Ferdinand Ebner (1882 – 1931)

  Österreichischer Philosoph, der zu den bedeutendsten österreichischen Denkern des 20. Jahrhunderts zählt. Ebner war als Volksschullehrer in Waldegg und später in Gablitz bei Wien tätig. Seit 1920 veröffentlichte er Beiträge in der Kulturzeitschrift »Der Brenner«. Sein Hauptwerk »Das Wort und die geistigen Realitäten«, in dem er den christlichen Existentialismus Gabriel Marcels vorweg nahm, erschien 1921. Dabei geht er davon, dass das einzelne menschliche Bewusstsein nicht für sich alleine isoliert existiert, sondern in einem existenziellen Abhängigkeitsverhältnis zu einem Du besteht, das er letztlich als Gott versteht. >> Näheres. Die folgenden Notizen hat Ebner in den Jahren 1909/10 zu Papier gebracht. Sie wurden erstmals 1963 in der dreibändigen Gesamtausgabe von Ebners Schriften einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Siehe auch Wikipedia und Internationale Ferdinand Ebner Gesellschaft

Zwischen Hingabe und Selbstbehauptung
Im Glauben auch nur die leiseste psychische Passivität erkennen wollen, heißt das Wesen des Glaubens im tiefsten missverstehen. Denn der Glaube ist nicht nur die höchste, er ist die reinste Aktivität der Seele, rein von innen herausquellende, durch nichts, auch nicht durch Zeichen und Wunder, von außen bestimmte Aktivität. Im Glauben an Gott ist Gott nicht etwas irgendwie außerhalb des gläubigen Menschen Stehendes, dem gegenüber dieser sich irgendwie passiv, rezeptiv, empfangend verhält, sondern der Glaube an Gott ist das Unmittelbar-Lebendigwerden Gottes im Menschen selbst, das Wirken Gottes aus dem innersten und letzten Wesenskerne des Menschen unmittelbar heraus. Es gibt keinen Glauben ohne Werke, denn Glaube und Werk, Glauben und Wirken, Schaffen sind eins. Der Satz, dass der Glaube ohne Werke tot sei, ist daher ein ganz überflüssiger, der seine Existenz nur dem Missverstehen des tiefsten Wesens im Glauben verdankt. Wohl aber gibt es Werke ohne den Glauben.

Das Erkennen kann einerseits zur Negation des Seins werden — man ist das nicht wirklich mehr, was man vollständig in sich erkannt hat. Wird aber andrerseits das Erkennen zum Anerkennen, so liegt kein reines Erkennen mehr vor, sondern bereits der Akt des Glaubens, des Schaffens, des »Sich-selbst-Setzens«. Man steht in Wahrheit nie unter dem und ist ihm nicht subsumiert, was man anerkennt. Man kann nur irgend etwas anerkennen, wenn man selber etwas ist, man kann den Wert von irgend etwas nur dann anerkennen, wenn man in sich selber einen Wert repräsentiert. So ist ja auch der Glaube an Gott zuletzt nichts anderes als ein Sich-selbst-Setzen.

Glaube ist tiefste und reinste Spontaneität. Glaube und Wirklichkeit sind nicht von einander zu trennen. Mit dem Glauben ist die Wirklichkeit gegeben und mit der Wirklichkeit der Glaube, nicht aber als deren Wirkung im Menschen. Genau so, wie mit dem Glauben Gott gegeben ist und mit Gott der Glaube — genau so wie mit dem Glauben das Selbst, die Seele, gegeben ist und das Selbst, die Seele, mit dem Glauben. Niemals aber ist der Glaube Wirkung Gottes oder des Selbstes, der Seele, im Menschen. Glaube als bloße Rezeptivität, auch der Glaube an Gott, der Glaube an sich selbst, ist Aberglaube. (Der Glaube des Juden, der nach Zeichen und Wundern verlangt, dass er glauben könne.)

Das Schaffen kann zum Schauen werden. Und wird zum Schauen. Der Gläubige, der in seinem Glauben Gott schafft, er wird zum Schauenden Gottes.

Wer wahrhaft an Gott glaubt — und für den ist Gott eine absolute Wirklichkeit, niemals eine bloße Möglichkeit, die »nur« geglaubt wird — fühlt und denkt sich der Mensch nicht als ein Geschöpf Gottes?

So wenig der Mensch der objektiven Natur gegenüber, als deren Geschöpf er sich denkt, aufhört, sich als Schaffender zu fühlen, Schaffender zu sein, ebensowenig fühlt sich der wahrhaft Gottgläubige restlos als nichts denn ein von Gott Geschaffener. Niemals bedeutet ihm der Glaube, daß er ein Geschöpf, ein Kind Gottes sei, die Abwälzung der Verantwortlichkeit für sich auf Gott.

Daß Gott die Welt liebt, das ist die tiefste Lehre über das Verhältnis des Göttlichen zur Welt. In diesem Sinne vor allem muss man es verstehen, wenn man Gott den Schöpfer der Welt nennt. Denn wenn schon jede wahre menschliche Liebe in sich schöpferisch ist, wie viel mehr muss es dann die göttliche sein!

Was im Menschen erzeugt jenen in aller Not und allem Leiden unerschütterlich festgehaltenen Wert des Lebens, wie er den wahrhaft Religiösen durchdringt, wenn nicht wieder das Leben selbst? Das Leben, das mit einemmale aus seinen tiefsten und verborgensten Quellen im Menschen emporsteigt und sich erhalten will.

»Das Himmelreich in uns«, das ist am Ende eine über alle Not und alles Leiden des Daseins triumphierende Bejahung und Selbstwertung eines Lebens, das, vom Gattungsinstinkte verlassen, keine Zukunft mehr hat.

Ist Religion im letzten Grunde etwas anderes als das innere Verhältnis vertrauensvoller Hingabe des Einzelnen zu dem außer ihm Bestehenden, aber nicht zur Gattung, sondern zum Universum — und das in dieser Hingabe innerliche Sich-selbst-Behaupten des Einzelnen? Und eben in diesem Sinne ist das Christentum die Religion. Kann aber eine derartige Hingabe und die in ihr liegende innere Selbstbehauptung des Einzelnen in etwas anderem wurzeln als im inneren und innersten Anteilhaben des Menschen am Leben?

Es gibt einen moralischen Glauben an Gott und einen ethischen Glauben ans Göttliche. Beides ist keineswegs ein und dasselbe. Jener ist Glaube an Gott als den letzten Richter, dem keiner entrinnt, über Gut und Böse im moralischen Sinne; d.h. über dasjenige, was aus Gründen des Zusammenlebens der Menschen notwendigerweise als gut oder böse bewertet wird. Der moralische Glaube an Gott ist oft nichts anderes als die letzte Zufluchtsstätte des Gattungsinstinktes in der Not des Lebens. Der ethische Glaube ans Göttliche ist höchstgesteigerter, allen Nöten und Leiden trotzender Glaube ans Leben, an den Wert des individuellen Lebens.

Es gibt einen Glauben an Gott als den Baumeister dieser Welt und einen Glauben an das schöpferische, lebenschaffende, organisierende Walten des Göttlichen im Universum, an »die schöpferische Natur von allem und in allem, was ist« (Johannes Scotus Eriugena). Und wieder ist beides nicht ein und dasselbe.

Man kann an Gott glauben und den Materialismus doch nicht losgeworden sein. Derjenige, der sich den Weltenschöpfer als einen unendlich geschickten Mechaniker denkt, ist doch immer noch auch als Gottgläubiger im letzten Grunde seiner Seele Materialist.

Der Glaube an das Göttliche, der ja in seinem letzten Wesensgrunde nichts anderes ist als gesteigerter Glaube ans Leben, geht aus der Vertiefung und Verinnerlichung des Lebens als geistige Frucht hervor. In ihm wächst das individuelle Leben aus dem innersten Kern seines Wesens über sich selbst hinaus ins Universelle und tritt in ein aktives Verhältnis zur Idee des Universums als Kosmos.

Entnommen aus: Georg Hahn (Hrsg.) Der Glaube der Denker und Dichter. Selbstzeugnisse aus zwei Jahrhunderten S.125ff. Kreuz Verlag Stuttgart Berlin