Carl Gustav Carus (1789 – 1869)
Deutscher
Arzt, Naturforscher, Philosoph und Maler, der 1814-24 als Professor
in Dresden lehrte und seit 1827 königlicher Leibarzt war. Carus war
ein Vertreter der romantischen Naturphilosophie. Seine Ausdruckskunde (»Symbolik
der menschlichen Gestalt«) wurde von Ludwig Klages wieder aufgegriffen.
Als Maler (Autodidakt) schuf er Landschaftsbilder, die stilistisch von Capar
David Friedrich beeinflusst sind. Siehe auch Wikipedia |
Inhaltsverzeichnis
Das Verhältnis der Seele zu Gott
Was im Unbewussten und Bewussten der Seele vergänglich und was ewig darin ist (geplant)
Das
Verhältnis der Seele zu Gott
Das letzte und zugleich das erste, das höchste und zugleich das innigste
aller Verhältnisse der Seele ist endlich das Verhältnis
der Seele zu Gott. Auch dieses teilt sich sogleich und notwendig
in ein unbewusstes und ein bewusstes.
»In ihm leben, weben und sind wir«,
ist der alte, wahre und ewige Spruch, der uns mit einem Male zuerst das
unbewusste Verhältnis der Seele zu Gott vollkommen vergegenwärtigen
muss! – Streng genommen, lässt sich auch eigentlich diesem Satze:
»in ihm leben, weben und sind wir« etwas Weiteres gar nicht zusetzen,
wenn eben von dem unbewussten Verhältnisse die Rede ist; denn jenes höchste,
ewige Mysterium, jenes offenbare Geheimnis der Gottheit, welches mich
selbst als Atom im Unendlichen, Unermesslichen erschafft, erhält, durchdringt,
belebt und aus einem Unbewussten und Gebundenen zu einem Bewussten und in sich
Freien erwachsen lässt, wir sind ihm von Anfang an so eigen und so durch
und durch eingeweiht und einvereint, dass das »Verhältnis«
hier zu einem »Eingeborensein«, einem »Teilsein« wird.
Wenden wir uns zu dem bewussten Verhältnis der Seele zu Gott, so tauchen
hier die merkwürdigsten und eigentümlichsten Beziehungen herauf. Der
Geist des Menschen, die zum Bewusstsein gekommene, sich selbst erkennende Seele,
wie sie eigentlich wirklich erst zum Dasein, zur wirklichen Gegenwart gelangt
durch den Gedanken (cogito ergo sum), so strebt sie nun auch danach, bei Betrachtung
und Erkenntnis der Welt aus allem ewigen Wechsel derselben, aus der steten Flucht
der halb nur als Vergangenheit halb als Zukunft erscheinenden Zeit, aus dem
Meere des rastlos untergehenden und rastlos sich erneuernden Wirklichen sich
zu erretten und zu Erfassung eines Ewigen, eines Unwandelbaren, mit einem Wort
eines gegenständlich gewordenen Urgeistigen als höchsten Urgrundes
aller jener Wirklichkeit und ihres selbsteigenen Daseins zu gelangen, und dies
nennen wir das »Suchen der Seele nach Gott«. – Hier treten
jedoch die wunderbarsten Verhältnisse hervor. Das Unergründliche und
eigentlich Unerreichbare des Sehnens nach Gott liegt nämlich darin, dass
es hier im wahrhaftesten Sinne zur Aufgabe des denkenden Geistes wird: das Höchste
des bewussten Geistes in der tiefsten Tiefe eines für uns Unbewussten rein
untergehen oder vielmehr aufgehen zu lassen. Wir dürfen es nämlich
geradezu aussprechen: das höchste göttliche Bewusstsein, das Bewusstsein
des Geistes Gottes an und für sich, ist von uns nur zu denken als ein so
Unermessliches, so Unendliches, so Allumfassendes, dass es für ein so durchaus
bedingtes und an Endliches geknüpftes Bewusstsein als das menschliche zuletzt
allemal vollkommen zusammenfallen wird mit dem Mysterium des Unbewussten selbst.
Dürfen wir doch nie vergessen, dass aller Unterschied zwischen Bewusstem
und Unbewusstem, wie wir ihn in diesem Werke gleich von vorneherein erfasst
haben, überall nur durch den eigentümlichen m e n schlichen Standpunkt
geboten ist. Wir haben ja vielfältig schon bemerkt, dass eben in dem, was
wir das Unbewusste nennen, ganz besonders jene höchste göttliche Weisheit
sich verberge, jene Weisheit, welcher unser bewusster Geist überall nur
sehr unvollkommen nachstrebt. – Gewiss ist es aber, dass wo wir in solchem
Maße das Prädikat der Weisheit gebrauchen dürfen, da liegt es
jedenfalls in innerster tiefster Bedeutung, dort zugleich an eine Art von höchstem
Bewusstsein zu denken, von welchem eben wir keine Vorstellung uns zu machen
imstande sind und dessen Begriff deshalb als ein Ungewusstes
auch mit dem Begriff eines höchsten Unbewussten zusammenfällt; kurz nur von diesem Standpunkte verstehen wir,
dass das, was wir die Göttlichkeit des Unbewussten genannt haben, nur eben
in der Unermesslichkeit und Unbegreiflichkeit eines höchsten göttlichen
Bewusstseins gegeben sei.
Indem also der bewusste Geist des Menschen, wenn er sich
diesem Verhältnis zu einem Höchsten, zu einem für ihn Unermesslichen,
Unbewussten, durch und durch hingeben und innigst aufschließen möchte,
sich unbedingt und immerfort in einen eigentümlichen mystischen Gegensatz
von Bewusstsein und Unbewusstsein vertieft findet, so kann er auch nicht anders
als hier mit all seiner Sehnsucht einem großen Geheimnis, einem ewigen
Mysterium sich gegenübergestellt erblicken; einem Mysterium, an welchem
er ebensogut zerschellen und rettungslos untergehen kann, als er sich daran
im höchsten Grade zu erheben, aufzuklären und für immer zu erretten
imstande ist. Das erstere wird dann geschehen, wenn er entweder durch
Scheinbilder dieses Höchsten und Ewigen sich irre machen oder wenn er durch
die zum Wahnsinn führende Grübelei über die Ergründung des
doch an sich Unergründlichen sich verwirren lässt; das andere hingegen
kann ihm nur gelingen, wenn er einmal den Mut hat, das Unbewusste als solches
anzuschauen und dem Unendlichen sich als solchem innig hinzugeben, und ein andermal,
wenn er vermag, den Abgrund und das Haltlose eines durchaus Unermesslichen und
Geheimnisvollen durch die Macht und Tiefe der Liebe
zu erfüllen und zu besiegen und auf diese Weise ein vollkommen
schönes und reines Verhältnis zu jenem Mysterium zu erreichen. Beides
verlangt jetzt eine etwas ausführlichere Entwicklung.
Was in ersterer Beziehung die Scheinbilder des Göttlichen
betrifft, so sind alle und jede Versuche der Menschheit, jenes höchste,
unermessliche und absolute Mysterium zusammenzuziehen in den konkreten Begriff
eines irgend Personifizierten, immer nur ebenso viele Beispiele von Verirrung
des menschlichen Geistes geblieben, und der Streit und die Zwietracht, welche
dann entstanden, wenn die einzelnen Völker und Menschen sich eine Gottheit
schufen nach ihrem Bilde und jede Partei die ihrige für die allein rechte
und echte erklärte, haben ihre Spuren mit blutigen Zügen auf jedes
Blatt der Geschichte tausendfältig gezeichnet. Wie gröblich die Scheinbilder
für jenes höchste Mysterium oft gewählt werden beweisen die Fetische
der Wilden und die ungeheuren Vorstellungen und Götzenbilder so vieler
Zeiten und Völker, welche immer die getreuen Spiegelbilder sind von dem
eigenen Zustande eines solchen Stücks Menschheit. Mag auch ein Versuch
dieser Art scharfsinniger sein als der andere, einer auch poetisch tiefer gefasst
und schöner als der andere, ein Bild Raphaels von der Gottheit edler und
mächtiger als ein chinesisches Götzenbild und die Deduktion eines
monotheistischen Theologen von den Attributen der Gottheit verständiger
als die Anrufung eines Priesters des Dalai Lama: streng genommen und in der
ernstesten und unbedingtesten Wahrheit wiegen doch das eine ebenso leicht als
das andere, und es ist das eine ebenso weit abweichend von jenem, oben als das
eigenste Verhältnis der Seele zu Gott bezeichneten Untergehen oder vielmehr Aufgehen des Bewusstseins in eienm höchsten
für uns absoluten Unbewussten
als das andere.
Es hat übrigens etwas sehr Merkwürdiges und oft Rührendes, all
die verschiedenen Phasen zu verfolgen, durch welche die Menschheit in dieser
Beziehung durchgehen musste; insbesondere gewinnt der Naturkultus, die Verehrung
gewisser mächtiger Naturerscheinungen, erst von diesem Standpunkte eine
tiefere Bedeutung. Es war nämlich ganz natürlich und angemessen, dass,
sobald der Geist des Menschen die hohe Vernunft, welche in allem Unbewussten
um uns her schweigend sich offenbart, gewahr zu werden begann, in ihm aufstieg
die Ahnung von einem höchsten Göttlichen und, dieweil nun in dem unbewussten
Wallen der Natur die ungeheure Macht dieses höchsten
göttlichen Mysteriums ihm zuerst einigermaßen fühlbar
geworden war, so musste auch die Naturerscheinung an und für sich ihm zuerst
zum Gegenstande der Verehrung werden. [...]
Nicht bloß die Zwischenstellung dieser Scheinbilder, das falsche Sichobjektivieren
des Unbewussten als ein Bewusstes, wirkt störend und unheilbringend auf
die Menschheit, sondern auch das falsche subjektive Anwenden des Bewusstseins
auf das höchste Unbewusste, das Verfolgen des dem Verstandes nicht Zugänglichen
durch ein unausgesetztes Anspannen des Verstandes, das was wir Grübeln
nennen und was leicht zum Wahnsinne führen kann, es wirkt störend,
ja zerstörend auf die Seele des Menschen. – Es gibt ein gewisses
falsches Bestreben, das nicht in konkrete Form zu Fassende in diese zu zwängen,
welches man wohl vergleichen könnte dem eines Arithmetikers, der dadurch
das Geheimnis der Zahl zu erfassen bestrebt wäre, dass er durch Immerweiterzählen
die höchste und letzte Zahl zu finden versuchte.
Wenden wir uns nun zur Betrachtung der anderen Seite des Verhältnisses
der Seele zu Gott, d. h. zu der beglückenden, erhebenden! Es
ist gesagt worden, zweierlei sei hierzu unerlässliche Bedingung: einmal
den Mut zu haben, jenes höchste Unbewusste als solches anzuschauen und
solchem Unendlichen, Unermesslichen innigst sich hinzugeben; ein andermal den
Reichtum der Liebe zu besitzen und durch deren Macht und Tiefe den Abgrund und
das durchaus Haltlose eines uns bloß als Mysterium erscheinenden Unermesslichen
zu besiegen und zu erfüllen. Was das erste betrifft, so hat es notwendig
für den beschränktern Geist des Menschen etwas Überwältigendes,
wenn er versucht, alle Kraft seines Denkens, Fühlens und Wollens auf ein
schlechthin Unerfassliches, durchaus Unbeschränktes, höchstes Unbewusstes
zu konzentrieren und ihm sich ganz zu übergeben; es ist gewissermaßen
ein Wagnis, es ist, in seienm ganzen Umfange erfasst, die höchste Tat, deren der Mensch fähig ist; aber eben deshalb
gehört auch eine gewisse höhere Reife dazu, wenn sie gelingen soll.
Je reifer und größer in sich der Geist wird, je mehr eine weite und
umsichtige Erkenntnis der Welt ihn erleuchtet, um so näher tritt ihm dieses
Mysterium, um so mehr erfüllt ihn die Hoheit der alles Unbewusste durchdringenden
und bestimmenden Vernunft, die Schönheit aller reinen
Offenbarung jenes ewigen Geheimnisses mit Freudigkeit und Verehrung
und um so mehr kann ihm das eine Quelle
voll Seligkeit werden, was zuerst eine trostlose Wüste schien. Bei alle
dem, wie möchte die Erkenntnis allein ausreichen, jene unbedingte Hingebung
an ein nie ganz zu Erkennendes möglich werden zu lassen, welche wir als
die höchste Tat der menschlichen Seele bezeichnet
haben, träte hier nicht das zweite hinzu – der Reichtum
und die Fülle der Liebe. Geschlossen muss sie also sein diese Macht
der Liebe in der Seele, durchgebildet muss sie sein durch ihre verschiedenen
Stufen, deren die höhere immer die vorausgehenden mit einschließt,
erwacht muss er sein dieser sehnsüchtige Zug, welcher den Geist vom egoistischen
Ruhen auf sich selbst herausdrängt und ihn mit einer noch höhern Macht
zu seinem und dem Urquell alles dessen, was ihn sonst irgend mit Liebe erfüllt,
hinziehen kann, als der erste früheste Zug war, welcher die Kinderseele
an die der Mutter heftete, wenn das höchste Verhältnis der Seele zu
Gott möglich werden soll, nämlich die Liebe
zu Gott.
Das Wichtigste und zugleich das Geheimnisvollste in der Lehre vom Verhältnis
der Seele zu Gott ist noch übrig zu erwägen, nämlich das, was
wir als Überwirken von der Seele auf jenes höchste Mysterium und das
Überwirken dieses höchsten Mysteriums auf die Seele nennen dürfen.
Dass ein solches Überwirken gewiss wahr und vorhanden sei, dass die Seele
Gott etwas sein könne und Gott unmittelbar die zum Bewusstsein entwickelte
Seele influenziere, dafür spricht a priori das Gesetz der in gewissem
Maße bestehenden Gleichartigkeit des Wesens, und dafür spricht der
höhere Instinkt der gesamten zum Bewusstsein erwachten Menschheit. Was
die in gewissem Maße vorhandene Gleichartigkeit des Wesens anbelangt,
so schließen wir durch dasselbe Recht auf sie, wodurch wir veranlasst
werden, die Seele selbst als ein Göttliches und in ihrem innersten tiefen
Grunde ebenfalls als ein Mysterium zu betrachten. Sie kann aber nicht ein Göttliches
sein, ohne mit dem Urgrunde alles Göttlichen in
einer tatsächlichen Beziehung zu stehen; ebenso gewiss als, gleichnisweise
und ganz im Materiellen, der Stein nicht ein Irdisches sein kann, ohne von der
Erde angezogen zu werden und seinerseits auch wieder die Erde anzuziehen. –
Mag daher in Beziehung auf die tätige Wechselwirkung
zwischen der Seele und Gott auch noch ein unermesslicheres und weit unsaglicheres
Verhältnis bestehen als zwischen dem fallenden Steine und der Erde, welche,
indem sie den Stein anzieht und fallen macht, auch allemal von ihm in irgendeinem
Grade angezogen werden muss, so ist doch, dass irgendein tätiges Überwirken
auch in dieser höchsten geistigen Sphäre vorhanden sei, vor dem Richterstuhl
höchster Erkenntnis und reinsten Wahrheitsgewissens durchaus unleugbar.
– Was dann aber betrifft den erwähnten durch alle Menschheitsgeschichte
gehenden höheren Instinkt, so zeigt er sich an teils in dem, was von den
ältesten Zeiten her gesagt worden ist von der »Kraft des Gebetes«,
teils in dem, was mit den Worten »göttliche Hilfe« - »Gnadenwahl«
- »Akt der Gnade Gottes« - vielfältig verehrend gerühmt
worden ist.
Was sich nun aber darüber vom rein psychologischen Standpunkte aus sagen
lässt, möchte folgendes sein: Das Aufrichten der ganzen gesammelten
zum Bewusstsein entwickelten Seele – als Vernunft, als Gefühl und
als Wille – auf und zu jenem höchsten göttlichen Mysterium bezeichnen
wir als Anbetung, als Gebet. Es wäre höchste Vermessenheit, aussprechen
zu wollen, was diese Seelenrichtung jenem
ewigen Mysterium selbst sei; dass sie ihm indes etwas
sein muss, ist gewiss, schon weil eben alles und jedes, also auch der Anbetende,
in ihm selbst lebt, webt und ist und der ganze Akt also insofern zu einem
innern Vorgang des Göttlichen
wird. Was hingegen dieses Aufrichten der Seele ihr
selbst ist und sein muss, darüber lässt sich noch einiges
Mehrere aussprechen. Es ist und muss nämlich eine solche Sammlung, ein
solches, ich möchte sagen, Kondensieren der höchsten Geistesblüte,
wenn es wirklich mit voller innerer Freiheit, Schönheit und Wahrheit geschieht,
von einer besonderen Rückwirkung sein auf das Wachstum der Seele, auf Läuterung
des Gefühls, Kräftigung des Willens und Klarheit des Geistes überhaupt.
Dies ist daher eben das Wachsen und Kräftigen in der Anbetung, deren Erscheinung
durch die Geschichte aller höherer menschlichen Naturen geht, und welches
Wachstum durch dieses Sichnahen zu Gott in den mannigfaltigsten bald tiefsinnigen,
bald abstrusen Allegorien und Gleichnissen, in den verschiedensten Religionen
und in den Schriften aller Mystiker, meist symbolisch dargestellt worden ist
durch Symbole, welche bei denjenigen bald ihre Lösung finden werden, die
klar und einfach das, was aus den obigen Betrachtungen sich ergibt, sich zu
eigen gemacht haben.
Was nun insbesondere die Rückwirkung jenes höchsten Mysteriums gegen
die Lenkung des eigenen Lebens der Seele des Anbetenden betrifft, so ist deshalb dem Menschen fast unmöglich, irgendein Besonderes dieser Art von dem allgemeinen Durchdringen, Erhalten und Beleben zu unterscheiden,
weil alles, was man unter dem Namen »besondere Führung«, »Gebetserhörung«,
»eigentümliches Wirken der Vorsehung« usw. zusammenfassen pflegt,
wenn es auch uns im konkreten Falle eine ganz besondere Einwirkung und ein eigentümlicher
Akt göttlicher Gnade erscheint, doch gar wohl auch nur als ein gerade notwendiges
Glied in der allgemeinen organischen Kette allgemeiner Weltordnung gedacht werden
kann. Eben in dieser Beziehung liegt ja in allem Unbewussten, wenn wir es nun
sorgfältig im Bewusstsein verfolgen, jene unendliche Weisheit! Wir mögen
den geheimnisvollen Gang der Bildung einer Pflanze wägen, wo mikroskopisch
sich Zelle an Zelle reiht, bis die Pracht der Blüte aus der Blätterfülle
hervortritt, oder wir mögen den wunderbaren Krisen einer Krankheit nachgehen,
in denen mit einer staunenswerten scheinbaren Berechnung die Vorgänge unbewussten
Lebens dergestalt sich ordnen, dass sie durch zuweilen ganz unerwartete Erscheinungen
das Leben des Kranken retten, immer haben wir hierbei ein für uns Unbewusstes
vor uns, welches scheinbar mit der merkwürdigsten
Berechnung und der tiefsinnigsten Absichtlichkeit waltet. – Gerade so
nun, wie zum Teil unerwartet, zum Teil auch wohl vorher geahnet, jene merwürdigen
Krisen der Krankheit vorkommen, ist es auch mit den oft so ganz unerwarteten
und doch oft wie mit besonderer Absichtlichkeit geleiteten Begegnissen in den
Schicksalen der Seelen im Organismus der Menschheit!
Aus: C. G. Carus, Psyche (S.243-250)
Ausgewählt und eingeleitet von Ludwig Klages
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1926