Charles Robert Darwin (1809 – 1882)
Britischer Biologe.
Darwin ist der Begründer der Selektionstheorie (Darwinismus), die der von Jean Baptiste de Lamarck aufgestellten
Hypothese der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Lebewesen durch Umwelteinflüsse (Lamarckismus) zur Seite trat und der Katastrophentheorie von George Cuvier entgegen gestellt wurde.
Er fand heraus, dass die geographische Verteilung der Organismen und die paläontologischen Daten eine
Evolution der Organismen nahelegen. Seine Ideen wirkten umwälzend und regten eine Fülle von einschlägigen Untersuchungen an. Die
Evolutionstheorie steht heute wie damals im Mittelpunkt der Biologie und hat auf geistesgeschichtlichem Gebiet bis in die Politik hinein stark
eingewirkt. Siehe auch Wikipedia , Kirchenlexikon und Projekt Gutenberg |
Inhaltsverzeichnis
Das göttliche Element in der natürlichen Zuchtwahl
Wirkt der Schöpfer vermöge intellektueller Kräfte ähnlich denen des Menschen?
Es liegt ein einheitlicher Bauplan zugrunde
Entstehen neuer und Vergehen alter Arten
Das
göttliche Element in der natürlichen Zuchtwahl
Man hat gesagt, ich spreche von der natürlichen Zuchtwahl
wie von einer tätigen Macht oder Gottheit; wer wirft aber einem
Schriftsteller vor, wenn er von der Anziehung redet, welche die Bewegung der
Planeten regelt? Jedermann weiß, was damit gemeint und was unter solchen
bildlichen Ausdrücken verstanden wird; sie sind ihrer Kürze wegen
fast notwendig. Eben so schwer ist es, eine Personifizierung des Wortes Natur
zu vermeiden; und doch verstehe ich unter Natur bloß die vereinte Tätigkeit
und Leistung der mancherlei Naturgesetze, und unter Gesetzen die nachgewiesene
Aufeinanderfolge der Erscheinungen. Bei ein wenig Bekanntschaft mit der Sache
sind solche oberflächliche Einwände bald vergessen. […]
Ich sehe keinen triftigen Grund, warum die in diesem Bande aufgestellten Ansichten
gegen irgend Jemandes religiöse Gefühle verstoßen sollten. Es
dürfte wohl beruhigen, (da es zeigt, wie vorübergehend derartige Eindrücke
sind), wenn wir daran erinnern, dass die größte Entdeckung,
welche der Mensch jemals gemacht, nämlich das Gesetz der Attraktion oder
Gravitation, von Leibnitz auch angegriffen worden ist, »weil es die natürliche
Religion untergrabe und die offenbarte verleugne.« Ein berühmter
Schriftsteller und Geistlicher hat mir geschrieben, »er
habe allmählich einsehen gelernt, dass es eine ebenso erhabene Vorstellung
von der Gottheit sei, zu glauben, dass sie nur einige wenige der Selbstentwicklung
in andere und notwendige Formen fähige Urtypen geschaffen, wie daß
sie immer wieder neue Schöpfungsakte nötig gehabt habe, um die Lücken
auszufüllen, welche durch die Wirkung ihrer eigenen Gesetze entstanden
seien.«
Aus: Charles Darwin: Über die Entstehung der
Arten S. 187, 1049), Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis
Nietzsche
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Wirkt
der Schöpfer vermöge intellektueller Kräfte ähnlich denen
des Menschen?
Man kann kaum vermeiden, das Auge mit einem Teleskop zu vergleichen. Wir wissen,
dass dieses Werkzeug durch lang fortgesetzte Anstrengungen der höchsten
menschlichen Intelligenz verbessert worden ist, und folgern natürlich daraus,
dass das Auge seine Vollkommenheit durch einen ziemlich analogen Prozess erlangt
habe. Könnte aber dieser Schluss nicht voreilig sein? Haben wir ein Recht,
anzunehmen, der Schöpfer wirke vermöge intellektueller
Kräfte ähnlich denen des Menschen? Sollten wir das Auge einem
optischen Instrumente vergleichen, so müssten wir in Gedanken eine dicke
Schicht eines durchsichtigen Gewebes nehmen, mit von Flüssigkeit erfüllten
Räumen und mit einem für Licht empfänglichen Nerven darunter,
und dann annehmen, dass jeder Teil dieser Schicht langsam aber unausgesetzt
seine Dichte verändere, so dass verschiedene Lagen von verschiedener Dichte
und Dicke in ungleichen Entfernungen von einander entstehen, und dass auch die
Oberfläche einer jeden Lage langsam ihre Form ändere. Wir müssten
ferner annehmen, dass eine Kraft, durch die natürliche Zuchtwahl oder das
Überleben des Passendsten dargestellt, vorhanden sei, welche aufmerksam
auf jede geringe zufällige Veränderung in den durchsichtigen Lagen
achte, und jede Abänderung sorgfältig erhalte, welche unter veränderten
Umständen in irgend einer Weise oder in irgend einem Grade ein deutlicheres
Bild hervorzubringen geschickt wäre. Wir müssten annehmen, jeder neue
Zustand des Instrumentes werde millionenfach vervielfältigt, und jeder
werde so lange erhalten, bis ein besserer hervorgebracht sei, dann würden
aber die alten sämtlich zerstört. Bei lebenden Körpern bringt
die Abänderung jene geringen Verschiedenheiten hervor, die Zeugung vervielfältigt
sie fast in's Unendliche und die natürliche Zuchtwahl findet mit nie irrendem
Takte jede Verbesserung heraus. Denkt man sich nun diesen Prozess Millionen
Jahre lang und jedes Jahr an Millionen von Individuen der mannigfaltigsten Art
fortgesetzt: sollte man da nicht erwarten, dass das lebende
optische Instrument endlich in demselben Grade vollkommener als das gläserne
werden müsse, wie des Schöpfers Werke überhaupt vollkommener
sind, als die des Menschen? S. 388 ff.
Aus: Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten, Digitale Bibliothek
Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
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Es
liegt ein einheitlicher Bauplan zugrunde
GEOFFROY SAINT-HILAIRE hat mit großem Nachdruck die große Wichtigkeit
der wechselseitigen Lage oder Verbindung der Teile in homologen Organen hervorgehoben;
die Teile mögen in fast allen Abstufungen der Form und Grösse abändern,
aber sie bleiben fest in derselben Weise miteinander verbunden. So finden wir
z. B. die Knochen des Ober- und des Vorderarms oder des Ober- und Unterschenkels
nie umgestellt. Daher kann man den homologen Knochen in ganz verschiedenen Tieren
denselben Namen geben. Dasselbe große Gesetz tritt in der Mundbildung
der Insekten hervor. Was kann verschiedener sein, als der ungeheuer lange Spirale
Saugrüssel eines Abendschmetterlings, der sonderbar zurückgebrochene
Rüssel einer Biene oder Wanze und die großen Kiefer eines Käfers?
Und doch werden alle diese zu so ungleichen Zwecken dienenden Organe durch unendlich
zahlreiche Modifikationen einer Oberlippe, Oberkiefer und zweier Paar Unterkiefer
gebildet. Dasselbe Gesetz herrscht in der Zusammensetzung des Mundes und der
Glieder der Kruster. Und ebenso ist es mit den Blüten der Pflanzen.
Nichts hat weniger Aussicht auf Erfolg, als ein Versuch, diese Ähnlichkeit
des Bauplanes in den Gliedern einer nämlichen Klasse mit Hilfe der Nützlichkeitstheorie
oder der Lehre von den endlichen Ursachen zu erklären. Die Hoffnungslosigkeit
eines solchen Versuches ist von OWEN in seinem äußerst interessanten
Werke »On the Nature of Limbs« ausdrücklich anerkannt worden.
Nach der gewöhnlichen Ansicht von der selbständigen Schöpfung
einer jeden Spezies lässt sich nur sagen, dass es so ist und dass es dem
Schöpfer gefallen hat, alle Tiere und Pflanzen in jeder großen Klasse
nach einem einförmig geordneten Plane zu bauen; das ist aber keine wissenschaftliche
Erklärung.
Dagegen ist die Erklärung nach der Theorie der natürlichen
Zuchtwahl aufeinanderfolgender geringer Abänderungen,
deren jede der abgeänderten Form einigermaßen nützlich ist,
welche aber in Folge der Korrelation oft auch andere Teile der Organisation
mit berühren, in hohem Grade einfach. Bei Abänderungen dieser Art
wird sich nur wenig oder gar keine Neigung zur Änderung des ursprünglichen
Bauplanes oder zur Versetzung der Teile zeigen. S.
954 ff.
Aus: Charles Darwin: Über die Entstehung der
Arten, Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
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Entstehen
neuer und Vergehen alter Arten
Schriftsteller ersten Rangs scheinen vollkommen von der Ansicht befriedigt zu
sein, dass jede Art unabhängig erschaffen worden ist. Nach meiner Meinung
stimmt es besser mit den der Materie vom Schöpfer eingeprägten Gesetzen
überein, dass das Entstehen und Vergehen früherer und jetziger Bewohner
der Erde durch sekundäre Ursachen veranlasst werde denjenigen gleich, welche
die Geburt und den Tod des Individuums bestimmen. Wenn ich alle Wesen nicht
als besondere Schöpfungen, sondern als lineare Nachkommen einiger wenigen
schon lange vor der Ablagerung der cambrischen Schichten vorhanden gewesenen
Vorfahren betrachte, so scheinen sie mir dadurch veredelt zu werden. Und nach
der Vergangenheit zu urteilen, dürfen wir getrost annehmen, dass nicht
eine einzige der jetzt lebenden Arten ihr unverändertes Abbild auf eine
ferne Zukunft übertragen wird. Überhaupt werden von den jetzt lebenden
Arten nur sehr wenige durch irgend welche Nachkommenschaft sich bis in eine
sehr ferne Zukunft fortpflanzen; denn die Art und Weise, wie alle organischen
Wesen im Systeme gruppiert sind, zeigt, dass die Mehrzahl der Arten einer jeden
Gattung und alle Arten vieler Gattungen keine Nachkommenschaft hinterlassen
haben, sondern gänzlich erloschen sind. Wir können insofern einen
prophetischen Blick in die Zukunft werfen und voraussagen, dass es die gemeinsten
und weit verbreitetsten Arten in den großen und herrschenden Gruppen einer
jeden Klasse sein werden, welche schließlich die anderen überdauern
und neue herrschende Arten liefern werden. Da alle jetzigen Lebensformen lineare
Abkommen derjenigen sind, welche lange vor der cambrischen Periode gelebt haben,
so können wir überzeugt sein, dass die regelmäßige Aufeinanderfolge
der Generationen niemals unterbrochen worden ist und eine allgemeine Flut niemals
die ganze Welt zerstört hat. Daher können wir mit Vertrauen auf eine
Zukunft von gleichfalls unberechenbarer Länge blicken. Und da die natürliche
Zuchtwahl nur durch und für das Gute eines jeden Wesens wirkt, so wird
jede fernere körperliche und geistige Ausstattung desselben seine Vervollkommnung
zu fördern streben.
Es ist anziehend, eine dicht bewachsene Uferstrecke zu betrachten, bedeckt mit
blühenden Pflanzen vielerlei Art, mit singenden Vögeln in den Büschen,
mit schwärmenden Insekten in der Luft, mit kriechenden Würmern im
feuchten Boden, und sich dabei zu überlegen, dass alle diese künstlich
gebauten Lebensformen, so abweichend unter sich und in einer so komplizierten
Weise von einander abhängig, durch Gesetze hervorgebracht sind, welche
noch fort und fort um uns wirken. Diese Gesetze, im weitesten Sinne genommen,
heißen: Wachstum mit Fortpflanzung; Vererbung, fast in der Fortpflanzung
mit inbegriffen, Variabilität in Folge der indirekten und direkten Wirkungen
äußerer Lebensbedingungen und des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs;
rasche Vermehrung in einem zum Kampfe um's Dasein und als Folge dessen zu natürlicher
Zuchtwahl führenden Grade, welche letztere wiederum die Divergenz des Charakters
und das Erlöschen minder vervollkommneter Formen bedingt. So geht aus dem
Kampfe der Natur, aus Hunger und Tod unmittelbar die Lösung des höchsten
Problems hervor, das wir zu fassen vermögen, die Erzeugung immer höherer
und vollkommenerer Tiere. Es ist wahrlich eine großartige
Ansicht, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens,
das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und dass, während unser Planet den strengsten Gesetzen
der Schwerkraft folgend sich im Kreise geschwungen, aus so einfachem Anfange
sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt
hat und noch immer entwickelt.
Aus: Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten (S1064f.), Digitale
Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
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