Francois Fénelon [ eigentl. François de Salignac de la Motte- Fénelon ], (1651 – 1715)
![]() |
Französischer
Schriftsteller und Theologe; Abbé-Prinzenerzieher, später Erzbischof von Cambrai; befasste sich zunächst mit Pädagogik; 1688 wurde er Anhänger von Madame
de Guyon, einer Vertreterin des Quietismus. Anhaltende Auseinandersetzungen mit Jacques
Bénigne Bossuet (Königskaplan und Bischof
von Meaux), dem Hof und Rom (Papst Innozenz
XII) führten im berühmten Quietismus-Streit 1699 zur Verurteilung seiner Schrift »Erklärung
über die Grundsätze der Heiligen« sowie des Quietismus ingesamt. Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Vom
Widerstand gegen die innere Stimme
Wenn Gott sich
entfernt, weil man sich von Ihm entfernte, verhärtet sich die Seele
nach und nach. Sie ist nicht mehr in Frieden, aber sie sucht auch den
wahren Frieden nicht; im Gegenteil, sie entfernt sich mehr und mehr von ihm,
da sie ihn sucht, wo er nicht ist. Sie ist wie ein Gebein, das aus seinen Gelenken
gewichen ist und einen heftigen Schmerz erweckt; dennoch setzt es sich lieber
in seiner üblen Lage außerhalb seiner Stelle fest, als daß
es in die rechte Lage zurückkehrte.
Wie sehr ist eine Seele zu bedauern, wenn sie anfängt, die
geheimen Rufe Gottes zu verwerfen, der verlangt, daß sie allem
ersterbe... Man ist wie ein verwundeter Hirsch, der in seiner Seite den Speer
trägt, von dem er getroffen wurde; je mehr er in seinem Laufe durch den
Wald eilt, um sich davon zu befreien, um so tiefer rennt er sich das Geschoß
ins Fleisch. »Wer widersetzt sich Gott und hätte
Frieden?«
Aus einer Art Untreue gegen den Zug des
reinen Glaubens geschieht es wohl, daß man sich immer versichern
will, ob man gut wirke. Das heißt, man will wissen, was man tut. Man wird
es aber niemals wissen: Gott
will, daß man darüber in Unwissenheit sei. Heißt das
nicht, auf dem Wege sich aufhalten, um über den Weg selbst zu klügeln?
Der sicherste und kürzeste Weg ist: entsagen, sich vergessen, sich an Gott
hingeben und seiner selbst nicht mehr gedenken, außer in der Treue zu
Gott. Die ganze Religion besteht nur darin, aus sich und seiner Eigenliebe heraus
zu treten, um für Gott frei zu sein.
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band II, Die
Welt der Mystik . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.305f.) Holle Verlag ,
Darmstadt
Von
den innerlichen Versuchungen
Die Versuchungen sind notwendig; die Sache ist nur, daß
man in ihnen nicht unterliege. Die Versuchungen im Inwendigen sind wie
die im Äußern; sie sollen alle uns durch den Kampf
zum Siege führen. Die innerlichen Versuchungen sind noch nützlicher,
weil sie unmittelbar dienen, uns zu demütigen,
durch die Erfahrung nämlich unsrer inwendigen Verdorbenheit.
Die äußerlichen können uns nur die Bosheit der Welt, die uns
umgibt, zeigen; die innerlichen überzeugen uns, daß wir unsern Neigungen
ebenso verderbt sind wie die Welt.
Laßt uns denn unsre innerlichen Empörungen und alle die Versuchungen,
die aus unserm eignen Grund und Boden entstehen, eben sowohl mit einem demütigen
Vertrauen und ruhig ertragen als die Stürme, die von den andern Kreaturen
kommen. Alles kommt, eins wie das andre, von der Hand
Gottes, der sich unser so gut der andern zu bedienen weiß, um uns
zum Absterben unser selbst zu bringen. Oft ist es der Stolz, der unruhig
und mutlos wird, so viele hartnäckige Aufrührer im Inwendigen zu sehen,
da er lieber seine Leidenschaften gebändigt sähe, um sich an dieser
Ehre zu weiden, und sich in seiner Vollkommenheit zu gefallen.
Laßt uns streben, durch die innere Kraft des Willens trotz der Widerspenstigkeit
und der Bewegungen der Natur treu zu sein; und laßt
uns Gott machen lassen, wenn er uns durch diese Stürme zeigen will, welchen
Schiffbrüchen wir ausgesetzt wären, wenn seine mächtige Hand
uns nicht davor bewahrte.
Und wenn es uns auch begegnet, willkürlich aus Schwachheit zu fallen, laßt
uns dann uns demütigen; laßt uns uns zurecht setzen; ohne Barmherzigkeit
mit uns selbst; laßt uns keinen Augenblick verlieren, uns wieder hin zu
Gott zu wenden; aber laßt es uns einfältig und ohne Unruhe tun. Ich
sage, laßt uns wieder aufstehen, und kräftig unsern Lauf fortsetzen,
ohne uns beim Anblick unsers Falles zu quälen und mutlos zu werden.
S.94f.
Aus: Francois Fénelon. Allgemeine Anleitung um den innerlichen Frieden
zu bewahren. Eine Auswahl aus Fénelons Werken religiösen Inhalts.
Aus dem Französischen übersetzt von Matthias Claudius.
R. Brockhaus Verlag WuppertalVom
verborgenen Kreuz
Es ist im Leiden nichts zu tun, als zu leiden und vor
Gott zu schweigen. Ich habe geschwiegen,
sagt David, denn du hast
es getan (Psalm 50,21). Gott ist es,
der die üblen Launen, die Flüsse, die Schwindel, die Ohnmachten, die
Erschöpfungen, die Ungelegenheiten, die Unterwürdigkeiten zuschickt;
er ist es, der auch die Größe zuschickt
mit alle ihren Martern und ihrem ganzen schrecklichen Gefolge; er ist
es, der inwendig die Dürre macht, die Ungeduld, die Mutlosigkeit, um uns
durch die Versuchung zu demütigen und um uns uns selbst in unsrer wahren
Gestalt zu zeigen. Er ist es, der alles tut; und es bleibt uns nichts, als ihn
in allem zu sehen und anzubeten.
Man muß sich nicht in Unruhe setzen, um sich eine erkünstelte Gegenwart
von Gott und diesen Wahrheiten zu verschaffen; es ist genug, daß man einfältig
in der Fassung des Herzens, gekreuziget werden zu wollen, verharre; höchstens
ein einfältiger und ungezwungener Aufblick, den man so oft erneuert, als
man sich, durch ein gewisses Andenken, das inwendig am Herzen anklopfet, dazu
aufgefordert fühlt.
In dem ins Auge fallenden äußern Glück ist nichts Gutes, als
das verborgene Kreuz! Ich umarme dich, ich bete
in dir den sterbenden Jesum
an, mit dem auch ich sterben muß.
O trügerische Güter, ihr sollt mir nimmermehr Güter heißen,
da ihr nur dazu dient, uns unglücklich zu machen!
O Kreuz und Leiden, die mir Gott auflegt,
und die der feigen Natur so hart bedünken, ihr, welche die blinde Welt
Übel nennt, ihr sollt mir nimmermehr Übel heißen! Lieber soll
kein Wort aus meinem Munde gehen, als daß ich diese ungöttliche
Sprache der Kinder dieser Welt spräche.
Ihr seid meine wahren Güter, denn ihr, ihr machet mich demütig, ihr
machet mich los von der Welt, ihr lehrt mich das Elend und die Eitelkeit von
dem allen was mich hienieden an sich ziehen könnte, einsehen.
Sei du ewig gebenedeit, o du Gott der Wahrheit,
der du mich mit deinem Sohn
ans Kreuz geheftet hast, um mich diesem lieben Sohn,
an dem du Wohlgefallen hast ähnlich zu machen!
S.96f.
Aus: Francois Fénelon. Allgemeine Anleitung um den innerlichen Frieden
zu bewahren. Eine Auswahl aus Fénelons Werken religiösen Inhalts.
Aus dem Französischen übersetzt von Matthias Claudius.
R. Brockhaus Verlag Wuppertal
Gottes
Liebe gibt uns alles
Die Liebe allein, die Gott
zu uns hat, gibt uns alles. Aber das größte Geschenk,
das er uns machen kann, ist: uns die Liebe
schenken, die wir zu ihm haben müssen. Wenn
Gott uns liebt, so daß er uns ihn
lieben macht, dann regiert er in uns; dann macht er in uns unser Leben,
unsern Frieden, unser Glück, und wir fangen dann schon an, mit seinem hochseligen
Leben zu leben. Diese Liebe,
die er zu uns hat, trägt seinen unendlichen Charakter
an sich: er liebt nicht wie wir mit einer begrenzten und eingeschränkten
Liebe: wenn er liebt, so sind alle Schritte seiner Liebe
unendlich. Er steigt vom Himmel auf
die Erde herab, um die Kreatur von Staub. die er liebt, zu suchen; er wird Mensch
und Staub mit ihr; er gibt ihr sein Fleisch zu essen. Durch solche Wunder der
Liebe übertrifft der Unendliche alle Liebes-Gefühle,
deren die Menschen fähig sind. Er liebt als Gott,
und es ist in dieser Liebe alles unbegreiflich.
Es ist die Torheit aller Torheiten, nach einer endlichen und begrenzten Weisheit
die unendliche Liebe messen wollen. Weit entfernt in diesen Überschwenglichkeiten
der Liebe, von seiner Größe etwas zu verlieren, drückt er vielmehr
den Charakter seiner Größe darin ab, indem er darin die Höhen
und Tiefen einer unendlichen Liebe kund legt. O wie ist
er in seinen Geheimnissen so groß und liebenswürdig! Aber
wir haben nicht Augen zu sehen, und uns fehlt der Sinn, Gott in allem zu vernehmen.
S.18f.
Die Liebe
sucht den andern
Der Weihrauch der Menschen ist für dich nur ein nichtiger Rauch; du bedarfst
des Fettes vom Blut ihrer Schlachtopfer nicht; ihre Zeremonien sind nur ein
leeres Schauspiel; ihre reichsten Opfer sind zu
arm für dich, und ihre Lobgesänge selbst sind eine Sprache der Lüge,
wenn sie dich nicht im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Man kann dir nur dienen, wenn man dich liebt.
Die äußerlichen Zeichen sind gut, wenn sie aus dem Herzen gehen;
aber dein wesentlicher Dienst ist nichts als Liebe,
und dein Reich ist gänzlich inwendig in uns.
Aber soll dieser Gottesdienst der Liebe so in meinem
Herzen verschlossen sein, daß ich nie äußerlich irgendein Zeichen
davon gebe? Ah, wenn es wahr ist, daß ich liebe, so ist es mir unmöglich,
meine Liebe geheimzuhalten. Die Liebe will nichts als lieben und andere lieben
machen.
Gott hat die Menschen zusammen in Gesellschaft
gesetzt, wo sie sich lieben und sich wie Kinder einer Familie, die einen gemeinschaftlichen
Vater haben, einander helfen und fördern sollen.
Diese Kinder Gottes müssen seine Wohltaten öffentlich bekannt machen,
sein Lob singen, ihn denen verkündigen, die ihn nicht wissen, sein Andenken
denen erneuern, die ihn vergessen. Es muß also unter ihnen ein
gemeinschaftlicher Gottesdienst dieses Gottes sein;
und das nennt man Religion; das will sagen, daß alle diese Menschen
sich untereinander unterrichten, erbauen, einer den andern lieben müssen,
um den gemeinschaftli¬chen Vater zu lieben und zu dienen.
Das Wesen dieser Religion steht nicht
in irgendeiner äußerlichen Zeremonie;
denn sie besteht ganz in der Erkenntnis des wahren
und in der Liebe des höchsten
Guten. Aber diese inwendigen Gesinnungen
können nicht aufrichtig sein, ohne daß sie als gemeinschaftlich unter
den Menschen durch gewisse und sinnliche Zeichen ausgedrückt werden. Es
ist nicht genug, Gott zu kennen; man muß
zeigen, daß man ihn kennt, und sich so betragen, daß keiner
von unsern Brüdern das Unglück habe, ihn nicht zu wissen, ihn zu vergessen.
Diese sinnlichen Zeichen des Gottesdienstes sind mit einer gewissen Majestät
eingerichtet worden, um die Größe des himmlischen
Vaters desto besser darzustellen. Die meisten Menschen bedürfen,
von ihrer flüchtigen Einbildungskraft beherrscht und durch ihre Leidenschaften
fortgerissen, daß die Majestät dieser für den gemeinschaftlichen
Gottesdienst angeordneten Zeichen ihre Einbildungskraft rühre und ergreife.
Das also ist und heißt Religion: öffentlicher
Gottesdienst des Gottes, der uns geschaffen hat.
Das Menschengeschlecht kann seinen Schöpfer nicht erkennen und lieben,
ohne zu zeigen, daß es ihn liebt, ohne machen zu wollen, daß er
von allen geliebt werde, endlich ohne sich durch die Zeichen der Liebe selbst
zur Liebe zu reizen. Sehet da, die Religion, die von dem
Glauben an den Schöpfer unzertrennlich ist. S.19f.
Auf welche
Weise Gott geehrt sein will
»Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf
Erden.« (Lukas 2,14)
Wenn wir nichts andres als Gottes Ehre in der Höhe suchen, so ist dadurch
unser Friede auf Erden gesichert. Aber Gottes Ehre wird nicht in allen Gedanken
und in allen Handlungen der Menschen befördert; und man muß seine
Ehre auf keine andre Weise wollen, als er sie selbst will. Er ist der Herr,
und will seine Ehre keinem andern geben. Sein Wille soll geschehen, damit dadurch
seine Weisheit und seine Güte offenbar werde. Er hat der Sonne, dem Mond,
den Sternen und der ganzen Natur Gesetze vorgeschrieben, und sie ehren ihn,
indem sie nach diesen Gesetzen stillschweigend und unverrückt einhergehen
und so seinen Willen erfüllen. Der Mensch hat einen
freigeschaffenen Geist und andre Gesetze; und er ehrt Gott, wenn er von diesen
Gesetzen nicht abgeht, nicht mit eigner Tätigkeit und nach eigner Wahl
denkt, will und handelt; wenn er seinen Willen verleugnet und sich freiwillig
zu einem Gerät in der Hand Gottes macht. Wer das tut, der ehrt Gott
in der Höhe, in ihm geschieht Gottes Wille auf Erden wie im Himmel, und
er ist selig und unerschütterlich wie der Berg Zion. S.21
Von
der Gegenwart Gottes
Das wahre Mittel unsrer Vollkommenheit ist in dem
Worte enthalten, das Gott
zu Abraham sagte: Wandle vor mir, und du wirst
vollkommen sein (1. Mose 17,1).
Die Gegenwart Gottes besänftigt den Geist,
gibt einen milden Schlaf und eine milde Ruhe während des Tags mitten unter
allen Arbeiten; aber man muß Gott unbedingt ergeben
sein.
Wenn man Gott gefunden hat, so ist bei den Menschen nichts
weiter zu suchen. Der wahre, gute Freund ist inwendig im Herzen; das
ist der Bräutigam, der eifersüchtig ist und alles übrige entfernt.
Es wird nicht viel Zeit erfordert, um Gott zu lieben, um sich in seiner Gegenwart
zu erneuern, um sein Herz zu ihm zu erheben oder ihn im Grunde seines Herzens
anzubeten, um ihm, was man tut und was man leidet, darzubringen; und
das ist das wahre »Reich Gottes inwendig
in uns« (Lukas 17, 21), das nichts trüben kann.
Wenn die Zerstreuung der Sinne und die Lebhaftigkeit der Einbildungskraft die
Seele hindern, sich auf eine sanfte und sinnliche Art zu sammeln, so muß
man sich wenigstens durch die Kraft des geraden Willens
beruhigen; alsdann ist das Verlangen nach Sammlung
selbst eine Art von Sammlung, die hinreichend ist; man muß zu Gott zurückkehren
und mit einem aufrichtigen Sinn alles tun, was er von uns will getan haben.
Man muß von Zeit zu Zeit mit allem Fleiß das Verlangen aufwecken,
Gott anzugehören mit
allem, was unsre Seele kann und vermag,
das ist: mit den Kräften unsers Verstandes, um ihn zu erkennen und an ihn
zu denken, und mit den Kräften unsers Willens, um ihn zu lieben. Auch laßt
uns wünschen, daß unsre äußerlichen Sinne in allen ihren
Wirkungen ihm gewidmet sein möchten. S.21f.
Daß
Gott dem Menschen alles und allein seines Herzens Teil sein will
»O Gott; mein Trost und meines Herzens Teil.«
(Psalm 73,26)
Herr, du bist Gott der ganzen Natur; alles gehorcht deiner Stimme, alles lebet
durch dich. Du bist meiner Seele
Seele, bist mir näher als ich mir selbst bin. Alles ist dein; soll
mein Herz es nicht auch sein? Du hast es gemacht, und du liebst es. Dir gehört
es und nicht mir.
Und du willst auch mir gehören, und mein sein. Nun, Herr, ich liebe dich
und habe kein andres Gut und will kein andres haben. Ich begehre nicht außerordentliche
Erkenntnisse noch Wundergaben; ich begehre nur dich, und was mich zu dir führen
kann. Nach dir, und dir allein hungert und dürstet meine Seele. Mache mit
mir, wie es dir wohlgefällt, nur bleibe mein Trost und meines Herzens Teil.
Amen. S.23
Allgemeine
Anleitung, um den innerlichen Frieden zu haben
Wie ist der Friede, der von Gott kommt, so verschieden von dem Frieden, den
die Welt gibt! Er stillet die Leidenschaften; er fördert die Reinigkeit
des Gewissens; er ist unzertrennlich von der Gerechtigkeit; er vereinigt mit
Gott; er stärkt
uns gegen die Versuchungen. Diese Reinheit des Gewissens wird durch den öfteren
Gebrauch der Sakramente unterhalten (1. Kor. 11, 27f.).
Die Versuchung, wenn sie uns nicht überwältigt,
bringt allezeit ihre Frucht mit sich. Der Friede der Seele besteht in
einer gänzlichen Hingebung in den Willen Gottes.
»Martha, Martha, du machst dir viel Sorge und Mühe,
aber Eins ist Not« (Luk. 10, 41f.)
Eine wahre Einfalt; eine gewisse Stille des Geistes, welche die Frucht ist von
einer gänzlichen Hingebung in alles, was Gott will; eine
Geduld und ein Mitleiden mit den Fehlern des Nächsten, das die Gegenwart
Gottes einflößt; eine gewisse Aufrichtigkeit
und eine gewisse Kindes-Gelehrigkeit, seine Fehler zu bekennen, dafür
gestraft sein und sich dem Rat erfahrener Personen unterwerfen wollen —
das da sind Tugenden, die wahrhaftig, nützlich, und geeignet sind, Sie
zu heiligen.
Die Bekümmernis, die Sie noch über viele
Dinge haben, kommt davon her, daß Sie nicht alles, was Ihnen begegnen
kann, mit völliger Hingebung an Gott annehmen.
Stellen Sie denn alle Dinge in seine Hände und opfern sie zum voraus auf
in Ihrem Herzen. Von dem Augenblick an, wo Sie nicht nach
Ihrem eigenen Sinn mehr wollen, und wo Sie alles,
was Gott will, unbedingt wollen, werden
Sie nicht mehr so viele unruhige Rückblicke und Bedenklichkeiten über
das, das Sie angeht, bei sich spüren; Sie haben nichts zu verbergen noch
zurechtzulegen.
Bis so lange aber werden Sie beunruhigt sein, wankend in Ihren Ansichten und
Empfindungen, leicht unzufrieden über den Nächsten, wenig übereinstimmend
mit sich selbst, voll Zurückhaltung und Mißtrauen; Ihr guter Verstand
wird, bis er recht demütig und einfältig geworden,
Ihnen nur dienen, Sie zu quälen; Ihre Frömmigkeit,
ob sie gleich aufrichtig ist, wird Ihnen weniger Schutz und Trost als innerliche
Vorwürfe zuwege bringen.
Wenn Sie dahingegen Ihr ganzes Herz Gott hingeben, so werden Sie ruhig sein
und voll Freude des Heiligen Geistes.
Wehe Ihnen, wenn Sie in dem Werke Gottes noch auf den Menschen sehen! Wenn es
darauf ankommt, sich einen Führer zu wählen, so muß man alle
Menschen für nichts rechnen. Die geringste menschliche Achtung schwächt
die Gnade, vermehrt die Unentschlossenheiten. Man leidet viel und mißfällt
noch mehr Gott.
Wie kann man doch anstehen, Gott
seine ganze Liebe zu widmen, ihm, der uns zuerst
geliebt und mit einer zarten Liebe geliebt hat wie ein Vater, der sich
seiner Kinder erbarmt, deren äußerste Gebrechlichkeit er kennt und
den Staub, daraus er sie gemacht hat?
Er hat uns auf unserem eignen Wege, der der Weg
der Sünde ist, aufgesucht; er ist gelaufen wie ein Hirt, der sich
keine Mühe verdrießen läßt, sein verirrtes Schaf wiederzufinden.
Er ist aber damit noch nicht zufrieden gewesen, uns zu suchen, sondern er hat,
nachdem er uns gefunden, uns und unsere Schwachheiten auf sich geladen; er ist
gehorsam gewesen bis an den Tod des Kreuzes. Man kann aber auch sagen, daß
er uns bis an den Tod des Kreuzes geliebt hat, und daß das Maß
seines Gehorsams das Maß seiner Liebe gewesen.
Wenn diese Liebe eine Seele erfüllt, so schmeckt sie den Frieden
des Gewissens, sie ist zufrieden und glücklich; sie bedarf weder
Größe, noch Ehre, noch Vergnügen, nichts von dem allen, das
die Zeit dahin nimmt, ohne eine Spur davon übrigzulassen: sie
will nichts als den Willen Gottes,
und hält sich ohn‘ Aufhören wach in der seligen Erwartung
ihres Bräutigams.
Ich überlasse mich, mein Gott, in deine Hände. Wende diesen Ton, wie
du willst; gib ihm eine Form, zerschlage ihn hernach; er gehört dir; er
hat nichts zu sagen; mir ist es genug, daß er deinen allezeit wohltätigen
Absichten diene und daß nichts in mir deinem Wohlgefallen widerstrebe,
für das ich gemacht bin. Fordre, befiehl, verbiete:
Was willst Du, daß ich tun soll? Erhöhet, erniedrigt, getröstet,
leidend, deinen Werken gewidmet, unnütz zu allem, will ich dich allezeit
gleich herzlich anbeten und allen eignen Willen dem Deinigen aufopfern:
es bleibt mir nichts übrig, als in allem mit Maria zu sagen (Lukas
1 38):
»Mir geschehe, wie du gesagt hast.« S.23ff.
Gottes
Geist wohnt nicht im Sturm
Sobald wir merken, daß irgendein fremder Gegenstand uns zu viel Vergnügen
oder Freude macht, so laßt uns unser Herz davon
trennen; und damit es gehindert werde, seine Ruhe in der Kreatur zu finden,
ihm sofort seinen wahren Gegenstand und sein höchstes
Gut, welches Gott ist, vorstellen.
Wenn wir treu sind, innerlich mit den Kreaturen zu brechen, das heißt
zu hindern, daß sie nicht bis in den Grund der Seele eindringen, den unser
Herr sich vorbehalten hat, darin zu wohnen, und darin hochgeachtet, angebetet,
und geliebt zu werden, so werden wir bald die reine Freude schmecken, die
Gott einer freien und von aller menschlichen Anhänglichkeit
losgemachten Seele unfehlbar geben wird.
Wenn wir in uns ein heftiges Verlangen zu irgend etwas, was es auch sein möge,
gewahr werden, und wir merken, daß unser Gemüt uns mit einer zu großen
Lebhaftigkeit zu dem hintreibt, was nun getan werden soll, sei es auch nur ein
Wort zu sagen, einen Gegenstand zu sehen, irgend einen Schritt zu tun, so laßt
uns kurz und gut stehen bleiben, und die Voreile unsrer Gedanken und den Sturm
unsers Tuns zurückhalten, weil Gott
selbst gesagt hat, daß sein Geist nicht
im Sturme wohne. S.26f.
Wie wir
unnützen Dingen aus dem Weg gehen
Laßt uns ferner uns hüten, an allem, was gesagt und getan wird, zu
viel Anteil zu nehmen, und zu voll davon zu werden. Denn das ist eine
große Quelle von Zerstreuungen. Sobald wir eingesehen haben, was Gott
in einer jeden Sache, die vorkommt, von uns fordert, so laßt uns dabei
stehen bleiben und alles übrige fahren lassen. Dadurch erhalten wir den
Grund unsrer Seele allezeit treu
und gleichförmig, und wir gehen viel unnützen Dingen
aus dem Wege, die unser Herz wirren und es hindern, leicht sich wieder zu Gott
zu wenden. S.27
Aus: Francois Fénelon. Allgemeine Anleitung um den innerlichen Frieden
zu bewahren. Eine Auswahl aus Fénelons Werken religiösen Inhalts.
Aus dem Französischen übersetzt von Matthias Claudius.
R. Brockhaus Verlag Wuppertal