John Bunyan (1628 – 1688)
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Englischer
Prediger und theologischer Schriftsteller, dessen ursprünglicher
Beruf Kesselflicker war. Als Laienprediger der Baptistengemeinde von Bedford verbrachte Bunyan die Jahre 1660—72 und 1675 wegen unbefugten Predigens im Gefängnis. Dort schrieb er u. a. »Die Pilgerreise«
(The pilgrim‘s progress), eins der erfolgreichsten Bücher der englischen Literatur, das in alle Kultursprachen übersetzt wurde.
In diesem Buch erzählt Bunyan in allegorischer
Weise den Weg des Christen durch alle Gefahren und Leiden des Lebens bis
zur himmlischen Stadt. Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Die überschwengliche Gnade an dem größten der Sünder (1666/72)
Aus der ,,Pilgerreise“ (1678)
Die überschwengliche Gnade an dem größten der Sünder (1666/72)
Zu dieser Zeit (nach 1650) saß ich unter der Kanzel des ehrwürdigen
Herrn Gifford, dessen geistliche Lehre durch Gottes Gnade für meine Beständigkeit
viel bedeutete. Dieser Mann machte es sich zur besonderen Aufgabe, das Volk
Gottes von all jenen drückenden und ungesunden Sicherungen zu befreien,
zu denen wir von Natur geneigt sind. Nach seiner Mahnung sollten wir uns vor
allem davor hüten, irgendeine Wahrheit gutgläubig anzunehmen, nur
weil sie von diesem oder jenem oder von sonst irgendeinem herstamme. Wir sollten
vielmehr zu Gott rufen, er möge uns von der Wirklichkeit jeder Wahrheit
überzeugen und uns dabei durch seinen eigenen Geist in dem heiligen Wort
heimisch machen. Denn, sagte er, wenn ihr die Wahrheit nicht mit deutlicher
Gewißheit vom Himmel empfangen habt, werdet ihr bei schweren Versuchungen
innewerden, daß euch jene Hilfe und Kraft zum Widerstehen fehlen, die
zu haben ihr euch einst einbildetet.
Das war für meine Seele zeitlich so passend, ,,wie
Frühregen und Spätregen zu ihrer Zeit“ (5. Mose 11, 14).
Denn die Wahrheit dieser Worte hatte ich, und zwar durch traurige Erfahrung,
bereits gefunden. Ich hatte nämlich gefühlt, daß niemand, besonders
nicht ein vom Teufel Versuchter, sagen kann: ,,Jesus Christus
ist der Herr, außer durch den heiligen Geist“ (1. Kor. 12,3).
Deswegen war meine Seele durch Gnade sehr bereit, diese Lehre innerlich ganz
aufzunehmen. Auch war ich geneigt, zu Gott zu beten, er möge mich in keinem,
was Gottes Ehre und meine eigene ewige Seligkeit angeht, ohne Bestätigung
vom Himmel lassen. Denn ich sah jetzt klar den außerordentlichen Unterschied
zwischen den begrifflichen Vorstellungen von Fleisch und Blut und der Offenbarung
von Gott im Himmel. Ferner sah ich den großen Unterschied zwischen einem
nur eingebildeten, menschlicher Klugheit entstammenden Glauben und dem Glauben
eines Menschen, der dazu von Gott geboren ist: ,,Selig
bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart,
sondern mein Vater im Himmel“. ,,Wer da glaubt, daß Jesus sei der
Christus, der ist von Gott geboren“ (Matth. 16, 17. 1. Joh. 5,
1).
Aber ach! Wie wurde jetzt meine Seele durch Gott selbst von Wahrheit zu Wahrheit
geführt! Von der Geburt und Krippe des Sohnes Gottes an bis hin zu seiner
Himmelfahrt und bis zu seiner Wiederkunft vom Himmel zum Weltgericht.
Wahrlich, in dieser Hinsicht fand ich jetzt, der große Gott war sehr gut
zu mir. Denn nach meiner Erinnerung gab es da überhaupt nichts, das mir
Gott, wenn ich ihn darum anrief, nicht nach seinem Wohlgefallen kundgemacht
und geoffenbart hätte. Ich glaube, es gibt keinen Teil des Evangeliums
des Herrn Jesus, in den ich nicht ordnungsgemäß eingeführt worden
bin.
Ich sah mit großer Deutlichkeit nach den vier Evangelisten die wunderbaren
Werke Gottes, wie Jesus Christus zu unserer Errettung dahingegeben wurde, und
zwar von seiner Empfängnis und Geburt bis hin zu seiner Wiederkunft zum
Gericht. Mir war es, als wenn ich ihn gesehen hätte, wie er geboren wurde,
wie er aufwuchs und wie er durch diese Welt von der Krippe bis zum Kreuz wandelte.
Darüber hinaus sah ich ihn auch, wie er so mild sich selbst für meine
Sünden und Missetaten ans Kreuz hängen und nageln ließ. Auch
fiel mir beim Nachsinnen über diesen seinen Gang in meinem Geist plötzlich
ein, daß er bestimmt war ,,zur Schlachtbank“
(Jes. 53, 7). Als ich ferner die Wahrheit seiner Auferstehung betrachtete,
gedachte ich an sein Wort; ,,Rühre mich nicht an,
Maria“ usw. (Joh. 20, 17). Da habe ich ihn gesehen, wie wenn er
aus der Grabesöffnung herausspränge vor Freude darüber, daß
er wieder erstanden sei und den Sieg über unsere furchtbaren Feinde errungen
hätte, und sagte: ,,Ich steige auf zu meinem Vater
und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (Joh. 20,
17). Ebenso habe ich ihn im Geiste gesehen, wie er als Mensch zur rechten Hand
Gottes des Vaters sitzt. Ich habe auch die Art und Weise gesehen, wie er mit
Herrlichkeit vom Himmel kommen wird, die Welt zu richten. Und ich wurde in diesen
Dingen durch die Worte der Schrift fest gemacht.
Einmal wurde ich von der Frage beunruhigt, oh der Herr Jesus ebensowohl Mensch
war, wie er Gott ist, und ob er ebensowohl Gott war, wie er Mensch gewesen ist.
Und wirklich war mir in diesen Tagen alles nichts, mochten die Leute auch sagen,
was sie wollten, es sei denn, ich hatte es mit deutlicher Gewißheit vom
Himmel. Ich hielt mich selbst noch nicht für heimisch und vertraut mit
irgendeiner Wahrheit über Gott. Wohl, ich war sehr in Unruhe über
diese Frage und wußte ihre Lösung nicht. Schließlich kam mir
die Schriftstelle in den Sinn: ,,Und ich sah, und siehe mitten zwischen dem
Thron und den vier Tieren und mitten unter den Ältesten stand ein Lamm,
wie wenn es erwürget wäre“ (Offb. 5, 6). Da dachte ich: ,,mitten
unter dem Thron“, da ist die Gottheit, und ,,mitten
unter den Ältesten“, da ist die Menschheit. Ach, das leuchtete
mir glänzend ein. Es war ein köstliches Gefühl und gab mir liebliche
Zufriedenheit. Auch half mir hierin jene andere Schriftstelle sehr: ,,Denn
uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft soll
auf seiner Schulter sein; und er soll heißen Wunderbar, Rat, der mächtige
Gott, der ewige Vater, der Friedefürst“ (Jes. 9,5).
Während mich Gott so in seinem Wort unterwies, gebrauchte der Herr daneben
noch zwei Dinge, um mich in dieser Wahrheit fest zu machen. Das eine waren die
Irrlehren der Quäker, das andere aber war die Schuld meiner Sünde.
Wie nämlich die Quäker sich der Wahrheit widersetzten, so machte mich
Gott in ihr dadurch um so fester, daß er mich in die Schrift und ihre
wunderbaren Wahrheitsbeweise einführte. Ich wurde dadurch zu einem noch
engeren Forschen in der Schrift getrieben und durch ihr Licht und Zeugnis nicht
allein erleuchtet, sondern auch in der Wahrheit sehr fest und trostvoll gemacht.
Außerdem half mir, wie ich sagte, die Sündenschuld viel. Denn das
Blut Christi nahm sie noch stets, wenn sie über mich kommen wollte, wieder
und immer wieder hinweg. Und das geschah dazu lieblich, gemäß der
Schrift. Liebe Freunde, ruft zu Gott, er möge euch Jesus Christus offenbaren.
Niemand kann lehren wie er.
Es würde hier zu lange währen, euch im einzelnen zu erzählen,
wie Gott mich in allen Fragen von Christus heimisch machte und wie er mich dazu
in seine Worte einführte. Ja, wie er mir seine Worte öffnete, sie
vor mir aufleuchten und in mir wohnen ließ. Und wie er sie mit mir reden
ließ und mich durch sie über und über tröstete, und das
sowohl über sein eigenes Sein wie auch über das Sein seines Sohnes,
des Geistes, des Wortes und des Evangeliums.
Nur das Eine will ich euch hier noch berichten. Im allgemeinen gefiel es ihm,
seinen Gang mit mir folgendermaßen zu nehmen: Zuerst mich durch Versuchungen
hinsichtlich seines Wortes anfechten zu lassen und dann dasselbe mir zu offenbaren.
So zum Beispiel lag ich zuweilen unter großer Sündenschuld darnieder,
ja wurde von meinen Sünden bis zu Grund und Boden zermalmt. Dann aber zeigte
mir der Herr den Tod Christi. Ja, er besprengte mein Gewissen so mit seinem
Blut, daß ich, und zwar noch vor allem bewußten Gewahrwerden, zu
dem Gefühl kam: in demselben Gewissen, in dem eben noch das Gesetz regierte
und raste, hat jetzt der Friede und die Liebe Gottes durch Christus Ruhe und
Wohnung gefunden.
Jetzt hatte ich wirklich eine deutliche Gewißheit meiner Rettung vom Himmel,
vor meinem inneren Auge durch viele goldene Siegel bekräftigt. Jetzt konnte
ich mich dieser augenscheinlichen Offenbarung und jeder anderen Enthüllung
der Gnade mit Trost erinnern, lind oft verlangte und wünschte ich, der
jüngste Tag wäre gekommen, damit ich auf ewig durch die Anschauung,
Freude und Gemeinschaft mit dem entflammt sein könnte, dessen dornengekröntes
Haupt, dessen bespeites Angesicht, dessen gebrochenes Gebein und dessen Seele
ein Opfer für meine Sünden geworden waren. Denn während ich zuvor
ständig vor dem Höllenrachen zitternd darniederlag, fühlte ich
mich jetzt so weit davon entfernt, daß ich ihn beim Zurückblicken
kaum noch wahrzunehmen vermochte. Ach, dachte ich auch, wäre ich doch jetzt
viermal zwanzig Jahre alt, damit ich sogleich sterben könnte und meine
Seele zur Ruhe einginge.
Aber bevor ich aus diesen meinen Versuchungen so weit gekommen war, verlangte
mich sehr danach, ein Werk irgendeines frommen Menschen aus alter Zeit zu lesen,
der seine eigenen Erfahrungen einige Jahrhunderte vor meiner Geburt niedergeschrieben
hätte. Denn diejenigen, die in unseren Tagen Schriften verfaßt haben,
haben nach meinem Empfinden allein das geschrieben, was andere fühlten.
Oder vielmehr sie hatten mit der Kraft ihres Verstandes oder ihres Amtes sich
um die Beantwortung solcher Einwände bemüht, durch die sie andere
verwirrt sahen. So aber gingen sie selbst nicht in die letzte Tiefe.
Wohl, nach vielem solchen Verlangen meines Geistes legte der Gott, in dessen
Hand alle unsere Tage und Wege stehen, eines Tages ein
Buch von Martin Luther in meine Hand. Es war seine Erklärung
des Galaterbriefes, und das Buch war so alt, daß es schon beim
bloßen Umwenden in Stücke zu zerfallen drohte. Ich war nun sehr erfreut,
daß solch ein altes Buch in meine Hand gefallen war. Fand ich doch, als
ich nur ein wenig von Luthers Erfahrungen gelesen hatte, darin meinen eigenen
Zustand so weitgehend und tief gründig behandelt, als ob sein Buch aus
meinem Herzen geschrieben worden wäre.
Dies wunderte mich. Denn, so dachte ich, dieser Mann konnte nichts von dem jetzigen
Zustand der Christen wissen, sondern er muß notwendig die Erfahrungen
früherer Tage niedergeschrieben und aus gesprochen haben.
Außerdem untersucht Luther in diesem Buch höchst
ernst auch den Ursprung derartiger Versuchungen wie Gotteslästerung, Verzweiflung
und ähnliches und zeigt, daß das Gesetz des Mose wie auch Teufel,
Tod und Hölle hierbei eine sehr große Rolle spielen. Das war
mir zuerst recht seltsam, aber heim näheren Betrachten und Wachen fand
ich es in der Tat so. Ohne mich hier auf Einzelheiten einzulassen, muß
ich doch vor allen Menschen die Bemerkung fallen lassen: Ich ziehe dies Buch
Martin Luthers über den Galaterbrief allen Büchern vor, die ich je
gesehen habe (mit Ausnahme der heiligen Bibel). Ist es doch das geeignetste
Buch für ein verwundetes Gewissen.
Und jetzt glaubte ich zu fühlen, daß ich Christus herzlichst lieb
hätte. Ach, meinte ich, meine Seele und mein Gefühl hängen unverbrüchhich
an ihm. Ich fühlte meine Liebe zu ihm so heiß wie Feuer. Und ich
glaubte jetzt, ich würde, wie Hiob sagt (29, 18), ,,in
meinem Nest sterben“. Aber sehr bald merkte ich, daß meine
große Liebe noch allzu klein war, und daß ich, der eine solche brennende
Liebe zu Jesus Christus zu haben meinte, ihn für eine richtige Kleinigkeit
hinzugeben imstande war. Gott weiß, wie er uns Menschen demütigen
und vor Hochmut bewahren kann.
Bei meiner Predigt des Wortes (seit 1655) habe ich besonders das eine beobachtet,
nämlich daß mich der Herr anleitete, da anzufangen, wo sein Wort
mit Sündern anfängt. Das bedeutet, mit der Verurteilung alles Fleisches
zu beginnen und dabei offen zu erklären, daß Gottes Fluch durch das
Gesetz um der Sünde willen auf allen Menschen liegt, die in die Welt kommen.
Diesen Teil meiner Tätigkeit erfüllte ich nun mit tiefem Gefühl.
Denn die Schrecken des Gesetzes und die Schuld meiner Übertretungen lagen
schwer auf meinem Gewissen. Ich predigte, was ich fühlte, was ich schmerzlich
fühlte, eben das, worunter meine arme Seele erschüttert seufzte und
zitterte. In der Tat, ich bin wie einer gewesen, der zu ihnen von den Toten
gesandt wurde. Ich ging selbst in Ketten, um den in Ketten Gebundenen zu predigen.
Und ich trug in meinem eigenen Gewissen jenes Feuer, vor dem ich andere inständig
warnte. Ich kann wahrlich und ohne jede Heuchelei sagen: Wenn ich zu predigen
hatte, ging ich voller Schuld und Schrecken dahin, gerade bis zur Kanzeltür.
Und dort wurde es mir abgenommen. Ich wurde frei in meinem Geist, bis ich meinen
Dienst verrichtet hatte. Unmittelbar danach aber, noch bevor ich die Kanzeltreppe
ganz heruntersteigen konnte, wurde es mit mir so schlimm wie zuvor. Doch Gott
trug mich weiter, freilich mit einer strengen Hand. Weder Schuld noch Hölle
konnten mich nämlich von meinem Dienst fernhalten.
So fuhr ich zwei Jahre lang fort, gegen die Sünden der Menschen und ihren
furchtbaren Zustand wegen derselben eindringlich zu predigen. Danach kam der
Herr in meine eigene Seele mit einem sicheren Frieden und Trost durch Christus.
Denn er gab mir durch ihn viele liebliche Enthüllungen seiner segensreichen
Gnade. Deshalb änderte ich jetzt meine Predigtart. Denn noch immer predigte
ich, was ich sah und fühlte. Deswegen bemühte ich mich jetzt sehr,
Jesus Christus in allen seinen Ämtern, Beziehungen und Wohltaten gegenüber
der Welt zu verkündigen. Und ich war auch bestrebt, alle jene falschen
Stützen und Halte aufzudecken, zu verurteilen und wegzuräumen, an
welche sich die Welt anlehnt und mit denen sie fällt und zugrunde geht.
Bei diesen Gegenständen blieb ich ebenso lange wie bei den andern.
Hiernach führte mich Gott etwas in das Geheimnis der Vereinigung mit Christus
hinein. Deswegen enthüllte und erläuterte ich es auch meinen Zuhörern.
Und nachdem ich etwas mehr als fünf Jahre lang durch diese drei Hauptpunkte
des Wortes Gottes hindurchgewandert war
(1. Sündenschuld, 2. erlösende Gnade, 3. Mysterium
der Vereinigung mit Christus),
wurde ich während meiner Predigtpraxis gefangen genommen
und in das Gefängnis geworfen. Dort habe ich mehr als doppelt so
lang gelegen, um die Wahrheit durch den Weg des Leidens zu bekräftigen,
als ich sie vorher auf dem Wege des Predigens gemäß der heiligen
Schrift bezeugt habe.
Wenn ich gepredigt habe, so hat mein Herz, Gott sei Dank, oft während des
ganzen Gottesdienstes mit großem Ernst zu Gott geschrieen, er wolle das
Wort zur Errettung der Seelen wirksam machen. War ich doch immer in Sorge, der
Feind könnte das Wort aus den Gewissen wegnehmen und es dadurch unfruchtbar
bleiben. Deswegen bemühte ich mich, das Wort so zu sagen, daß dadurch
möglichst die Sünde und die schuldige Person einzeln bezeichnet würden.
Und wenn ich den Gottesdienst vollendet hatte, kam mir der Gedanke ins Herz,
das Wort würde jetzt wie ein Regen aufs Steinige fallen. Ich wünschte
dann immer von Herzen: Ach, möchten doch meine heutigen Zuhörer auch
so wie ich sehen, was Sünde, Tod, Hölle und der Fluch Gottes ist.
Möchten sie ebenso erfahren, was die Gnade, die Liebe und die Barmherzigkeit
Gottes durch Christus für Menschen ist, die ihm noch so weit entfremdet
sind! Und tatsächlich sagte ich in meinem Herzen oft vor dem Herrn: Wenn
ein sofortiges öffentliches Gehenktwerden ein Mittel wäre, sie zu
erwecken und in der Wahrheit festzumachen, so wäre ich voll Freuden dazu
bereit.
Bei meinem Predigen war es mir, als ob ein Engel Gottes dicht hinter meinem
Rücken stünde, um mich zu ermutigen. Das war besonders der Fall, wenn
ich mich mit der Lehre von dem Leben befaßte, das durch Christus gewirkt
wird und nicht durch Werkgerechtigkeit. Während ich es vor den Gewissen
anderer zu entfalten, zu beweisen und zu befestigen suchte, stand dies alles
mit solcher Macht und himmlischer Deutlichkeit vor meiner eigenen Seele, daß
ich nicht mit der Aussage zufrieden sein konnte: Ich glaube und bin sicher.
Meines Erachtens war ich mehr als sicher, daß jene von mir versicherten
Dinge wahr seien, wenn meine eigene Äußerung hier gestattet ist.
Mein sehnlichster Wunsch bei der Erfüllung meines geistlichen Dienstes
war der, an die dunkelsten Orte des Landes, gerade mitten unter das Volk zu
gehen, das am weitesten vom Bekenntnis der Wahrheit entfernt war. Aber nicht
aus dem Grunde, weil ich das Licht nicht hätte ertragen können. Ich
fürchtete mich nämlich nicht, mein Evangelium jedermann offen zu zeigen.
Sondern vielmehr deswegen, weil meiner Überzeugung nach mein Geist am meisten
zu dem Werk der Erweckung und Bekehrung geneigt war. War doch auch das Wort
selbst, das ich brachte, vornehmlich auf diesen Weg gerichtet: ,,Dabei
aber habe ich sonderlich meine Ehre darein gesetzt, das Evangelium zu predigen,
wo Christi Name nicht bekannt war, auf daß ich nicht auf einen fremden
Grund baute“ (Röm. 15, 20).
Ich hatte in meinem ganzen Leben niemals einen so großen Zugang zum Wort
Gottes wie jetzt (im Gefängnis zu Bedford 1660—1672). Jene Schriftstellen,
in denen ich zuvor nichts Besonderes sehen konnte, vermochten an diesem Ort
und in diesem Zustand in mir zu leuchten. Ebenso war mir Jesus Christus niemals
zuvor so wirklich und deutlich wie jetzt. Hier habe ich ihn wirklich gesehen
und gefühlt. Ach, solche Worte wie dies: ,,Wir haben
euch nicht kluge Fabeln gepredigt“ (2. Petr. 1, 16) oder wie jenes:
,,Gott hat Christus von den Toten auferweckt und ihm die
Herrlichkeit gegeben, auf daß euer Glaube und Hoffnung zu Gott stehen
möge“ (1. Petr. 1, 21), sie waren für mich in der Lage
eines Gefangenen gesegnete Worte.
Ich habe an diesem Ort liebliche Gesichte von der Vergebung meiner Sünden
und von meinem Leben mit Jesus in einer andern Welt gesehen: O, der Berg Zion,
das himmlische Jerusalem, die unzählbare Schar der Engel, Gott als der
Richter aller, die Geister der vollendeten Gerechten und Jesus waren mir an
diesem Ort lieblich (Hebr. 12, 22—24). Ich habe hier das gesehen, was
ich nach meiner Überzeugung niemals, solange ich in dieser Welt bin, auszudrücken
vermag. Ich habe eine Wahrheit in dieser Schriftstelle gesehen: ,,Ihn
habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, wiewohl
ihr ihn nicht seht“ (1. Petr. 1,8).
Von allen Versuchungen, die mir jemals in meinem Leben begegneten, ist die schlimmste
und die am schlimmsten zu ertragende der Zweifel an dem Dasein Gottes und an
der Wahrheit seines Evangeliums. Wenn diese Versuchung kommt, so wird mir mein
Halt (wörtlich: mein Gürtel) genommen und mein Grund entrissen. Ach,
oft habe ich an das Wort denken müssen: ,,Habt eure
Lenden gegürtet mit Wahrheit“ (Eph. 6, 14) und an das andere:
,,Wenn der Grund zerstört wird, was kann der Gerechte tun“ (Ps.
11,3)?
Wenn ich manchmal nach begangener Sünde empfindliche Strafe von der Hand
Gottes erwartete, war das allernächste, das mir von ihm zuteil wurde, die
Enthüllung seiner Gnade. Wenn ich Trost empfangen hatte, nannte ich mich
manchmal selbst einen Narren, daß ich so unter der Unruhe versank. Und
wenn ich niedergeschlagen war, hielt ich mich wiederum nicht für klug,
daß ich dem Trost derart Raum gegeben hatte. Mit solcher Stärke und
mit solchem Gewicht haben diese beiden auf mir gelegen.
Über eins habe ich mich sehr gewundert. Gott besuchte jetzt meine Seele
immer wieder mit einer so gesegneten Enthüllung seiner selbst wie nie zuvor.
Dennoch haben mich hinterher wiederum Stunden tiefster innerer Dunkelheit überfallen.
In ihnen verlor ich fast die Vorstellungsfähigkeit, wer überhaupt
jener Gott sei, der mich mit seinem Trost stets neu erquickt hat.
Ich habe manchmal in einer Zeile der Bibel mehr gesehen, als ich zu ertragen
imstande war. Und doch war zu anderer Zeit mir die ganze Bibel wie ein trockenes
Holz. Oder besser, mein Herz war ihr gegenüber so tot und trocken, daß
ich aus ihr nicht den geringsten Erfrischungstrunk erhalten konnte, so sehr
ich auch danach lechzte.
Das ist die allerbeste Furcht, die durch das Blut Christi gewirkt wird. Und
das ist die allerlieblichste Freude, die mit der Trauer um Christus gemischt
ist. Ach, es ist für uns etwas Gutes, vor Gott auf den Knien zu liegen,
Christus im Arm. Ich hoffe, ich weiß davon einiges.
Ich finde bis zu diesem Tage in meinem Herzen sieben Greuel:
1. Neigung zum Unglauben;
2. Rasches Vergessen der von Christus geoffenbarten Liebe und Barmherzigkeit;
3. Ein Vertrauen auf die Werke des Gesetzes;
4. Abschweifen und Kälte beim Beten;
5. Meine Vergeßlichkeit, auf das Erbetene zu warten;
6. Meine Neigung zum Murren darüber, daß ich nichts mehr habe, und
demgegenüber meine Bereitwilligkeit, das, was ich habe, zu mißbrauchen;
7. Ich vermag nichts zu tun von dem, was mir Gott befiehlt, ohne daß sich
meine Verderbtheiten dazwischendrängen: ,,Wenn ich das Gute tun will, ist
mir das Böse gegenwärtig“ (Röm. 7, 21).
Diese Dinge sehe und fühle ich unaufhörlich. Ich werde von ihnen gequält
und bedrückt. Doch Gottes Weisheit ordnet sie zu
meinem Besten
1. Sie veranlassen mich, mich selbst zu verabscheuen;
2. Sie bewahren mich davor, meinem Herzen zu trauen
3. Sie überzeugen mich von der Unzulänglichkeit aller eigenen Gerechtigkeit;
4. Sie zeigen mir die Notwendigkeit, zu Jesus zu fliehen;
5. Sie drängen mich, zu Gott zu beten;
6. Sie zeigen mir, wie nötig mir Wachsamkeit und Nüchternheit sind;
7. Und sie rufen mich auf, durch Christus zu Gott zu beten, er möge mir
helfen und mich durch diese Welt hindurchtragen.
Aus
der ,,Pilgerreise“ (1678)
Nach einer Weile bemerkten die Pilger in der Ferne jemand, der ihnen gemächlich
allein auf der Landstraße entgegenkam. Da sagte Christ zu seinem Gefährten:
Dorthinten kommt ein Mann uns entgegen, der Zion den Rücken gekehrt hat.
Hoffnungsvoll: Ich sehe ihn. Laßt
uns jetzt uns in acht nehmen, falls er sich auch als ein ,,Schmeichler“
erweisen sollte.
So kam er näher und näher, und schließlich gelangte er zu ihnen.
Sein Name war ,,Atheist“, und er fragte sie nach dem Ziel ihres Weges.
Christ: Wir sind auf dem Wege
zum Berge Zion.
Da brach Atheist in ein schallendes Gelächter aus.
Christ: Was soll dein Gelächter
bedeuten?
Atheist: Ich lache, weil ich sehe,
was für törichte Leute ihr seid! Solch eine beschwerliche Reise nehmt
ihr auf euch, um schließlich für eure Mühen nichts zu haben
als euer weites Wandern!
Christ: Lieber Mann, meint ihr
etwa, wir würden nicht aufgenommen?
Atheist: Aufgenommen? Einen solchen
Ort, wie ihr träumt, gibt es in dieser ganzen Welt nicht.
Christ: Aber doch in der zukünftigen
Welt!
Atheist: Als ich noch zu Hause in meiner
Heimat war, hörte ich das gleiche, was ihr jetzt behauptet. Und deswegen
machte ich mich auf, danach zu sehen. Zwanzig Jahre lang habe ich nun schon
diese Stadt gesucht. Aber ich finde nicht mehr davon als am ersten Tage meiner
Reise.
Christ: Wir haben davon gehört und wir glauben auch daran,
daß es einen solchen Ort zu finden gibt.
Atheist: Hätte ich es nicht
einst zu Hause auch geglaubt, so würde ich keinen so weiten Weg gegangen
sein, ihn zu suchen. Nun habe ich ihn jedoch nirgends gefunden. Und doch hätte
ich das sicher, wenn überhaupt ein solcher Ort zu finden wäre; denn
ich bin weiter gegangen als ihr, ihn zu suchen. Darum habe ich nun wiederum
den Rückweg angetreten und will mich an den Dingen zu erquicken suchen,
die ich früher für Hoffnungen, deren Nichtigkeit ich jetzt einsehe,
von mir warf.
Da sagte Christ zu seinem Gefährten
Hoffnungsvoll: Ist das wirklich wahr, was dieser
Mann gesagt hat?
Hoffnungsvoll: Nimm dich in acht,
er ist einer von den ,,Schmeichlern“! Denke daran, was es uns schon einmal
gekostet hat, daß wir einem solchen Burschen Gehör schenkten! Was,
es soll keinen Berg Zion geben? Haben wir nicht das Tor der Stadt bereits von
den ,,lieblichen Bergen“ aus gesehen? Und sollen wir nicht jetzt im Glauben
wandeln (2. Kor. 5, 7)?
Laßt uns weitergehen, sagte Hoffnungsvoll,
damit nicht ,,der Mann mit der Peitsche“ (Offb.
3, 19) uns nochmals einholt. Du solltest mich die Lektion gelehrt haben, die
ich dir jetzt ins Ohr rufen will: ,,Laß ab, mein
Sohn, auf die Lehre zu hören, die dich von den Worten der Erkenntnis abirren
läßt“ (Spr. 19, 27). Ja, mein Bruder, laß ab,
auf ihn zu hören, und laß uns ,,glauben und
die Seele erretten“ (Hebr. 10, 39).
Christ: Mein Bruder, ich richtete
die Frage an dich nicht aus Zweifel an der Wahrheit unseres Glaubens, sondern
zu deiner Prüfung und um eine Frucht der Ehrlichkeit deines Herzens zu
erlangen. Was aber diesen Mann hier anbetrifft, so erkenne ich, daß er
von dem Gott dieser Welt verblendet ist. Laß uns beide weitergehen, da
wir wissen, daß wir den Glauben an die Wahrheit haben und ,,daß
keine Lüge aus der Wahrheit kommt“ (1. Joh. 2, 21).
Hoffnungsvoll: Jetzt bin ich fröhlich
in Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes (Röm. 12, 12).
Und so wandten sie sich von dem Mann denn ab. Er aber lachte sie aus und zog
seinen Weg.
Ich sah sie dann in meinem Traum wandern, bis sie eine gewisse Gegend erreichten.
Die Luft dort hat die natürliche Art, jeden dorthin gelangenden Fremden
schläfrig zu machen.
Und so fing hier Hoffnungsvoll an,
ganz matt und schlaftrunken zu werden. Er sagte deswegen zu
Christ: Ich fange jetzt an, so schläfrig zu werden, daß ich
kaum noch meine Augen offen halten kann. Laß uns hier ein wenig uns niederlegen
und ein Schläfchen halten.
Christ: Auf keinen Fall! Sonst
schlafen wir ein und wachen niemals mehr auf.
Hoffnungsvoll: Warum, mein Bruder? Schlaf ist dem Arbeiter süß.
Ein Schläfchen könnte uns doch erfrischen.
Christ: Hast du vergessen, daß
einer der Hirten uns vor dem ,,verzauberten Grund“ warnte? Er meinte damit,
wir sollten uns vor dem Schlaf hüten: ,,so laßt uns nun nicht schlafen
wie die andern, sondern laßt uns wachen und nüchtern sein“
(1. Thess. 5, 6).
Hoffnungsvoll: Ich gestehe meinen Fehler ein. Wäre ich
allein hier gewesen, hätte ich mich durch Schlafen in Todesgefahr gestürzt.
Ich sehe ein, es ist wahr, was der Weise sagt: ,,Es ist
ja besser zwei als eins“ (Pred. 4, 1). Bisher ist deine Gesellschaft
mir ein Segen gewesen. Du aber wirst einen guten Lohn für deine Mühe
erhalten.
Christ: Laß uns denn nun
zur Verhütung der Schläfrigkeit hier ein gutes Gespräch miteinander
führen!
Hoffnungsvoll: Herzlich gern.
Christ: Wo sollen wir anfangen?
Hoffnungsvoll: Wo Gott mit uns
anfing! Aber fange du bitte an.
Christ: Zuerst will ich dir dies
Lied singen:
Herzu, ihr Heiligen, wenn Schlaf euch befällt!
Hört dieser Pilger ermunternde Reden!
Wie schlummrige Augen man offen behält,
das lehren diese Worte jeden.
,,Gemeinschaft der Heiligen“ hält auf der Hut
selbst vor der Hölle grimmigen Wut!
Danach fing Christ an und sagte:
Ich will dir eine Frage stellen: Wie kamst du eigentlich zuerst dazu, an dein
jetziges Leben zu denken?
Hoffnungsvoll: Meinst du, wie
ich zuerst dazu kam, nach dem Heil meiner Seele zu fragen?
Christ: Ja, das meine ich.
Hoffnungsvoll: Eine lange Zeit
hindurch fand ich mein Vergnügen an den Dingen, die es auf unserem Jahrmarkt
hier zu sehen und zu kaufen gibt, Dinge, welche mich, wie ich jetzt weiß,
bei fortgesetztem Genuß in Verderben und Untergang ertränkt hätten.
Christ: Was sind das für
Dinge?
Hoffnungsvoll: Alle Schätze
und Reichtümer dieser Welt. Auch bereiteten mir Lärm, Gelage, Saufereien,
Fluchen, Lügen, Unreinheiten, Sabbatschändung und überhaupt alles,
was auf das Verderben der Seele abzielt, großes Vergnügen. Aber schließlich
fand ich durch das Hören und Betrachten der göttlichen Dinge, daß
,,das Ende solcher Dinge Tod heißt“
(Röm. 6, 21). Und daß ,,um dieser Dinge willen
der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams kommt“ (Eph.
5, 6).
Christ: Hat dich die Macht dieser Überzeugung sofort überwältigt?
Hoffnungsvoll: Nein, ich hatte nicht sogleich den Willen, das
Übel der Sünde und die der Tat folgende Verdammung zu erkennen. Als
mein Gemüt zuerst durch das Wort erschüttert wurde, bemühte ich
mich vielmehr, meine Augen vor seinem Lichte zu schließen.
Christ: Was war aber die Ursache,
daß du dich bei den ersten Wirkungen von Gottes heiligem Geist an dir
so verhieltest?
Hoffnungsvoll: Die Ursachen waren folgende:
1. Ich wußte nicht, daß dies das Werk Gottes an mir war. Ich hatte
nie bedacht, daß Gott die Bekehrung des Sünders erst einmal mit der
bewußten Erkenntnis der Sünde anfängt.
2. Die Sünde war meinem Fleische noch sehr angenehm. Ich war daher abgeneigt,
sie zu lassen.
3. Ich wußte nicht, wie ich mich von meinen alten Mitgenossen trennen
könnte, deren Gesellschaft und deren Treiben mir so angenehm waren.
4. Die Stunden, in denen solch Überzeugtsein über mich kam, waren
so beunruhigende und so herzerschreckende Stunden, daß ich weder sie noch
auch nur den Gedanken an sie zu ertragen vermochte.
Christ: So wurdest du anscheinend
zuweilen deine Unruhe los?
Hoffnungsvoll: Ja, wirklich. Aber sie kam immer wieder in mein
Bewußtsein. Dann aber wurde es mit mir ebenso schlecht, nein vielmehr
schlechter als zuvor.
Christ: Was war es aber, daß dir deine Sünden aufs
neue zum Bewußtsein brachte?
Hoffnungsvoll: Vielerlei, wie zum Beispiel:
1. wenn ich nur einen guten Menschen auf der Straße traf oder
2. wenn ich jemand in der Bibel lesen hörte oder
3. wenn ich anfing, Kopfschmerzen zu bekommen oder
4. wenn ich von der Erkrankung eines meiner Nachbarn erfuhr oder
5. wenn ich die Totenglocke für einen Verstorbenen läuten hörte
oder
6. wenn ich an mein eigenes Sterben dachte oder
7. wenn ich von dem plötzlichen Tode anderer hörte, besonders aber
8. wenn ich mein eigenes baldiges Erscheinen vor Gericht bedachte.
Christ: Und konntest du jemals
leicht deine Sündenschuld los werden, wenn sie auf eine dieser Weisen über
dich kam?
Hoffnungsvoll: Nein, nie. Denn
sie drückte mein Gewissen nur desto stärker. Und wenn ich dann nur
von neuem zu sündigen beabsichtigte, obwohl mein Gemüt dagegen eingestellt
blieb, war es für mich zwiefache Qual.
Christ: Und wie handeltest du
dann?
Hoffnungsvoll: Ich meinte, ich müßte mich bemühen,
mein Leben zu bessern. Denn sonst würde ich sicherlich verdammt werden.
Christ: Und bemühtest du
dich tatsächlich, dein Leben zu bessern?
Hoffnungsvoll: Ja, ich floh nicht
nur vor meinen Sünden, sondern auch vor sündhafter Gesellschaft. Ich
nahm meine Zuflucht zu religiösen Pflichten. Ich betete und las beispielsweise,
ich beweinte meine Sünden, ich redete zu meinem Nächsten die Wahrheit
und
dergleichen. Diese und viele andere Dinge tat ich, die hier aufzuzählen
zuviel wären.
Christ: Und fühltest du dich
dann wohl?
Hoffnungsvoll: Ja, eine Zeitlang.
Aber schließlich überfiel mich meine Unruhe von neuem, und das trotz
aller meiner Besserungsversuche.
Christ: Wie kam das, da du dich
doch jetzt wirklich gebessert hattest?
Hoffnungsvoll: Neben vielem anderen trugen dazu besonders diese
oder ähnliche Worte bei: ,,Alle unsere Gerechtigkeit
ist wie ein unflätiges Kleid“ (Jes. 64, 5); ,,durch
des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht“ (Gal. 2, 16); ,,wenn
ihr alle diese Dinge getan habt, so sprecht, wir sind unnütze Knechte“
(Luk. 17, 10). Daraus begann ich bei mir selbst so zu schließen: Wenn
alle meine Gerechtigkeit ein unflätiges Kleid ist, wenn durch die Werke
des Gesetzes kein Mensch gerecht werden kann und, wenn wir, ob wir auch alles
getan haben, doch nur unnütze Knechte sind, dann ist es nichts als Torheit,
durch das Gesetz in den Himmel kommen zu wollen. Ich dachte ferner: wenn ein
Mann bei einem Kaufmann hundert Pfund Schulden hat und danach für alle
weiteren Käufe bezahlt, so kann doch der Kaufmann, solange die alte Schuld
in seinem Buche noch ungestrichen ist, ihn verklagen und bis zu deren Bezahlung
ins Gefängnis werfen lassen.
Christ: Gut. Wie aber hast du
das auf dich angewandt?
Hoffnungsvoll: Ich dachte so bei
mir: Durch meine Sünden habe ich einen großen Schuldeintrag in Gottes
Buch zustandegebracht. Meine jetzige Besserung aber kann diese Rechnung nicht
ausgleichen. Deswegen muß ich trotz aller meiner gegenwärtigen Besserung
daran denken: Wie werde ich nur von jener Gefahr der Verdammung frei werden,
in die ich mich durch meine früheren Übertretungen gebracht habe?
Christ: Eine sehr gute Anwendung,
aber bitte fahre fort.
Hoffnungsvoll: Eine andere Sache beunruhigt mich gerade seit
meiner jüngsten Besserung. Wenn ich nämlich jetzt näher auf meine
besten Werke schaue, sehe ich noch immer Sünde, neue Sünde, die sich
unter mein bestes Tun mischt. So ist mir jetzt trotz aller meiner früheren
hohen Einbildungen von mir und meinen Leistungen nur ein Schluß möglich:
Ich habe mit einer Tat genug Sünde begangen, um zur Hölle zu fahren,
selbst wenn mein früheres Leben fehlerlos gewesen wäre.
Christ: Was hast du aber nun getan?
Hoffnungsvoll: Getan? Ich wußte
nicht, was ich tun sollte, bis ich meine Gedanken vor ,,Getreu“ enthüllte.
Denn er und ich waren miteinander gut bekannt. Er sagte mir nun, außer
wenn ich die Gerechtigkeit eines Mannes erlangte, der nie gesündigt hätte,
könnte mich weder meine eigene noch die Gerechtigkeit der ganzen Welt retten.
Christ: Und hieltest du seine
Worte für wahr?
Hoffnungsvoll: Hätte er mir das zu der Zeit gesagt, als
ich noch an meinen eignen Besserungsversuchen Gefallen und Genüge fand,
so hätte ich ihn mit seinem Kummer einen Narren genannt. Aber seit ich
nun meine eigne Schwäche sehe und die Sünde, die meinen besten Werken
anklebt (Hebr. 12, 1), muß ich seiner Meinung zustimmen.
Christ: Glaubtest du aber gleich
nach seinen ersten Ausführungen, daß wirklich solch ein Mann zu finden
sei, von dem mit Recht gesagt werden könne, er habe niemals eine Sünde
begangen?
Hoffnungsvoll: Ich muß gestehen, diese Worte klangen mir
zuerst fremd. Aber nach etwas längerem Umgang und Gespräch mit ihm
war ich davon voll überzeugt.
Christ: Und hast du ihn gefragt,
wer der Mann sei und wie du durch ihn gerechtfertigt werden könntest?
Hoffnungsvoll: Ja, er sagte mir,
es sei der Herr Jesus, der da sitzet zur Rechten des Allerhöchsten (Hebr.
10, 12). Durch ihn, sagte er, mußt du gerechtfertigt werden, indem du
nämlich auf das vertraust, was er in den Tagen seines Fleisches getan und
am Stamme des Kreuzes gelitten hat. Ich fragte ihn weiter, wie die Gerechtigkeit
dieses Mannes solche Kraft haben könnte, daß andere dadurch vor Gott
gerechtfertigt würden. Er aber sagte mir: Er war der allmächtige Gott.
All sein Tun und sein Sterben sind nicht für ihn, sondern für mich
geschehen. Mir sollen seine Taten und ihr Verdienst zugerechnet werden, wenn
ich an ihn glaube.
Christ: Und was tatest du dann?
Hoffnungsvoll: Ich machte meine
Einwendungen gegen meinen Glauben. Ich meinte nämlich, Jesus sei nicht
bereit, mich zu retten.
Christ: Und was antwortete dir ,,Getreu“ darauf?
Hoffnungsvoll: Er forderte mich auf, zu Jesus zu gehen und zu
sehen. Ich jedoch bezeichnete das als Anmaßung. Aber er sagte: Nein, du
bist ja eingeladen zu kommen (Matth. 11, 28). Dann gab er mir ein Buch, von
Jesus selbst eingegeben, um mich noch mehr offen zu ermutigen zu kommen. Und
betreffs des Buches sagte er, daß jeder Buchstabe und jedes Tüpfelchen
darin fester stünden als Himmel und Erde (Matth. 24, 35). Darauf fragte
ich ihn, was ich tun müßte, wenn ich kommen wollte. Und er antwortete
mir, ich müßte auf meinen Knien von ganzem Herzen und von ganzer
Seele den Vater bitten, mir den Sohn zu offenbaren. Da fragte ich ihn weiter,
wie ich denn meine Bitte an ihn richten könnte. Er aber sagte: Gehe hin.
Du wirst ihn dann auf einem Gnadenthron finden, wo er Tag für Tag bereit
ist, Gnade und Vergebung denen zu schenken, die kommen. Ich erwiderte ihm, ich
wüßte nicht, was ich sagen sollte, wenn ich komme. Er aber hieß
mich in diesem Sinne sprechen: ,,Gott, sei mir Sünder
gnädig“ (Luk. 18, 13) und laß mich Jesus Christus kennen
und an ihn glauben. Denn ich erkenne, daß ich ohne seine Gerechtigkeit
und ohne den Glauben an sie völlig verworfen wäre. Herr, ich habe
gehört, du bist ein barmherziger Gott und hast deinen Sohn Jesus Christus
zum Heiland der Welt bestimmt. Du bist ferner bereit, ihn solch einem armen
Sünder wie mir zu schenken. Und ich bin in der Tat ein Sünder. Herr,
nimm deswegen diese Gelegenheit wahr und verherrliche deine Gnade durch die
Rettung meiner Seele, durch deinen Sohn Jesus Christus. Amen.
Christ: Und tatest du, wie du
geheißen wurdest?
Hoffnungsvoll: Ja, immer und immer
wieder.
Christ: Und hat der Vater dir
seinen Sohn offenbart?
Hoffnungsvoll: Nicht beim ersten,
noch beim zweiten, noch beim dritten, noch beim vierten, noch beim fünften,
nein, auch nicht beim sechstenmal.
Christ: Was tatest du da?
Hoffnungsvoll: Was ich tat? Ich wußte nicht, was ich
tun sollte.
Christ: Dachtest du nicht daran,
das Beten aufzugeben?
Hoffnungsvoll:
Ja, hundert und aberhundert Mal.
Christ: Und warum tatest du es
doch nicht?
Hoffnungsvoll: Ich glaubte an die Wahrheit des mir Berichteten,
daß nämlich ohne die Gerechtigkeit Christi mich die ganze Welt nicht
retten könne. Deswegen dachte ich bei mir selbst: gebe ich das Beten auf,
sterbe ich. Mehr aber als sterben kann ich vor dem Gnadenthron auch nicht. Und
dabei kam mir die Schriftstelle ins Gedächtnis: ,,Ob
sich aber die Erfüllung der Verheißung verzögert, so harre ihrer;
sie wird gewiß kommen und nicht ausbleiben“ (Hab. 2, 3).
So hielt ich an am Gebet, bis der Vater mir seinen Sohn zeigte.
Christ: Und wie wurde er dir offenbart?
Hoffnungsvoll: Ich sah ihn nicht mit meinen leiblichen Augen,
sondern mit den Augen meines Verstandes (Eph. 1, 18). Und das geschah so: Eines
Tages war ich sehr traurig, trauriger, wie ich meine, als zu irgendeiner Zeit
meines Lebens. Und diese Traurigkeit kam von einer neuen Erkenntnis der Größe
und Nichtswürdigkeit meiner Sünden. Als ich nun nichts als Hölle
und die ewige Verdammnis meiner Seele vor mir erblickte, sah ich plötzlich
den Herrn Jesus vom Himmel herab auf mich herniederschauen und sagen:
,,Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du gerettet werden“ (Apg.
16, 31). Ich aber erwiderte: Herr ich bin ein großer, ein sehr großer
Sünder! Er aber antwortete: ,,Laß dir an meiner
Gnade genügen“ (2. Kor. 12, 9). Da sagte ich: aber, Herr,
was ist Glauben? Aus dem Wort: ,,Wer zu mir kommt, den
wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten“
(Joh. 6, 35), erkannte ich aber: Glauben und Kommen ist ein und dasselbe.
Wer kommt, das heißt, wer in seinem Herzen und Gemüt dringend nach
Rettung durch Christus verlangt, der glaubt tatsächlich an Christus.
Da trat das Wasser in meine Augen, und ich fragte weiter: Kann aber, Herr, ein
solch großer Sünder wie ich tatsächlich von dir angenommen und
durch dich gerettet werden? Da hörte ich ihn sagen: ,,Wer
zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh. 6,
37). Darauf fragte ich: Wie aber, Herr, muß ich bei meinem Kommen zu dir
von dir denken, damit ich meinen Glauben recht auf dich setze? Da sagte er:
,,Christus Jesus ist in die Welt gekommen, Sünder
zu retten“ (1. Tim. 1, 15). ,,Er ist des
Gesetzes Ende; wer an ihn glaubt, der ist gerecht“ (Röm. 10,4).
,,Er ist um unserer Sünden willen gestorben und um
unserer Rechtfertigung willen auferweckt“ (Röm. 4, 25). ,,Er
hat uns geliebt und gewaschen von unsern Sünden mit seinem Blut“
(Offb. 1, 5). Er ist der Mittler zwischen Gott und uns (1. Tim. 2,5).
,,Er lebt immerdar und bittet für uns“ (Hebr. 7, 25).
Aus all diesem schloß ich, daß ich meine Gerechtigkeit in seiner
Person und die Genugtuung für meine Sünden in seinem Blut suchen müsse.
Alles, was er nämlich im Gehorsam gegen das Gesetz seines Vaters und in
Unterwerfung unter seine Strafe tat, tat er nicht für sich selbst, sondern
für den, der es als seine Rettung annimmt und dankbar ist. Und jetzt wurden
mein Herz mit Freude und meine Augen mit Tränen erfüllt. Meine Gefühle
aber flossen über von Liebe zu dem Namen, dem Volk und den Wegen Jesu Christi.
Christ: Dies war in der Tat eine
Offenbarung Christi an deine Seele. Aber erzähle mir genau, welche Wirkung
dies auf deinen Geist hatte?
Hoffnungsvoll: Es ließ mich
erkennen, daß sich die ganze Welt trotz aller ihrer Gerechtigkeit im Zustand
der Verdammnis befindet. Es ließ mich erkennen, daß Gott der Vater,
obwohl er selbst gerecht ist, doch mit Recht den Sünder, der kommt, rechtfertigen
kann. Es ließ mich tief beschämt über die Nichtswürdigkeit
meines früheren Lebens werden und machte mich durch das Gefühl meiner
eigenen Unwissenheit verstört. Denn niemals zuvor war ein Gedanke in mein
Herz gekommen, der mir so die Schönheit Jesu Christi zeigte. Es ließ
mich ein heiliges Leben lieben und mich danach sehnen, etwas zur Ehre und Verherrlichung
des Namens des Herrn Jesus zu tun. Ja, ich glaubte, selbst tausend Liter Blut,
hätte ich sie in meinem Leibe, gern um des Herrn Jesus willen vergießen
zu können.
Aus: Der Protestantismus des 17. Jahrhunderts. Herausgegeben
von Winfried Zeller (S.386f.)
In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias
Schröder Band V, Sammlung Dieterich
Carl Schünemann Verlag Bremen