Max Dessoir (1867 – 1947)
Deutscher Philosoph, Psychologe und Kunsthistoriker, der sich für die Neubegründung einer systematischen Kunstwissenschaft engagierte und sich eingehend mit dem Okkultismus beschäftigte. Die Einführung des Begriffs »Parapsychologie« ist auf ihn zurückzuführen. Siehe auch Wikipedia |
Gott
offenbart sich in der gesetzmäßigen Ordnung der Wirklichkeit
In Wahrheit liegt für unsere Erkenntnis das Geistige und Göttliche
in der gesetzmäßigen Ordnung der Wirklichkeit. Geistigkeit bedeutet
keineswegs etwas Verschwommenes, sondern die nur dem Geist erkennbare Tatsache,
daß alles in der Welt geregelt und von Werten beherrscht ist. Hierin aber
offenbart sich Gott. Jede Wissenschaft, so auch die Medizin, fügt sich
der heiligen Gesetzlichkeit Natur. Wenn der Arzt mit einer Operation oder einem
innerlich wirkenden Mittel eingreift, so tut er es im Vertrauen auf die unverbrüchliche
Regelmäßigkeit des Naturablaufs, die ja keineswegs selbst materiell,
vielmehr die geistige Durchdringung der Materie ist.
Die Anhänger der sogenannten christlichen Wissenschaft [Christian
Science] hingegen behaupten, daß jeder Kranke durch Gott geheilt
werden kann, indem er seinen Willen dem göttlichen Willen eingliedert oder
angleicht: durch Versenkung in das geistige Wesen des allumfassenden Gottes
schwinden Irrtum und Furcht und hiermit auch die Erscheinungen des Krankseins.
Indessen, auf diese Weise wäre wohl die eine oder an unbeeinflußte
Genesung zu »erklären«, aber es wäre keine geschäftliche
Ausnutzung der Lehre möglich. Deshalb ist von den smarten Amerikanern die
weitere Behauptung aufgestellt worden, ein Leidender könne auch von anderen
geheilt werden, sogar ohne seine Zustimmung und ohne sein Wissen. Der Kranke
nämlich soll durch den Irrglauben an die Wirklichkeit der Krankheit von
Gott getrennt sein; es kommt demnach darauf an, die Verbindung mit Gott wieder
herzustellen. Nun sind alle Menschen im göttlichen Wesen zu einer geistigen
Gemeinschaft vereinigt. Wenn also eine zweite Person von sonders entwickelter
Geistigkeit sich mit Gedanken des Guten und der Freudigkeit erfüllt, so
überträgt sich das auf den Patienten, führt ihn zu Gott und zur
Gesundheit zurück. S.408-409
Das
Weltbild der Anthroposophie.
Ein kosmisches Ich, das sein Wesen schaffend ausleben will, erzeugt in rhythmischen
Stößen heilige Kräfte. Der Hellseher nimmt diese geistigen Kraftträger
oder Hierarchien tatsächlich wahr; nicht eine Rangordnung, sondern eine
Rangklasse wird hier als Hierarchie bezeichnet. Die Hierarchien, in ständiger
Entwicklung begriffen und ihrerseits auf den Menschen angewiesen, tragen die
Menschheit stufenweise — mehr oder weniger mit sich empor. Die Entwicklung
des gesamten Weltsystems vollzieht sich nämlich in Rücksicht auf den
Menschen, und zwar in vier Verkörperungen unseres Planeten, die als Saturn-,
Sonnen-, Mond- und gegenwärtiges Erdendasein bezeichnet werden. Der physische
Leib des Menschen hat sich bereits durch diese vier Phasen hindurch entwickelt.
Er ist also das älteste von den vier Gliedern der menschlichen Wesenheit
(Geheimwissenschaft, S. 121). Schon auf dem Saturn wird er angelegt, wenn auch
in einer von der heutigen verschiedenen Gestalt. Erst innerhalb der Sonnenverkörperung
strömt der Ätherleib in ihn ein (147/8), während der Mondentwicklung
der Astralleib (162), im Erdenleben entzündet sich der Feuerfunke des Ich
(226). Durch diese Eingliederungen wird der physische Leib jedesmal umgestaltet.
In jeder Erdverkörperung, die einer schöpferischen Ausströmung
des kosmischen Ich entspricht, prägt die Tat bestimmter Hierarchien das
Bild ihres Wesens als einen zum Wachstum fähigen Keim der Menschheit ein;
und in jeder solchen Kräftegabe geht etwas von dem Ur-Ich in die Menschheit
über. Auf dem Saturn wirken die ,,Geister der Weisheit“ — von
Steiner Cherubime und in der ,,Geheimwissenschaft“ in Anlehnung an die
,,christliche Geisteswissenschaft“ Kyriotetes genannt (131) — und
mit ihnen zusammen die ,,Geister des Willens“ oder Throne (133), um Leben
und Willen ausstrahlen zu lassen. Ihnen gesellen sich die ,,Geister der Bewegung“
oder Dynameis, die ,,Geister der Form“ oder Exusiai, die ,,Geister der
Persönlichkeit“ oder Archai (134). Die ,,Feuergeister“ oder
Archangeloi und die ,,Geister der Liebe“ oder Seraphime treten gemeinschaftlich
auf (136/7); es werden durch sie die Keime der menschlichen Sinnesorgane der
Entwicklung einverleibt. In einer späteren Periode des Saturndaseins entfalten
die ,,Söhne des Zwielichtes oder des Lebens“, christlich Angeloi,
und mit ihnen die ,,Geister der Harmonien“ (138) ihre Tätigkeit;
Stoffwechsel-, Nahrungs- und Ausscheidungsprozesse beginnen. Eine feste Grenze
zwischen den Wirkungsbereichen dieser einzelnen Wesen gibt es nicht (143). Die
heiligen Kräfte oder Hierarchien verleihen übrigens nicht nur dem
Menschen, sondern allen vier Naturreichen das sinnvolle Leben, auch Mineralien,
Pflanzen, Tieren. Je vollkommener ein Körper ist, desto mehr Bewußtsein
kann in ihn hinabsteigen.
Zwischen dem Abschluß einer Erdverkörperung und dem Beginn einer
neuen liegen Ruhepausen, ,,Weltennächte“, während welcher die
Erde als Samenkorn mit den Keimen aller vorher entwickelten Fähigkeiten
zu neuem Erwachen im Weltenschoße ruht. Da die früheren Einprägungen
fortdauern, so wiederholt jede Verkörperung zunächst das Alte, das
auf der vorhergehenden Stufe Erreichte, ordnet es allmählich auf die neuen
Daseinsbedingungen hin und fügt dann etwas völlig Neues hinzu. Auf
zwei vorbereitende Epochen folgen jeweils drei mittlere und zwei abflutende.
Der Rhythmus der Entwicklung wird bestimmt durch ein Anschwellen der von außen
hereinwirkenden Kräfte bis zur Mitte und ein Nachlassen ihres Einflusses
von der Mitte ab. Die Geheimwissenschaft nennt diese siebengliedrigen Epochen
,,Kreisläufe“; in der theosophischen Literatur heißen sie ,,Runden“
(195). Wenn der Mensch, zunächst das eigene Ich erfassend, dann, über
das Ich hinauswachsend, die geistigen Wesenheiten in sich aufnehmen lernt, so
kann schließlich nach dem Zusammenfließen der zerstäubten heiligen
Kräfte das Wesen des kosmischen Ich sich in der Menschheit spiegeln. Diese
Entwicklung vollzieht sich in unserem Sonnensystem. Als sich die Sonne von der
Erde trennte, hatte im Kosmos ein hohes Wesen die Führung, der Herrscher
im Sonnenreich (240); er lebt in den Sonnenmenschen als ,,höheres Ich“‘
(242). Den Gegenwartsmenschen erscheint er als der Christus. Wie er damals in
die Erdentwicklung eingegriffen hat, so wirkt er in ihr weiter. ,,Und mit ,Christus‘
erschien in menschlicher Gestalt das hohe Sonnenwesen als das große menschliche
Erden-Vorbild“ (279). Das Christuswesen ist der Kreis, der die Bewußtseinsentwicklung
im Sonnensystem, mit allen seinen Hierarchien, umschließt. Es ist die
Ichheit, deren Wirkungen, die Christuskräfte, den Sonnenkosmos erfüllen.
Steiner setzt sie auch in Beziehung zum Tierkreis: er lehrt: in den Wirkungen
des Tierkreises drücken sich die Christuskräfte aus. Christus ist
das Urwesen, der Mittelpunkt aller Weisheit, von dem aus die natürliche
und die geistige Welt zu verstehen ist (279); das hohe Sonnenwesen, das durch
das Mysterium von Golgatha sich mit der Erde und ihren Kräften vereinigt
hat, so daß der Mensch die Christuskraft auf der Erde in sich aufnehmen
kann.
Die hier in großen Zügen wiedergegebene Lehre ist eine Verbindung
von Panpsychismus und Emanationentheorie Jamblich und Valentinus, Neuplatonismus
und Gnosis leben in ihr wieder auf. Der Neuplatonismus setzt an die Stelle einer
durch Schöpfung entstandenen ursprünglichen Ordnung ein Ausströmen
der Welt aus der Gottheit, so daß nun die Materie ebenfalls als Erzeugnis
des Schöpfungsaktes erscheint. Dieser wird dabei immer noch als ein sinnlicher
Prozeß vorgestellt, dem die Annahme von Mittelwesen zwischen dem rein
geistigen Wesen Gottes und der körperlichen Welt zu Hilfe kommt. Hinzu
tritt in der Anthroposophie ein Gedanke, der mittelbar aus dem Sonnenkultus
stammt. Abgesehen von dieser Gleichsetzung des Christus mit dem Sonnenwesen,
die ihn zu einem kosmischen Kräftesystem macht und mit dem Christus unserer
Kirche nicht mehr als den Namen gemeinsam hat, ist Steiners Weltlehre geozentrisch
und anthropozentrisch. Wir werden damit vor eine Aufgabe gestellt, deren Lösung
uns schwerer fällt als den antiken Denkern: im Menschen den Mittel- und
Wendepunkt des Weitgeschehens zu erblicken.
Die dargelegten Ausführungen über die Entwicklung des Menschen innerhalb
des Erdendaseins und seiner verschiedenen Verkörperungen werden nun in
wunderlicher Weise verquickt mit Reinkarnationsvorstellungen. Das eigentliche
innere geistige Wesen des Menschen ist durch eine Reibe von Leben auf dieser
Erde hindurchgegangen (108) und wird diesen Weg fortsetzen. Auch die Erde selbst
wird in Zukunft weitere Umgestaltungen erfahren. Indessen: über solche
Spekulationen gibt es keine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Alles kommt
an auf die nähere Ausführung und auf die Ansprüche. Der Neuplatonismus
ist vielleicht ebenmäßiger, N i e t z s c h e s Gedanke von der ewigen
Wiederkehr kühner.
In diesen Rahmen schließt nun Steiner eine genauer ausgeführte Kosmogonie.
Die Welt, deren Bild er entwirft, ist weder aus eigenartigen Inhalten noch mit
neuen Kategorien aufgebaut. Es wird eben einfach Reales wie Ideales so verschoben
und verzerrt, daß alles anders ausschaut als in der Erfahrungswirklichkeit.
Ein gewaltiges geistiges Panorama, ein ,,Weltentableau“, in dem alle vergangenen
Vorgänge der Welt verzeichnet sind, hat der Hellseher vor sich, der durch
die sichtbare Welt hindurch die Wahrnehmung zu dem Unsichtbaren zu erheben vermag
(112). Dies geistige Wahrnehmen ist ein Lesen in der Akaschachronik. Was hat
Steiner in ihr gesehen? In der mittleren Periode der ersten Verkörperung,
des Saturn-Daseins, schaut der Hellseher etwas wie ein in sich gegliedertes,
in wechselnden Zuständen erscheinendes Weltenwesen, das nur in Wärme
besteht (127), in feinen, dünnen, ätherischen Wärmekörpern
(130). Zu Anfang seiner Entwicklung aber zeigt der Saturn noch nicht diesen
späteren Wärmecharakter (132), sondern ist ,,ungeordnete Stofflichkeit“,
ohne Licht, ohne Ton, ohne Raum und Zeit, charakterisierbar nur durch eine Eigenschaft,
die sich mit dem menschlichen Willen vergleichen läßt. Dieser ,,Wille“
ist der Ausfluß erhabener Wesen, der ,,Geister des Willens“ oder
Throne, die nur aus Mut bestehen. — Steiner schweigt darüber, welche
Ereignisse ihn zwingen, die von ihm angetroffenen Geister so sinnwidrig zu beschreiben.
Denn: Mut und Wille sind nichts Einheitliches, sie sind zusammengesetzt und
wechselvoll. Wie können ,,Wesenheiten“ aus nur e i n e r seelischen
Richtung, also ohne die der Persönlichkeit unentbehrliche Mannigfaltigkeit
des Seelischen bestehen? - In das Meer des Mutes spielen nun die Wesen anderer
Hierarchien hinein, die ,,Cherubime“. Ihnen opfern die Throne ihre eigene
Wesenheit. Aus dem Opfer werden die Geister der Persönlichkeit, die Archai,
geboren, die nur aus Zeit bestehen. Das Opfer der Geister des Willens steigt
gleichsam rauchend zu den Cherubim empor. Der Hellseher empfängt den Eindruck
eines aufgrund abflutenden (dabei aber raumlosen!) Wärmezustandes. Aus
der brodelnden Wärme des Opferrauchs gestalten sich die Archai. Dieser
Vorgang des Opfers liegt geistig der uns bekannten Wärme zugrunde. Die
äußere Wärme ist eine Maya ist nur der Ausdruck für die
unsichtbare Opfertat der Wesenheiten. Man beachte: diese Lehren trägt Steiner
als F o r s c h u n g sergebnisse vor, aus denen er wichtige praktische Folgerungen
zieht. Wir aber, zur Beurteilung aufgerufen, müssen fragen: Welche Auffassung
von Zeit liegt hier eigentlich zugrunde? Wie kommt der Mut dazu, sich zu opfern?
Wahrscheinlich, weil der geläufige Begriff des Opfermutes vorschwebt. Ist
das nicht Vulgärpsychologie und Volksetymologie in einem? So zwingt uns
Steiner in eine Urepoche wissenschaftlichen Denkens zurück; scheut er sich
doch nicht, hinter einen physikalischen Vorgang einen moralischen zu legen,
um jenem einen tieferen Sinn zu schaffen. Solche Zusammenhänge sind zwar
logisch zu rechtfertigen. Allein, in jedem synthetischen Urteil nach dem Schema:
A ist B (das bedeutet: etwas ist etwas anderes), muß die Zuordnung begründbar
sein; hier ist sie es nicht. Für die Erklärung etwa des Wärmevorganges
des Errötens aus dem Affekt des Zornes liegt eine breite Erfahrung vor.
Es handelt sich um verständliche psychophysische Zusammenhänge. Hier
suchen wir solche vergeblich.
In der zweiten, der Sonnenphase werden durch den Anblick der geschilderten Opfertat
andere Geister veranlaßt, sich schenkend in die Welt zu ergießen.
Ihre schenkende Tugend stellt sich dar als Luft: überall, wo Luft ist in
der Welt, sind Taten der ,,Geister der Weisheit“ dahinter. Dies ,,dahinter“
bedeutet doch wohl, daß immerfort Geister Opfer bringen. Eine äußere
Verknüpfung wird hergestellt, die nichts Überzeugendes hat: es könnte
ebenso gut der Opfertat die Luft und der Hingegebenheit die Wärme entsprechen.
Ebenso bedenklich ist. daß rein menschliche Verhältnisse zum an sich
Seienden gemacht werden: wenn einer schenkt, so muß ein anderer zum Nehmen
da sein. Die Erzengel, Archangeloi, sind es, die da nehmen, aber so, daß
sie das Empfangene zurückstrahlen. Somit sind sie die Schöpfer des
Lichts. Da beim Widerstrahlen ein Inneres von außen zurückgegeben
wird, so entsteht der Raum; als ob nicht das ,,wogende Meer des Mutes“
und der „Opferrauch“ einen Raum voraussetzten! Einige Cherube nehmen
das Opfer nicht an, entziehen sich also auch der Zeit und wählen die Ewigkeit:
während der Sonnenentwicklung wird die Ewigkeit errungen. Später als
die Zeit entsteht demnach die anfangs- und endlose Ewigkeit, und sie entsteht
an einem bestimmten Zeitpunkt. Dazu ist zu bemerken, daß allerdings der
Zeit b e g r i f f der Bildung des Ewigkeitsbegriffs vorausgeht, aber nicht
die objektive Zeit, um die es sich doch hier handelt.
Der Verzicht jener Cherubim erscheint in der äußeren Maya als Flüssigkeit,
als Wasser. Das Wasser entsteht aber erst auf dem Monde, der dritten Erdverkörperung.
Überall wo Wasser ist in der Welt, ist Götterverzicht. Der zurückgewiesenen
Opfersubstanz bemächtigen sich andere, die luziferischen Wesenheiten, die
sich damit von den unsterblichen Wesenheiten trennen; sie bringen die Möglichkeit
des Irrtums und des Bösen (231).
Die Erde ist nun, nachdem sie Saturn-, Sonnen- und Mondendasein durchgemacht
hat, ein lebendes und ein geistiges Wesen, ein ,,durchseelter und durchgeistigter
Organismus“ (200). In einem dauernden Vorgang der Verdichtung wird sie
zu dem Festen oder Erdigen (209). Unter luziferischem Einfluß nimmt jetzt
der Mensch Erdeneindrücke auf, die sich mit den Kräften verbinden,
durch die der physische Leib zerstört wird: der Tod tritt auf (233); er
ist das einzig Wahrhafte in unserer Welt der Illusion. Auf der Erde muß
dann die Christuswesenheit den Tod besiegen im Mysterium von Golgatha.
Bei dem gegenwärtig erreichten Zustand bleibt die geistige und die durch
sie bewirkte äußere Entwicklung nicht stehen. Die Menschheit wird
zu immer anderen Formen geführt, wie das äußere Leben seine
Gestaltungen ändert (397). ,,Denn welche Stufe man auch erstiegen haben
mag auf dem Wege in die übersinnlichen Welten hinauf: es gibt immer noch
höhere Stufen“ (387/8). Die Geheimwissenschaft bezeichnet die kommenden
Erdverkörperungen als Jupiter-, Venus-, Vulkan-Zustand. Die Jupiterphase
wird etwas enthalten, was durch die Mondenentwicklung vorher bestimmt ist; dazu
Neues, das erst durch die Erdenvorgänge in die Entwicklung hineinkommt
(400). In der Venusverkörperung schaut der Hellseher weiter entwickelte
Gestalten dessen, was während des Sonnenzustandes vorhanden war (401);
im gleichen Verhältnis steht der Vulkanzustand zum Saturndasein (401).
Eben darum kann das hellseherische Bewußtsein etwas über diese zukünftigen
Erdgestaltungen erfahren. Es verhält sich also folgendermaßen: der
gegenwärtige Erdzustand enthält, für den Hellseher deutlich erkennbar,
die verflossenen Erdphasen in sich und birgt damit im Keim alle zukünftigen,
die jenen ähnlich sind. Was sich in der Saturnzeit abgespielt hat, geht
noch heute vor sich; nur wird es überdeckt durch das, was äußerlich
um uns herum auf dem ,,physischen Plane“ ist. Wer das Ich und seine Welt
kennen lernen will, der muß sich eine solche Welt vor Augen stellen können,
wie der Saturn eine war. Es ist eine übersinnliche Welt, verhüllt
durch den ,,Hüter der Schwelle“.
Diese Weltenlehre Rudolf Steiners enthält weder nachweisbare Tatsachen
noch eine begriffliche Durchführung. Ein naturwissenschaftliches oder auch
geistesgeschichtliches Verständnis von Urzeiten ist nur zu erzielen, wenn
vergangene Sachverhalte jedermann sichtbar gemacht und aus denselben Kräften
erklärt werden, die wir noch jetzt am Werk sehen; naturphilosophische Behandlung
ist nur dann sinnvoll, wenn nach H e g e l s Vorbild logisch verkettet, ein
Begriff aus dem andern mit innerer Notwendigkeit hervorgetrieben wird. Hier
dagegen wird ganz in der Art eines Mythus einfach erzählt und dogmatisch
hingestellt; es wird der Naturwirklichkeit etwas Seelisches, zumeist Moralisches
unterlegt. In einer Reihe von Naturmythen treten ethisch-religiöse Schicksals-
und Schutzgötter als wirkende Kräfte auf. Auch der Christus wird zu
einer Art mythischen Wesens.
Mit leerem Mythologisieren aber gelangt man nicht zum Geist, der ein Drittes
— kein Körperliches und kein Psychisches — ist. Steiner erkennt
dies nicht. Er denkt in Existentialurteilen, nicht in Werturteilen, vermag sich
zu keiner anderen Vorstellung des Seins als zur Form der Existenz zu erheben.
Da ihm alles, was in irgend einer Weise als Geltung, Gesetz, Sinn, Wert, Bedeutung,
Zusammenhang ein Sein besitzt, sofort zu einem Existierenden (Ding oder Person)
wird, so stellt er sich nun auch die Angleichung des Geistigen an das Menschliche
als ,,Gesehenwerden“ vor. ,,Das geistige Auge sieht im ,Geisterland‘
den Gedanken des Löwen so wirklich, wie das sinnliche den physischen Löwen.
Mit diesem Satze hat Steiner seiner Weltenlehre selbst das Todesurteil gesprochen.
S.417-423Anthroposophische
Lehre vom Menschen.
Der sinnlich wahrnehmbare, verstandesmäßiger Erkenntnis zugängliche
physische Leib ist nur ein Teil der menschlichen Wesenheit; ihn hat der Mensch
mit der mineralischen Welt gemeinsam. Dem Hellseher sind drei weitere Glieder
erschaubar: der Ätherleib oder Lebensleib, der Mensch und Pflanze eigen
ist; der Astralleib — in bezug auf ihn steht der Mensch den Tieren gleich
—, und das Ich, das Unterscheidende des Menschen. — Hier wird Erbgut
der Philosophie, der dreistöckige aristotelische Stufenbau der Seelen unverändert
übernommen, es werden Begriffe, die zu einer ersten Übersicht und
Einteilung vor zweitausend Jahren brauchbar waren, erneuert und grob verdinglicht.
Steiners Konstruktionsmittel ist dabei, wie meist, das der Schichtung. Was Steiner
über diese Einteilung hinaus zu berichten weiß, von den vier Leibern
— ,,Und auch das Wort ,Leib‘ soll nicht mißverstanden werden.
Man muß zur Bezeichnung der höheren Dinge des Daseins eben doch die
Worte der gewöhnlichen Sprache gebrauchen“ (Die Geheimwissenschaft,
S. 20) —, bleibt als Forschungsergebnis einer ,,höheren Schau“
ohne Bedeutung für den Nicht-Hellseher, besitzt aber im Glauben der Anthroposophen
eine stärkere Wirklichkeit als die sinnliche Welt.
Der Ätherleib — der, genau genommen, weder Äther noch Leib ist,
denn auch ,,das Wort ,Äther‘ wird hier in einem andern Sinne gebraucht,
als dies von der gegenwärtigen Physik geschieht“ (20) — ist
gleichsam der Bewahrer des physischen Körpers, der ohne ihn zerfallen würde,
nun aber überall von ihm durchsetzt ist. Wie der physische, so ist auch
der Ätherleib in sich gegliedert; mit seinen Strömungen und Bewegungen
bestimmt er Form und Gestalt der Organe. „Dem physischen Herzen liegt
ein ,Ätherherz‘ zugrunde, dem physischen Gehirn ein ,Äthergehirn‘
usw.“ (23). Sich selbst überlassen, müßte der Ätherleib
dauernd im Zustand des Schlafes sein, wie die Pflanzen (25). Sein ständiger
Erwecker ist der Astralleib, der sich nur im Schlaf von ihm löst, um aus
der geistigen Welt frische Kräfte einzusaugen und sie durch den Ätherleib
dem Menschen zu übermitteln. Hellseherischer Beobachtung bleibt er auch
dann noch zugänglich. Das Ich hat die Aufgabe, in die Gegenwart hinüberzuretten,
was der Astralleib in Vergessenheit sinken läßt. Doch versteht Steiner
unter ,,Ich“ nicht das Bleibende als solches, ,,sondern dasjenige, welches
dieses Bleibende erlebt“. So kommt er zu der Bestimmung (in anderen Aussagen
scheint sie wesentlich verändert): ,,Was für den physischen Leib der
Tod, für den Ätherleib der Schlaf, das ist für den Astralleib
das V e r g e s s e n. Man kann auch sagen: dem Ätherleib sei das L e b
e n eigen, dem Astralleib das Bewußtsein und dem Ich die Erinnerung“
(28).
Der Astralleib ist auch der Seelenleib; denn unter ,,Seele“ versteht der
Anthroposoph das, ,,was dem Wissen Dauer gibt“ (30). Die Seele besteht
gleichfalls aus drei Gliedern: soweit sie mit dem Astralleib vereinigt ist,
heißt sie Empfindungsseele; in ihrer Verbindung mit dem Ich ist sie Verstandes-
oder Gemütsseele; wenn sie zur Wahrnehmung ihrer eigenen Wesenheit gelangt
ist, darf sie als Bewußtseinsseele bezeichnet werden (32 f.). ,,In der
Bewußtseinsseele enthüllt sich erst die wirkliche Natur des ,Ich’
(33); seine innere Tätigkeit beginnt mit der Selbstbesinnung. Der Hellseher
empfängt von diesen Leibern und Gliedern bestimmte räumliche Vorstellungen,
die - selbst wenn sie sinnbildlich gemeint sein sollten — Steiners Denkweise
als einen verschwiegenen Materialismus kennzeichnen. ,,Als eine Lebensform erfüllt
den physischen Körper der Ätherleib; an allen Seiten über diesen
hinausragend erkennt man den Seelenleib (Astralgestalt). Und wieder über
diesen hinausragend die Empfindungsseele, dann die Verstandesseele, die um so
größer wird, je mehr sie von dem Wahren und Guten in sich aufnimmt“
(Theosophie, S. 31). Eine Seele, die größer wird im räumlichen
Sinne, ist freilich keine Seele mehr.
In die Bewußtseinsseele dringt der Geist hinein, ,,das Verborgene in allem
Offenbaren“ (Geheimwissenschaft, S. 34). Es sind drei geistige Glieder,
die sich durch Wirken des Ich an den drei Leibern enthüllen: der vom Ich
umgewandelte Astralleib ist das Geistselbst (Manas); die Tätigkeit des
Ich zur Änderung des Ätherleibes unbewußt vor allem durch religiöse
und künstlerische Impulse gefördert, bewußt durch Geheimschulung
oder Initiation — arbeitet den Lebensgeist (Buddhi) heraus. Die Ichtätigkeit
am physischen Leibe offenbart den Geistesmenschen (Atma).
Der Mensch ist also aus Gliedern der physischen, seelischen, geistigen Welt
aufgebaut. Diese ganze Konstruktion ist äußerst primitiv. Der Übergang
vom Leblosen zum Lebendigen und von dort zum Seelischen wird nicht untersucht,
sondern durch Unterschiebung erfundener Äther- und Astralleiber verdeckt.
Sie ist ferner unleugbar materialistisch. Wie Epikur durch eine Art Destillation
des Körperlichen zum Geist zu gelangen hoffte obwohl tatsächlich der
zarteste Leib dem Geist genau so fern bleibt wie der gröbste —, so
versucht das methodisch ungeschulte Denken des Anthroposophen zum Geist vorzudringen.
,,Der Ätherleib wandelt unorganische Substanz in Lebenssäfte um; der
Astralleib wandelt diese lebendige Substanz in empfindende Substanz um.“
Hiermit verbinden sich nun physiologische Spekulationen nach Art Schellings,
Okens, Pertys. Der Astralleib findet seinen Ausdruck teils im sympathischen
Nervensystem, teils im Rückenmark und Gehirn. Im sympathischen Nervensystem
lebt ein dumpfes Wissen von den großen Gesetzen des Kosmos, das aber dem
heutigen Menschen nicht mehr zum Bewußtsein kommt; durch das höhere
Nervensystem empfindet der Mensch, was in ihm vorgeht. Wie nun Rückenmark
und Gehirn Ausdruck des umgewandelten Astralleibes, so sind Herz und Blutgefäße
Ausdruck des umgewandelten Ätherleibes; ,,das Blut nimmt die durch das
Gehirn verinnerlichten Bilder der Außenwelt auf“. Eine solche unbegründete
und unbegründbare Mißachtung aller Tatsachen verbindet sich mit der
ungeheuerlichen Behauptung, der vorgeschichtliche Mensch habe ,,in den Bildern,
die sein Blut empfing“, auch die Erlebnisse seiner Vorfahren erinnert.
Wie will man das jemals beweisen oder auch nur verständlich machen? Immerhin
liegt dieser Lehre vom Aufbau des Menschen die richtige Einsicht zugrunde, daß
unser übliches Leib-Seele-Schema nicht genügt. Lassen sich auch physiologische
Vorgänge mit Sicherheit als körperlich, Denkprozesse wie etwa mathematische
Gedankengänge unzweifelhaft als geistig bezeichnen, so bewegt sich doch
zwischen diesen Grenzfällen eine Mannigfaltigkeit von Erscheinungen, deren
Zuordnung entweder an den Körper oder an den Geist nicht ohne weiteres
gelingt. Aber hierdurch werden Hypostasierungen, wie Steiner sie vornimmt, noch
keineswegs gerechtfertigt.
Die genauere Gliederung der menschlichen Wesenheit erfolgt deutlich erkennbar
und Steiner völlig bewußt nach der S i e b e n z a h 1: ,,Wie das
Licht in sieben Farben, der Ton in sieben Stufen erscheint, so die einheitliche
Menschennatur in den gekennzeichneten sieben Gliedern“ (43), nämlich:
1. physischer Leib, 2. Äther- oder Lebensleib, 3. Astralleib, 4. Ich, 5.
Geistselbst, 6. Lebensgeist, 7. Geistmensch. Daß allen Ernstes von sieben
Farben- und Tonstufen gesprochen wird, ist schier unbegreiflich. Aber diese
Bevorzugung der Sieben begegnet uns immer wieder, bei der Einteilung der Individualentwicklung
in siebenjährige Epochen, bei der Aufzählung der Erdverkörperungen,
in dem Aufbau der Einweihungsstufen, in der Unterscheidung von Regionen des
Geisterlandes usf. Daneben stehen Gliederungen nach der Dreizahl oder nach der
Neunzahl, zum Beispiel in der Annahme von neun Hierarchien, die jedoch nicht
durchgängig festgehalten ist. Die Neunzahl ist den Griechen, also einem
indogermanischen Volke, heilig: der griechischen Philosophie entstammt überhaupt
die allgemeine Vorstellung von Zahlen und Zahlenverhältnissen als den Grundlagen
aller Ordnung im Weltall. Die Vorliebe für die Sieben weist auf den Orient
und wurzelt in Religion und Kultur Babylons. Ihre Bedeutung ist früher
— zu Unrecht auf die Dreizahl zurückgeführt worden, auf die
Zahl der heiligen Dreieinigkeit im Christentum, die aber schon in Babylonien
als heilige Zahl geachtet war: ,,Die Alten teilten die Hauptwirkungen der Natur
in sieben Klassen ein; . . . Sie verstunden dadurch das Geheimnis der siebenten
Zahl, welche aus drei und vier zusammengesetzt ist, oder die Vereinigung des
Geistigen mit dem Körperlichen“. Wir wissen jetzt, daß die
Sieben vielmehr als die stetig wiederkehrende Zahl der Tage der Mondphasen zum
Sinnbild der unwandelbaren heiligen Ordnungen geworden ist. In der spätbabylonischen
Religion hat dann auch die Sieben als Zahl der Planetengötter eine hervorragende
Rolle gespielt; von daher sind wahrscheinlich die gnostischen Systeme in ihrer
Lehre von den sieben Archonten beeinflußt. Jüdische und christliche
Religion, Kabbala, theosophierende Mystiker des 16. und 17. Jahrhunderts sind
dem Zauber der Zahlensymbolik und vor allem der Heptade erlegen. Aus allen diesen
Quellen konnte Steiner die Anthroposophie speisen. Für ihn liegt die Bedeutung
der Zahlen-spekulationen offenbar in einem Doppelten. Einerseits bewirkt sie
eine Verbindung zur Überlieferung, die Steiner zwar häufig genug zu
mißachten scheint, ja abstreitet, um die Ursprünglichkeit seiner
Lehre zu retten, die er aber tatsächlich hochhält, weil sie der Anthroposophie
den Anstrich uralter Weisheit leiht. Andererseits gibt sie dem anthroposophischen
System das Gepräge des Errechenbaren, der mathematischen Gültigkeit
und damit das Aussehen einer naturwissenschaftlich gesicherten Weltanschauung.
Überdies sind die heiligen Zahlen vom Zauber des Geheimnisses umweht: Grund
genug, sie mit Liebe zu pflegen, um durch sie Köpfe und Sinne zu gewinnen.
Die Gestaltung des Menschen, die Herausbildung der verschiedenen Glieder seiner
Wesenheit ist nun nach anthroposophischer Meinung in geheimnisvoller Weise abhängig
von der Entwicklung der Erde und von ihren Vorverkörperungen. Aus der Saturnphase
stammt die erste Anlage des physischen Menschenleibes, des ,,mineralischen Leibes“,
der unorganische Kräfte in sich vereinigt und als die zum Stoff entäußerte
Kraft das Gegenbild des Göttlichen darstellt. Die Sonnenphase lieferte
die Anlage zum Ätherleib oder Bilde-Kräfte-Leib, der die mineralischen
Bestandteile des Körpers hindert, ihre eigenen Wege zu gehen; er bestimmt
Fortpflanzung, Wachstum, Ernährung, ist Träger des Temperaments und
Charakters, der allgemeinen Volkseigenschaften, der Erinnerung. In der Mondphase
bildet sich der Astralleib, jene Kraft, die den Ätherleib mit Bewußtsein
durchleuchtet. Vom physischen Leib vermag er sich ganz, vom Ätherleib bis
auf einen gewissen Zusammenhang zu lösen. Während des Schlafes trennt
er sich vom Menschen. ,,Seine Wachleistung vollbringt der Astralleib innerhalb
des physischen Leibes; im Schlafe arbeitet er an diesem von außen.“
(Geheimwissenschaft, S. 51). Da er während dieser ,,Trennung von den Sinnesorganen
des physischen Leibes seine Bilder nicht auf die richtigen Gegenstände
und Vorgänge der äußeren Umgebung beziehen kann“ (58),
so werden die Traumbilder willkürlich und widersinnig.
Wie der Schlaf, so ist auch der Tod eine ,,Änderung im Zusammenhange der
Glieder des Menschenwesens“ (58). Der Ätherleib trennt sich vom physischen
Leibe, bleibt aber mit dem Astralleib noch zusammen, für eine Zeitdauer,
die bei verschiedenen Menschen verschieden ist. Während des Zustandes der
Vereinigung beider Leiber — ohne den körperlichen — nimmt der
Mensch die Erlebnisse des Astralleibes wahr: in einem Erinnerungsbilde breitet
sich das verflossene Leben zwischen Geburt und Tod vor ihm aus (61). Endlich
lösen sich auch Äther- und Astralleib voneinander. — Bei Lebzeiten
erfolgt nur höchst selten eine Trennung des Ätherleibes vom physischen
Leibe, bei gleichzeitiger Verbundenheit mit dem Astralleib; nämlich nur,
wenn ein Glied ,,eingeschlafen“ ist (man denke!) oder durch einen großen
Schreck, etwa bei Lebensgefahr. — Im Astralleib bleibt nun alles vorhanden,
was während seines Aufenthalts im Körper zu seinem Besitz geworden
ist (64). Auch die nicht ausgelöschten Begierden nach Genüssen der
äußeren Welt wohnen dem Ich nach dem Tode noch inne. Davon muß
es befreit werden, und zwar durch ein Läuterungsfeuer, das ,,verzehrende
Feuer des Geistes“ (69). Die Läuterungszeit beträgt etwa ein
Drittel der zwischen Geburt und Tod verflossenen (72). Diese gewissenhafte —
wenn auch nicht nachprüfbare — Berechnung des Lebens im Jenseits
berührt uns fast komisch: ein mit zwanzig Jahren Gestorbener braucht also
sieben, ein mit achtzig Jahren Gestorbener siebenundzwanzig Läuterungsjahre.
Ob solche Zeiten im Jenseits denselben Sinn haben wie auf Erden? Und ob nicht
gerade die Alten in diesem Leben sich so weit geläutert haben, daß
sie dafür später weniger Zeit brauchen sollten als die jung Verstorbenen?
Wie dem auch sei: erst wenn das läuternde Feuer seine Wirkung geübt
hat, kann der Mensch sich ganz der Welt des Geistes hingeben. Es zerfällt
nun auch der Teil des Astralleibes, der noch durch jenes ,,Anziehungsband“
der Begierden (68) an die äußere Welt geknüpft war. ,,Für
die Geheimwissenschaft gibt es somit drei Leichname, den physischen, den ätherischen
und den astralischen“ (72). Das Ich wird jetzt in eine Welt von Wesen
gleicher Art versetzt, in das ,,Geisterbuch“ (78 ff., auch: Theosophie,
S. 102 ff.), wo ihm die Kräfte entgegentreten, die im Leben zwischen Geburt
und Tod nur der Hellseher erschaut, die höheren Hierarchien. Nach einiger
Zeit gliedert sich dann abermals ein Astralleib um das Ich herum. ,,Der Mensch
kann wieder durch eine Geburt gehen und in einem erneuten Erdendasein erscheinen,
das nur in sich eingegliedert hat die Frucht des früheren Lebens“
(Geheimwissenschaft, S. 85).
In Verbindung mit den ,,kosmischen Tatsachen“ gesehen, ist dies Leben
zwischen Tod und neuer Geburt, diese ,,leibfreie Zeit des Ich“ ein Hindurchgehen
der Menschenseele durch die ,,planetarischen Sphären“, wobei sie
immer größer wird und sich hinausbewegt in die Weiten des Weltenraums.
(Vgl. S. 242.) Wir werden nacheinander Mond-, Venus-, Merkur-, Sonnen-, Mars-,
Jupiter- und Saturnbewohner, dann Bewohner des eigentlichen Sternenhimmels,
,,um uns dann wieder aus diesen Welten zusammenzuziehen, um uns durch irgendein
Elternpaar wieder neu zu verkörpern.“ In der Regel erfolgt die Rückkehr
des Ich in die physisch-sinnliche Welt dann, wenn diese sich so umgestaltet
hat, daß es Neues erleben kann, nämlich nach etwa 2100 Jahren. Doch
finden in diesem Zeitraum gewöhnlich zwei Verkörperungen statt, als
Mann und als Frau (427), wegen der verschiedenen Erlebnisweise beider Geschlechter.
Und diese Wiederverkörperung oder Reinkarnation wiederholt sich. Einem
immer tieferen Sterben folgt ein immer höheres Erwachen. Der Mensch vervollkommnet
sich allmählich durch eine Reihe von Erdenleben hindurch. Die Taten eines
neuen Lebens sind in gewisser Weise durch die des vorigen mitbestimmt; diese
wirken als gestaltende Kräfte in dem Zwischendasein zwischen zwei Verkörperungen
(104). Dieser Zusammenhang eines früheren Daseins mit einem späteren
untersteht dem Gesetz des Schicksals, dem Karma, das also bestimmt werden kann
als das Gesetz des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung in der höheren
geistigen Welt (87). Für seine Wiederverkörperungslehre beruft Steiner
sich auf Immanuel Hermann F i c h t e s Anthropologie: ,,J e d e r präexistiert
nach seiner geistigen Grundgestalt, denn geistig betrachtet gleicht kein Individuum
dem andern, so wenig als die eine T i e r s p e z i e s einer der übrigen.“
(Anthropologie, S. 542.) Es liegt ein weiter Schritt zwischen d i e s e r Präexistenzvorstellung
und Steiners Ausmalung und Ausschmückung der wiederholten Erdenleben. Eine
ähnliche Umdeutung, ja Mißdeutung fremder Meinung zu seinen Gunsten
ist auch da zu beobachten, wo Steiner Johann Gottlieb F i c h t e als Gleichgesinnten
und Gewährsmann heranzieht. Reinkarnation und Karma können nur durch
intuitive Erkenntnis ,,sachgemäß erforscht“ werden. Unser Karma
ist in die allgemeine Weltastralität eingeschrieben und kann vom Hellseher
aus ihr abgelesen werden. — Gegen die anthroposophische Karmalehre hat
T r a u b einen stichhaltigen Einwand vorgebracht: ,,Solange ich mich nicht
an mein früheres Leben und die darin vollbrachten Taten erinnere, kann
ich mich auch nicht dafür verantwortlich fühlen. Eine Schuld, von
der ich nichts weiß und nichts wissen kann, ist in Wirklichkeit gar keine
Schuld.“ Erlösung etwa im christlichen Sinne ist bei diesem ,,Gesetz
des Schicksals“ natürlich unmöglich; denn es kennt keine Reue
über bewußte und unbewußte Verfehlungen. — Von dem Grundsatz
aus, daß alles Seelische aus Seelischem entsteht und nur daraus zu erklären
ist, will Steiner die Gesetze von Reinkarnation und Karma als ,,naturwissenschaftliche
Notwendigkeit“ darlegen. Man fragt sich erstaunt, weshalb er diese Anpassung
an unsere Wissenschaft sucht, da er doch alle wissenschaftliche Notwendigkeit
als gleichgültig beiseite wirft, sobald sie zu seiner Widerlegung führt.
S.452-460
Aus: Max Dessoir, Vom Jenseits der Seele, Die Geheimwissenschaften
in kritischer Betrachtung
Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, Unveränderter Nachdruck der sechsten
Auflage
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