Sebastian Castellio (1515 -1563)

Schweizer Humanist und Theologe, der ein glühender Verfechter der Glaubensfreiheit und religiösen Toleranz war. In deutlichen Worten legte er dar, dass sich Verfolgungen, Folterungen und Verbrennungen von so genannten »Ketzern« unter gar keinen Umständen mit dem richtig verstandenen christlichen Glauben vereinbaren lassen, sondern dass es sich Gegenteil dabei um Satanswerke handele, mit denen Christi Liebesbotschaft ad absurdum und unglaubwürdig gemacht werden soll. Castellio war zunächst mit Calvin freundschaftlich verbunden, konnte sich allerdings mit seiner Prädestinationslehre nicht befreunden. Als der spanische Theologe Michael Servet auf Veranlassung Calvins wegen Ketzerei zum Tode verurteilt wurde und diese grausame Verbrennung auch noch schriftlich rechtfertigte, brach Castellio mit Calvin endgültig und verfasste eine Schrift, in der er klare Toleranzregeln aufstellte und die Ermordung Andersdenkender als nicht hinnehmbare abscheuliche Verbrechen brandmarkte. Castellio war wie Servet überzeugter Antitrinitarier.

Siehe auch Wikipedia
und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis

Der Schrei nach Duldung
Über die Kunst des Zweifelns

  Über die Trinität
Vom Glauben, dass er eine Sache des Wollens, nicht des Verstandes ist
 

Der Schrei nach Duldung
Wenn wir uns beherrschen würden, könnten wir friedlich miteinander leben; denn möchten wir auch uneins sein in andern Fragen, so wurden wir doch übereinstimmen in der gegenseitigen Liebe, welche das Band des Friedens ist, bis wir zur Glaubenseinheit gelangen. Solang wir aber einander mit Hass und Verfolgung bekämpfen, werden wir, so handelnd, von Tag zu Tag tiefer sinken und unsern eigentlichen Dienst immer ärger versäumen. Indem wir einander verdammen, wird das Evangelium durch unsere Schuld vor den Heiden diskreditiert; denn wenn sie sehen, wie unter uns die Einen auf die Andern losfahren, den Bestien gleich, und die Schwächeren durch die Stärkeren unterdrückt werden, so werden sie das Evangelium verabscheun, wie wenn das Evangelium die Menschen so machen würde, und werden Christus verabscheun, als hätte er diese Dinge angeordnet, so dass bei solcher Aufführung viel eher wir zu Türken und Juden werden, als dass sie sich zu Christen machen lassen.

Denn wer könnte den Wunsch haben, Christ zu werden, wenn er sieht, dass die, welche den Christennamen bekennen, von andern Christen gemordet werden mit Feuer, mit Wasser, mit Schwert ohne Erbarmen und ärger malträtiert werden als die Räuber und Mörder. Wer müsste da nicht denken, Christus sei wahrscheinlich eine Art Moloch oder ähnlicher Gott, wenn er will, dass die Menschen ihm zu Ehren abgeschlachtet oder lebendig verbrannt werden. Wer möchte wohl Christ werden unter der fatalen Bedingung, dass er, wenn er jetzt inmitten der vielen Kontroversen in irgend etwas nicht übereinstimmt mit denen, welche die Macht und Herrschaft über die Andern besitzen, dass er dann lebendig verbrannt werden soll, auf Befehl Christi, ob er auch mit lauter Stimme mitten aus den Flammen zu Christus rufen und seinen Glauben an Christus beteuern würde! Nimm den Fall, dass Christus, der Richter über alle, zugegen wäre und das gleiche Urteil spräche und selbst Feuer anlegen würde, wer müsste dann nicht Christus für den Satan halten? Denn was könnte der Satan anderes tun, als eben diejenigen, welche den Namen Christi anrufen, zu verbrennen!

O Christus, Schöpfer und König der Welt, siehst du diese Dinge? Bist du denn ein so total anderer geworden, als du einst warst, so grausam und dir selbst widersprechend? Als du noch auf Erden warst, gab es nichts Milderes, Sanfteres, Versöhnlicheres; wie ein Schaf vor seinem Scherer, hast du keinen Laut von dir gegeben, obgleich du von Schlägen zerrissen, angespien, verspottet, mit Dornen gekrönt, gekreuzigt wurdest, zwischen Verbrechern, in äußerster Schande; da hast du noch gebetet für die, welche dir dieses Unrecht und diese Schmach angetan haben. Bist du jetzt völlig verwandelt? Ich beschwöre dich beim heiligen Namen deines Vaters, ob du wirklich befiehlst, dass die, welche deine Gebote und Weisungen anders auffassen, als unsere Meister es fordern, unter Wasser getaucht, mit Stockschlägen bis auf die Knochen zerfleischt, dann mit Salz bestreut, mit Schwertern verletzt, auf schwachem Feuer gebraten und mit allen möglichen Todesqualen so lang als möglich gemartert werden sollen?

O Christus,
befiehlst du und billigst du diese Dinge? Die diese Opfer darbringen, sind sie wirklich deine Stellvertreter bei dieser Schlächterarbeit? Erscheinst du, wenn man dich anruft, zu dieser grausamen Schlächterei und sättigst dich an Menschenfleisch? Wenn du, Christus, diese Dinge tust oder sie zu tun befiehlst, was hast du dann dem Teufel noch Böses zu tun übrig gelassen? Betreibst du das gleiche Handwerk wie der Teufel?

Oh, greuliche Lästerung! Oh, verruchte Frechheit der Menschen, dass sie Christus Dinge zuschreiben, die in Wirklichkeit nur auf Befehl und Anstiften des Satans geschehen können!
S. 321-323
Aus: Jakob Studer, Für alle Tage, Ein christliches Lesebuch, Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich

Über die Kunst des Zweifelns (1563)
Zweites Buch
Im vorangehenden Buch haben wir unter anderem ganz allgemein gezeigt, dass man über die Fragen, die unter die Sinne und unter die Vernunft fallen, mittels der Sinne und der Vernunft urteilen muss. Daraufhin ist nun im Einzelnen zu zeigen, welches diese Fragen sind. Denn es geht nicht an, über sie im allgemeinen zu reden, da viele Gelehrte gewisse Fragen, von denen wir hoffentlich klarmachen werden, dass sie ganz und gar unter das Urteil der Sinne und der Vernunft fallen müssen, den Sinnen und der Vernunft entziehen und sie allein auf Grund der Schrift behandelt haben wollen.

Wir erfahren dabei in der Weise, dass wir zunächst bei jeder zur Debatte gestellten Frage ihre Vernunftgemäßheit erörtern. Dann verbinden wir mit der Vernunft die Belege aus der Heiligen Schrift. Schließlich widerlegen wir, was dagegen gesagt zu werden pflegt und dagegen gesagt werden kann — freilich nicht alles (wer nämlich vermag es oder hält es für nötig, alles zu bedenken oder herauszufinden?), sondern das Wichtigste und, was derart ist, dass wir, wenn es widerlegt ist, im übrigen ein leichtes Spiel haben werden. Davor aber möchte ich den Leser gewarnt haben: dass die Starrköpfigen, die immer noch hartnäckiger auf die Worte der Heiligen Schrift pochen, auch wenn sie die irrigste Meinung vertreten, diese nicht herauspressen können. Daher rufen wir, wenn wir diese widerlegen, nach gerechteren Lesern und verlangen nach solchen, die einsichtig sind und nicht die Sache den Worten, sondern die Worte der Sache untergeordnet sein lassen.

Wir behandeln allerdings nicht alle Fragen, sondern diejenigen, deren Behandlung uns am nötigsten erscheint und in denen heute so hartnäckige Kämpfe entbrannt sind, dass die einen die andern deswegen, ich möchte nicht sagen: verdammen und angreifen, sondern: sofern sie es können, in die ewigen Qualen der Hölle hinabstürzen. Ja, nicht einmal diese Fragen alle! Denn es sind doch in unserer Zeit einige Fragen so eifrig behandelt und so ausführlich erörtert worden und in der letzten Zeit sind die Irrtümer darin so sonnenklar widerlegt worden, dass ich denjenigen, der unter Kenntnis dieser sachlichen Erörterungen trotzdem auf den Irrtümern beharrt, für einen hoffnungslosen Fall von Hartnäckigkeit halte. Er gehört zu denen, von denen ich im vorangehenden Buch gesagt habe, dass sie, weil ihre Augen verschlossen sind, nicht erleuchtet werden können. Wir unterscheiden aber zwei Arten von Fragen, wie wir sie schon zuvor berührt haben: die einen, die als ganze oder teilweise von den Sinnen und der Vernunft beurteilt werden können; die andern, die nicht von den Sinnen und der Vernunft beurteilt werden können.

Über die Trinität
Damit wir also auch hier, wie wir es schon im vorangehenden Buch taten, mit Gott den Anfang machen, sei zunächst die Frage der Trinität zur Debatte gestellt.

Dass es Gott gibt, wird mit der Vernunft begriffen, wie wir es am Anfang des vorangehenden Buches gezeigt haben und wie alle Heiden überzeugt gewesen sind, die der Vernunft gefolgt sind (wenn es nicht gerade ein ganz wildes Volk war, das den Wäldern und der Natur der Tiere nicht allzu fern stand). Aber ob es ein Gott oder mehrere Götter sind, das wird allerdings mit der Vernunft entweder nicht begriffen oder so schwer begriffen, dass fast alle Völker, obgleich mit Vernunft begabt, dennoch, weil sie die offenbarte göttliche Lehre nicht hatten, mehrere Götter verehrten. Aber das Kommen Christi, des Lichtes der Welt, hat bewirkt, dass Asien, Europa und Afrika (die damals als die drei Teile der Welt gedacht wurden) auch heute unter so vielen später aufgekommenen Irrtümern und Verbrechen dennoch fest glauben, dass Gott einer ist: so groß ist die Kraft des Lichtes, auch wenn es in der Dunkelheit scheint. Wenn daher im Glauben das angenommen worden ist, was niemand verneinen wird, dass nämlich Gott einer ist, dann ist es auf diesem Fundament erlaubt, mit der Vernunft nach der Trinität zu fragen, ob es sie gibt und was sie ist. Die Frage ist schwer, und über sie etwas Bestimmtes zu behaupten, ist gefährlich. Deshalb werde ich über sie nichts Sicheres sagen. Ich möchte hier lediglich ein kleines Gespräch eines gewissen Mannes zur Erörterung stellen, das noch nicht veröffentlicht ist, über dessen Wert der Leser urteilen mag, das ich aber der Erörterung für würdig erachte. Jener Mann hat sich mit folgenden Worten zum Gesprächspartner des Athanasianischen Bekenntnisses gemacht.

Athanasius:
Wer selig werden will, muss vor allem den katholischen Glauben halten. Wer diesen nicht unangetastet und unverletzt bewahrt, geht ohne Zweifel in Ewigkeit verloren.

Der gewisse: Der katholische Glaube muss also so geartet sein, dass alle ihn halten können und dass auch jene Zöllner und Huren (Matth. 21, 32), ja sogar jener Räuber, der am Kreuz hing, an Christus glaubte und gerettet wurde (Luk. 23, 40 ff.), ihn gehalten haben; sonst wären sie verloren gegangen.

Athanasius: Der katholische Glaube aber ist der, dass wir einen Gott in der Dreiheit und die Dreiheit in der Einheit verehren.

Der gewisse:
Dass allerdings dieser Glaube jenen Zöllnern und Huren bekannt gewesen ist, glaube ich nicht. Wenn du es glaubst, beweise es! In der Heiligen Schrift jedenfalls finde ich kein Wort darüber. Wenn du daher wahr schreibst, sind jene alle ohne Zweifel in Ewigkeit verloren gegangen, es sei denn, du hast vielleicht nicht über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft gesprochen. Aber es steht dir nicht zu, Athanasius, zu deinen Zeiten die Zeiten zu verändern und zu bewirken, dass, was vor dir zum Glauben nicht nötig gewesen ist, nach dir notwendig wird.

Weiter aber frage ich, wessen Einheit und Dreiheit du behauptest. Dreiheit ist nämlich eine Dreizahl, so dass, wenn du eine Dreiheit von Bänden nennst (ternio nennen es die lateinische Drucker, trias die griechischen), so versteht man darunter drei Bücher, und wenn du eine »Dekade« von Büchern nennst (was dieselbe Sprachform ist), so versteht man darunter zehn Bücher. Wessen Einheit und Dreiheit behauptest du also? Denn wenn es die Gottes ist, dann ist wohl dies deine Meinung:

Wir verehren einen Gott in einer Dreiheit von Göttern, das heißt in drei Göttern, und drei Götter in einem Gott. Diese Meinung wirst du, glaube ich, nicht gutheißen.

Wenn du aber die Einheit und Dreiheit der Personen behauptest, dann ist wohl dies deine Meinung: Wir verehren eine Person in drei Personen und drei Personen in einer Person. Auch das aber wirst du nicht zugeben. Du willst nämlich nicht, dass drei Personen eine Person sind, wie du im Folgenden zeigst.

Wenn du aber die Einheit und Dreiheit der Substanz behauptest, sind deine Worte so zu verstehen: Wir verehren eine Substanz Gottes in drei Substanzen und drei Substanzen in einer Substanz. Aber wenn das deine Meinung ist, gibt es drei Substanzen Gottes, das heißt drei Götter. Wenn sie aber so zu verstehen sind:

Wir verehren eine Substanz Gottes in drei Personen und drei Personen in einer Substanz, dann hast du ganz dunkel und völlig rätselhaft gesprochen. Das aber gehört sich nicht für einen, der das Bekenntnis eines Glaubens schreibt, den alle halten sollen. Was nämlich alle wissen sollen, muss so gesagt werden, dass es von allen verstanden werden kann.

Athanasius
: Wobei wir weder die Personen vermischen noch die Substanz trennen.

Der gewisse: Auch hier möchte ich wissen, was du »Personen« nennst. Wenn du nämlich den Begriff »Person« wie die Lateiner gebrauchst, wenn sie »die Person Caesars« für »Caesar« sagten, dann ist »Person« dasselbe wie »Substanz«, folglich hast du unangemessen geredet. Wenn du aber den Begriff »Person« so gebrauchst, dass wir sagen, im selben Menschen ist derjenige, der Bürger, Schneider und Vater ist, drei Personen, nämlich die des Bürgers, des Schneiders und des Vaters, dann hast du uns aus dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist ein und denselben gemacht. So kommt es, dass, weil Christus befohlen hat, die Menschen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen, es gerade so ist, als wenn er befohlen hätte, sie im Namen eines dreinamigen Gottes zu taufen. Das ist falsch und nicht weniger absurd, als wenn du sagtest, es sei etwas im Namen des Abrahamssohnes, des Isaaks und des Vaters des Jakob getan worden. Ebenso: weil Christus den Vater gebeten hat, habe er sich selber gebeten. Und weil der Vater den Sohn gezeugt hat, habe er sich selbst gezeugt. Und weil er den Sohn und den Heiligen Geist geschickt hat, habe er sich selbst geschickt. Dass dies alles unangemessen und falsch ist dürfte niemand leugnen.

Athanasius:
Eine andere nämlich ist die Person des Vaters, eine andere die des Sohnes, eine andere die des Heiligen Geistes. Aber die Göttlichkeit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes ist eine die Herrlichkeit die gleiche, die Majestät gleich ewig. Wie der Vater, so der Sohn, so der Heilige Geist. Unendlich ist der Vater, unendlich ist der Sohn, unendlich der Heilige Geist. Ewig ist der Vater, ewig der Sohn, ewig der Heilige Geist.

Der gewisse:
Dergleichen alles finde ich aber auch nirgends in der Heiligen Schrift, und du verlangst von uns mehr als Gott, der niemals befohlen hat, dass wir dieses glauben.

Athanasius: Und dennoch sind es nicht drei Ewige, sondern ein Ewiger, wie es nicht drei Unerschaffene oder drei Unendliche sind, sondern ein Unerschaffener und ein Unendlicher. Ähnlich ist der Vater allmächtig, der Sohn allmächtig, der Heilige Geist allmächtig. Und dennoch sind es nicht drei Allmächtige, sondern ein Allmächtiger. Daher Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist und dennoch nicht drei Götter, sondern Gott ist einer. Daher der Herr der Vater, der Herr der Sohn, der Herr der Heilige Geist und dennoch sind nicht drei Herren, sondern der Herr ist einer.

Der gewisse: Dies ist tatsächlich, als wenn du sagst: Der Greis Abraham, der Greis Isaak, der Greis Jakobus, und dennoch nicht drei Greise, sondern der Greis ist einer. Oder wie wenn du sagst: eine alte Palme, eine alte Zeder, eine alte Eiche und dennoch nicht drei alte, sondern eine alte. Fürwahr, damit ich das glaube, Athanasius, muss ich jeder Vernunft (die bei weitem die hervorstechendste Gabe Gottes ist und durch die der Mensch sich am stärksten vom Tier unterscheidet) den Abschied geben und, auf diese Weise in rohe Natur und Sinne verwandelt, gerade auf das verzichten, mittels dessen ich glaube. Glauben ist nämlich nur mittels Vernunft möglich, so dass, wer keine Vernunft hat, nichts glauben kann. Es gab einmal einen gewissen Sophisten Georgias, der zu behaupten wagte, dass von dem, was ist, nichts existiere. Mit Recht hat Isokrates diesen Wahnsinn verhöhnt. Aber du scheinst mir nicht weniger Unsinniges zu behaupten, der du leugnest, dass drei, von denen je einzeln gesagt wird. »dieser ist ewig«, drei Ewige sind. Mich aber haben Gott, die Natur und die Redensweise aller Völker, die Grammatik, Dialektik und Arithmetik gelehrt, dass drei drei sind und eins eins, und wenn es drei sind, ist es nicht eins, und wenn es eins ist, sind es nicht drei, und wer das leugnet, der scheint mir nicht belehrbarer zu sein als das Vieh.

Soweit jener gewisse. Ich stelle es lediglich zur Erwägung. Wenn ich meinerseits Athanasius verteidigen könnte, würde ich es tun. Aber ich bekenne wahrhaftig: ich kann es nicht. Wenn jemand es kann, mag er es von mir aus gerne tun. Es sei mir ferne, die Wahrheit mit Absicht zu unterdrücken! Was meinen Glauben anlangt, so glaube ich an einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, unsern Herrn, und an den Heiligen Geist. In diesem Glauben lebe ich und werde bis ans Ende, so Gott will, darin fortfahren und rede mir das ein, dass diejenigen, die diesen einfachen und, wie man glaubt, uns von den Aposteln überlieferten Glauben wirklich halten, auf dem Wege des Heils sind, auch wenn sie jene, ich weiß nicht was für Ungereimtheiten, die nach der Zeit der apostolischen Schlichtheit mit Eifer in die Kirche eingeführt worden sind, nicht halten und nicht glauben.

Wenn es welche mit so scharfem Geist gibt, dass sie das begreifen, was ich und meinesgleichen nicht begreifen, so ist es gut. Ich habe keinen Neid. Aber dieselbe Geistesschärfe von allen zu verlangen, die gerettet werden sollen, heißt, wie mir wenigstens scheint, den Weg des Heils dem größten Teil der Menschen zu verschließen.


Vom Glauben, dass er eine Sache des Wollens, nicht des Verstandes ist
Das nächste ist, dass wir über den Glauben sprechen. Dass der Glaube kein Wissen ist, wie gewisse Leute überliefern, haben wir oben dargelegt, und was das heißt, haben wir gezeigt. Auch kann das durch das Urteil der Vernunft selbst leicht begriffen werden. Alle, die mit Vernunft begabt sind, wissen nämlich genauso, was glauben ist, wie sie wissen, was sehen, hören, denken ist, wenn auch vielleicht eher aus Erfahrung als definitionsweise. Ich möchte ein Beispiel anführen, aus dem die Natur des Glaubens voll und wesentlich erkannt werden kann. Es stammt aus dem Johannesevangelium (Kap. 9), wo erzählt wird, wie Jesus jenen Blindgeborenen heilte, nämlich nachdem dessen Augen mit Kot bestrichen und ihm befohlen worden war, an den Teich Siloa zum Waschen zu gehen; als jener das getan hatte, sah er. Dass er, als es ihm befohlen war, ging, war Sache des Glaubenden, der nämlich glaubte, dass er sehen werde. Wenn er nämlich nicht geglaubt hätte wäre er nicht gegangen. Dass er aber, nachdem er mit Kot bestrichen war, sah, war Sache des Wissenden, der nämlich wusste, dass er sieht. Und damit hatte dieser sein Glaube ein Ende, nämlich mit dem Einsetzen des Wissens.

Der Glaube ist nämlich der Weg zum Wissen und er verschwindet, wenn das Wissen einsetzt. Ich glaube, es geschah auch nicht ohne eine geheime Absicht, dass Jesus ihm befahl, durch die Finsternisse, das heißt als bis jetzt Blinder, zu gehen. Es wird nämlich dadurch die Kraft des Glaubens gezeigt, der die Menschen durch die Finsternisse führt, das heißt als solche, die noch nicht wissen, was sie schon glauben. So wanderte Abraham, auf Befehl Gottes, an einen Ort, den er ererben sollte, ohne zu wissen, wohin er ging (Hebr. 11, 8; 1.Mos. 12, 1—4). So glaubte schließlich jener ganze Kranz von Zeugen, derer im Hebräerbrief gedacht wird, das, was sie nicht sahen. Und — um rasch zu Ende zu kommen — Petrus zeigt klar in seinem zweiten Brief, dass der Glaube nicht dasselbe ist wie das Wissen, sondern dass das Wissen vom Glauben ausgeht, wenn er sagt: »Erlangt durch euren Glauben Tugend und durch die Tugend Wissen« (2. Petr. 1,5).

Der Glaube aber hat seinen Sitz im Willen nicht weniger als die übrigen Dinge, die dem Menschen so wie der Glaube vorgeschrieben sind. Das kann durch Vernunft und Autorität bestätigt werden. Vernunft ist es, wenn wir sehen, »dass die Menschen leicht glauben, was sie wollen«, wie Julius Caesar sagt (Bell. Gall. III, 18, 6), und dass sie andererseits schwer glauben, was sie nicht wollen. Wenn dagegen der Glaube Sache des Verstandes, nicht des Willens wäre, würden sie genauso leicht glauben, was sie nicht wollen, wie, was sie wollen. Man versteht nämlich genauso leicht, was bitter ist, wie, was süß ist. Beispiele zu bringen, ist leicht. Wenn uns etwas Gutes oder Glückliches über Frau, Kinder oder Freunde erzählt wird, pflegen wir es sogleich zu glauben, auch wenn es keineswegs wahrscheinlich ist. Wenn es aber etwas Schlechtes ist, glauben wir es nur ungern, auch wenn es wahrscheinlich ist. Natürlich, weil wir ihr Gutes wollen, nicht aber ihr Unglück. Genauso wenn du einem kranken Trunkenbold sagst, die Krankheit sei durch seine Unmäßigkeit entstanden, wird er nicht leicht glauben. Wenn es aber durch verpestete Luft oder irgendeine andere Ursache gekommen sein soll, glaubt er es leicht.

Autorität bestätigt dies ebenfalls. Zunächst, weil dem Menschen das Glauben ebenso geboten oder verboten ist wie seine Eltern zu lieben, dem andern Gutes zu tun, Ehebruch zu begehen, zu stehlen oder dergleichen anderes. »Tut Buße«, sagt er, »und glaubt dem Evangelium« (Mark. 1, 15). Ebenso: »Was ihr von Gott erbittet, glaubt, dass ihr es erlangen werdet, und ihr werdet es erlangen« (Mark. 11, 24). Und in der Tat reden wir gewöhnlich so, wenn wir einem andern befehlen zu glauben oder nicht zu glauben. Außerdem berichtet die Heilige Schrift, dass der Glaube im Herzen ist. Wie bei Lukas: »Oh träges Herz zum Glauben« (Luk. 24, 25). Und in der Apostelgeschichte: »Wenn du von ganzem Herzen glaubst« (Apg. 8, 37). Und an die Römer: »Von Herzen glaubt man an die Gerechtigkeit« (Röm. 10, 10). Und an die Hebräer: »Ungläubiges Herz« (Hebr. 3, 12). Daraus wird deutlich, dass der Glaube wie die übrigen Teile der Gerechtigkeit im Herzen sitzt und deshalb eine Sache des Willens ist.
S. 378ff.
Aus: Der linke Flügel der Reformation. Herausgegeben von Heinold Fast
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias Schröder Band IV, Sammlung Dieterich Carl Schünemann Verlag Bremen