Anna Katharina Emmerich (1774 – 1824)

  Deutsche Nonne und Mystikerin, die aus einer - mit neun Kindern gesegneten - armen Bauernfamilie stammte. Anna Katharina verdingte sich zunächst als Magd und suchte dann ihren Lebensunterhalt als Wandernäherin zu verdienen. 1802 trat sie schließlich gegen den elterlichen Willen in das Augustinerkloster in Dülmen ein. 1798 zeigten sich an ihrem Kopf erstmals die blutenden Abdrücke der Dornenkrone Christi. Einige Jahre später stigmatisierten sich auch die fünf Wunden Christi sowie Kreuzeszeichen im Nabel- und Brustbeinbereich. Nach 1818 schlossen sich die Wunden auf ihr Gebet. Sie ließen weißliche Narben zurück, die jedoch jeden Freitag erneut zu bluten begannen. Die Wundmale wurden durch geistliche und weltliche Behörden mehrere Male untersucht und als »echt« bestätigt. Ihre letzten Lebensjahre musste Katharina wegen ihrer schweren körperlichen Leiden im Krankenbett verbringen. Ihre visionären Erlebnisse, die sich auf einzelne biblische Begebenheiten und das Leiden des Herrn bezogen, wurden von Clemens von Brentano aufgezeichnet.

Siehe auch Wikipedia , Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Kindheit
Ich sehe das Übersinnliche nicht mit den Augen
Leidensbraut
Schutzengelfest

Der heilige Erzengel Michael
Die Gemeinschaft der Heiligen

Kindheit
Schon als Kind besaß sie das Charisma (objektiver wäre: die Gabe) des Schauens. Ihr Vater Bernhard fand nach des Tages Arbeit seine liebste Erholung darin, daß er an dem Herde sitzend sein kluges Kind auf die Knie nahm und sich von ihm erzählen ließ. »Annthtrinken« (Ann-Katherinchen), pflegte er zusagen, »nu bist du in min Kämmerken; nu vetell mi wat«! Da erzählte sie ihm ganz lebhaft die Bilder, welche sie von den Begebenheiten des Alten Testaments geschaut, so daß er in Tränen ausbrechend fragte: »Kind, wuher hest du dat«? Sie aber antwortete: »Vater, das ist ja so! Das seh ich so«! Dann wurde er stille und fragte nicht weiter.

Sie erzählt später selbst:
»In meiner Kindheit war ich immer abwesend in Gott. Alle meine Geschäfte tat ich in innerer Abziehung und war immer in Gesichten. Ging ich mit meinen Eltern auf das Feld oder zur Arbeit, so war ich nie auf Erden. Alles hier war wie ein dumpfer, wirrer Traum. Das andere aber war Klarheit und himmlische Wahrheit.

Von Kind auf habe ich alle Jahre die ganze Adventszeit hindurch die Reise Josefs und Marias von Nazareth nach Bethlehem auf jeden Schritt begleitet und habe dies alljährlich bis jetzt auf gleiche Weise getan. Meine Sorge, die ich als Kind um die liebe Mutter Gottes wegen ihrer Reise hatte, war so groß, und mein Mitempfinden aller Beschwerden ihres Weges war so wirklich und so lebhaft für mich wie jedes andere äußerlich erlebte Ereignis meiner Jugend . . . Alles, was in einem Kirchenfeste gefeiert wird, war mir nicht ein bloßes Gedenken oder eine aufmerksame Betrachtung, sondern meine Seele ward in diese Feste geführt und gezogen, sie mitzubegehen, als geschähen ihre Geheimnisse und Ereignisse gegenwärtig vor meinen Augen, und ich sah und empfand auch alles als wirklich und gegenwärtig vor mir.

Ich habe mich nie wundern können, wie Johannes von den Blumen und Tieren in der Wüste so viel gelernt hat; denn mir ist schon als Kind jedes Blatt, jedes Blümchen wie ein Buch gewesen, in dem ich lesen konnte. Bei jeder Farbe, jeder Gestalt und Form fühlte ich ihre Bedeutung und Schönheit; wenn ich aber davon erzählen wollte, da wurde ich verlacht. - Vom Unterschied der Sprachen bei heiligen Dingen
(in der Liturgie) habe ich nie etwas gewußt, weil ich niemals nur die Worte, sondern die Sache selber empfunden habe
.... S.294f.
Aus: Gott in uns. Die Mystik der Neuzeit
. Von Otto Karrer, Verlag "Ars sacra" Josef Müller, München

Ich sehe das Übersinnliche nicht mit den Augen
Ich sah unendlich Vieles, was sich gar nicht aussprechen lässt. Wer kann mit der Zunge sagen, was er anders sieht als mit den Augen . . . ? Ich sehe das nicht mit den Augen, sondern es ist mir, als sehe ich es mit dem Herzen, so mitten in der Brust. Es bricht mir auch da der Schweiß aus. Ich sehe durch die Augen zugleich die Gegenstände und Personen um mich her; aber sie kennen mich nicht, ich weiß nicht, wer und was sie sind. Ich bin jetzt noch schauend, da ich spreche ...

Seit einigen Tagen bin ich stets zwischen sinnlichem und übersinnlichem Sehen. Ich muss mir sehr Gewalt antun; denn mitten im Gespräch mit anderen sehe ich auf einmal ganz andere Dinge und Bilder vor mir und vernehme dann meine Rede, wie die eines anderen, der aus einem hohlen Fasse grob und dumpfig spricht. Es ist mir auch, als wäre ich berauscht und könnte fallen. Meine Rede gegen die Sprechenden geht ruhig und oft lebhafter als gewöhnlich fort, ohne dass ich nachher weiß, was ich gesprochen, und doch rede ich ganz in der Folge. Ich muss mich mit Mühe in diesem Doppelzustand halten. Ich sehe mit den Augen das Gegenwärtige trüb wie ein Einschlummernder, dem der Traum aufsteigt. Das zweite Sehen will mich mit Gewalt hinrei
ssen und ist heller als das natürliche; aber es ist nicht durch die Augen. S.265f.
Aus: Sloterdijk (Hrsg.): Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker gesammelt von Martin Buber, Diederichs DG 100

Leidensbraut (Gesicht vom 4. Oktober 1820)
Ich sah den heiligen Franz auf einem Berge in der Einsamkeit zwischen Büschen. Es waren Höhlen wie kleine Zellen dort. Franziskus hatte öfter das Evangelium aufgeschlagen und immer die Passion getroffen. Er flehte darum Gott an, seine Leiden zu empfinden. Er fastete dort gewöhnlich sehr strenge und aß nur so viel Brot oder Wurzeln, um nicht zu verhungern. Er kniete mit bloßen Knien auf zwei höckerichten Steinen und legte sich noch zwei schwere Steine auf die Schultern. Ich sah in der Nacht nach Zwölf, an den Berg rückwärts gelehnt in den Knien sitzen und mit ausgebreiteten Armen beten.

Ich sah seinen Schutzengel bei ihm, der ihm die Hände hielt. Sein Angesicht glühte vom Feuer göttlicher Begierde, Er war ein hagerer Mann, hatte einen braunen, vorne offenen Mantel um, woran eine Kapuze, wie damals dort die armen Hirten trugen. Er hatte einen Strick um den Leib. Ich sah ihn ganz wie erstarrt.

Es kam ein unbeschreiblicher Glanz vom Himmel sich annähernd über ihn senkrecht nieder, und ich sah in dieser Glorie einen Engel mit sechs Flügeln, zwei über dem Haupte, zwei, mit denen er zu fliegen schien, und zwei über den Füßen; er hatte in der Rechten ein Kreuz, nicht halb lebensgroß; es war ein ganz lebendiger, durchleuchteter Leib daran. Die zwei Füße waren gekreuzt, die fünf Wunden waren wie Sonnen leuchtend und strahlend. Es schossen aus jeder Wunde drei rotleuchtende Strahlen, welche unten sich in einen Pfeil endigten, zuerst aus den Händen nach seinen inneren Handflächen, dann aus der rechten Seitenwunde, breit mit einer breiteren Spitze nach seiner rechten Seite, dann aus den Füßen nach der unteren Fläche seiner Füße.

Der Engel hatte in seiner Linken eine blutrote Tulpe, worin ein goldenes Herz; ich erinnere mich dunkel, als habe er sie ihm gegeben. Der Heilige konnte, als er erwachte, nicht auf den Füßen stehen. Ich sah, daß er mit großen Schmerzen nach dem Kloster zurückging und daß sein Schutzengel ihm half. Ich sah seine Wunden, so gut er konnte, verbergen; er wollte sie niemand sehen lassen. Er hatte große braune Blutkrusten auf dem Rücken der Hände. Seine Hände bluteten nicht alle Freitage regelmäßig; seien Seite blutete oft so stark, daß das Blut an die Erde niederlief . . .

Ich hatte danach ein Bild von mir selbst und den Wunden, wie ich sie (im Jahre 1812) empfangen hatte. Ich hatte dies früher nicht mehr gewußt. Ich sah mich in der Stube bei Roters (ihren Gastwirten) allein. Es war drei Tage vor Neujahr, etwa um drei Uhr nachmittags. Ich hatte eine Betrachtung der Leiden Christi; flehte Ihn an, mich doch sein Leiden auch empfinden zu lassen, und betete fünf Vaterunser zu Ehren der heiligen fünf Wunden. Ich war mit ausgebreiteten Armen im Bette liegend. Ich kam in eine große Süßigkeit und in einen unendlichen Durst nach den Schmerzen Jesu. Da sah ich ein Leuchten auf mich niederkommen; es kam schräg von oben. Es war ein gekreuzigter Körper, ganz lebendig und durchscheinend, mit ausgebreiteten Armen, aber ohne Kreuz. Die Wunden leuchteten heller als der Körper; es waren fünf Glorienkreise aus der ganzen Glorien hervortretend.

Ich war ganz entzückt, und mein Herz war mit großem Schmerze und doch mit Süßigkeit von Verlangen nach dem Mitleiden der Schmerzen meines Heilands bewegt. Und indem mein Verlangen nach dem Leiden des Erlösers im Anblick seiner Wunden immer mehr stieg und wie aus meiner Brust, durch meine Hände, Seite und Füße nach seinen Wunden hinflehte, stürzten zuerst aus den Händen, dann aus der Seite, dann aus den Füßen des Bildes dreifache, leuchtend rote Strahlen, unten in einem Pfeil sich endend, nach meinen Händen, Seiten und Füßen. Ich lag lange so, ohne etwas um mich zu wissen, bis mir von einem Kind der Hauswirtin die Hände niedergebeugt wurden. Das Kind ging durch die Stube und sagte zu seinen Leuten, ich hätte mir die Hände blutig geschlagen. Ich bat die Leute zu schweigen.-

Das Kreuz auf der Brust hatte ich schon länger; um Augustinus (28. August) hatte ich es empfangen. Ich kniete mit ausgebreiteten Armen, und mein Bräutigam hatte es mir eingedrückt. Nach dem Empfang der Wunden ging in meinem Körper eine gewaltsame Veränderung vor: ich fühlte, daß der Lauf meines Blutes sich ganz wendete und mit einem schmerzlichen Ziehen nach diesen Punkten strömte.
S.296ff.
Aus: Gott in uns. Die Mystik der Neuzeit. Von Otto Karrer, Verlag "Ars sacra" Josef Müller, München

Schutzengelfest
Die folgenden Gesichte, welche in die Natur und Tätigkeit sowohl der guten als der bösen Engel einen überraschenden Einblick gewähren, hatte Anna Katharina am Feste der heiligen Schutzengel im Jahre 1820. Sie erzählte:

« Ich sah eine irdische Kirche und viele mir bekannte Menschen darin. Über derselben sah ich viele andere Kirchen, in welche man wie in die Stockwerke eines Turmes hineinsah. Alle diese Kirchen waren mit Chören von Engeln angefüllt und jede mit einer andern Art. In der höchsten Höhe sah ich die heilige Jungfrau vor dem Throne der heiligsten Dreifaltigkeit von der höchsten Ordnung umgeben. Unten sah ich die Kirche; hinauf war es wie ein Himmel über dem andern von lauter Engeln. Oben war eine unbeschreibliche Ordnung und Tätigkeit; unten in der Kirche war alles über die Maßen schläfrig und nachlässig; das fühlte man besonders, weil es das Engelfest war, und weil die Engel jedes Wort, das die Priester bei der heiligen Messe träge und zerstreut sprachen, so unbeschreiblich schnell hinauf zu Gott brachten und alle Mängel zu Gottes Ehren gut machten. Ich sah in der Kirche eine wunderbare Tätigkeit der Schutzengel neben den Menschen. Ich sah, wie sie andere Geister von ihnen scheuchten, indem sie ihnen bessere Gedanken zuführten, ihnen rührende Bilder vorstellten. Die Schutzengel gelüsten nach Gottes Befehl; das Gebet ihrer Schützlinge macht sie noch eifriger... »

Später sagte sie: «Die bösen Geister sind nicht durchsichtig und lieblich wie die Engel; sie schimmern zwar auch, aber es ist nur ein trüber äußerer Glanz wie ein Widerschein. Sie sind entweder faul, müde, träumerisch, schwermütig oder heftig, zornig, wild, fest, starr oder leicht gaukelnd usf. Es ist, als seien sie Leidenschaften. Sie sind farbig, und ich habe dieselben Farben an ihnen bemerkt, welche ich bei Leiden und Gemütskämpfen durch die Menschen ziehen sehe, und welche ich in der Glorie der Märtyrer verklärt aus ihnen hervorstrahlen und sie leuchtend umgeben sehe. Es ist, als würden die Leidenschaften, durch Schmerzen aus ihnen getrieben, ihnen zur Siegesfarbe. Diese Geister haben scharfe, schneidende, heftige, eindringende Gesichter; sie sind außerordentlich andringend auf die menschliche Seele, wie Insekten auf gewisse Gerüche und Pflanzen. Sie erwecken im Menschen allerlei Gelüste und Gedanken. Sie sind über ihrer ganzen Gestalt wie mit feinen Stacheln, mit Ausstrahlungen, mit Reiz bedeckt; sie selbst bringen keine Sünde, keine Tat hervor, sie trennen aber den Menschen von göttlichen Einflüssen, sie öffnen ihn der Welt, betäuben ihn mit sich selbst, binden, drücken ihn an die Erde auf verschiedene Weise, und wenn er ihnen nachgibt, geht er in Finsternis, und nun naht der Teufel und drückt wie ein Siegel auf; es wird eine Tat, eine Sünde, es wird wie eine Geburt — es ist eine Trennung vom Göttlichen geschehen.

Ich sah besonders, wie die Kasteiung und das Fasten den Einfluß dieser Geister sehr schwächt und die Nähe und Tätigkeit des Schutzengels stärkt, und wie besonders der Empfang der heiligen Sakramente ihnen widersteht. Ich sah, daß gewisse Neigungen und Abneigungen des Menschen, Gelüste und unwillkürlicher Ekel mit die¬sen Influenzen zusammenhängen, und daß besonders der Ekel vor gewissen Tieren, besonders Ungeziefer und Insekten, eine geheimnisvolle Bedeutung aus ihnen hat; und daß die Insekten, welche uns besonders zuwider sind, Bilder der Sünden und Leidenschaften sind, zu welchen wir durch den Zusammenhang mit diesen Geistern am meisten geneigt sind. Ich habe auch erkannt, man solle sich immer bei dem Ekel vor Ungeziefer an seine Sünden und bösen Eigenschaften erinnern, deren Gestalt sie hätten. Ich sah solche Geister in der Kirche manchen Leuten allerlei Schmuck und Tand vorhalten und sie nach allerlei Begierden hinwenden; dann sah ich oft wieder den Schutzengel mitten durch sie durchdringen und den Menschen aufrichten. Ich kann die unendliche Mannigfaltigkeit solcher Bilder gar nicht aussprechen. Ich sah, daß die Großen auf Erden auch Geister von größerer Gewalt dieser Gattungen haben, und sehe auch wieder Engel von großer Gewalt gegen sie auftreten.

Ich hatte einen Blick auf die Schweiz und sah, wie der Teufel da in vielen Regierungen gegen die Kirche agiert. —

Ich sah auch Engel, welche das irdische Gedeihen befördern und etwas über Früchte und Bäume ausstreuen. Ich sah auch Engel über Ländern und Städten schützend und wehrend, auch sie verlassend. —

Ich kann nicht sagen, wie unzählige Geister ich gesehen. Die Luft würde sich verfinstern, so sie Körper hätten. Wo diese Geister großen Einfluß auf den Menschen haben, sehe ich auch immer Nebel und Nacht. —

Ich sehe oft, daß ein Mensch einen andern Schutzengel erhält, wenn er eines andern Schutzes bedarf. Ich habe bei mehreren Gelegenheiten einen andern Führer gehabt.»


Während Anna Katharina dies erzählte, wurde sie plötzlich entrückt; nach einiger Zeit sprach sie seufzend: «Es ist so weit, so weit, wo diese herkommen, diese heftigen, hartnäckigen, grausamen Geister, welche da niederstiegen!»

Wieder zu sich gekommen, teilte sie mit:
«Ich ward unendlich hoch emporgetragen und sah viele heftige, hartnäckige, unbeugsame Geister nach der Gegend hinsteigen, wo jetzt die Unruhe und der Krieg naht. Diese Geister kommen zu den Großen und machen das Annähern von Seelen an sie schier unmöglich. Ich habe aber auch die heilige Jungfrau ein ganzes Heer von Engeln nach der Erde erflehen sehen, und sie schwebten hinab; und gegen jene festen, unbeugsamen Geister ist ein großer feuriger Engel mit einem flammenden Schwerte ausgegangen. Die Geister sind es, welche das Annähern an Große für Seelen schier unmöglich machen.»

Einige Stunden danach sprach sie in der Ekstase: «Ach, wer das sehen könnte! Ein großer, feuriger Engel schwebte vom Throne Gottes nieder über die Stadt Palermo, wo der Aufruhr herrscht, und sprach Worte der Züchtigung, und ich sah unten in der Stadt Menschen tot niederfallen.»

«Die Menschen erhalten, so sie in ihrem Innern wachsen, Schutzengel einer höheren Ordnung. Die Könige und Fürsten haben auch Schutzengel einer höheren Ordnung. — Die vier geflügelten Engel Elohim, welche die göttlichen Gnaden austeilen, heißen Raphiel, Etophiel, Salathiel, Emmanuel. Es ist eine weit größere Ordnung selbst der bösen Geister und der Teufel als auf Erden. Wo ein Engel weicht, tritt gleich ein Teufel an die Stelle mit seinem Wirken. . . In einem von den Körpern sind sie ganz trüb und traurig, andern hitzig und heftig, im andern leicht, im andern genau und vorsichtig. Sie wirken auf alles, was auf Erden lebt, und auf die Menschen in der Stunde Geburt.»

Alle diese Dinge sprach sie wie ein unschuldiges Kind, das etwa seine Gärten beschreibt.
«Wie ich noch des Nachts», sagte sie, «als ein kleiner Wicht im Schnee auf dem Felde kniete und mich über alle die schönen Sterne freute, betete ich zu Gott: Du bist nun doch mein rechter Vater und hast so schöne Dinge im Haus, nun mußt du sie mir auch zeigen! Und er zeigte sie mir alle. Er nahm mich bei der Hand und führte mich überall hin, und das war ganz natürlich; denn ich schaute alles so herzlich froh an und sah auf gar nichts anderes »

Am 2. September 1822 erzählte sie: «Ich kam über steile Höhen in einen schwebenden Garten. Da sah ich zwischen Mitternacht und Morgen, wie die Sonne am Horizont, die Gestalt eines Mannes aufsteigen mit langem, bleichem Angesicht. Sein Kopf schien mit einer spitzen Mütze bedeckt. Er war mit Bändern umwickelt und hatte einen Schild auf der Brust, dessen Inschrift ich vergessen. Er trug ein mit bunten Bändern umwickeltes Schwert und schwebte mit langsamem Taubenflug über der Erde, wickelte die Bänder los, bewegte sein Schwert hin und her und warf die Bänder auf schlafende Städte. Und die Bänder umfingen sie wie Schlingen. Auch fielen Blattern und Beulen von ihm nieder in Rußland, in Italien und Spanien. Um Berlin lag eine rote Schlinge, von da kam es zu uns. Nun war sein Schwert nackt, blutigrote Bänder hingen vom Griff, es träufelte Blut auf unsere Gegend; der Flug war Zickzack, die Bänder wie Kaldaunen.»

11. September. «Es steigt ein Engel auf zwischen Morgen und Mittag mit einem Schwert, und er hat am Griffe des Schwertes wie eine Scheide voll Blut, die er hier und da ausgießt, und er kommt bis hierher und gießt Blut aus in Münster auf dem Domplatz.»

Der heilige Erzengel Michael
Am 29. September 1820 erzählte Anna Katharina:

«Ich hatte viele wunderbare Gesichte von Erscheinungen und Festen des heiligen Erzengels Michael. Ich war an vielen Orten in der Welt und sah seine Kirche in Frankreich auf einem Meerfelsen und sah ihn als Patron Frankreich. Ich sah, wie er dem frommen König Ludwig zum Sieg verhalf, der sich auf eine Offenbarung der Mutter Gottes an Michael gewendet hatte und dessen Bild in einer Fahne trug. Der König errichtete einen Ritterorden zu Ehren des heiligen Erzengels. Ich sah, wie er jetzt das Tabernakel aus seiner Kirche dort hinwegnahm und emportrug. Ich sah auch eine Erscheinung von ihm in Konstantinopel und manche andere, welche ich nicht mehr weiß. Ich sah auch das ganze Wunder der Michaelskirche auf dem Berge Gargano und sah ein großes Fest dort, wo ich viele fremde geschürzte Pilger mit Knöpfen an ihren Stäben hinwandern sah. Hier diente der Engel am Altare mit andern.»
(Sie erzählte das Wunder von Gargano im allgemeinen, wie es sonst berichtet wird; nur sagte sie, der Ort des Kirchenbaues sei durch die Abbildung einer Gestalt, die einen Kelch trug, am Felsen bezeichnet gewesen.)

Ich war hierauf mit ihm in Rom, wo auch eine Kirche wegen einer Erscheinung von ihm gebaut worden war, ich glaube von Papst Bonifazius, und zwar auf Offenbarung der Mutter Gottes. Ich folgte dem Engel überall; er schwebte über mir groß und herrlich. Er hatte ein Schwert und war vielfach gegürtet wie mit Schnüren. Es war bei dieser Michaelskirche ein Streit von sehr vielen Menschen; der größte Haufe bestand aus Katholiken, die nicht viel wert waren, auch aus Sekten und Protestanten. Es war, als stritten sie um den Gottesdienst; der Engel kam herab und jagte den großen Haufen mit seinem Schwerte hinweg, und es blieben etwa nur noch vierzig Menschen übrig, und es ward der Gottesdienst ganz einfach gehalten. Nachher nahm der Engel das Tabernakel mit dem Heiligsten oben beim Knopf und schwebte von dannen. Mein Führer gebot mir zu folgen, und ich wandelte immer unter dem schwebenden Engel hin nach Morgen.

Ich bin auch bis an den Ganges gekommen und dann mehr gegen Mitternacht; und nun ging es immer mehr hinab, und es ward immer kälter und wüster und trüber, bis wir an eine unendliche Eisfläche kamen. Es ward mir da sehr bang in der Wüstenei; es kamen aber da noch andere Seelen zu mir, um mir Mut zu machen, meine Mutter, Antrienchen, der alte Söntgen und mehrere.

Wir kamen da an eine große Mühle, durch welche wir durch mußten. Als ich aber hier ankam, blieben die Seelen meiner Freunde zurück. Das Eis brach immer unter meinem Weg, und das Wasser dampfte, und es war mir bang, mein Führer gab mir oft die Hand. Das Wasser, von welchem die Mühle getrieben wurde, kam unter dem Eise hervor; es war warm. Diese Mühle war voll von Regenten und andern großen Herren aus allen Zeiten und Ländern. Sie mußten eine Menge von Kröten, Schlangen und andern ekelhaften, giftigen Tieren und Gold, Silber und allerlei Kostbarkeiten zermahlen, welche dann in das Wasser fielen und unschädlich nach dem festen Lande zurückflossen. Diese Tiere und Dinge strömten ihnen immerfort vom festen Lande wieder zu. Sie arbeiteten in der Mühle wie Mahlknechte und mußten Ungeziefer immer unter den Mühlstein mit Besen fegen, sonst wurden sie davon sehr bedrängt. Sie lösten sich in der Arbeit ab.

Es schien mir dieses als eine Art Bußort für solche Fürsten, welche viele schlechte Verwicklungen angezettelt und üble Verhältnisse in die Welt gebracht hatten, deren Folgen hier in der Welt noch fortleben, die darum nicht eher selig werden können, als bis die Folgen ihrer Handlungen aus der Welt getilgt sind. Diese nun kamen als so häßliche Tiere zu ihnen gelaufen, und sie mußten sie zerstören, damit sie sich nicht weiter fortpflanzten. Das Wasser, in welches dies alles zermahlen wurde, war warm und floß in die Welt zurück und war ganz unschädlich. — Wir mußten mitten durch die Mühle, und es nahte uns einer und fegte das Ungeziefer schnell unter den Mühlstein, daß wir vorüber konnten. Er sprach mit mir und erklärte mir diesen Ort und sagte, wie sehr sie sich freuen, daß wir hier durchkommen und etwas von der großen Eismasse, über die wir gehen würden, lostreten, denn sie müßten hier so lange mahlen, bis dies Eis alles zerschmolzen sei.

Als wir weiterzogen, kamen wir über das Eismeer, wie durch einen Hohlweg, denn es hatte tiefe Risse, und dann stiegen wir an einem Eisberge lange in die Höhe und freuten uns, daß wir doch eine ziemliche Spur für die armen Mahlenden hinter uns ließen.

Aufsteigend sah ich immer den Erzengel Michael über mir schweben, der Himmel ward immer heller und schöner blau, und ich sah die Sonne und andere Himmelskörper wie Gesichter. Er hat mich um die ganze Erde und durch alle himmlischen Welten geführt. Ich sah unzählige Gärten darin schweben und sah die Früchte und ihre Bedeutungen. Ich hoffe, daß sie mir noch einmal erschlossen werden, und dann will ich mir einige Arzneien ausbitten und einige Geheimnisse, fromme Leute zu heilen.

Ich sah Chöre von Heiligen und sah oft hier und da einen Heiligen stehen mit seinen Unterscheidungszeichen und in seiner Welt. Wir kamen, immer höher schwebend, in eine unbeschreiblich wunderbare, herrliche Welt wie in eine Kuppel empor. Wir sahen sie wie eine blaue Scheibe, um die ein Ring von Licht war, auf welchem Ringe, wieder neue Lichtringe waren und auf jedem dieser Ringe ein Thron.

Alle diese Kreise waren voll verschiedener Arten von Engeln, und von den Thronen der neun Ringe stiegen Bogenlinien von allerhand Farben, Früchten, Edelsteinen und kostbaren Gaben Gottes in die Höhe und bildeten eine Kuppel, über welcher wieder drei Engelsitze oder Throne waren, deren mittelster Michael war, und hier schwebte er mit dem Tabernakel der Kirche hin und stellte ihn über die Kuppel. Jeder der drei Engel, Michael, Gabriel, Raphael, stand über dem Wirkungsbogen von drei der neun Engelschöre unter ihnen. Außerdem bewegten sich vier lichte, ganz mit Flügeln bekleidete große Engel im Kreise um diese drei immerwährend. Sie sind die Elohim und heißen Raphiel, Etophiel, Emmanuel und Salathiel und sind die Verwalter oder Ausspender der überflüssigen Gnaden Gottes und streuen sie nach den vier Gegenden der ganzen Welt in die Kirche aus. Sie empfangen dieselben von den drei Erzengeln. Raphael und Gabriel waren in langen weißen Gewändern, mehr geistlich erscheinend.

Michael hatte einen Helm mit einem Strahlenkamm auf dem Haupte. Sein Oberleib war wie gerüstet und mit Schnüren gegürtet; bis an die Knie ging sein Gewand wie eine krause Schürze. In einer Hand hatte er einen langen Stab, worauf ein Kreuz, unter dem ein Fähnchen mit einem Lamme war; in der andern Hand ein flammend Schwert. Seine Füße waren auch geschnürt.

Über dieser Kuppel sah ich eine noch höhere Welt. Ich sah in derselben die allerheiligste Dreifaltigkeit als drei Gestalten: den Vater als einen hohenpriesterlichen Alten, welcher dem Sohne zu seiner Rechten die Weltkugel reichte; dieser hatte das Kreuz in der andern Hand. Zur Linken des Vaters stand eine geflügelte Lichtgestalt. Um sie war ein Ring von 24 Ältesten, welche auf Stühlen saßen. Die Cherubim und Seraphim stehen mit noch vielen andern um den Thron Gottes in beständigem Lobgesang.

In der Mitte über Michael stand Maria, welche unzählige Kreise von lichten Seelen, von Engeln und Jungfrauen um sich hatte. Durch Maria hindurch geht die Gnade aus Jesus über auf die drei Erzengel. Ein jeder der Erzengel aber strahlt dreierlei Gottesgaben auf drei Engelchöre von den neun unteren Chören; und diese wirken dieselben wieder weiter in die ganze Natur und Geschichte.

Als das Tabernakel dastand, sah ich es durch Ausflüsse von oben durch Maria und mit mannigfaltiger Einwirkung aus allen Himmeln und durch tätige Arbeit aller englischen Chöre wachsen und erst eine Kirche und dann eine große leuchtende Stadt werden, welche sich nach und nach niedersenkte. Es war, als senke sie sich in einem Bogen an die Erde nieder, und ich weiß nicht, wie das war; aber ich sah ganze Scharen von Menschen wie mit dem Kopf zuerst, als drehe sich die Erde, worauf sie standen, gegen mich annahen, und dann standen sie auf einmal auf den Füßen im neuen Jerusalem, welches diese neue Stadt war, die sich über das alte Jerusalem niederließ und mir an die Erde zu kommen schien.

Als ich das neue Jerusalem hatte niedersteigen sehen, schloß sich dieses Gesicht, und ich sank immer weiter in Dunkelheit und bewegte mich nach Haus. Ein Bild sah ich noch von einer ungeheuren Schlacht. Das ganze Feld war voll Dampf; sie schossen überall aus Gebüschen, welche voll Soldaten lagen. Der Ort lag niedrig, in der Ferne lagen große Städte. Ich sah den hl. Michael mit einer großen Schar Engel niederkommen und die Streitenden auseinandertreiben. Das wird aber erst geschehen, wenn alles schon verloren scheint. Es wird ein Führer den hl. Michael anrufen, und dann wird der Sieg niederkommen.»


Die Gemeinschaft der Heiligen
1. Sehr mannigfach und lehrreich sind die Gesichte, welche Anna Katharina über dieses wunderbare Geheimnis unseres heiligen Glaubens, über den inneren lebendigen Zusammenhang aller Glieder des geheimnisvollen Leibes Jesu Christi gehabt und bei verschiedenen Gelegenheiten erzählt hat. Wir beschränken uns darauf, unsern Lesern folgendes hierüber mitzuteilen. Anna Katharina äußerte sich:

«Wenn ich die Gemeinschaft der Heiligen im Lichte (des Schauens) sehe und all ihr Wirken und Lieben, ihr Ziehen und Weben ineinander und durcheinander, und wie einer für und in dem andern und jeder alles und doch ein einzelner ist in dem unendlichen Glanz des Lichtes, so empfinde ich eine unaussprechliche Freude und Klarheit. Ich sehe dann nahe und ferne dunkle Gestalten, die Menschen. Ich werde mit unwiderstehlicher Liebe zu ihnen hingezogen, für sie zu rufen, zu flehen zu Gott und den Heiligen, die in so süßer, liebender Bemühung zu helfen bereit sind, daß mir das Herz vor Liebe springen möchte. Und da fühle ich lebendiger und deutlicher als der Tag, daß wir alle in der Gemeinschaft der Heiligen leben und im beständigen Verkehr mit ihnen sind. Und dann bin ich voll Schmerzen, daß die Menschen so blind sind und hart. Ich rufe kühn zum Heilande: <Du hast alle Macht, alle Liebe! Du kannst alles, lasse sie doch nicht verderben! Sieh doch auf dein kostbares Blut!> Und da zeigt er mir, wie er sich die rührendste Mühe um sie gibt. Sieh nur, spricht er, wie ich nahe bin, zu helfen, zu heilen, und wie sie mich zurückstoßen! Und da fühle ich seine Gerechtigkeit wie die Gnade in gleicher Süßigkeit und Liebe.. . »

2. Das Geheimnis der Gemeinschaft der streitenden mit der triumphierenden Kirche tritt uns ganz besonders in jenen Gesichten deutlich vor Augen, in welchen der gottseligen Anna Katharina der Rechnungsabschluß gezeigt wurde, welcher alljährlich am Ende des Kirchenjahres zwischen beiden stattfindet. Sie erzählte hierüber am 3. Dezember 1821:

«Ich hatte ein großes Bild vom Rechnungsabschluß zwischen der irdischen und himmlischen Kirche von diesem Jahre. Ich sah die himmlische Kirche nicht als ein Gebäude, sondern als einen Inbegriff von Erschei¬nungen. Die heilige Dreifaltigkeit sah ich oben und alles aus ihr strömend, Jesus stand zur Rechten, auch Maria etwas tiefer. Zur Linken sah ich die Chöre aller Märtyrer und Heiligen. Um Jesus her sah ich alle seine Leidensinstrumente und nachher sein Leben, Lehren und Leiden in einer Reihe aufeinander folgender Bilder, und zwar lauter Handlungen, welche Geheimnisse der Barmherzigkeit Gottes und Akte unserer Erlösung in sich enthalten und die Grundlage von Kirchenfesten der streitenden Kirche sind.

Ich sah mit diesen Bildern in der triumphierenden Kirche die Grundlage und den ewigen Gnadenquell aller Hauptpunkte des erlösenden zeitlichen Lebens Jesu als ewig zu uns dringend und uns erquickend, indem die streitende Kirche in den Kirchenfesten sie geheimnisvoll feiernd in Anspruch nahm, dafür dankte und durch Opfer und Empfang des heiligen Sakramentes an der Gemeinde erneuerte. Ich sah die Ausströmungen und Wirkungen von der heiligen Dreifaltigkeit und dem Leiden Christi ganz unendlich und auf alles.

Ich sah aber alle Kirchenfeste der Geheimnisse aus dem Leben Jesu bis zur Sendung des Heiligen Geistes und erhielt, daß die Kirche an dem heutigen Tage, als der Erneuerung ihres Arbeitskreises, den Heiligen Geist auf alle ihre reinen und vorbereiteten Glieder erhalte, wenn sie darum flehen, und daß jeder, der an Liebe und Eifer das zu ersetzen begehrt, was abgehen könnte, um diesen heiligen Geist allgemein zu empfangen, und der Leiden um Jesu willen erträgt und sie mit dessen Verdiensten vereinigend zu diesem Zwecke für die Kirche aufopfert, daß jeder ihr Ströme des Heiligen Geistes niederflehen kann, soviel seine Liebe und seine Selbstaufopferung in dem Opfer Jesu vermag.


Ich sah danach die Ausgießung des Heiligen Geistes übergehend in die Wirkungen der Apostel, Jünger, Märtyrer und aller Heiligen und sah, wie sie um Jesu willen leidend in Jesu und seinem Leibe der Kirche litten und dadurch lebendige Adern des Gnadenstromes seines versöhnenden Leidens wurden; ja, da sie in Jesu litten, litt Jesus in ihnen, und aus Jesu war ihr Verdienst, das sie auf die Kirche niederbrachten.

Ich sah, welche Menge Bekehrungen durch die Märtyrer geschahen; sie waren wie Kanäle, mit Schmerzen aufgerissen, welche das lebendige Blut der Erlösung zu tausend Herzen führten.

Ich sah diese Marter, Lehr-, Bet- und Bußbilder auch, wie sie in der himmlischen Kirche als das Wesen vielfacher Kirchengnaden erschienen, die der streitenden Kirche zugute kamen und in den Festtagen der Heiligen erneuert oder in Besitz genommen wurden.

Ich sah die Leiden in Bildern kurz und sah ihre zeitlichen Wirkungen und durch die Ewigkeit ihres Inhaltes und ihres Wertes aus Jesu Leiden ihre ewigen Wirkungen in der Kirche, und zwar durch den verbindenden Kanal der Feste, des lebendigen Glaubens, des Gebets, der Andacht und gottseliger Werke.

Ich sah, welche unsägliche Schätze und Gnaden die Kirche hat, und wie übel einzelne Glieder mit ihnen wirtschaften. Es ist, als wenn ein herrlicher Garten über einem verwüsteten Lande stände und tausend und tausend Schätze niedersenkte, die unten nicht empfangen würden, so daß die Felder verwüstet und die Schätze verschleudert blieben.

Ich sah die irdische Kirche, d. h. die irdische Gemeinschaft der Gläubigen, die Herde Christi in ihrem zeitlichen Zustande auf Erden, ganz dunkel und wüst; und wie ich da oben in der Höhe den vollkommenen Jahreskreis der Gnadenausteilung gesehen, so sah ich unten die Trägheit, den Unglauben und die Gottlosigkeit im Empfange. Alles war so schläfrig und leichtsinnig gefeiert, daß die Gnaden, welche in dieser Feier empfangen werden sollten, an die Erde fielen und viele Schätze der Kirche zu Schulden wurden.


Ich sah dieses im allgemeinen und in unzähligen Bildern. Ich sah auch, daß alle solche Versäumnis durch Schmerzen gesühnt werden müsse, indem sonst die streitende Kirche nicht mit der triumphierenden für dieses Jahr abrechnen könnte und noch mehr fallen müßte.

Ich sah aber, wie die heilige Jungfrau die Ausgleichung besorgte, und das war der Schluß jener Arbeit, welche ich am St. Katharinentag in dem Hochzeitshaus mit der heiligen Jungfrau unternommen hatte, welche in der Form eines mühsamen Einsammelns von allen Früchten und Kräutern und aller schweren Bereitung stand, und auch wieder in unzähligen Bildern von Kirchenwäsche und Reinigungen. Es ist dies schwer zu beschreiben, denn die ganze Natur und die Menschen sind so gefallen und in einem solchen gebundenen und verschlossenen Zustande, daß die Bilder, in welchen ich dort etwas ganz Wesentliches tue und ohne Verwunderung auch verstehe, was ich tue, sobald ich erwacht im natürlichen Zustande bin, mir so seltsam vorkommen als jedem andern Wachenden.

So mußte ich z. B. Honig aus Disteln pressen mit meinen Händen und mußte diesen Honig zur Ausgleichung der Kirchenrechnung der heiligen Jungfrau bringen, welche ihn wieder beim Kochen brauchte und in einem erhöhten Zustande denen in der Speise zukommen ließ, welchen er fehlte. Dies aber bedeutete so viel als: Es ist von den Kirchengliedern während des Kirchenjahres von jener Gnade Gottes, welche durch Fleiß aus vielen Formen seiner Liebe gesammelt und zu einer erquickenden Süßigkeit bereitet werden sollte, vieles versäumt, verderbt und verschwendet worden, und viele Seelen, welche dieser also zubereiteten Gnade bedurft hätten, sind darum verschmachtet und verwildert; der Herr aber hatte aus der triumphierenden Kirche alles dazu gegeben, und die streitende muß sich nun ausweisen und muß die Gaben mit Zinsen und Wucher ersetzen.

So fehlt ihr also in der Abrechnung über die Anwendung und Verwaltung der Schätze der triumphierenden Kirche so viel Honig; denn jene Gnade war aus Gott das, was in der Körperwelt als Honig erscheint, und dieser Honig muß herbei. Was aber in der Zeit der Blumen bei sorgsamer Bienenzucht mit leichter Mühe gesammelt werden konnte, wird, verabsäumt, jetzt mit Pein und Mühe herbeigeschafft. Die Blumen sind verschwunden, und nur die Distel steht noch da. Ein Glied des Kirchenleibes wird vom barmherzigen Jesus gebraucht und bringt seine Pein und Schmerzen zum Opfer für die Versäumnisse der andern und drückt mit blutenden Händen aus den stachlichsten Disteln den Honig heraus; und die heilige Jungfrau, die Mutter der Kirche, wendet in dem Kochen diesen Honig dahin, wo die Gnadengabe, die unter dem Honig begriffen ist, von der Kirche verschuldet worden ist in diesem Jahr. Auf diese Weise war meine Marter während dieser Tage und Nächte unter den mannigfaltigsten Arbeitsbildern gefaßt, und ich sah beide Kirchen und sah mit der Tilgung der Schuld die untere aus dem Dunkel hervorsteigen.

Ich sah auch ebenso, wie ich die Glieder der triumphierenden Kirche gesehen, die Glieder der streitenden. Wirkend für die Kirche, selbst auf die Weise, wie ich arbeite, sah ich mit mir sieben Personen, drei Frauen und drei Männer, die Stigmatisierte von Cagliari, die Rosa Maria Serra und eine sehr kranke Person mit großen Leibesgebrechen, den Franziskaner in Tirol, den ich oft mit mir in selber Intention gesehen habe, dann einen jungen Geistlichen in einem Hause, wo noch mehrere Priester sind in einer gebirgigen Gegend. Es muß dieser eine ausgezeichnete Seele sein, er hat unaussprechliches Leid über den Zustand der Kirche und hat ganz ungemeine Schmerzen durch die Gnade Gottes zu ertragen. Alle Abend schreit er mit herzlichem Gebet zu Gott, er wolle ihn doch für alle Mängel, die heute in der Kirche geschehen, leiden lassen. Der dritte war ein vornehmer, verheirateter Mann mit vielen Kindern, einer sehr bösen, verkehrten Frau und einem großen Hauswesen; er lebt in einer großen Stadt, in welcher Katholiken, Protestanten, Jansenisten und Freigeister sind. Es ist alles bei ihm in der größten Ordnung, er ist sehr wohltätig gegen die Armen und erträgt sein Leid mit der bösen Frau auf eine sehr edle Weise. Es ist in jener Stadt eine abgesonderte Judenstraße, von einem Ende zum andern mit Toren geschlossen, es ist viel Gewerbe darin. Meine Arbeiten geschahen meist im Hochzeitshause und im Garten desselben.

Als ich mit meiner Arbeit fertig war, sah ich neben dem Heiland zwei große Tafeln aufgestellt, wo alles Versäumte und Getilgte darauf stand. Es war mir aber nun auch alle meine Arbeit figürlich vorgestellt, und ich sah da alles Verlorene, auf der einen Seite die schönsten Kronen, Ornate und Blumen, auf der andern zerrissene Kränze, halbfertige schlechte Gewänder und allerlei zerstücktes Gemüse und Kraut. Ich sah auf der einen Seite ein Ziergerüst der herrlichsten Gaben Gottes, auf der andern einen elenden Schutt- und Scherbenhaufen. Als ich diesen elenden Ersatz sah, der nichts war als ein Zusammentragen von Trümmern, wozu ich auch alle Kraft von ihm erhalten; als ich sah, was zerschlagen, zerrissen, verunreinigt war, überfiel mich eine entsetzliche Traurigkeit; ich sank auf mein Gesicht und weinte zwei Stunden lang mit solcher Heftigkeit, daß es mir war, als zerrinne das Herz in der Brust. Ich sah aber, daß alles dieses Stückwerk hinter Jesus erschien, und daß es so hinter seinem Rücken lag. Als ich so weinte, nahte mir der barmherzige Heiland und sagte:
<Nur diese Tränen haben noch gefehlt. Ich ließ dich aber dieses sehen, damit du nicht denkst, es sei durch dich etwas getan; nun aber habe ich es auf meine Schultern genommen.> Alle sechs andern Gehilfen sah ich ebenso weinen und vom Heilande ebenso getröstet werden. Ich sah nun die heilige Jungfrau sich der Kirche nähern und ihren Mantel über sie breiten und sah viele Arme, Kranke und Krüppel die Kirche wie heraufdrängen, und so stieg sie hell und leuchtend empor und ging in die andere über, oder vielmehr die andere vereinigte sich mit ihr. Ich sah aber Jesus und die Apostel im höheren Chor der Kirche erscheinen und sah das Abendmahl als eine neue Stärkung austeilen und sah aus Abrahams Schoß viele Seelen, auch von Fürsten und Königen, in die Kirche eingehen. Ich sehe überhaupt manche Seele, welche auf Erden schon für heilig gehalten wird, noch im Reinigungsort und nicht in der Anschauung; andere sehe ich nach einem oder zwei Tagen Reinigung gerade zum Himmel fahren. Ich sah aber in diesem Bilde auch das Fegefeuer als die leidende Kirche und sah ein düsteres weites Gewölbe, wohinein die Seelen ihrer Haft entlassen schienen. Es war ein roter Kerzenschein darin und wie ein Altar, und ich sah einen Engel kommen und die Seelen mit einer Darreichung erquicken. Dieses ist einigemal im Jahre; aber mit dem Engel weicht alles Kirchliche von dannen. Ich erfuhr auch, daß die armen Seelen, welche sich selbst nicht helfen können, doch für die Kirche beten. Wenn ich ein solches allgemeines Kirchenbild sehe, dann sehe ich immer zwischen Abend und Mitternacht eine tiefe schwarze Lücke, wo gar kein Lichtstrahl hineinfällt; und es ist mir, als sei dort die Hölle.

Ich sah nun ein großes Fest in der Kirche, auch viele, welche sich mit ihr vereinigten. Ich sah auch noch viele Kirchen oder vielmehr Bethäuser mit Wetterfahnen darauf und sah, daß die Leute ohne Ordnung und Zusammenhang mit der himmlischen Kirche nur dann und wann zusammenliefen wie Bettler, wo Brot ausgeteilt wird, aber ohne folgenden Zusammenhang mit der triumphierenden oder leidenden Kirche. Sie waren in keinem gegründeten und erwachsenen kirchlichen Baue eines Verbandes der streitenden, leidenden und siegenden Kirche und empfingen nicht den Leib des Herrn im Abendmahle, sondern nur Brot. Diejenigen aber, welche unschuldig im Irrtum fromm und heftig nach Jesu Leib verlangten, wurden geistlich, doch nicht durch dieses Abendmahl erquickt; die gewöhnlich ohne heftige Liebe Kommunizierenden empfingen nichts, wo das Kirchenkind noch eine große Stärkung erhält.»
S.5ff.
Aus: Anna Katharina Emmerich, Visionen über die Engel, die Armen Seelen im Fegefeuer, die streitende Kirche u. a. Aus den Tagebüchern Clemens Brentanos, herausgegeben von P. Karl Erhard Schmöger, Paul Pattloch Verlag Aschaffenburg