Hans Engelbrecht (1599 – 1642)

Deutscher Wanderprediger und Mystiker, der auch »Der deutsche Schwedenburg« genannt wurde. Engelbrecht widerfuhren während einer schweren Krankheit visionäre Erlebnisse, die ihn dazu veranlassten die »verweltlichte Kirche« bekehren zu wollen. Er streifte als Laien-Bußprediger durch Norddeutschland, wurde aber wegen seines starken Zulaufs überall von der Kirche bekämpft und verfolgt. Seine mystische Lehre weist Ähnlichkeiten mit Weigel auf.

Die Begegnung mit dem Tode

Nun wie ich also in solchem Streit im Kampf lag, so traf mich mit der Weile der Tod an von unten auf; und ich lag und starb von unten auf: zwölf Stunden währte es, daß ich so starb, da ich ungefähr in acht Tagen nichts gegessen und getrunken hatte. Wie ich mich am Freitag niederlegte und krank ward, also am Donnerstag über acht Tage ungefähr, da starb ich. Den Donnerstag Nachmittag um zwölf Uhr, da fühlte ich deutlich, daß mich der Tod von unten auf antrat; und starb also von unten auf, daß mein ganzer Leib so steif war, daß ich nichts mehr fühlte von Händen und Füßen, ja nichts vom ganzen Leibe; und ich konnte auch endlich nichts mehr sprechen, oder sehen; denn der Mund war mir so steif, ich konnte denselben nicht mehr auftun, und fühlte ihn nicht mehr, desgleichen auch die Augen, die brachen mir im Kopfe, daß ich es deutlich fühlte. Aber ich verstand gleichwohl, was sie mir vorbeteten, und hörte wohl, daß sie einer zum andern sagten: »Fühlet ihm doch an die Beine, wie steif und kalt sie ihm sind; es wird nun nicht lange mit ihm währen.« Das hörte ich wohl, aber ich fühlte es nicht. Da der Wächter aber elf rief zu Mitternacht, das hörte ich noch wohl, und um zwölf um Mitternacht, da verging mir auch das leibliche Gehör.

Da däuchte mich, ich ward mit dem ganzen Leibe aufgenommen und ward schnell weggeführt, wie ein Pfeil von der Armbrust nicht tun kann: wie ich nachdem auch sonderlich danach fragte, ob mein Leib weg gewesen wäre. Aber sie haben mir hernach gesagt, mein Leib wäre nicht weg gewesen: wie lange aber meine Seele sei weg gewesen, das haben sie so eigentlich nicht merken können. Doch so weit war ich gleichwohl vor ihren Augen tot gewesen, daß meine Mutter hatte das Hemd allbereits hergekriegt, und sie vermeinten mich anzukleiden: aber Gott hat es nicht haben wollen und hat ihnen ihre Augen verblendet, daß sie das nicht haben merken können, da meine Seele ist verzückt gewesen aus dem Leibe vor die Hölle und in den Himmel. Das ist gerade im Augenblick vor sich gegangen: denn Gott kann jemand im Augenblick mehr offenbaren und lehren, als man die zeit seines Lebens aussprechen kann. Wie dieses Lernen zugeht, das kann kein Mensch mit seiner Vernunft begreifen; das ist übernatürlich im Geiste geschehen.

Wie lange aber meine Seele ist weg gewesen, das weiß Gott und kein Mensch. Wäre meine Seele in der Freude und Herrlichkeit geblieben, mein Leib würde längst auf dem Kirchhof liegen. Aber zu Mitternacht, da der Wächter elf rief, da war die Entzückung noch nicht geschehen; da war ich steif und kalt, und fühlte nichts von meinem Leibe, konnte aber auch nicht mehr sehen und sprechen, nur das leibliche Gehör hatte ich noch allein. Die umstehenden Leute, die bei mir waren, die haben die Zeit eben nicht merken können, da meine Seele vor der Hölle und im Himmel war. Da aber der Wächter zwölf rief, da war die Entzückung geschehen. Gleichwie ich denn von unten auf war gestorben, also lebte ich von oben an wieder auf, bis unten hinaus.

Da ich nun wieder aus der Klarheit geführt ward, da däuchte mich, ich wurde wieder mit meinem ganzen Leibe auf die Stätte gelegt, und da hörte ich erst leiblich wieder, daß sie mir etwas vorbeteten. Das Gehör war also das erste, das ich wieder bekam. Danach begann ich meine Augen zu fühlen, daß so allgemach allmählich und allmählich mein ganzer Leib wieder stark wurde. Und da ich denn meine Beine und Füße wieder fühlte, da stand ich wieder auf; und war so stark, als ich vormals mein Leben lang nicht gewesen war: so stark war ich von der himmlischen Freude, daß die Leute sehr darüber erschraken, daß ich in so geschwinder Eile wieder stark wurde.

Ich bin nur ein totes Instrument, wie eine steife Orgelpfeife; wenn nicht daraufgeschlagen wird, kann sie nicht klingen. Also, wisset, bin auch ich gar steif und kalt gewesen und konnte nicht klingen: daß ich aber jetzt in dem Reden klinge, das regiert der Heilige Geist, und ich nicht. Ich bin hier gelegen, wie ein toter Handschuh: wenn da keine Hand drin steckt, kann sich der Handschuh nicht regen. Aber der Handschuh regiert sich nicht, sondern die Hand, die in dem Handschuh steckt, die regt sich in dem Handschuh und regiert den Handschuh: der Handschuh kann sich selber nicht regieren...

So ist es auch mit min Ihr habt vor euren Augen mich hier liegen sehen, wie einen toten Handschuh, der sich nicht regen und bewegen kann: aber die lebendige Hand Gottes hat sich in mich gesteckt, in mein totes Fleisch und Blut, das gar steif und kalt war, und hat es wieder lebendig gemacht durch seine himmlische Kraft; und die allmächtige Hand Gottes regiert jetzt in mir, und ich nicht. S.242ff.
Aus: Sloterdijk (Hrsg.): Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker gesammelt von Martin Buber, Diederichs DG 100