Friedrich Engels (1820 – 1895)

Deutscher Kaufmann, der in seiner Lehrzeit dem »Jungen Deutschland« nahe stand. Später schloss er sich der radikalen »Hegelschen Linken« an. Während seiner Tätigkeit im väterlichen Zweiggeschäft in Manchester (1842— 44) trat er in engere Beziehungen zum Kreis um Richard Owen und zu den Chartisten. Seit seiner Begegnung mit Karl Marx 1844 in Paris verband ihn mit diesem eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft. Das Ergebnis seiner Studien in England veröffentlichte Engels in der Schrift »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« (1845). Nach dem Bruch mit dem Linkshegelianismus schlossen sich Engels und Marx dem »Bund der Gerechten« an, der sich nach ihrem Beitritt in »Bund der Kommunisten« umbenannte. Zu seiner theoretischen Neuorientierung verfassten sie zusammen im Jahre 1848 das »Kommunistische Manifest«. 1848 redigierten sie die »Neue Rheinische Zeitung« in Köln. In den Jahren 1850—69 war Engels wieder in dem väterlichen Geschäft in Manchester tätig. Er unterstützte Marx finanziell. Die Schriften von Engels (u. a. »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft«, 1882; »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates«, 1884; »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie«, 1886) förderten die Ausbreitung des Marxismus. Die Dialektik des gesellschaftlichen Geschehens hat Engels besonders in seiner Polemik gegen den Philosophen Eugen Dühring (»Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft«, 1878), zu einer Dialektik der Natur zu erweitern gesucht.

Siehe auch Wikipedia

Inhaltsverzeichnis

Die Lehre von der Sünde
Gott als Abbild des Menschen
Gott als unbrauchbare Hypothese
  >>>Christus
Die Offenbarung

Urchristentum

Die Lehre von der Sünde.
Die Lehre von der Sünde habe ich noch am wenigsten überdacht, das ist mir indes klar, dass die Sünde der Menschheit notwendig ist. Die Orthodoxie sieht richtig einen Zusammenhang zwischen Sünde und irdischen Mängeln, Krankheit pp., sie irrt aber darin, dass sie die Sünde als Ursache dieser Mängel hinstellt, was nur in einzelnen Fällen stattfindet. Diese beiden, Sünde und Mängel, bedingen sich gegenseitig, das eine kann ohne das andre nicht bestehen.

Und weil die Kräfte des Menschen nicht göttlich sind, so ist die
Möglichkeit zur Sünde notwendig; dass sie wirklich eintreten musste, war durch die rohe Stufe der ersten Menschen gegeben, und dass sie seitdem nicht aufhörte, ist wieder ganz psychologisch. Sie kann auch gar nicht aufhören auf der Erde, weil sie durch alle irdischen Verhältnisse bedingt ist, und Gott sonst die Menschen anders hätte schaffen müssen.

Da er sie aber einmal so geschaffen hat, so kann er gar keine absolute Sündlosigkeit von ihnen verlangen, sondern nur einen Kampf mit der Sünde; dass dieser Kampf plötzlich mit dem Tode aufhören und ein dolce far niente eintreten werde, konnte nur die vernachlässigte Psychologie früherer Jahrhunderte schließen. Ja, diese Prämissen zugegeben, wird die moralische Vollkommenheit nur mit der Vollkommenheit aller übrigen geistigen Kräfte, mit einem Aufgehen in die Weltseele zu erringen sein, und da bin ich bei der Hegelschen Lehre, die Leo so heftig angriff. Dieser letzte metaphysische Satz ist übrigens so ein Schluss, von dem ich selbst noch nicht weiß, was ich davon halten soll. —

Ferner kann nach diesen
Prämissen die Geschichte Adams nur Mythe sein, indem Adam entweder Gott gleich sein musste, wenn er so sündlos geschaffen war, oder sündigen musste, wenn er mit im übrigen menschlichen Kräften geschaffen war. — Das ist meine Theorie der Sünde, die indes noch an ungeheurer Rohheit und Lückenhaftigkeit leidet; wobei habe ich hier noch einer Erlösung nötig?

— »Wollte Gott einen Ausweg zwischen strafender Gerechtigkeit und erlösender Liebe finden, so blieb die Stellvertretung als einziges Mittel über«.

Nun seht einmal, was für Menschen Ihr seid. Uns kommt Ihr damit, dass wir in die Tiefen der göttlichen Weisheit unser kritisches Senkblei herabließen, und hier setzt Ihr sogar der
göttlichen Weisheit Schranken. Ein größeres Dementi hätte sich Herr Professor Philippi nicht geben können. Unerhört denn — gesetzt auch die Notwendigkeit dieses einzigen Mittels — die Stellvertretung auf, eine Ungerechtigkeit zu sein? Ist Gott wirklich so streng gegen die Menschen, so muss er hier auch streng sein und darf hier kein Auge zudrücken. Arbeite Dir dieses System nur einmal recht scharf und bestimmt heraus, und die wunden Flecke werden Dir nicht entgehen. — Dann kommt ein ganz pompöser Widerspruch gegen »die »Stellvertretung als einziges Mittel«, indem Du sagst: »Ein Mensch kann nicht Mittler sein, selbst wenn er durch einen Akt der göttlichen Allmacht von aller Sünde befreit wäre«. Also doch noch ein andrer Weg? Ja, wenn die Orthodoxie keine besseren Vertreter in Berlin hat als Professor Philippi, so ist sie wahrhaftig schlimm dran. —

Durch die ganze Deduktion zieht sich stillschweigend das Prinzip der Rechtmäßigkeit der Stellvertretung. Das ist ein Mörder, den Ihr für Eure Zwecke geworben habt, und der Euch hintennach selbst totsticht. Ihr wollt auch gar nicht recht dran, zu beweisen, daß dies Prinzip nicht mit der göttlichen Gerechtigkeit streite, und, bekennt es nur ehrlich, Ihr fühlt selbst, dass Ihr diesen Beweis gegen Euer innerstes Gewissen führen müsste; deswegen huscht Ihr weg über das Prinzip und nehmt die Tatsache, mit einigen schönen Worten von erbarmender Liebe pp. verbrämt, stillschweigend für rechtmäßig an. —

»Die Dreieinigkeit ist Bedingung der Erlösung«. Das ist wieder so eine halbrichtige Konsequenz Eures Systems. Freilich, zwei Hypostasen müsste man schon annehmen, aber die dritte doch wohl nur, weil es so hergebracht ist.

» Um aber zu leiden und zu sterben, mu
sste Gott Mensch werden, denn abgesehen von der metaphysischen Undenkbarkeit in Gott als solchen eine Leidensfähigkeit zu setzen, war ja auch die durch die Gerechtigkeit bedingte ethische Notwendigkeit vorhanden«. —

Aber, wenn Ihr die Undenkbarkeit zugeht, da
ssGott leiden könne, so hat in Christus der Gott auch nicht gelitten, sondern nur der Mensch, und: »ein Mensch könnte nicht Mittler sein«.

Du bist doch noch so vernünftig, dass Du nicht wie so viele hier die äußerste Spitze der Konsequenz ergreifst: »also mu
ss Gott gelitten haben«, und Dich daran festhältst.

Und was es mit der
»durch die Gerechtigkeit bedingten ethischen Notwendigkeit« für eine Bewandtnis hat, steht auch dahin. Wenn einmal das Prinzip der Stellvertretung anerkannt werden soll, so ist es auch nicht nötig, dass der Leidende gerade ein Mensch sei; wenn er nur Gott ist. Gott kann aber nicht leiden, ergo — sind wir so weit als vorher. Das ist‘s eben bei Eurer Deduktion, bei jedem Schritt weiter muß ich Euch neue Konzessionen machen. Nichts entwickelt sich voll und ganz aus dem Vorhergehenden. So muss ich Dir hier wieder zugeben, dass der Mittler auch Mensch sein musste, was noch gar nicht bewiesen ist; denn gäbe ich dies nicht zu, so wäre ich ja nicht imstande, mich auf das Folgende einzulassen.

»Auf dem Weg der natürlichen Fortpflanzung konnte aber die Menschwerdung Gottes nicht vor sich gehen, denn wenn, sich auch Gott mit einer von einem Elternpaar erzeugten und durch seine Allmacht entsündigten Person verbunden hätte, so hätte er sich doch nur mit dieser Person und nicht mit der menschlichen Natur verbunden — — Christus nahm im Leibe der Jungfrau M[aria] nur die menschliche Natur an, in seiner Gottheit lag die personbildende Kraft«.—

Sieh einmal, das ist reine Sophisterei und Euch durch die Angriffe auf die Notwendigkeit der übernatürlichen Erzeugung abgenötigt.

Um die Sache in ein anderes Licht zu stellen, schiebt Herr Professor ein drittes: die Persönlichkeit, dazwischen! Das hat nichts damit zu tun. Im Gegenteil
, die Verbindung mit der menschlichen Natur ist um so inniger, je mehr die Persönlichkeit menschlich ist und der sie belebende Geist göttlich.

Ein zweites Missverständnis liegt hierbei im Hintergrunde versteckt, Ihr verwechselt den Leib und die Person; das geht noch klarer hervor aus den Worten:
»auf der andern Seite konnte Gott sich nicht so ganz abrupt wie den ersten Adam in die Menschheit hineinschaffen, dann hätte er in keiner Verbindung mit der Substanz unsrer gefallenen Natur gestanden«. Also um die Substanz, um das Handgreifliche, Leibliche handelt es sich? Das beste aber ist, dass die schönsten Gründe für die übernatürliche Erzeugung, das Dogma von der Unpersönlichkeit der menschlichen Natur in Christo, nur eine gnostische Konsequenz der übernatürlichen Erzeugung ist. ...

Wenn in Christus der Gott nicht leiden konnte,
so konnte der personlose Mensch noch viel weniger leiden, und das kommt denn bei dem Tiefsinn heraus. »So erscheint Christus ohne einzelne menschliche Markierung«. Das ist eine Behauptung in den Tag hinein; die Evangelisten haben alle vier ein bestimmtes Charakterbild von Jesu, das in seinen meisten Zügen bei allen übereinstimmt. So dürfen wir behaupten, dass der Charakter des Apostels Johannes dem Christi am nächsten gestanden habe; nun aber, wenn Christus keine menschliche Markierung hatte, ist darin eingeschlossen, dass Johannes der vorzüglichste gewesen sei; und das möchte bedenklich zu behaupten sein.
S.219-222
Aus: Karl Marx / Friedrich Engels: Über Religion, [Engels an Graeber, 29.10.1839] . © Dietz Verlag Berlin 1958, 1976

Gott als Abbild des Menschen
Die Frage ist bisher immer gewesen: Was ist Gott? Und die deutsche Philosophie hat die Frage dahin gelöst: Gott ist der Mensch. Der Mensch hat sich nur selbst zu erkennen, alle Lebensverhältnisse an sich selbst zu messen, nach seinem Wesen zu beurteilen, die Welt nach den Forderungen seiner Natur wahrhaft menschlich einzurichten, so hat er das Rätsel unserer Zeit gelöst. Nicht in jenseitigen, existenzlosen Regionen, nicht über Zeit und Raum hinaus, nicht bei einem der Welt inwohnenden oder ihr entgegengesetzten »Gott« ist die Wahrheit zu finden, sondern viel näher, in des Menschen eigener Brust. Des Menschen eigenes Wesen ist viel herrlicher und erhabener als das imaginäre Wesen aller möglichen »Götter«, die doch nur das mehr oder weniger unklare und verzerrte Abbild des Menschen selbst sind.
F. Engels: Die Lage Englands (1844); MEW, Bd. 1, 1974, S. 546
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.30

Gott als unbrauchbare Hypothese
Gott wird nirgends schlechter behandelt als bei den Naturforschern, die an ihn glauben. Die Materialisten explizieren einfach die Sache, ohne auf solche Phrasen einzugehen, sie tun dies erst, wenn zudringliche Gläubige ihnen den Gott aufdrängen wollen, und da antworten sie kurz, sei es wie Laplace: Sire, je ri avais . . . [pas besoin de cette hypothese = Majestät, ich brauchte diese Hypothese nicht]. Sei es derber in der Art der holländischen Kaufleute, die deutsche Handelsreisende bei Aufdrängung ihrer Schundfabrikate mit den Worten abzuweisen pflegen: ik kan die zaken niet gebruiken, und damit ist es abgetan. Aber was hat Gott von seinen Verteidigern erdulden müssen! In der Geschichte der modernen Naturwissenschaft wird Gott von seinen Verteidigern behandelt wie Friedrich Wilhelm III. in der Kampagne von Jena von seinen Generalen und Beamten. Ein Armeeteil nach dem andern streckt das Gewehr, eine Festung nach der andern kapituliert vor dem Anmarsch der Wissenschaft, bis zuletzt das ganze unendliche Gebiet der Natur von ihr erobert und keine Stätte mehr in ihr ist für den Schöpfer.
F. Engels: Dialektik der Natur / Notizen (1883); MEW, Bd. 20, 1975, S. 470
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.48