Krishna Caitanya Deva (1486 - 1534)

Bengalischer Apostel des Vishnuglaubens, dessen Liebe zu Krishna (Hari, Govinda) so stark emotional ausgeprägt gewesen sein soll, dass er in Gedanken an ihn in ekstatischer Raserei umhertanzte und im Zustande ohnmächtiger Verzückung das Spiel des Gottes mit den Hirtinnen zu sehen glaubte. Seine Lehre wurde von seinen Schülern (die ihn später als eine Verkörperung Krishnas verehrten) zu einem besonderen philosophischen System ausgestaltet, das als »unausdenkbare Sonder-Unsonderheits-Lehre« bezeichnet wird, weil nach ihr die gleichzeitige Identität und Verschiedenheit von Gott, Seelen und Ungeistigem rational nicht fassbar ist. Caitanya selbst hat nichts Schriftliches hinterlassen. Von seinen Schülern sind acht oder neun Sanskritstrophen erhalten, die er bei seinen religiösen Vorträgen immer wieder verwendet haben soll. Die fünf folgenden Strophen sollen von ihm selbst verfasst sein.

Inhaltsverzeichnis
Preis des Erhabenen, Die Lehre Caitanyas

Preis des Erhabenen

Nicht Reichtum und Macht, nicht Frauen und Ehre,
Herrscher der Welt, ich fürder begehre.
Von Geburt zu Geburt sei eins mir gegeben,
Daß ich in Liebe zu dir möge leben.

Vielfache Namen schufst du, Erhabener, dir,
Sie zu erlernen müht' ich mich all' meine Stunden.
Groß ist deine Barmherzigkeit, Herr, doch an mir
Unglücklichem hast du kein Wohlgefallen gefunden.
Wann füllt mir das Auge sich mit Tränen,
Füllt der Mund mit leisem Stammeln sich,
Und sträubt jedes Härchen sich am Leibe,
Nenne, Höchster, deinen Namen ich?
Augenblicke sind mir Ewigkeiten,
Unaufhaltsam fließt die Träne hin
Und zum Nichts ist mir die Welt geworden,
Seit getrennt ich von Govinda bin.
Die sich noch bescheid'ner als das Gras
Und geduld'ger als ein Baum erweisen,
Die in Demut ehrerbietig sind,
Die nur können Hari würdig preisen.
S.215f.
Aus: Indische Geisteswelt. Eine Auswahl von Texten in deutscher Übersetzung. Eingeleitet und herausgegeben von Helmuth von Glasenapp. Band I Glaube und Weisheit der Hindus. Holle Verlag . Baden-Baden

Die Lehre Caitanyas
Der Vedânta der Schule Caitanyas ist eine »Sonder-Unsonderheits-Lehre« (bhedâbheda-vâda), die durch den Zusatz »acintya« (unausdenkbar) als eine solche charakterisiert wird, die rational unfaßbar ist. Die gleichzeitige Identität und Verschiedenheit von Gott, Seelen und Ungeistigem ist für den Menschen nicht vorstellbar, sondern liegt auf einer höheren Ebene, die dem logischen Begreifen entrückt ist.

Wie für die anderen krishnaitischen Schulen ist Gott auch für diese ein gleichzeitig transzendentes wie immanentes Wesen. Unter verschiedenen Aspekten betrachtet, ist er

1. das qualitätslose Brahma, der Urgrund alles Seins,

2. der Paramâtman, die alles lenkende All-Seele und

3. der Bhagavân, der mit einem Körper aus reinem Sattva versehene persönliche Weltenherr Krishna.

So offenbart sich die eine höchste Wirklichkeit in einer Stufenfolge von Formen, von welchen die als Bhagavân die höchste und umfassendste ist. Gott wirkt durch seine unendlich vielen Kräfte (shakti). Diese werden als ihm selbst innewohnend, als äußerlich und als zwischen beiden stehend bezeichnet und machen zusammen sein Selbst aus. Innerlich ist die »Kraft des bewußten Denkens« (Cit-shakti). Diese hat drei Formen, welche den drei Attributen

Sat (Sein),

Git (Geist) und

Ânanda
(Wonne)

entsprechen:

die Sandhinî-shakti bewirkt, daß Gott und alles, was er will, existiert,

die Samvit-shakti, daß er allwissend ist und die Wesen Erkenntnis haben,

die Hlâdinî-shakti, daß er seine eigene Wonne fühlt und die Wesen Wonne fühlen lassen kann.

Die »am Rande stehende« (tatastha), das heißt innerlich-äußerliche Jîva-shakti ist die Ursache der Einzelseelen, die teils, ihren göttlichen Ursprung vergessend, sich an die Außenwelt verlieren, teils zu Gott hinstreben.

Außerhalb Gottes steht seine Mâyâ-shakti. Es ist dies die materielle und bewirkende Ursache der Welt, welche die Welt schafft, so wie der Ton und das Töpferrad in der Hand des Töpfers den Topf. Sie manifestiert sich als die Prakriti mit ihren Gunas, aus der sich alles entfaltet, ferner als die Zeit, als das Karma, und als das, was Verblendung und Erkenntnis hervorruft. Der ganze Weltprozeß ist sonach das ewige Spiel Gottes mit diesen seinen Kräften.

Die Einzelseelen verhalten sich zu Gott wie die Sonnenstrahlen zur Sonne oder wie die Funken zum Feuer. Die Befreiung aus dem Sansâra ist nur möglich, wenn die Seelen die Vorstellung von ihrer unabhängigen Existenz verlieren, ihrer Verbindung mit Gott innewerden und die höchste vom Vertrauen und Glauben getragene Ergebenheit (bhakti) gegen ihn betätigen. Gute Werke und Wissen bereiten diese vor, ihre Krönung ist die Liebe (prema), in welcher sich das Aufgehen des Menschen im Göttlichen vollzieht.

In der Ekstase soll der Fromme Gottes voll werden, wie die Biene vom Honig, bis er, falls er dazu prädestiniert ist, die höchste Form der Erlösung gewinnt, die in der ewigen Teilnahme an Krishnas Spielen besteht. Dies Ideal der höchsten leidenschaftlichen Liebe zu Gott findet seine Personifikation in der Gestalt der Hirtin Râdhâ, die von Krishnas Schönheit bezaubert, ihren Gatten im Stich läßt, um sich dem Gotte hinzugeben. Râdhâ wird zugleich als ein Weltprinzip aufgefaßt, als die Shakti Krishnas, durch welche der Weltprozeß vor sich geht; sie ist darum zugleich mit ihm identisch und doch verschieden, in unausdenkbarer Sonder-Unsonderheit. Da Gott selbst seinem Wesen nach Wonne ist und Wonne schafft, ist er der »Rasa« der Taittirîya-Upanishad 2, 7. Er ist selbst das höchste Gefühl der Seligkeit, das im religiösen Verhältnis des Menschen zu ihm in die Erscheinung tritt. S.273ff.
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 195, Helmuth von Glasenapp, Die Philosophie der Inder. Eine Einführung in ihre Geschichte und ihre Lehren . Alfred Kröner Verlag in Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Alfred Kröner Verlages, Stuttgart