George Gordon Noel Byron (1788 – 1824)

  Englischer Dichter von adligem Geblüt, der zu den großen englischen Romantikern gehörte. Mit einem leicht verkrüppelten Fuß geboren, offenbarte sich in Lord Byrons zwiespältiger Gemüt eine interessante Mischung von romantischem Weltschmerz, tatsächlichem Leid, demokratischen Neigungen und aristokratischem Hochmut.

Siehe auch Wikipedia und Projekt Gutenberg

 

Inhaltsverzeichnis
Manfred (Erster Aufzug, erster Auftritt in der Übersetzung von Heinrich Heine)
Manfred (Volltext Projekt Gutenberg in der Übersetzung von Joseph Emmanuel Hilscher)
Alles ist eitel, sagt der Prediger
Ein Geist ging einst an mir vorbe
i

Manfred
ERSTER AUFZUG
Erster Auftritt
Eine gotische Halle. — Mitternacht. — Manfred allein.

MANFRED.
Ich muß die Ampel wieder füllen, dennoch
Brennt sie so lange nicht, als ich muß wachen.
Mein Schlaf — wenn ich auch schlaf — ist doch kein Schlaf;
Nur ein fortdauernd Brüten in Gedanken,
Die ich nicht bannen kann. Im Herzen pocht mirs
Gleich wie ein Wecker, und mein Aug erschließt
Sich nur, einwärts zu schaun. Und dennoch leb ich,
Und trage Menschenform und Menschenantlitz.
Doch Kummer sollt des Weisen Lehrer sein;
Der Schmerz macht weise, und wers meiste weiß,
Den schmerzt am meisten auch die bittre Wahrheit:
Daß der Erkenntnisbaum kein Baum des Lebens!
Nun hab ich jede Wissenschaft durchgrübelt,
Auch Weltweisheit, die Kräfte der Natur
Erforscht, und fühl im Herzen die Gewalt,
Die solche dienstbar machen könnt mir selber.
Doch frommt es nicht. — Den Menschen tat ich Gutes,
Und mir geschah auch Gutes, selbst von Menschen.
Doch frommt‘ das nicht. — Ich hatte meine Feinde
Ich sank vor keinem, mancher sank vor mir.
Doch frommt‘ es nicht. — Denn Gutes, Böses, Leben,
Macht, Leidenschaft, wie ichs bei Andern sehe,
Das war bei mir wie Regen auf den Sand,
Seit jener grausen Stund. Ich fürchte nichts,
Mich quält der Fluch, daß ich nichts fürchten kann,
Kein stärkres Pochen fühl, von Hoffnung, Wünschen,
Sehnsucht nach einem Wesen dieser Erde.
Mein Werk beginn!

Geheimnisvolle Mächte!
Ihr Geister dieses unbegrenzten Weltalls!
Ihr, die ich stets gesucht in Licht und Dunkel!
Ihr, die den Erdball rings umwebt, und luftig
Im Hauche wohnt; Ihr, die als Lieblingsplätze
Euch ausgesucht die steilsten Bergesgipfel;
Ihr, die in Erd- und Meerabgründen hauset, -
Euch ruf ich her kraft des geschriebnen Zaubers,
Der Euch mir unterjocht. Steigt auf! Erscheint!


(Pause)


Sie zögern. — Ich beschwör Euch bei dem Worte
Des Geisteroberhaupts, bei diesem Zeichen,
Das Euch erzittern macht, beim Willen dessen,
Der nimmer stirbt. — Steigt auf! Steigt auf! Erscheint!


(Pause)

Sie zögern. — Geister in der Erd und Luft!
Ihr sollt nicht spotten meiner. Ich beschwör Euch
Bei noch viel mächtgrer Macht, beim Talisman,
Den ausgeheckt einst der verdammte Stern,
Der nun, ein Trümmerbrand zerstörter Welt,
Wie eine Höll im ewgen Raume wandelt;
Beim grausen Fluch, der meine Seel belastet,
Bei dem Gedanken, der stets in mir lebt,
Und um mich lebt, beschwör ich Euch. Erscheint!


(Ein Stern wird sichtbar im dunkeln Hintergrunde der Halle. Er bleibt stehn. Man hört eine Stimme singen)


ERSTER GEIST.

Mensch! Auf deines Wortes Schall
Stürmt ich aus der Wolkenhall,
Die der Dämmrung Hauch gebildet,
Die das Abendlicht vergüldet
Mit Karmin und Himmelbläu,
Daß sie mir ein Lusthaus sei.
Zwar sollt ich gehorchen nimmer,
Dennoch ritt ich auf dem Schimmer
Eines Sternleins zu dir her;
Mensch! erfüllt sei dein Begehr.


ZWEITER GEIST
Montblanc ist der König der Berge,
Die krönten schon längst seine Höh;
Auf dem Felsenthron sitzend, im Wolkentalar,
Empfing er die Kron von Schnee.
Wie`n Gurt umschnallt seine Hüft ein Wald,
Seine Hand die Lawine hält;
Doch vor dein Fall muß der donnernde Ball
Still stehn, wenns mir gefällt.
Des Gletschers ruhlos kalte Mass
Sinkt tiefer Tag für Tag;
Doch ich bins, der sie sinken laß,
Und auch sie hemmen mag.
Ich bin der Geist des Berges hier,
Wollt ichs, er beugte sich,
Erzitternd bis zum Marke schier, —
Und du, was riefst du mich?


DRITTER GEIST.

In dem bläulichen Meergrund,
Wo der Wellenkampf schweigt,
Wo ein Fremdling der Wind ist,
Und die Meerschlange kreucht,
Wo die Nixe ihr Grünhaar
Mit Muscheln durchschlingt,
Wie wenn Sturm auf der Meerfläch,
Scholl dein Spruch, der mich zwingt.
In mein stilles Korallhaus
Erdröhnte er schwer;
Denn der Wassergeist bin ich, —
Sprich aus dein Begehr!


VIERTER GEIST.
Wo der Erdschüttrer schlummert
Auf Kissen von Glut,
Wo die Pechström aufwälzen
Die kochende Flut,
Wo die Wurzel der Andes
Die Erde durchwebt,
Also tief wie ihr Gipfel
Zum Himmel aufstrebt,
Dort ließ ich die Heimat,
Dein Ruf riß mich fort, —
Bin Knecht deines Spruches,
Mein Herr ist dein Wort.


FÜNFTER GEIST.
Mein Roß ist Wind, mit Geißelhieb
Treib ich das Sturmgewühl;
Das Wetter, das dahinten blieb,
Ist noch von Blitzen schwül.
Mich hat gar schnell, über Land und Well,
Ein Windstoß hergebracht;
Die Flott, die ich traf, die segelt brav,
Doch sinkt sie noch heut Nacht.

SECHSTER GEIST.
Mein Wohnhaus ist der Schatten süßer Nacht;
Was quälst du mich ans Licht mit Zaubermacht?

SIEBENTER GEIST
.
Vor Erdbeginn beherrschte ich
Den Stern, der nun beherrschet dich.
Das war ein Erdball, hübsch belebt,
Wie keiner je die Sonn umschwebt.
Sein Lauf war schön geregelt, kaum
Trug schönern Stern der Himmelsraum.
Da kam die Stunde — und er ward
Ein Flammenball unförmger Art,
Ein Schweifstern, der sich pfadlos schlingt,
Und Menschen schreckt und Unheil bringt,
Der nie ermattend rollt und schweift,
Und irrend ohne Laufbahn läuft,
Ein Tollbild, das da oben brennt,
Ein Ungeheur am Firmament!
Und du, dem dies ein Schicksalstern,
Wurm, dem ich hohnvoll dien als Herrn,
Du zwangst mich
(mit der kurzen Macht,
Die dich am End mir eigen macht)

Auf kurz hierher, wo zitternd gar
Hier diese schwache Geisterschar
Mit einem Ding, wie du bist, schwätzt,
Du, Sohn des Staubs, was willst du jetzt?

DIE SIEBEN GEISTER.
Erd, Weltmeer, Luft und Nacht, Gebirg und Wind
Und auch dein Stern umstehn als Geister dich,
Und harren deines Winkes, Menschenkind, —
Was will von uns der Sohn des Staubes, sprich?


MANFRED.
Ich will vergessen —

ERSTER GEIST.

Was — und wie — warum?

MANFRED.
Was in mir ist, will ich vergessen, lesets
In mir — Ihr kennts und ich kanns nimmer sagen.

GEIST.

Nur was wir haben, können wir dir geben,
Verlange Gegenstände, Herrschaft, Weltmacht,
Ganz oder nur ein Teil, verlang ein Zeichen,
Das dir die Elemente dienstbar macht,
Die wir regieren, jedes, all dergleichen
Sei dein.


MANFRED.
Vergessen, Selbstvergessenheit —
Könnt Ihr nicht schaffen dies aus dunklen Reichen,
Ihr, die mir prahlerisch so vieles bietet?


GEIST.
In unsrer Macht stehts nicht; es seie denn –
Du stürbest jetzt.


MANFRED.
Wird mirs der Tod gewähren?

GEIST.
Wir sind unsterblich und vergessen nicht;
Wir leben ewig, und Vergangnes ist uns
Mitsamt der Zukunft gegenwärtig. Siehst du?


MANFRED.
Ihr höhnt mich; doch die Macht, die Euch hierherzwang,
Gab Euch in meine Hand. Höhnt nicht, Ihr Knechte!
Die Seel, der Geist, der prometheische Funken,
Die Flamme meines Lebens ist so leuchtend,
Durchglühnd, und weithinblitzend wie die Eure,
Gibt der nichts nach, obgleich in Staub gekleidet.
Gebt Antwort! sonst beweis ich, wer ich bin.

GEIST.
Die alte Antwort gnügt; die beste Antwort
Sind deine eignen Wort.


MANFRED.
Erklär die Rede.

GEIST.
Wenn, wie du sagst, dein Wesen unserm gleicht,
So hattest du schon Antwort, als wir sagten:
Was Tod die Menschen nennen, bleibt uns fremd.


MANFRED.

So rief ich Euch umsonst aus Euren Reichen,
Ihr könnt nicht oder wollt nicht helfen.


GEIST.
Sprich!
Was wir vermögen, bieten wir, dein seis;
Besinn dich, eh du uns entläßt, frag nochmals, —
Macht, Herrschaft, Kraft, Verlängrung deiner Tage —


MANFRED.
Verflucht! was habe ich zu tun mit Tagen?
Sie sind mir jetzt schon allzu lang, — fort! fort!

GEIST.
Gemach! sind wir mal hier, kanns doch dir nützen;
Besinn dich, gibts denn gar nichts, was wir könnten
Nicht ganz unwert in deinen Augen machen?

MANFRED.
Nein, nichts; doch bleibt, — ich möcht wohl, eh wir scheiden,
Euch schaun von Angesicht zu Angesicht.
Ich höre Eure Stimmen, süß und schmachtend,
Wie Harfentöne auf dem Wasser, immer
Steht leuchtend vor mir jener klare Stern;
Doch anders nichts. Kommt näher, wie Ihr seid,
Kommt all, kommt einzeln, in gewohnten Formen.


GEIST.
Wir tragen keine Formen, außer die
Des Elements, wovon wir Seel und Urgeist;
Wähl die Gestalt, worin wir kommen sollen.


MANFRED.
Ich wählen! Gibts ja keine Form auf Erden,
Die häßlich oder reizend wär für mich.
Eur Mächtigster mag wählen sich ein Antlitz,
Das ihm das beste dünkt. Erschein!


SIEBENTER GEIST (erscheint in der Gestalt eines schönen Weibes).
Sieh her

MANFRED.

O Gott! Wenns so sein soll, und du kein Wahnbild
Und auch kein Blendwerk bist, so könnt ich dennoch
Recht glücklich sein. — Umarmen will ich dich,
Wir wollen wieder —


(die Gestalt verschwindet)

`s Herz ist mir zermalmet.

(Manfred stürzt besinnungslos nieder)

EINE STIMME
(spricht folgenden Zauberbann):
Wenn der Mond im Wasser schwimmt,
Und im Gras der Glühwurm blinkt,
Wenn am Grab das Dunstbild glimmt,
Und im Sumpf das Irrlicht winkt,
Wenn Sternschnuppen niederschießen,
Und sich Eulen krächzend grüßen,
Wenn, umschattet von den Höhn,
Baum und Blätter stille stehn,
Dann kommt meine Seel auf dich,
Und mein Zauber reget sich.
Schläfst du auch mit Augen zu,
Findet doch dein Geist nicht Ruh,
Schatten drohn, die nie verbleichen,
Und Gedanken, die nicht weichen;
Von geheimer Macht umrauscht,
Bist du nimmer unbelauscht;
Bist wie leichentuchumhängt,
Wie von Wolken eingezwängt;
Sollst jetzt leben immerfort
Hier in diesem Zauberwort.
Siehst mich zwar nicht sichtbarlich,
Dennoch fühlt dein Auge mich,
Als ein Ding, das unsichtbar
Nah dir ist, und nahe war;
Und wenns dir dann heimlich graust,
Und du hastig rückwärts schaust,
Siehst du staunend, daß ich nur
Bin der Schatten deiner Spur,
Und verschweigen muß dein Mund
Jene Macht, die dir ward kund.
Und ein Zaubersang und Spruch
Hat dein Haupt getauft mit Fluch;
Und ein Luftgeist voller List
Legt dir Schlingen, wo du bist;
In dem Wind hörst du ein Wort,
Das dir scheucht die Freude fort;
Und die Nacht, so still und hehr,
Gönnt dir Ruhe nimmermehr;
Und des Tages Sonnenschein
Soll dir unerträglich sein.
Aus deinen Tränen falsch und schlau
Kocht ich ein tödliches Gebrau;
Aus deines Herzens schwarzem Quell
Preßt ich des schwarzen Blutes Well;
Aus deines Lächelns Falt ich zog
Die Schlang, die dort sich ringelnd bog;
Aus deinem Mund nahm ich den Reiz,
Den Hauch des allerschlimmsten Leids;
Ich prüft manch Gift, das mir bekannt,
Doch deins am giftigsten ich fand.
Bei deines Schlangenlächeins Mund,
Eiskaltem Herzen, Arglistschlund,
Bei deinem Aug, scheinheilig gut,
Bei deiner Seel verschloßner Wut,
Bei deiner Kunst, womit du gar
Dein Herz für menschlich gabest dar,
Bei deiner Lust an fremdem Leid,
Bei deiner Kainsähnlichkeit,
Hierbei verfluch ich dich, Gesell:
Sei selber deine eigne Höll!
Und auf dein Haupt gieß ich den Saft,
Der dir ein solch Verhängnis schafft:
Schlafen nicht und Sterben nicht
Gönnt dein Schicksal dir, du Wicht;
Sollst den Tod stets nahe schaun,
Freudig zwar und doch mit Graun.
Sieh! der Zauber schon umringt dich,
Klanglos seine Kett umschlingt dich;
Auf dein Herz und Hirn zugleich
Kam der Spruch — verwelk, verbleich!

Aus: Heinrich Heine: Sämtliche Schriften . Herausgegeben von Klaus Briegleb. Erster Band, Byron-Übersetzungen (S.379f.)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München ©1968 Carl Hanser Verlag, München Wien

Alles ist eitel, sagt der Prediger
Salomo
Macht, Weisheit, Liebe waren meine,
Gesundheit hatt’ ich, Jugendmut;
Mein Becher floss von jedem Weine,
Mich kos`ten Lieblichkeit und Glut;
Ich sonnt` mein Herz im Aug` der Schönen
Und zärtlich ward die Seele ganz,
Was Erde bietet ihren Söhnen,
War mein in königlichem Glanz.
Ich suche eifrig nach den Tagen
In der Erinn’rung weitem Feld,
Die locken könnten, es zu wagen
Von Neuem mit der Pracht der Welt.
Doch Tage gab es nicht, noch Stunden
Der Freude ohne Bitterkeit;
Da ward kein Schmuck der Macht gefunden,
Der nicht getragen auch ein Leid.
Die Schlange, die im Feld sich findet,
Wird oft durch Zauberkunst gelähmt,
Doch die, die um das Herz sich windet,
Wer hat sie jemals noch gezähmt?
Sie lauscht nicht auf der Weisheit Lehren,
Nicht auf die Stimme der Musik,
Sie sticht ins Herz trotz allem Wehren
Und dulden muss es sein Geschick
. S.9f.
Lord Byrons sämtliche Werke in drei Bänden. Dritter Band. Frei übersetzt von Adolf Seubert. Druck und Verlag von Philipp Reclam, Leipzig


Ein Geist ging einst an mir vorbei

Aus Hiob
Ein Geist ging einst an mir vorbei. Ich sah
Ein Antlitz der Unsterblichkeit mir nah`;
Im Schlaf lag jedes Aug`, nur meines nicht,
Da stand`s vor mir, das göttliche Gesicht!
Das Fleisch erbebte mir, der Mut mir brach.
Zu Berge stand mein nasses Haar. Es sprach:

»Seid ihr gerechter denn als Gott? Als Er,
Dem selbst ein Seraph bietet nicht Gewähr?
Ihr Lehmgeschöpfe, eitles Staubgeschlecht!
Die Mott` lebt länger! Seid ihr mehr gerecht?
Ihr Tagesfliegen, die ihr welkt vor Nacht
Und nimmer nehmt der Weisheit Licht in Acht!
« S.14
Lord Byrons sämtliche Werke in drei Bänden. Dritter Band. Frei übersetzt von Adolf Seubert. Druck und Verlag von Philipp Reclam, Leipzig