anhänger auf alle Ewigkeit belebende Kraft? Aus seiner absoluten Identität mit Gott - Kap. 5, 26.: »Wie der Vater hat das Leben in ihm selber, also hat er dem Sohne gegeben das Leben zu haben in ihm selber.«

Ferner, auf welche Weise werden die Anhänger Jesu dieser Identität ihres Lebens mit dem göttlichen Leben teilhaftig? Jesus sagt dies in den mannigfaltigsten Wendungen, von denen ich hier nur die allerstärkste und deutlichste, und gerade um ihrer absoluten Klarheit willen den Zeitgenossen sowohl, als auch den Nachkommen bis auf diesen Tag allerunverständlichste und anstößigste anführen will. - Kap. 6, 53 bis 55. - »Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes, und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isset, und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben. Mein Fleisch ist die rechte Speise, und mein Blut ist der rechte Trank.« Was heißt dies? - Er erklärt es selber V. 56. »Wer mein Fleisch isset, und trinket mein Blut, der - bleibet in, mir, und ich in ihm;« und umgekehrt, wer in mir bleibet, und ich in ihm, der hat gegessen mein Fleisch u.s.w. Sein Fleisch essen, und sein Blut trinken, heißt: ganz und durchaus er selber werden und in seine Person, ohne Abbruch oder Rückhalt, sich verwandeln, - ihn in seiner Persönlichkeit nur wiederholen, - transsubstantiert werden mit ihm - so wie er das zu Fleisch und Blut gewordene ewige Wort ist, ebenso zu seinem Fleische und Blute, und, was nun daraus folgt und dasselbe ist, zu dem zu Fleisch und Blut gewordenen ewigen Worte selber werden: denken durchaus und ganz wie er, und so, als ob er selber dächte und nicht wir; leben durchaus und ganz wie er, und so, als ob er selber lebte in unserer Stelle. So gewiss Sie nur, Ehrwürdige Versammlung, jetzt nicht meine eigenen Worte herabziehen und herunterdeuten zu dem beschränkten Sinne, dass man Jesum, als unerreichbares Muster, nur nachahmen solle stückweise und aus der Ferne, so wie die menschliche Schwäche es erlaube; sondern dieselben so nehmen, wie ich sie ausgesprochen habe, dass man Er selber ganz werden müsse: so leuchtet Ihnen ein, dass Jesus nicht füglich anders sich ausdrücken konnte, und dass er sich vortrefflich aussprach. Jesus war weit entfernt davon, sich als unerreichbares Ideal hinzustellen, wozu erst die Dürftigkeit der Folgezeit ihn gemacht hat; auch nahmen ihn seine Apostel nicht so: unter anderen auch nicht Paulus, der da sagt: Ich lebe gar nicht mehr, sondern in mir lebt Jesus Christus. Sondern Jesus wollte durch seine Anhänger ganz und ungeteilt in seinem Charakter wiederholt werden, so wie er selber war; und zwar forderte er dieses absolut, und als unerlässliche Bedingung: esset ihr nicht mein Fleisch u.s.w., so bekommt ihr überhaupt kein Leben in euch, sondern ihr bleibet liegen in den Gräbern, in denen ich euch angetroffen habe.

Nur dieses Eine forderte er; nicht mehreres, und nicht weniger. Keineswegs gedachte er sich zu begnügen mit dem bloßen historischen Glauben, dass er das Fleisch gewordene ewige Wort, und der Christus sei, für welchen er sich gab. Allerdings fordert er auch bei Johannes als vorläufige Bedingung, - lediglich damit man ihn nur anhöre und auf seine Reden eingehe, Glauben; d.h. die vorläufige Voraussetzung der Möglichkeit, dass er wohl dieser Christus sein könne, und verschmäht es auch gar nicht, diese Voraussetzung durch frappante und wunderbare Taten, die er vollbringt, zu bestärken und zu erleichtern. Aber der endliche und entscheidende Beweis, der durch die vorläufige Voraussetzung oder den Glauben erst möglich gemacht werden soll, ist der: dass jemand nur wirklich den Willen tue des, der Jesus gesandt hat, d.h. dass er, in dem erklärten Sinne, sein Fleisch und sein Blut esse, wodurch er denn inne werden werde, dass diese Lehre von Gott sei, und dass er nicht von sich selber rede. Ebensowenig ist die Rede von einem Glauben an sein stellvertretendes Verdienst. Jesus ist bei Johannes zwar ein Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegträgt, keineswegs aber ein solches, das sie mit seinem Blute einem erzürnten Gotte abbüsst. Erträgt sie weg: Nach seiner Lehre existiert der Mensch außer Gott und Ihm gar nicht, sondern er ist tot und begraben; er tritt gar nicht ein in das geistige Reich Gottes; wie könnte doch der arme, nichtseiende, in diesem Reiche etwas verwirren und die göttlichen Plane stören? Wer aber in Jesum, und dadurch in Gott sich verwandelt, der lebet nun gar nicht mehr, sondern in ihm lebet Gott; aber wie könnte Gott gegen sich selbst sündigen? Den ganzen Wahn demnach von Sünde, und die Scheu vor einer Gottheit, die durch Menschen sich beleidigt finden könnte, hat er weggetragen und ausgetilgt. Endlich, so nun jemand auf diese Weise den Charakter Jesu in dem seinigen wiederholt; was ist denn nach der Lehre Jesu der Erfolg? - So ruft Jesus in Gegenwart seiner Jünger gegen seinen Vater aus! Cap. 17, 20. »Ich bitte nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle Eines seien; gleich wie du Vater in mir, und ich in dir, dass auch sie in uns Eines seien,« - in uns -Eines seien. Jetzt, nach der Vollendung, ist aller Unterschied aufgehoben: die ganze Gemeine, der erstgeborene, zugleich mit den zuerst und mit den später nachgeborenen fallen wieder zusammen in den Einen gemeinschaftlichen Lebensquell Aller, die Gottheit. Und so fällt denn, wie wir oben behaupteten, das Christentum, seinen Zweck als erreicht setzend, wieder zusammen mit der absoluten Wahrheit, und behauptet selbst, dass jedermann zur Einheit mit Gott kommen, und das Dasein desselben selber, oder das ewige Wort, in seiner Persönlichkeit werden könne und solle.

Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionslehre (S.88, 97-102). Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg