Annette (Anna Elisabeth) Freiin von Droste–Hülshoff (1797 – 1848)

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Inhaltsverzeichnis

Von Zeichen an der Sonne (Geistliches Jahr)
Liebe (Geistliche Lieder)
Gethsemane

Am zweiten Sonntage im Advent
Von Zeichen an der Sonne
Wo bleibst du, Wolke, die den Menschensohn
Soll tragen?
Seh’ ich das Morgenrot im Osten schon
Nicht leise ragen?
Die Dunkel steigen, Zeit rollt matt und gleich;
Ich seh‘ es flimmern, aber bleich, ach, bleich!

Mein eignes Sinnen ist es, was da quillt
Entzündet,
Wie aus dem Teiche grün und schlammerfüllt
Sich wohl entbindet
Ein Flämmchen und von Schilfgestöhn umwankt
Unsicher in dem grauen Dunste schwankt.
So muß die allerkühnste Phantasie
Ermatten;
So in der Mondesscheibe sah ich nie
Des Berges Schatten,
Gewiß, ob ein Koloß die Formen zog,
Ob eine Träne mich im Auge trog.
So ragt und wälzt sich in der Zukunft Reich —
Ein Schemen!
Mein Sinnen sonder Kraft! Gedanke bleich.
Wer will mir nehmen
Das Hoffen, was ich in des Herzens Schrein
Gehegt als meiner Armut Edelstein?

Gib dich gefangen, törichter Verstand!
Steig nieder
Und zünde an des Glaubens reinem Brand
Dein Döchtlein wieder,
Die arme Lampe, deren matter Hauch
Verdumpft, erstickt in eignen Qualmes Rauch.

Du seltsam rätselhaft Geschöpf aus Ton,
Mit Kräften,
Die leben, wühlen, zischen wie zum Hohn
In allen Säften,
O bade deinen wüsten Fiebertraum
Im einz‘gen Quell, der ohne Schlamm und Schaum!

Wehr ab, stoß fort, was gleich dem frechen Feind
Dir sendet
Die Macht, so wetterleuchtet und verneint,
Und starr gewendet
Wie zum Polarstern halt das Eine fest,
Sein Wort, sein heilig Wort, und — Schach dem Rest!

Dann wirst du auf der Wolke deinen Herrn
Erkennen,
Dann sind Jahrtausende nicht kalt und fern,
Und zitternd nennen
Darfst du der Worte Wort, des Lebens Mark,
Wenn dem Geheimnis deine Seele stark.
Und heute schon, es steht in Gottes Hand,
Erschauen
Magst du den Heiland in der Seele Brand
Glühndem Vertrauen.
Zerfallen mögen Erd‘ und Himmelshöhn,
Doch seine Worte werden nicht vergehn
. S.174f.
Aus: Annette Freiin von Droste-Hülshoff, Gesammelte Werke, Sonderausgabe in einem Band, Emil Vollmer Verlag, München


Liebe
Das ist mein Trost in allen Leiden,
Daß nichts mich kann von Jesu scheiden,
Von seiner Liebe keine Macht,
Der größte aller Erdenschmerzen
Hat nicht Gewalt ob einem Herzen,
Worin die Liebe Jesu wacht.
Wenn er mir bleibt, was kann mir fehlen?
Wenn er mich labt, was kann mich quälen?
Wie hat er Alles wohl bestellt!
Wenn ich nur seinen Namen nenne,
Dann ist‘s, als ob das Herz mir brenne;
Im Lichte steht die ganze Welt.
Sein Kreuz ist wie der Himmelsbogen
Um meinen Horizont gezogen;
Wohin ich schau, da steht es schon.
o süßes Kreuz, laß dich umfangen,
Woran mein liebstes Lieb gehangen
Für unsrer Sünden bittern Lohn!
Wenn meine Pflichten oft mich drücken,
Dann muß ich Liebesrosen pflücken
Aus seinem bittern Kreuzestod.
Wie kommt mir wunderbare Stärke!
Wie sind so leicht die schweren Werke,
Dieweil mein Jesu sie gebot!
Mein Leid muß mir zu Freuden werden,
Denk‘ ich an Jesu Leid auf Erden
Und seinen blut‘gen Kreuzespfad.
Mein Jesu ist vorangegangen;
Wie kann mir noch vor Dornen bangen
Auf Wogen, die mein Gott betrat?
Er hat den bittern Weg erkoren:
Was flieht ihr denn, ihr schwachen Toren
So sehr die Bitterkeit und Pein?
Muß ich durch Dornenweg‘ mich schlagen,
So soll mein Mund frohlockend sagen:
»Mein Jesu kann nicht ferne sein«.
Er ist nicht fern, auf allen Wegen
Kommt mir ein Strahl von ihm entgegen,
In himmlisch tröstender Gestalt;
Er ist nicht fern, im Sturmesgrimme
Da hör ich seine liebe Stimme,
Er ist nicht fern, ich find ihn bald.
Sein Bild steht überall geschrieben,
Ich kann nur Ihn, nur Ihn noch lieben,
Ich kann nur Ihn allein noch sehn;
Ich weiß, Er muß mir ewig bleiben,
Ach wollte Er mich von sich treiben,
Ich müßte gleich in Schmerz vergeh‘n.
Ach könnt‘ ich diese Hülle meiden!
Doch still, mein Herz, verschließ bescheiden
Den heißen Wunsch in deine Brust;
Es ist ja meines Jesu Wille,
Und daß ich den getreu erfülle,
Das ist doch meine ganze Lust.
Geduld! sie wird doch endlich kommen,
Die Stunde, mir zum Heil und Frommen,
Gott hat sie Keinem noch versagt.
Bis dahin denk‘ in allen Leiden,
Daß nichts dich kann von Jesu scheiden,
Von seiner Liebe keine Macht.
S.212ff.
Aus: Annette Freiin von Droste-Hülshoff, Gesammelte Werke, Sonderausgabe in einem Band, Emil Vollmer Verlag, München


Gethsemane
Als Christus lag im Hain Gethsemane
Auf seinem Antlitz mit geschloss‘nen Augen, —
Die Lüfte schienen Seufzer nur zu saugen,
Und eine Quelle murmelte ihr Weh,
Des Mondes blasse Scheibe widerscheinend, —
Da war die Stunde, wo ein Engel weinend
Von Gottes Throne ward herabgesandt,
Den bittern Leidenskelch in seiner Hand.Und vor dem Heiland stieg das Kreuz empor;
Daran sah seinen eignen Leib er hangen,
Zerrissen, ausgespannt; wie Stricke drangen
Die Sehnen an den Gliedern ihm hervor:
Nägel sah er ragen und die Krone
A seinem Haupte, wo an jedem Dorn
Blutestropfen hing, und wie im Zorn
Murrte der Donner mit verhaltnem Tone.
Tröpfeln hört‘ er, und am Stamme leis
Herniederglitt ein Wimmern qualverloren.
Da seufzte Christus, und aus allen Poren
Drang ihm der Schweiß.
Und dunkler ward die Nacht, im grauen Meer
Schwamm eine tote Sonne, kaum zu schauen
noch des qualbewegten Hauptes Grauen,
Todeskampfe schwankend hin und her.
Am Kreuzesfuße lagen drei Gestalten;
sah sie grau wie Nebelwolken liegen
hörte ihres schweren Odems Fliegen,
Vor Zittern rauschten ihrer Kleider Falten.
O welch ein Lieben war wie seines heiß?
Er kannte sie, er hat sie wohl erkannt;
Das Menschenblut in seinen Adern stand,
Und stärker quoll der Schweiß.
Die Sonnenleiche schwand, nur schwarzer Rauch,
In ihm versunken Kreuz und Seufzerhauch;
Ein Schweigen, grauser als des Donners Toben,
Schwamm durch des Äthers sternenleere Gassen;
Kein Lebenshauch auf weiter Erde mehr,
Ringsum ein Krater, ausgebrannt und leer,
Und eine hohle Stimme rief von oben:
»Mein Gott, mein Gott, wie hast du mich verlassen«!
Da faßten den Erlöser Todeswehn,
Da weinte Christus mit gebrochnem Munde:
»Herr, ist es möglich, so laß diese Stunde
An mir vorübergehn«!
Ein Blitz durchfuhr die Nacht; im Lichte schwamm
Das Kreuz, erst strahlend mit den Marterzeichen,
Und Millionen Hände sah er reichen,
Sich angstvoll klammernd um den blut‘gen Stamm,
O Händ‘ und Händchen aus den fernsten Zonen!
Und um die Krone schwebten Millionen
Noch ungeborner Seelen, Funken gleichend;
Ein leiser Nebelrauch, dem Grund entschleichend,
Stieg aus den Gräbern der Verstorbnen Flehn.
Da hob sich Christus in der Liebe Fülle,
Und: »Vater Vater«, rief er, »nicht mein Wille,
Der deine mag geschehn«!
Still schwamm der Mond im Blau, ein Lilienstengel
Stand vor dem Heiland im betauten Grün;
Und aus dem Lilienkelche trat der Engel
Und stärkte ihn
. S.217f.
Aus: Annette Freiin von Droste-Hülshoff, Gesammelte Werke, Sonderausgabe in einem Band, Emil Vollmer Verlag, München