Hermann Alexander Diels (1848 - 1922)

Protestantischer deutscher Altphilologe und Historiker der antiken griechischen Philosophie. Sein sicherlich einflussreichstes Werk waren die 1903 erschienenen »Fragmente der Vorsokratiker«, in denen er die Meinungen und Ansichten früherer Philosophen und Philosophiehistoriker in der altgriechischen Sprache sammelte und mit Kommentaren versehen in die deutsche Sprache übersetzte. Dabei unterschied er u. a. zwischen echten Originalzitaten und unechten Imitationen. Auf diese Weise ermöglichte er eine klareren Blick auf die Unterschiede zwischen Platon und Aristoteles auf der einen Seite und den sogenannten Vorsokratikern auf der anderen Seite, wobei er auch Philosophen darstellte die zeitlich nach Sokrates lebten. Auf jeden Fall wurde der Begriff Vorsokratiker durch sein Werk erst so richtig populär.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
AUS DEN VORREDEN ZUR ERSTEN AUFLAGE (1903)
ZUR ZWEITEN AUFLAGE (1906)
ZUR ViIERTEN AUFLAGE (1922)

Die Fragmente der Vorsokratiker

AUS DEN VORREDEN ZUR ERSTEN AUFLAGE (1903)
Das vorliegende Buch ist zunächst bestimmt, Vorlesungen über griechische Philosophie zugrunde gelegt zu werden. Zum eindringenden Verständnis der Begriffe und Systeme ist es unerlässlich, an der Hand der Originalurkunden den Entwicklungsprozess des griechischen Denkens in statu nascendi zu beobachten. Willkürliche Auswahl der Fragmente wird stets als Hemmung und Bevormundung der Lehrenden und Lernenden empfunden werden. Darum strebt diese Sammlung Vollständigkeit der eigentlichen Fragmente und Mitteilung des wesentlichen biographischen und doxographiachen Materials an. Dies letztere wurde in der Disposition des grundlegenden Buches, Theophrasts , angeordnet: Prinzipien, Gott, Kosmos, Meteora, Psychologie, Physiologie. Der Kreis der Philosophie ist im antiken Sinne möglichst weit gezogen, so dass auch die exakten Wissenschaften, namentlich die Mathematik, berücksichtigt wurden. Die Medizin, die eigentlich auch in den Rahmen gehört, habe ich mit Rücksicht auf M. Wellmanns Fragmentsammlung nur insoweit aufgenommen, als sie direkt mit der alten Physiologie im Bunde steht. Die Anordnung des Ganzen musste die einzelnen Persönlichkeiten möglichst getrennt halten. Gegenüber der pragmatischen Zusammenfassung der Schulen, wie sie für die eigentliche Geschichtsschreibung nötig erscheint, hat es ein gewisses Interesse, nun auch einmal die Individuen als solche zu beobachten, die wenigen Großen und die unzähligen Kleinen, deren emsige Arbeit freilich nur in der Massenwirkung zutage tritt, welche die unbegreiflich rasche Entfaltung der Philosophie im sechsten und vor allem im fünften Jahrhundert zeigt. Es sind in diesem Bande über vierhundert Namen vereinigt, von denen freilich die meisten für uns nur Namen bleiben. Aber sie alle haben doch ihren Anteil an dem Blühen und Überblühen des griechischen Geistesfrühlings.

Wo die alten Schulen in ununterbrochener Kontinuität bis ins vierte Jahrhundert gedauert haben, ist auch diese nachsokratische Diadoche berücksichtigt worden, was willkommen sein wird wie der „Anhang", der die alten Kosmologen, Astrologen und Sophisten zufügt. Warum von dem unendlichen Wuste der Orphiker und Pythagoreer nur das Altbezeugte gegeben worden ist, bedarf keiner Motivierung.

Was den Dialekt betrifft, habe ich an meinem Prinzip festgehalten, die zufällige Überlieferung der einzelnen Schriftsteller getreu wiederzugeben, da sonst eine wissenschaftliche Verwertung der Fragmente zu dialektologischen Zwecken unmöglich wäre. Auch für die Scheidung des Echten und Unechten ist es unumgänglich nötig, die unkorrigierte Überlieferung in allen Vulgarismen, Hyperionismen und Pseudodorismen festzuhalten. Unbedenklich dagegen erschien es in den alten Stücken, die korrekte Orthographie, die in der römischen Zeit grundsätzlich geändert wurde, herzustellen.

Auch von dem Prinzip, die Ordnung umfangreicher Fragmente, wo die Überlieferung oder der Inhalt keine sichere Disposition an die Hand gab, in der alphabetischen Reihenfolge der Autoren zu geben, glaubte ich nicht ab gehen zu sollen. Was hilft es, in dem gewaltigen Haufen der Aphorismen Heraklits oder Demokrits hier und da einen wirklichen oder vermeintlichen Zusammenhang zu finden, wo man doch der weit überwiegenden Mehrzahl gegenüber ratlos bleibt? Die äußerliche Ordnung nach den Autoren wahrt wenigstens das Recht der Überlieferung, die für die Beurteilung der Fragmente und ihrer Form wesentlich ins Gewicht fällt. Außerdem wird man bei der Gewohnheit unserer Anthologien, im Original nahe zusammenstehende Stellen hintereinander zu bringen, dem ursprünglichen Zusammenhang in vielen Fällen näher bleiben als durch eine Zerteilung nach willkürlich gewählter eigener Disposition. Selbst für die Wortkritik kann dies Prinzip unter Umständen wichtig werden, da die Exzerpte, auch wenn sie aus verschiedenen Stellen stammen, doch häufig durch das Band des Stichwortes zusammenhängen, nach dem alle Anthologien, die Urquellen wie die späteren Exzerptoren, die einzelnen Stellen unter die Kapitel zu verteilen pflegen.

Die Übersetzung der Fragmente, die ich statt eines Kommentars nach dem Muster meiner Sonderausgaben (Parmenides, Berlin, G. Reimer, 1897 und Herakleitos, Berlin, Weidmann, 1901) zugefügt habe, beabsichtigt rasch in das Verständnis der Texte, soweit es sich mir erschlossen hat, einzuführen. Dieses Verständnis bietet nicht nur bei den Dichterphilosophen, sondern auch bei der teils eigentümlichen, teils eigenwilligen alten Prosa erhebliche Schwierigkeiten. Denn abgesehen von der beabsichtigten oder unbeabsichtigten Unklarheit der Sprache, in der sich die aus der Tiefe zum ersten Male aufsteigenden Gedanken nur mühsam durchringen, steht diese archaische Rede weit ab von der periodisch gerundeten und semasiologisch abgeschlossenen Eleganz der Attiker des vierten Jahrhunderts. Manche Wörter haben später ihren Geltungsbereich verengt. …
S. VII-VIII

ZUR ZWEITEN AUFLAGE (1906)

Trotz den klaren Worten der ersten Vorrede muss ich, um einem vielfach geäußerten Missverständnis zu begegnen, noch einmal betonen, dass nur die eigentlichen, unter B zusammengestellten Fragmente der Philosophen vollständig gegeben werden sollen, dagegen nicht die Lemmata der Fragmente (was an sich möglich wäre, wie meine Poetae philosophi beweisen) und nicht die unter A jedesmal vorgesetzten doxographischen Berichte oder die unter C zusammengefassten Imitationen, was überhaupt innerhalb des gegebenen Rahmen unmöglich wäre .

Die getroffene Auswahl hat mich mehr Zeit und Mühe gekostet, als wenn ich mein gesammeltes Material vollständig in die Druckerei gesandt hätte. Ich glaube aber gerade durch diese Beschränkung auf das Wesentliche und Alte den Anfängern, und nicht nur diesen, einen Dienst geleistet zu haben. Es war meine Absicht, nur die Ähren in die Scheune zu fahren, das Stroh aber draußen zu lassen, selbst auf die Gefahr hin, dass hier und da ein gutes Korn darin bliebe.
S. IX

ZUR VIERTEN AUFLAGE (1922)
Die Freude, die das notwendig gewordene Erscheinen einer neuen Auflage der »Vorsokratiker« in mir erweckte, ist durch die Mitteilung des Verlegers, dass wegen der unerschwinglich hohen Druckkosten nur ein anastatischer Abdruck der vorigen Auflage möglich sei, stark getrübt worden. Es hatten sich in der Zwischenzeit so viele Berichtigungen und Bereicherungen zu den Texten und Anmerkungen angesammelt, dass es mir eine Lust gewesen wäre, dieses Werk am Ende meines Lebens so zu gestalten, wie es mir als Ideal vorschwebte. Ich hatte z. B. vor, die Ordnung der Kapitel der chronologischen Reihenfolge entsprechend so umzustellen, dass die Theologen, Kosmologen und Gnomologen des Anhangs an die Spitze träten und die Sophisten etwas vervollständigt den Schluss bildeten. Auch würde sich die Ordnung der Fragmente in einzelnen Kapiteln (Parmenides, Empedokles) etwas verschoben und das Demokritkapitel würde eine übersichtlichere Form gewonnen haben.

Davon kann nun nicht die Rede sein. Der Text der beiden ersten Bände muss in der Form der dritten, der dritte (Registerband) in der der zweiten Auflage wieder erscheinen. Die Zusätze und Verbesserungen können nur als „Nachträge" den einzelnen Bänden beigegeben werden, so dass der Leser die Mühe hat, sich jedesmal um diese Berichtigungen zu kümmern oder sich ein für alle­mal sein Exemplar durchzukorrigieren. Dass es möglich sein wird, in einer etwa erscheinenden fünften Auflage das Werk in bequemerer und vollendeterer Gestalt vorzulegen, wage ich kaum zu hoffen. Das Schicksal der Doxographi, die vergriffen sind, aber die Neubearbeitung in kürzerer Form, die dringend nötig gewesen wäre, nicht haben finden können, verpflichtet mich gegenüber dem Verlage dieses vorliegenden Werkes, so wenig die Form der Neuauflage befriedigt, zu dem herzlichsten Danke.

Es versteht sich, dass die Nachträge dem Zwecke unseres Quellenwerkes entsprechend sich nicht auf die Diskussion der prinzipiellen Punkte einlassen können, deren es leider auf diesem Gebiete nicht wenige gibt. Ich muss dies den Monographien und Gesamtdarstellungen überlassen, wie solche in den letzten Jahren bei uns in verschiedener Form und verschiedener Qualität zahlreich er­schienen sind. Neben dem groß angelegten Werke von Joel (Geschichte der antiken Philosophie I, Tübingen 1921) sind vor allem die Neubearbeitungen des Ueberwegschen Grundrisses I durch K. Prächter (Berlin 1920) und des Zellerschen Monumentalwerkes durch Lortzung und Nestle (Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung I, Leipzig 1919) zu nennen. In dem letzteren Werke ist die Auseinandersetzung über die Hauptprobleme besonders ausgiebig erfolgt, so dass man hierauf ein für allemal verweisen darf. [Es folgt eine ausführliche, durch neue Beweismittel gestützte Widerlegung der von Nestle a. o. wieder aufgegriffenen Theorie Erwin Rohdes, es habe einen Philosophen Leukippos nicht gegeben.]
S. IX-X
Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Erster Band, 1951, Weidmannsche Verlagsbuchhandlug, Berlin-Grunewald